"Licht ist noch nicht fertig. Das ist jetzt gerade hier fertig geworden. Wir gehen mal rein…"
Berlin Pankow, eine Datschen-Siedlung. Im vergangenen Jahr hat Kathrin das baufällige Gartenhaus mit ihrem Mann und vielen freiwilligen Helfern renoviert – mit Mitteln aus dem "Fonds Heimerziehung in der DDR". In dem Häuschen mit Garten, großem Kirschbaum, Kräutern und Spielecke für die Enkel kann sich die herzkranke Frau - die ihren Nachnamen nicht im Radio hören möchte - zurückziehen. Hier sucht die 45-Jährige aber auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit.
"Dadadada. (…) Das ist mein Bad. Ich hab hier eine Dusche, wo ich nicht eingesperrt bin. Die ist groß, hier kann ich atmen (lacht). (…) Wenn ich hier dusche, ich bin hier alleine."
Im Alter von vier Jahren musste Kathrin mit ihrer jüngeren Schwester für ein dreiviertel Jahr ins Kinderheim. Ursache waren die in der DDR politisch unerwünschten Äußerungen des Vaters, dessen Inhaftierung und Freikauf vom Westen. Die Mutter wurde verhört und bei der Flucht mit den Kindern verhaftet. Als "politisches Heimkind" wurde Kathrin in besonderer Weise ausgegrenzt, auch misshandelt und missbraucht.
"Dann hab ich hier so eine kleine Ecke, wo ich lesen kann. Ja, das ist so der Garten. Ich freue mich über alles, was hier blüht. Ich habe verschiedene Nischen, je nachdem wie man sich fühlt. Auch wenn jetzt mein Mann oder die Kinder da sind, wir haben alle Ausweichmöglichkeiten."
Kerstin Kuzia hat die Baufortschritte erlebt. Sie selbst verbrachte Jahre in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen und begleitet heute ehrenamtlich ehemalige DDR-Heimkinder bei der Aufarbeitung. Derzeit kommen viele, die aus dem Fonds Hilfe beantragen wollen, zu ihr ins Büro in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg – so wie Kathrin vor einem Jahr.
"Ich durfte ja von Anfang an mit dabei sein und gucken, weil sie die einzige der Betroffenen ist, die unheimlich viel von dem Fonds in Baumaterialien umgesetzt Das ist Wahnsinn, was sie hier geschaffen haben – (…) habe ich so noch nie erlebt."
Der Fonds "Heimerziehung in der DDR" wurde vor einem Jahr mit 40 Millionen Euro eingerichtet, sechs Monate nach dem Fonds "Heimerziehung West". Bei den Beratungsstellen der einzelnen Bundesländer können die Betroffenen Rentenersatzleistungen beantragen oder materielle Leistungen in Höhe von bis zu 10.000 Euro. Ziel dieser Hilfen sei, die Folgen des Lebens im Heim zu mildern, erklärt Herbert Scherer, der die offizielle Berliner Beratungsstelle im Stadtteil Schöneberg leitet. Deshalb müsse er die Erwartungen der Betroffenen teilweise dämpfen: Sie könnten nicht einfach frei über das Geld verfügen – sondern müssen ihre Anschaffungen mit ihm gemeinsam im Antrag begründen.
"Es gibt hier nicht einfach eine Entschädigungsleistung in Sachleistung für einen Heimaufenthalt. Sondern es gibt von der Idee her eine Hilfe für Menschen, die Hilfe brauchen oder die für das, was ihnen noch immer nachgeht an Negativerfahrung, eine Linderung brauchen. Also es geht immer darum, dass es auch einen Bezug gibt zu (…) den negativen Nachfolgewirkungen der Heimerziehung."
Rund 4500 Anträge (*) wurden bislang bewilligt, der Großteil für sogenannte Sachleistungen wie eine Brille oder ein motorisiertes Fahrrad. Vielen Menschen falle es schwer zu entscheiden, was sie mit dem Geld anfangen wollen, hatten sie doch nie viel davon zur Verfügung, erzählt Kerstin Kuzia:
"Wo ich immer sage: Gehen Sie virtuell durch die Wohnung, gehen Sie in sich, machen wir in 14 Tagen noch mal einen Termin: Was kann ich wirklich gebrauchen? Was kann ich mir für die Zukunft aufbauen noch?"
