"Das Sagen hat natürlich das türkische Religionspräsidium Diyanet", so Küpeli. Es sei merkwürdig, dass das bestritten werde, denn so stehe es auch in der Vereinssatzung. Ditib sei keine unabhängige Organisation. Dass Ditib-Imame Informationen über angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung an die türkischen Geheimdienste weitergegeben hätten, gefährde Menschen.
Küpeli forderte eine "eindeutige Antwort" der Politik. "Ich verstehe nicht, warum wir noch darüber debattieren." Die Zusammenarbeit mit Ditib müsse beendet werden - gleichzeitig brauche es aber eine Alternative für die türkisch-stämmigen Muslime in Deutschland.
Das Interview in voller Länge:
Benjamin Hammer: Imame in Moscheen des Verbandes Ditib sollen im Auftrag des türkischen Religionspräsidiums in Deutschland spioniert haben. Ditib erklärte dazu am Abend: Nein, man habe die Spionage durch Imame gar nicht bestätigt. Man habe lediglich deutlich machen wollen, dass man die Vorwürfe ernst nehme und diese weiterhin untersuche. Waren es also Einzelfälle, Imame, die eine Aufforderung aus Ankara falsch interpretierten? War es eine Panne, wie Ditib es nennt? Oder haben Imame von Ditib systematisch spioniert? - Darüber spreche ich jetzt mit Ismail Küpeli. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität Bochum. Schönen guten Abend.
"Das Sagen hat natürlich das türkische Religionspräsidium"
Ismail Küpeli: Guten Abend!
Hammer: Ich würde die Lage gerne kurz sortieren. Welche Verbindungen gibt es zwischen Ditib und der Türkei und wer hat bei Ditib das Sagen, die Zentrale in Köln oder das türkische Religionspräsidium in Ankara?
Küpeli: Die Grenzen sind eigentlich relativ eindeutig und das sollte eigentlich auch gar nicht mehr groß bestritten werden. Das Sagen hat natürlich das türkische Religionspräsidium Diyanet. Auch in der Satzung von Ditib ist relativ genau aufgeschlüsselt, wer dort das Sagen hat, nämlich nicht die Zentrale in Köln, sondern natürlich die Behörde in der Türkei selbst. Darüber müsste man jetzt gar nicht groß debattieren. Merkwürdigerweise wird dies von Ditib bestritten und es wird versucht, das Ganze so darzustellen, als sei Ditib eine unabhängige Organisation. Die Fakten sprechen natürlich eindeutig dagegen.
Hammer: Ditib-Imame sollen Anhänger der Gülen-Bewegung ausspioniert haben.
Küpeli: Ja.
Hammer: Welche Informationen haben die dann nach Ankara weitergegeben?
Küpeli: Die Informationen müssen gar nicht so umfangreich sein, sondern es reicht bereits diese Angabe, dass dort möglicherweise Gülen-Anhänger leben würden, dass die dort zu den Moscheen gehen würden. Bereits die Informationen würden dazu ausreichen, dass diese Personen Konsequenzen zu befürchten haben. Wenn man sich die Verfahren in der Türkei selbst anschaut, die dort gegen Gülen-Anhänger bestritten werden - auch da geht es um Indizien, um Verdächtigungen, um Anschuldigungen und nicht wirklich um Beweise von etwas. Das heißt, diese Hinweise, so vage und so unvollständig sie sind, können dazu dienen, dass in Deutschland lebende, türkeistämmige Menschen durchaus Nachteile zu befürchten haben.
"Werkzeug einer politischen Partei"
Hammer: Würden Sie den Begriff Spionage verwenden?
Küpeli: Ob wir hier von Denunziation oder von Spionage sprechen, finde ich gar nicht das Entscheidende, sondern das Entscheidende ist, dass offensichtlich Funktionäre eines Moscheeverbandes, der sich eigentlich um etwas anderes kümmern sollte, nämlich um die Organisation der Religionsarbeit, sich hier zum Werkzeug macht einer politischen Partei, einer Regierung, und hier für diese Regierung arbeitet, für diese Regierung Informationen sammelt. Ob man das jetzt Spionage nennt oder Denunziation, finde ich gar nicht das Entscheidende, sondern das Entscheidende ist, dass durch diese Arbeit Menschen gefährdet werden und dass es eine Arbeit ist, die natürlich nicht im Auftrag der Ditib ist. Wir reden immer von einem Moscheeverband und nicht von einer staatlichen Sicherheitsbehörde und dass das eigentlich undenkbar sein sollte, müsste eigentlich klar sein, und ich verstehe auch nicht, dass wir nach wie vor darüber debattieren, dass es hier eine eindeutige Antwort braucht auf diese Aktivitäten.
"Ich befürchte, dass Ditib deutscher Kooperationspartner bleibt"
Hammer: Was wäre eine eindeutige Antwort der deutschen Behörden, des deutschen Staates?
