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Besser denken

Das menschliche Gehirn hat großartige Eigenschaften. Doch angesichts wachsender Anforderungen offenbaren sich auch seine Grenzen. Mal schnell eine Sprache lernen – unmöglich. Immer gute Stimmung verbreiten – Wunschdenken. Punktgenau volle Konzentration erreichen – schön wär's.

Von Thomas Liesen |
    "Ich werde Ihnen jetzt 10 Wörter zeigen. Und bitte lesen Sie mir jedes Wort laut vor vor, wenn ich es Ihnen zeige und ich werde Sie dann im Anschluss bitten, die zehn Wörter wieder zu erinnern. Los geht’s."

    "Brief, Königin, Hütte, Strand, Karte..."

    Eine 42-jährige Frau, die anonym bleiben möchte, hat sich mit Gedächtnisproblemen in einer Demenzsprechstunde vorgestellt.

    "Jetzt bitte die zehn Wörter noch mal abrufen."

    "Hütte, Brief, Gras, ähm...."

    Der Test offenbart: Sie leidet tatsächlich an einer leichten so genannten kognitiven Störung. Ihr Gedächtnis ist beeinträchtigt. Weitere Untersuchungen werden jetzt folgen. Sollte sie schon an einer Demenz leiden, was zwar in ihrem Alter selten wäre aber durchaus vorkommen kann, dann gibt es Medikamente, die helfen sollen - so genannte Antidementiva. Antidementiva verbessern den Hirnstoffwechsel.

    "Gurke, Toaster, Makrele, Kabeljau, ähm... Lauch? Porree?"

    "Welches?"

    "Lauch. Äh...."

    Eine 25-jährige Studentin. Sie ist gesund. Wissenschaftler erfassen ihr Gedächtnis zum Vergleich, um eine Art Basislinie für ihre Testverfahren zu haben. Fünf bis sieben Wörter von zehn, das schaffen normale, völlig gesunde Menschen im Schnitt. Was klar belegt: Das menschliche Gehirn hat zwar wunderbare Eigenschaften. Dennoch ist viel Luft nach oben. Fünf von zehn, das ist normal, aber irgendwie auch mager. Der Gedanke liegt nahe, hier nachzuhelfen. Zum Beispiel mit Pillen, die den Hirnstoffwechsel fördern.

    Vor kurzem veröffentlichte die Krankenkasse DAK erstmals handfeste Daten über das wahre Ausmaß des Missbrauchs von Psychopharmaka zur vermeintlichen Leistungssteigerung. 3000 Arbeitnehmer wurden befragt. Das Ergebnis überraschte sogar die Fachwelt: 2 Millionen schlucken gelegentlich und immerhin 800.000 Arbeitnehmer regelmäßig entsprechende Pillen. Dabei bedienen sie sich bei drei Wirkstoff-Gruppen.

    Erstens: Antidementiva

    Sie sollen eigentlich Demenzerkrankungen aufhalten. Gedächtnis und Aufmerksamkeit werden gefördert. Beispielsubstanz: Donepezil.

    Zweitens: Antidepressiva

    Zugelassen für depressive Erkrankungen oder Angsterkrankungen. Beispielsubstanz: Fluoxetin. Antidepressiva verbessern die Stimmung, erhöhen den Antrieb, Dinge zu erledigen.

    Dritte und am häufigsten verwendete Hirndoping-Mittel: Amphetamine oder Amphetamin-Verwandte.

    Zu diesen Medikamenten gehören Ritalin und das noch beliebtere Modafinil. Als Medikament wirkt Modafinil unter anderem gegen Narkolepsie, den so genannten Schlafzwang.

    "Modafinil ist gänzlich uneuphorisch. Ich habe das genommen, habe mich an den Schreibtisch gesetzt, spürte zuerst überhaupt nichts und nach einer halben Stunde spürte ich doch eine gewisse Fokussierungsfähigkeit, die über das hinaus ging, was ich sonst so kenne."