Besonders häufig ist der Wunsch, die eigene Wohnung mit neuen, schönen Möbeln einzurichten – besaßen Heimkinder doch weder eigene Dinge, noch konnten sie sich zurückziehen. Die Anliegen sind vielfältig: Die einen leisten sich Zahnersatz, die anderen einen behindertengerechten Umbau, und manche treffen Vorsorge für die eigene Bestattung. Auch mehrere Wünsche werden finanziert.
"Es melden sich mittlerweile immer mehr ältere Leute aus den Anfangsjahren, von 1949 an. (…) Und die Leute sind so dankbar, die weinen dann so, sagen danke oder rufen zwischendurch an: Frau Kuzia, darf ich mir jetzt wirklich ein Nachthemd für 13 Euro kaufen?"
Den Antrag zu stellen ist für alle Beteiligten ein zeitraubender bürokratischer Akt. Dennoch zieht Kerstin Kuzia nach einem Jahr eine positive Bilanz: Rund neun Millionen Euro hat das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben bisher bewilligt. Und der Andrang ist so groß, dass die Beratungsstellen Termine für ein ausführliches Erstgespräch erst wieder für Mitte 2014 vergeben. Viele ehemalige Heimkinder kämpfen lange mit sich, bevor sie Herbert Scherer oder Kerstin Kuzia aufsuchen. Auch Kathrin fiel es anfangs schwer, andere hinter die Fassade blicken zu lassen. Doch für sie war dies ein wichtiger Schritt, um gesellschaftliche Anerkennung zu finden - und zu ihrer Vergangenheit zu stehen:
"Für mich war entscheidend dieser Adler oben in der Ecke. Der Bundesadler. Nach 40 Jahren wird mir endlich das anerkannt, was ich da erlebt habe. (…) Ich kann jetzt endlich nach 40 Jahren wirklich dazu stehen. Ich fühl mich nicht mehr schmutzig, im Gegenteil. Ja, ich bin ein Heimkind. Ich habe es geschafft, mit dem Fonds aufzuarbeiten."
(*) Anm. d. Red.: In einer früheren Fassung des Manuskripts waren hier irrtümlich 11.000 Anträge genannt.
Berlin Pankow, eine Datschen-Siedlung. Im vergangenen Jahr hat Kathrin das baufällige Gartenhaus mit ihrem Mann und vielen freiwilligen Helfern renoviert – mit Mitteln aus dem "Fonds Heimerziehung in der DDR". In dem Häuschen mit Garten, großem Kirschbaum, Kräutern und Spielecke für die Enkel kann sich die herzkranke Frau - die ihren Nachnamen nicht im Radio hören möchte - zurückziehen. Hier sucht die 45-Jährige aber auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit.
"Dadadada. (…) Das ist mein Bad. Ich hab hier eine Dusche, wo ich nicht eingesperrt bin. Die ist groß, hier kann ich atmen (lacht). (…) Wenn ich hier dusche, ich bin hier alleine."
Im Alter von vier Jahren musste Kathrin mit ihrer jüngeren Schwester für ein dreiviertel Jahr ins Kinderheim. Ursache waren die in der DDR politisch unerwünschten Äußerungen des Vaters, dessen Inhaftierung und Freikauf vom Westen. Die Mutter wurde verhört und bei der Flucht mit den Kindern verhaftet. Als "politisches Heimkind" wurde Kathrin in besonderer Weise ausgegrenzt, auch misshandelt und missbraucht.
"Dann hab ich hier so eine kleine Ecke, wo ich lesen kann. Ja, das ist so der Garten. Ich freue mich über alles, was hier blüht. Ich habe verschiedene Nischen, je nachdem wie man sich fühlt. Auch wenn jetzt mein Mann oder die Kinder da sind, wir haben alle Ausweichmöglichkeiten."
Kerstin Kuzia hat die Baufortschritte erlebt. Sie selbst verbrachte Jahre in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen und begleitet heute ehrenamtlich ehemalige DDR-Heimkinder bei der Aufarbeitung. Derzeit kommen viele, die aus dem Fonds Hilfe beantragen wollen, zu ihr ins Büro in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg – so wie Kathrin vor einem Jahr.
