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Besser scheitern

Niederlagen sind eine Chance sich weiterzuentwickeln, so die These des englischen Ökonoms Tim Harford. Allerdings muss er einräumen, dass die Methode "Versuch und Irrtum" bei hochkomplexen Systemen wie der Bankenkrise keine Option ist.

Von Stefan Maas |
    Tim Harfords Buch hat alles, was einen guten Roman ausmachen würde. Helden, die sich gegen das System stemmen und damit Erfolg haben – oder den Tod finden, verbohrte Chefs, die darauf bestehen, dass alles so gemacht wird, wie es immer schon gemacht wurde – und scheitern. Große Katastrophen sind auch im Spiel, eine Menge Zufall, Glück – und zwei Versprechen.

    Allerdings ist Harford kein Romanschriftsteller sondern Ökonom, preisgekrönter Wirtschaftsjournalist und der Autor des Sachbuchbestsellers "Ökonomics". Und so sind die Versprechen, die er am Ende des ersten Kapitels gibt, ebenso praxisnah wie ambitioniert:

    Nicht zuletzt werden Sie Lösungen für eine Bandbreite an Problemen an die Hand bekommen, die von der Bankenkrise bis zum Klimawandel reichen. Bei der Lektüre dieses Buches werden Sie, so hoffe ich zumindest, einiges darüber lernen, wie Sie im Geschäfts- und ebenso im Privatleben herumexperimentieren und Ideen weiter entwickeln können.

    ... denn Entwicklung und Anpassung, so führt der 39-Jährige in seinem Buch aus, sind die Schlüssel zum Erfolg und letztlich auch zum Überleben. Das gilt in der biologischen Evolution ebenso wie in der Geschäftswelt.

    Einst klingende Namen wie Pullman oder Singer stehen für eine längst vergangene Epoche. Doch auch wenn die einstigen Marktführer Pullmann und Singer in rückläufigen Branchen agierten, so war ihr Schicksal nicht unabwendbar. Singer stellte Nähmaschinen her, aber die Wurzeln von Toyota als Hersteller von Webstühlen waren seinerzeit kaum verheißungsvoller.

    Um es kurz zusammenzufassen: Erfolge werden wahrscheinlich dort am ehesten erzielt, wo Mitarbeiter, sei es im Team oder alleine, die Möglichkeit haben, Neues auszuprobieren – und dabei auch scheitern können ohne sich oder das gesamte Unternehmen zu gefährden.

    Umgekehrt gilt: Besonders gut scheitert es sich da, wo Hierarchien und Systeme nicht offen sind für Kritik, vor allem aber für Veränderungen und starr an ihren zentralistischen Vorgaben festhalten. Offensichtliches Beispiel: die Sowjetunion.

    Das Scheitern des sowjetischen Modells offenbarte sich erst schleichend. Es bestand in der pathologischen Unfähigkeit, Experimente zuzulassen. Je weiter sich die sowjetische Wirtschaft entwickelte, desto weniger Bezugspunkte hatten die Planer.

    So weit, so bekannt, doch Harford ist ein unterhaltsamer Erzähler, der seine Leser dadurch gewinnt, dass er sich immer wieder interessante Protagonisten wählt, an deren Beispiel er seine Thesen belegt. Mutige Menschen und tragische Helden. Wie der russische Ingenieur Peter Palchinsky. Der wies die Behörden – zunächst die des Zaren und später die sowjetischen – immer wieder auf Probleme hin, wenn zentralistische Vorgaben mit der Realität vor Ort kollidierten. Etwa beim Bau der Walzwerke von Magnitogorsk, der Stadt am magnetischen Berg. Stalin wollte dort eine Stahlindustrie errichten, die die Großbritanniens in den Schatten stellen sollte.

    Der Bau war ohne detaillierte Untersuchungen zur Geologie der Region begonnen worden, ebenso ohne darüber nachzudenken, ob die zur Befeuerung der Walzwerke benötigte Kohle in ausreichendem Maße vorhanden war.

    Das Ende vom Lied: Die Kohle und Jahre später auch das Erz mussten quer durchs Land transportiert werden. Dass er Recht behalten würde, erlebte Palchinsky aber nicht mehr. Er wurde 1928 verhaftet und hingerichtet.

    Im Dossier, das Palchinskys vermeintliche Untaten dokumentierte, beschuldigte man ihn "detaillierte Statistiken veröffentlicht" und die sowjetische Industrie sabotiert zu haben, indem er ihr lediglich "Minimalziele" gesetzt hatte.