    Der Journalist Jörg Auf dem Hövel recherchiert seit Jahren im Bereich Psychopharmaka und Hirndoping. Für ein Buchprojekt wollte er es genau wissen. Und entschloss sich dazu, Modafinil im Selbstversuch zu testen.

    "Das hat sich auch körperlich niedergeschlagen in einem leichten Ziehen der Gesichtsmuskulatur, das ging so leicht nach vorne, das war wie eine körperliche Entsprechung der geistigen Fokussierung, kann man vielleicht sagen. Gleichzeitig kam es dann aber auch dazu, dass ich mich ein bisschen angespannt gefühlt habe. Also es war eine subtile Roboterhaftigkeit."

    Das Medikament gibt es nicht ohne Rezept. Laut DAK-Studie kommen viele vollkommen gesunde Konsumenten trotzdem erstaunlich leicht an Modafinil und andere Leistungspillen: Ein Viertel beschafft sich Nachschub über den Internethandel, viele erhalten die Medikamente von Freunden oder Bekannten. Aber auch der ganz normale und legale Weg über den Arzt geht offenbar leichter als gedacht. Der Psychiatrieprofessor Klaus Lieb von der Uni Mainz:

    "Wenn der Druck von Menschen sehr groß wird auf den Arzt und sie sagen, ich kann mich nicht mehr so gut konzentrieren und mein Gedächtnis ist nicht mehr so gut. So kann natürlich ein sehr großer Druck auf den Arzt aufgebaut werden, so dass der sagt, OK, dann nehme ich so eine leichte Störungsdiagnose, dann kann ich auch ein Medikament verschreiben."

    Klaus Lieb ist einer der wenigen Ärzte, die hierzulande das Hirndoping und seine Folgen erforschen. Er hat kürzlich untersucht, wie weit Leistungspillen unter Schülern und Studenten schon verbreitet sind. Sein Team fragte dazu 1500 junge Menschen, ob sie zum Beispiel Ritalin einnehmen, eigentlich ein Mittel gegen die Aufmerksamkeitsstörung ADHS. Ergebnis: Rund vier Prozent der Befragten hatten Erfahrung mit diesen Mitteln. Eine Zahl, die Klaus Lieb durchaus erwartet hatte.

    "Was aber überraschend war, war die Tatsache, dass eine sehr hohe grundsätzliche Bereitschaft besteht, diese Substanzen einzunehmen, Medikamente, irgendwelche Substanzen. Allerdings unter der Voraussetzung, sie müssen sicher sein, frei erhältlich und keine Abhängigkeit erzeugen. Unter der Voraussetzung wären eben 80 Prozent bereit, so etwas einzunehmen. Nur etwa elf Prozent haben gesagt, Substanzen zur Leistungssteigerung kommen nicht für mich infrage. Und das ist schon ein überraschend kleiner Anteil. Ich hätte eigentlich gedacht, dass sehr viel mehr skeptisch sind."

    Nur wenige bekennen sich wie Jörg Auf dem Hövel dazu, Hirndoping probiert zu haben. Wenn, dann höchstens unter Wahrung der Anonymität. So auch ein Wissenschaftler, ein Psychiater. Er sucht nach Substanzen zum Beispiel für Patienten mit Demenz. Der Universitätsprofessor wagte ebenfalls den Selbstversuch. Seine Stimme ist nachgesprochen.

    Ich hatte so nach einer halben Stunde das Gefühl, einfach voll da zu sein, auch am Morgen. Interessant war, dass Müdigkeit, die sich normalerweise nach einer gewissen Zeit am Computer oder bei der Arbeit an Texten einstellt, dass diese Müdigkeit auf lange Zeit ausblieb. Ich war sehr fokussiert auf eine Sache. Aber es fiel mir auch sehr schwer, mich von dieser einen Sache wieder zu lösen, zum Beispiel um eine andere Arbeit zu beginnen. Ich klebte praktisch an der Sache.