"Ich durfte ja von Anfang an mit dabei sein und gucken, weil sie die einzige der Betroffenen ist, die unheimlich viel von dem Fonds in Baumaterialien umgesetzt Das ist Wahnsinn, was sie hier geschaffen haben – (…) habe ich so noch nie erlebt."
Der Fonds "Heimerziehung in der DDR" wurde vor einem Jahr mit 40 Millionen Euro eingerichtet, sechs Monate nach dem Fonds "Heimerziehung West". Bei den Beratungsstellen der einzelnen Bundesländer können die Betroffenen Rentenersatzleistungen beantragen oder materielle Leistungen in Höhe von bis zu 10.000 Euro. Ziel dieser Hilfen sei, die Folgen des Lebens im Heim zu mildern, erklärt Herbert Scherer, der die offizielle Berliner Beratungsstelle im Stadtteil Schöneberg leitet. Deshalb müsse er die Erwartungen der Betroffenen teilweise dämpfen: Sie könnten nicht einfach frei über das Geld verfügen – sondern müssen ihre Anschaffungen mit ihm gemeinsam im Antrag begründen.
"Es gibt hier nicht einfach eine Entschädigungsleistung in Sachleistung für einen Heimaufenthalt. Sondern es gibt von der Idee her eine Hilfe für Menschen, die Hilfe brauchen oder die für das, was ihnen noch immer nachgeht an Negativerfahrung, eine Linderung brauchen. Also es geht immer darum, dass es auch einen Bezug gibt zu (…) den negativen Nachfolgewirkungen der Heimerziehung."
Rund 4500 Anträge (*) wurden bislang bewilligt, der Großteil für sogenannte Sachleistungen wie eine Brille oder ein motorisiertes Fahrrad. Vielen Menschen falle es schwer zu entscheiden, was sie mit dem Geld anfangen wollen, hatten sie doch nie viel davon zur Verfügung, erzählt Kerstin Kuzia:
"Wo ich immer sage: Gehen Sie virtuell durch die Wohnung, gehen Sie in sich, machen wir in 14 Tagen noch mal einen Termin: Was kann ich wirklich gebrauchen? Was kann ich mir für die Zukunft aufbauen noch?"
Besonders häufig ist der Wunsch, die eigene Wohnung mit neuen, schönen Möbeln einzurichten – besaßen Heimkinder doch weder eigene Dinge, noch konnten sie sich zurückziehen. Die Anliegen sind vielfältig: Die einen leisten sich Zahnersatz, die anderen einen behindertengerechten Umbau, und manche treffen Vorsorge für die eigene Bestattung. Auch mehrere Wünsche werden finanziert.
"Es melden sich mittlerweile immer mehr ältere Leute aus den Anfangsjahren, von 1949 an. (…) Und die Leute sind so dankbar, die weinen dann so, sagen danke oder rufen zwischendurch an: Frau Kuzia, darf ich mir jetzt wirklich ein Nachthemd für 13 Euro kaufen?"
Den Antrag zu stellen ist für alle Beteiligten ein zeitraubender bürokratischer Akt. Dennoch zieht Kerstin Kuzia nach einem Jahr eine positive Bilanz: Rund neun Millionen Euro hat das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben bisher bewilligt. Und der Andrang ist so groß, dass die Beratungsstellen Termine für ein ausführliches Erstgespräch erst wieder für Mitte 2014 vergeben. Viele ehemalige Heimkinder kämpfen lange mit sich, bevor sie Herbert Scherer oder Kerstin Kuzia aufsuchen. Auch Kathrin fiel es anfangs schwer, andere hinter die Fassade blicken zu lassen. Doch für sie war dies ein wichtiger Schritt, um gesellschaftliche Anerkennung zu finden - und zu ihrer Vergangenheit zu stehen:
"Für mich war entscheidend dieser Adler oben in der Ecke. Der Bundesadler. Nach 40 Jahren wird mir endlich das anerkannt, was ich da erlebt habe. (…) Ich kann jetzt endlich nach 40 Jahren wirklich dazu stehen. Ich fühl mich nicht mehr schmutzig, im Gegenteil. Ja, ich bin ein Heimkind. Ich habe es geschafft, mit dem Fonds aufzuarbeiten."
(*) Anm. d. Red.: In einer früheren Fassung des Manuskripts waren hier irrtümlich 11.000 Anträge genannt.