    Überraschender ist Harfords zweites Beispiel für ein starres System, in dem es den Verantwortlichen vor Ort erst unter Umgehung der Vorschriften möglich war, Erfolge zu erzielen. Gemeint ist die US-Armee bei ihrem Einsatz im Irak. Sehr ausführlich zeigt der Autor an diesem Exempel, dass zentralisiertes Wissen überschätzt wird, spezifisches Wissen vor Ort aber nicht hoch genug gewürdigt. Es sei denn – und hier kommen nicht nur weitere Helden ins Spiel sondern gleich zwei der Faktoren, die der Autor als entscheidend für Entwicklung und Anpassung identifiziert – es sei denn, es findet sich zufällig ein Vorgesetzter, der bereit ist, aus den gemachten Fehlern zu lernen, von den Vorgaben abzuweichen und alternative Lösungen zu versuchen. Diese Herangehensweise empfiehlt Harford seinen Lesern übrigens auch für den Privatgebrauch. Kritik zulassen, Fehler analysieren und neuen Versuch starten.

    Besonders interessant wird "Trial and Error" aber in den Kapiteln, in denen Harford der Frage nachgeht:

    Was, wenn wir uns nicht den Luxus leisten können, Fehler zu machen, weil diese katastrophale Folgen haben?

    Denn Trial and Error ist bei hochkomplexen Systemen keine Option. Das gilt für Ölbohrinseln, Atomkraftwerke und ganz besonders für das Bankensystem, wie die Welt seit der Lehmanpleite im Jahr 2008 gelernt hat. Denn ...

    ... nur wenige menschliche Erfindungen sind komplexer und enger gekoppelt als das Bankensystem.

    Harford hat mit Bankern und vor allem mit den eilig einbestellten Krisenmanagern gesprochen und zeichnet die Katastrophe detailreich nach, die sich vor den Augen der Prüfer entfaltete, während sie noch damit beschäftigt waren, das Geschäftsmodell der Bank und die Verflechtungen zum Rest des Finanzsystems zu verstehen.

    Ähnlich umfassend seziert er die Katastrophen im Atomkraftwerk Three-Mile-Island und auf der explodierten Ölplattform Deepwater Horizon, wo ebenfalls sämtliche installierten Sicherungssysteme versagten.

    Letztlich entstanden in all den geschilderten Fällen durch die Sicherheitsvorkehrungen neue "potentielle Fehlerquellen", und dadurch neue Möglichkeiten, dass etwas schiefgehen konnte. Genau darin lag auch die Krux bei der Finanzkrise von 2008. Nicht das Fehlen von Sicherheitsvorkehrungen löste das Chaos aus, sondern die bestehenden Vorkehrungen trugen zur Verschlimmerung der Probleme bei.

    Das Rezept für die Vermeidung ähnlicher Katastrophen in der Zukunft:

    Sicherheitsexperten in der Industrie erachten die Entkopplung verschiedener Prozesse sowie eine verringerte Komplexität inzwischen als wichtigstes erstrebenswertes Ziel. Die Finanzregulatoren sollten das ebenfalls tun.

    Für die Banken schlägt der Wirtschaftsjournalist deshalb verpflichtend eine größere finanzielle Rücklage vor – und eine Aufspaltung in einen spekulativen Bereich und eine Versorgungsbank, die sich mit dem deutschen Sparkassenmodell vergleichen lässt.

    Die Idee, nie wieder eine Bank zu groß zum Scheitern werden zu lassen, ist nicht neu. Sie mag, wenn sie denn umgesetzt wird, helfen, zukünftige Bankenkrisen zu verhindern.

    Sein Versprechen, eine Lösung für die Bankenkrise zu präsentieren, hat Harford damit allerdings nicht eingelöst. Überhaupt neigt er manchmal dazu vom eigentlichen Weg abzukommen. Bei einigen Kapiteln und Beispielen fragt sich der Leser, wo will er hin? Und bei manchen Sätzen, was er eigentlich damit aussagen möchte. Dies ist in einigen Fällen aber auch der Übersetzung geschuldet, wenn aus dem Kontext klar wird, dass eine Formulierung den Sinn eher entstellt als erhellt.

    Aber auch daran scheitert der Lesegenuss nicht nachhaltig, denn "Trial and Error" ist ein unterhaltsames Buch. Informativ. Überraschend – wie ein guter Roman eben.


    Tim Harford: Trial and Error: Warum nur Niederlagen zum Erfolg führen
    Rowohlt Verlag,
    432 Seiten, 19,95 Euro
    ISBN: 978-3-498-03016-2