    "Ich werde Sie bitten, dass Sie hier auf diesen Karten, eine Wortliste versuchen zu lernen. Ich werde Ihnen verschiedene Wörter, insgesamt sind es zehn Wörter, zeigen. Lesen Sie bitte jedes Wort laut vor und versuchen Sie bitte, möglichst viele zu behalten."

    "Butter, Arm, Strand, Brief, Königin, Hütte, …."

    Es kursieren viele Geschichten über das, was Hirndoping angeblich bewirkt. Die Frage ist, ob sie einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten. Was leisten die Substanzen tatsächlich bei Gesunden?

    "…Stange, Karte, Gras, Motor."

    Dieser Frage geht die Arbeitsgruppe von Boris Quednow nach, Professor für experimentelle und klinische Pharmakopsychologie an der Uniklinik Zürich. Eigentlich hofft er, Mittel zu finden, die bei psychisch kranken Menschen die kognitiven Fähigkeiten verbessern. Entsprechende Mittel werden dringend gebraucht. Als potentiellen Wirkstoff bei der Schizophrenie haben Quednow und seine Mitarbeiter Modafinil getestet. Ein einfaches, aber aussagekräftiges Verfahren ist der so genannte Wortlistentest:

    "Welche wissen Sie noch, egal in welcher Reihenfolge? Und jetzt bitte wiederholen."

    "Motor, Stange, Gras, so.... Butter......"

    Ein Teil der Probanden hat die Tests mit, ein Teil ohne Modafinil über sich ergehen lassen. Jetzt liegen die Ergebnisse vor – und sie sind enttäuschend. Die Gedächtnisleistung verbesserte sich nicht wesentlich. Die Menschen konnten sich zwar länger konzentrieren. Aber sie machten auch mehr Fehler: Im Wortlistentest wurden Wörter falsch wiedergeben oder welche dazu erfunden. Boris Quednow ist inzwischen auch skeptisch, was das Potential des Hirndopings insgesamt angeht.

    "Wir sind momentan kaum in der Lage, selbst beim Kranken die Leistungen zu verbessern, die bei ihm beeinträchtigt sind. Und wir werden deshalb noch viel weniger in der Lage sein, auf absehbare Zeit beim gesunden, beim optimal austarierten Gehirn, in der Lage sein, ebenfalls ganz gezielt und ausgestanzt eine Leistung zu verbessern, ohne irgendwas schlechter zu machen und möglichst noch ohne Nebenwirkungen."

    Die Einschätzung von Boris Quednow: Unterm Strich taugt Modafinil nicht als Dopingmittel – auch wenn andere Forscher da bisher optimistischer waren.

    "Wir konnten beispielsweise viele Befunde, die in der Literatur berichtet sind, dass eben Modafinil eine breite Verbesserung verschiedener Funktionen macht, überhaupt nicht finden. Mittlerweile wissen wir, dass es möglicherweise daran gelegen hat, dass unsere Versuchspersonen einfach ausgeschlafen waren, und gezeigt werden konnte unterdessen, dass diese Substanz eigentlich nur bei sehr müden Personen eine Verbesserung erbringt."

    Die gleichen Erfahrungen machte auch unser Wissenschaftler, der anonym bleiben möchte. War er in einer ganz normalen, ausgeschlafenen Verfassung, erlebte er Leistungseinbrüche, vor allem mit Amphetaminen.

    Einmal musste ich einen Text schreiben, den habe ich auch sehr schnell und sehr konzentriert geschrieben. Aber dieser Text – und das war mir nicht aufgefallen – war so voller Schreibfehler und Grammatikfehler. Es ging mir beim Schreiben einfach nur noch um das Niederschreiben der Gedanken. Ich war auch gar nicht fähig, das zu korrigieren. Ich habe den Text daher so abgegeben und bin dafür entsprechend kritisiert worden.