Küpeli: Ich kann mir nicht vorstellen, dass man weiterhin mit Ditib kooperiert. Zwar wird jetzt hier und dort diese Kooperation infrage gestellt, aber ich befürchte, dass es wieder mal dabei bleibt, dass man einige Wochen bestimmte Debatten führt, bestimmte Anforderungen erhebt, aber dass die tatsächliche Politik sich nicht ändert und dass weiterhin Ditib ein Kooperationspartner für Deutschland bleibt, wenn es darum geht, die Religionsarbeit für die türkischen Muslime in Deutschland zu verwalten, und das ist eigentlich etwas, wovon wir langsam Abstand gewinnen sollten. Es ist ohnehin so, dass es insgesamt fraglich ist, ob der türkische Staat über die türkische Religionsbehörde Diyanet so viel Einfluss hier ausüben sollte und wenn das nicht ausreicht, dann ist vielleicht der jetzige Zwischenfall Anlass genug, dass man dort Abstand gewinnt. Ich befürchte aber, dass es wieder mal dabei bleibt, dass man einige Wochen aufgeregt debattiert, um dann wieder zum Üblichen zurückzukehren.
"Wir brauchen einen Moscheeverband, der in Deutschland verwurzelt ist"
Hammer: Ich nehme die mögliche Gegenseite ein, Herr Küpeli. Es gibt zahlreiche Kontakte zwischen Ditib und staatlichen Institutionen. Die Ditib-Verantwortlichen, die verurteilen den islamistischen Terrorismus. Ditib bietet Integrationskurse an. Wäre es dann nicht gefährlich, wenn der deutsche Staat sagt, wir schaffen jetzt eine größere Distanz zu diesem Verband?
Küpeli: Ich glaube, wenn man das tatsächlich so vollzieht, wenn man die Kontakte zu Ditib abbricht, aber kein Angebot schafft für die türkischen Muslime in Deutschland, dann wäre es durchaus so, dass wir dort eine Lücke schaffen würden, die dann gefüllt wird von Organisationen, die wir ebenfalls nicht unterstützen wollen. Wenn wir davon reden, dass wir hier eben gerade keine Hinterhofmoscheen haben wollen, dass wir den Islam in Deutschland in der Mitte der Gesellschaft sehen wollen, dann braucht es natürlich ein neues Angebot für die türkischstämmigen Menschen in Deutschland, die ihrer Religion nachgehen wollen.
Das bedeutet aber auch, dass natürlich die deutsche Politik sich dann kümmern muss, um dieses neue Angebot zu schaffen, dass wir einen Moscheeverband brauchen, der in Deutschland verwurzelt ist, die Interessen der deutschen Muslime, egal, aus welchem Land die Eltern oder die Großeltern kommen, stammen, dass diese Muslime natürlich in Deutschland einen Platz brauchen, um ihre Religionsarbeit zu organisieren. Aber das muss nicht die Ditib sein und das sollte vielleicht die Ditib auch nicht mehr sein.
Hammer: Schauen wir noch mal auf den heutigen Abend. Der Verband Ditib sagt, wir haben die Spionage nicht bestätigt. Das war eine Panne. Es sind ganz wenige Fälle. Halten Sie das für glaubwürdig?
Küpeli: Ich halte das nicht für glaubwürdig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einzelne Ditib-Imame gegen den Willen des Moscheeverbandes hier in Eigenregie etwas unternehmen und das direkt an die türkischen Behörden selbst vermitteln. Das kann ich mir nicht vorstellen.
Spaltung der türkischen Gesellschaft spiegele sich auch hier wider
Hammer: Ich würde den Blick gerne noch etwas weiten. Türkische Imame haben Türken in Deutschland ausspioniert. Erdogan-Anhänger richten sich gegen Gülen-Anhänger. Und dann ist da noch der Konflikt mit Kurden, die aus der Türkei stammen. Auch der wird in Deutschland ausgetragen. Waren die Türken in Deutschland jemals so gespalten?
Küpeli: Ich glaube, was wir uns einmal klar machen müssen ist, dass die Verhältnisse hier in Deutschland, wenn man sich die türkischsprachige Community hier anschaut, sehr eng zusammenhängen mit den türkischen Verhältnissen selbst. Die türkische Gesellschaft ist derzeit so gespalten wie schon seit vielen Jahren nicht mehr und diese Spaltung spiegelt sich auch natürlich hier in Deutschland wieder. Das heißt, wenn man sich die Konflikte in der Türkei anschaut, die Spaltung dort anschaut und auch die Eskalation der Gewalt, dann spielt das natürlich auch eine Rolle für die Verhältnisse hier in Deutschland.
Das heißt, wir werden ähnliche Konflikte auch hier in Deutschland erleben. Wir werden auch hier eine weitere Eskalation erleben. Viele Zwischenfälle sind bereits gemeldet und es wird leider nicht dabei bleiben, sondern wir werden auch in den nächsten Wochen und Monaten weitere Eskalation erleben und wir brauchen eine Politik, die dafür sorgt, dass diese Eskalation, die in der Türkei stattfindet, nicht so stark nach Deutschland abfährt, und dafür braucht es eine andere Politik auch gegenüber der türkischstämmigen Bevölkerung hier in Deutschland. Da sind durchaus Organisationen wie Ditib nicht die richtigen Partner.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.