    Auch Klaus Lieb von der Universität Mainz will es jetzt genauer wissen: Was können Hirndoping-Mittel, was können Neuro-Enhancer wirklich leisten? Er führt aktuell eine Studie mit Schachspielern durch, darunter Mitglieder eines örtlichen Schachvereins. Sie werden mit Modafinil, Ritalin oder aber mit Placebo versorgt. Lieb will prüfen, ob sie ihre Spiel-Leistung verbessern können. Es hat lange gedauert, bis die Studie von der Ethik-Kommission der Universität genehmigt wurde. Denn getestet werden sollen gesunde Menschen. Die Ergebnisse werden nicht dazu dienen, eine bestimmte Erkrankung zu therapieren. Solche Medikamentenversuche sind heikel. Lieb konnte die Kommission jedoch überzeugen, dass sie wichtig sind, um dringend benötigte Daten über Sinn und Unsinn des Hirndopings zu erhalten. Die Schachstudie läuft jetzt, Ergebnisse stehen noch aus. Werden die Spielzüge mit Hirndoping vorausschauender ausfallen, präziser, kreativer? Lieb ist skeptisch

    "Ich würde genau das Gegenteil annehmen, dass nämlich die Kreativität heruntergeht. Wenn ich selber sehr unter Stress stehe, also Noradrenalin, die Stresshormone hoch gehen, dann komme ich in einen Zustand, wo ich nur noch in der Lage bin, irgendwelche emails nacheinander abzuarbeiten, aber ich bin nicht mehr in der Lage, wirklich kreativ zu sein, das kennen, glaube ich, auch andere. Und die Medikamente, Amphetamin und Ritalin und so, die machen ja genau das, also sie erhöhen den Wachheitspegel, indem sie Noradrenalin und Dopamin ausschütten. Dieses immer Anpeitschen, und immer konzentriert, schnell, aufmerksam sein, ist eher ein Feind von Kreativität."

    Es gibt noch die anderen Substanzgruppen, die nachweislich missbraucht werden: Zum einen Antidementiva, die bei Demenzkranken den geistigen Verfall ein wenig verzögern können. Und dann noch die Antidepressiva. In jeweils einer Handvoll Studien haben Wissenschaftler bereits die Wirkung dieser beiden Substanzgruppen bei Gesunden getestet, auf die Stimmung, auf das Gedächtnis, auf die Konzentrationsfähigkeit. Das Ergebnis unterm Strich: nichts. Keine nachweisbare Wirkung.

    Die gängigen Hirndopingmittel können also bestenfalls eines: Wach machen, die Konzentration verbessern, also aufputschen. Trotzdem sickert der Konsum langsam in die breite Gesellschaft ein. Wobei grundsätzlich das Einwerfen von Psychopharmaka in bestimmten Berufsgruppen schon eine lange Tradition hat, sagt Bruno Müller-Oerlinghausen von der Arzneimittelkommission:

    "Wir wissen, dass Orchestermusiker unter einem sehr dominanten Dirigenten teilweise zu einem erheblichen Prozentsatz – denken wir an die Berliner Philharmoniker unter Karajan – Beruhigungsmittel eingenommen haben. Denken sie an den Krieg, wo Kampfflieger im großen Umfang sogenannte Amphetamine genommen haben, um diesen Stress zu überstehen. Aber wir wissen heute auch, dass auch Lkw-Fahrer solche Substanzen nehmen."

    Noch findet dieser Konsum weitgehend im Verborgenen statt. Das Einnehmen leistungssteigernder Substanzen mag verbreitet sein, gesellschaftlich akzeptiert ist es nicht. Zu Unrecht, meinte vor rund zwei Jahren eine Gruppe von Wissenschaftlern und sie veröffentlichten eine Streitschrift. Sie begann mit einem Alltags-Szenario:

    Der Tag der Hochzeit ihrer besten Freundin: ein Tag, auf den sich Anna seit Monaten gefreut hat und an dem alles perfekt sein soll – schließlich ist sie die Trauzeugin. Doch ausgerechnet an diesem Morgen kommt es zum großen Zerwürfnis zwischen Anna und ihrem Freund Roland.

    Die Autoren bezeichneten ihren Text als "Memorandum" und gaben ihm den Titel "Das optimierte Gehirn". Anna, die Trauzeugin, ist aufgewühlt, hat Angst, dass sie in ihrem Zustand die Hochzeit der Freundin verdirbt. Doch da wird ihr von einem Bekannten eine Pille angeboten, ein Stimmungsaufheller, pharmakologisch gesehen ein Antidepressivum. Die Wissenschaftler und Autoren des Memorandums fragen nun:

    Würden Sie in Annas Situation den Versuch wagen? Und wenn er gelänge und das Fest auf diese Weise gerettet würde: Wäre irgendetwas daran verwerflich?

    Oder was sei gegen Psychopharmaka einzuwenden, die tieferen Musikgenuss oder das leichtere Erlernen einer Fremdsprache ermöglichen, fragen die Autoren weiter. Sie betonen zwar: Solche Mittel gibt es noch nicht. Aber sie sind überzeugt: Sie wird es eines Tages geben.

    "Natürlich werden wir da Medikamente entwickeln können, die unsere Lernkurve beschleunigen, also da bin ich mir ganz sicher."

    Das Memorandum hat für einige Diskussionen gesorgt. Und genau das wollte die Gruppe um die Psychiatrieprofessorin Isabella Heuser von der Charité erreichen. Heuser:

    "Es ist gut, dass mal ein gewisser Schleier runter gerissen worden ist und man sieht, dass ein genuines Bedürfnis offenbar vorliegt, solche Präparate einzunehmen. Es liegt ja auch ein genuines Bedürfnis vor, sich äußerlich zu verbessern und zu verschönern durch kosmetische Operationen, so scheint es auch bei vielen ein Bedürfnis zu geben, sich bezüglich einer Durchhaltefähigkeit und seiner Leistungsfähigkeit zu verbessern."

    Neben der Psychiaterin waren sechs weitere Experten, darunter Ärzte wie die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert und auch Juristen wie der Strafrechtler Reinhard Merkel beteiligt. Sie alle möchten, dass die Optimierung des Gehirns mit Hilfe von Pillen aus der Schmuddelecke kommt, wie Heuser selbst es nennt. Teilweise gab es für diesen Versuch Zustimmung. Aber auch klaren Widerspruch. Klaus Lieb:

    "Die besten Forscher müssen eben nicht an kosmetischer irgendwas arbeiten und an irgendwelchen Hirndopingsachen, sondern die sollen daran arbeiten, wie kann ich Therapien verbessern für die, die es wirklich nötig haben. Und die meisten Probleme mit geistiger Leistungsfähigkeit haben immer noch unsere Patienten, die mit Demenzen, mit schweren Depressionen, schizophrene Patienten, da müssen wir was finden und nicht für die Gesunden."

    "OK, dann würde ich jetzt bei Ihnen die Schmerzelektrode aufkleben auf die linke Hand."

    "Ich fixiere das mit Klebeband bei Ihnen. Geht das so?"

    Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für systemische Neurowissenschaften. Über eine Elektrode werden der 23-jährigen Ilka Schreiner gleich Elektroschocks verabreicht. Die Studentin hat sich freiwillig gemeldet. Das Ganze dient dazu, das Lernen zu erforschen und zu testen, ob die Lernfähigkeit mit Hilfe von so genannten Neuro-Enhancern verbessert werden kann.

    "OK. Wir fangen jetzt bei einem sehr niedrigen Wert an."

    In Pharmalaboren und Forschungsinstituten der Welt werden zurzeit Tausende von Mitteln getestet, die die geistige Leistungsfähigkeit auf irgendeine Art steigern sollen. Bei kranken Menschen wohlgemerkt, so zumindest immer das ausgegebene Ziel. 500 Mittel stehen kurz vor der Markteinführung. Wenn die Forschung hier in Hamburg Früchte trägt, kommen weitere hinzu.

    "Haben Sie den schon gemerkt?"

    "Ja, ein ganz kleines bisschen."

    "OK, super. Dann würde ich jetzt ein bisschen höher gehen, so dass wir einen unangenehmen Reiz für Sie finden, den Sie aber aushalten das Experiment über."

    "Ja, das tat jetzt schon deutlich weh, würde ich sagen."

    "Wenn Sie mir auf einer Skala von 0 bis 10 den einmal bewerten. 0 wäre überhaupt nichts, 10 der vorstellbar schlimmste Schmerz, den diese Elektrode verursachen kann."

    "Dann würde ich sagen, eine 8."

    Ilka Schreiner soll jetzt gleich auf einen Bildschirm schauen. Dort werden ihr Symbole gezeigt, ein Kreis, ein Dreieck, andere Formen. Immer wenn der Kreis erscheint, wird gleichzeitig ein Elektroschock ausgelöst. Die Probandin wird so wie ein Pawlowscher Hund auf das Symbol "Kreis" hin konditioniert. Der Kreis ist der so genannte "konditionierte Stimulus". Nach einigen Elektroschocks soll der Kreis alleine schon Angst auslösen. Über eine Sonde auf der Haut können die Forscher diese Angst messen, denn die Probandin fängt an zu schwitzen, das erhöht messbar die Hautleitfähigkeit. Der Neurophysiologe Dr. Raffael Kalisch leitet die Experimente:

    "Letztendlich versuchen wir, im Labor einen Angstzustand hervorzurufen. Das Entscheidende kommt dann anschließend. Wir bieten diesen konditionierten Stimulus weiterhin dar auf dem Bildschirm, in diesem zweiten Teil des Experiments ist er aber nicht mehr gefolgt von diesem schmerzhaften elektrischen Reiz. Das heißt im Laufe dieser so genannten Extinktion - das ist der Fachbegriff dafür, das deutsche Wort wäre Auslöschung – lernt die Probandin, dass dieser konditionierte Stimulus keine Gefahr mehr bedeutet. Und dementsprechend reduziert sich im Laufe des Experiments die Furchtantwort auf diesen Stimulus. Er löst dann am Ende des Experiments keine Furcht mehr aus."

    Zahlreiche Menschen leiden unter völlig irrationalen Ängsten, die das Leben enorm belasten können. Bekanntes Beispiel: die Angst vor Spinnen. Ein Standard-Therapieansatz: Die Betroffenen müssen lernen, dass der angstauslösende Reiz in Wahrheit keinerlei Gefahr darstellt. Kalisch:

    "In der Konfrontationstherapie wird der Patient immer wieder mit Spinnen konfrontiert, zunächst mit Bildern von Spinnen, später mit kleineren, dann mit größeren Spinnen, bis er ganz am Ende vielleicht sogar eine Vogelspinne in der Hand halten kann, ohne davon eine allzu starke Vermeidungsreaktion ausgelöst zu bekommen."

    Und jetzt kommt das Hirndoping ins Spiel. Können Pillen diese Erfahrung: ich brauche keine Angst mehr zu haben – können Pillen diese Erfahrung festigen? Hintergrund ist: Jeder zweite Angstpatient wird rückfällig. Die Angst kommt zurück. Der Patient vergisst, was er in der Therapie gelernt hat. Raffael Kalisch möchte nun das Sicherheit gebende Gedächtnis fördern. Im Experiment sehen die Probanden daher das Symbol Kreis einige Male, ohne dass ein Elektroschock folgt. Gleichzeitig erhalten sie eine Pille.

    "In diesem speziellen Experiment ist es so, dass wir unseren Probanden L-Dopa geben, das ist ein Medikament, das bereits im klinischen Gebrauch ist und das die Aktivität eines bestimmten Neurotransmittersystems im Gehirn, also eines Botenstoffsystems im Gehirn steigert."

    Einen Tag nach dem Schlucken der Pille werden die Probanden wieder vor den Bildschirm gesetzt, verkabelt und ihnen wird der Kreis gezeigt. Wenn das Hirndoping funktioniert, zeigen sie eine geringere Angstreaktion als Probanden, die nur ein Placebo bekommen haben, also eine Pille ohne Wirkstoff. Noch sind die Versuche nicht vollständig ausgewertet, aber es scheint zu funktionieren. Und es gibt bereits Studien mit anderen Substanzen. Cycloserin etwa, ursprünglich ein Medikament gegen Tuberkulose, verstärkt nachweislich die Wirkung von Angsttherapien. Noch dient all diese Forschung dazu, Kranke zu heilen. Noch. Kalisch:

    "Ist natürlich auch für uns eine spannende und auch etwas knifflige Frage. Es könnte natürlich sein, dass unsere Studien andere Studien oder auch Feldversuche inspirieren, die damit zu tun haben, dass gesunde Menschen vielleicht einfach ihre Gedächtnisleistung steigern möchten."

    Ein besseres Gedächtnis – dabei muss es nicht bleiben. Es könnte noch mehr kommen, auch wenn der Weg dahin weit ist, glaubt Bruno Müller-Oerlinghausen von der Arzneimittelkommission.

    "Nichtsdestoweniger kann man die Erwartung haben, dass die Chemiker, so wie sie auch Drogen, die Halluzination hervorrufen, erfunden haben, uns auch mit Substanzen beglücken, die zum Beispiel Glücksgefühle erzeugen oder die auch in bestimmten Situationen die Leistungsfähigkeit, zum Beispiel beim Lösen von mathematischen Aufgaben, steigern können. Das glaube ich schon, dass es das geben wird. Aber die Frage ist: Brauchen wir das? Wollen wir das?"

    "Wenn man jeden einzelnen fragt, wird er sicherlich sagen: Ja klar, so ein paar IQ-Punkte mehr können sicher nicht schaden, aber die Frage ist: Was machen wir dann damit? Die meisten von uns leben ohnehin in einer Umgebung, wo sie das Gefühl haben, der Druck in der Arbeitswelt, der Stress, den sie erleben, der ist jetzt schon so groß, dass wir mit einer zusätzlichen, vermehrten Leistungsfähigkeit wahrscheinlich auch noch zusätzlichen und vermehrten Stress erleben werden. Ist das wirklich eine bessere Welt, in der wir noch mehr arbeiten können? Wofür eigentlich?"

    Boris Quednow von der Uniklinik Zürich gehört ebenfalls zu den grundsätzlichen Kritiker des Hirndopings. "Wofür eigentlich?", fragt er. Und man muss nachschieben: Wer profitiert? Vielleicht Arbeitgeber. Ganz sicher aber: die Pharmaindustrie. Sie profitiert immer, wenn sich Märkte öffnen. Wenn sich die Indikationen erweitern, wenn Pillen für weitere Erkrankungen zugelassen werden. Und praktisch grenzenlose Absatzchancen winken schließlich, wenn auch Gesunde anfangen, das Produkt nachzufragen. Genau das geschieht offenbar derzeit bei einigen Pillen, wie zum Beispiel bei Ritalin. Das Produkt der Firma Novartis ist eigentlich nur zugelassen für Patienten mit der Aufmerksamkeitsstörung ADHS. Ein eng begrenzter Personenkreis. Trotzdem hat sich der Absatz gewaltig gesteigert: innerhalb von zehn Jahren um das Zehnfache.

    "Die Absatzzahlen sind offenbar höher als das, was man von der Häufigkeit der Erkrankung eigentlich erwarten kann. Das spricht schon dafür, dass es häufig auch missbraucht wird, auch durch Gesunde, und das zeigt, dass da eine hohe Bereitschaft besteht."

    Klaus Lieb von der Uniklinik Mainz. Handfeste Zahlen fehlen allerdings. Wir haben beim Ritalin-Hersteller Novartis mehrfach um ein Interview gebeten, unter anderem zu der Frage, wie das Unternehmen dazu stehe, dass Ritalin auch von Gesunden konsumiert wird. Die abschließende Antwort von Novartis lautet:

    Wir verstehen Ihre Nachfrage. Wir haben Ihre Fragestellungen intern auch noch einmal besprochen, können Ihnen zu diesem Thema aber leider keinen Ansprechpartner vermitteln.

    Die Frage bleibt: Steckt letztlich die Pharmaindustrie hinter den hochschnellenden Umsatzzahlen bei Hirndopingmitteln? Für Bruno Müller-Oerlinghaus von der Arzneimittelkommission wäre diese Antwort zu kurz gegriffen:

    "Hier in diesem Falle – obwohl ich sonst versucht bin, überall Big Pharma als treibenden Faktor zu vermuten – hier glaube ich steckt derzeit Big Pharma nicht dahinter. Weil das für die Pharmaindustrie viel zu gefährlich ist. Es gibt schon Bereiche, ich nenne mal das Beispiel Modafinil, wo an dem medizinisch nicht gerechtfertigten Einsatz eines Muntermachers eine Firma auch verdient hat. De facto ist das aber kein gutes Aushängeschild für eine Firma und insofern glaube ich, dass der Hersteller von Modafinil nicht ganz unglücklich darüber ist, dass die Indikation jetzt sehr viel strenger gefasst worden ist."

    Die Industrie kämpft derzeit gegen ein ausgesprochen schlechtes Image. Und Erfolge beim Hirndoping sind nicht geeignet, dieses Image aufzupolieren, im Gegenteil. Doch was ist es dann? Was läßt immer mehr Menschen zum Dopingpille greifen? Obwohl die Mittel sozial nach wie vor eher geächtet sind? Wer ist verantwortlich, wenn kein "Verführer" auszumachen ist?

    Klaus Lieb: "Ein Problem könnte sein, dass Menschen unter Druck kommen, diese Substanzen zu nehmen, obwohl sie es gar nicht wollen. Stellen Sie sich vor, alle Studierenden in Ihrer peer-group nehmen das ein und sagen: 'Mensch, ich bin ja ganz toll, dann kann ich besser durchhalten und Party machen und kann vor der Prüfung noch mal lernen und du hockst hier jeden Abend da rum, mach´s doch auch so!' Dann würden die doch unter Druck kommen. Und diesen sozialen Druck, den halte ich für sehr viel problematischer."

    Bruno Müller-Oerlinghaus: "Ich bin in diesem Fall sehr wertkonservativ und meine, dass das kein Fortschritt ist, sondern schlussendlich ein Desaster und ein weiteres Eingeständnis, dass wir nicht willens oder fähig sind, unsere mentalen oder spirituellen Fähigkeiten einzusetzen, um – sagen wir es mal technisch – zu einem performance level zu kommen, der sinnvoll ist und der Situation angemessen ist, denn es gibt immer mehr als Chemikalien. Aber es ist nun mal das Einfachste, zu glauben, ich schmeiß mir hier irgendwas ein und damit habe ich die performance, die ich haben möchte."

    Der Druck der Leitungsgesellschaft und letztlich der Wunsch jedes einzelnen, in dieser Gesellschaft optimal zu funktionieren – das sei die Triebfeder für den Griff zur Leistungspille. Sagen Klaus Lieb und Bruno Müller-Oerlinghausen. Genau deshalb sei es klug, endlich die notwendige gesellschaftliche Debatte zu führen, ergänzt die Psychiatrie-Professorin Isabella Heuser.

    "Wir müssen erst mal klären in der Gesellschaft, ob wir es wollen, dass Forschung betrieben wird an der Entwicklung von Präparaten, die, wenn ein Gesunder sie nimmt, den etwas lockerer werden lassen zum Beispiel, oder aber den dazu bringt, dass der dann anstatt sechs Stunden an der Arbeit zu sitzen acht Stunden konzentriert arbeiten kann oder zehn."