"This pussy grab you back." Selten klang Anti-Trump-Aktivismus so gut. Und Janelle Monáe belässt es nicht beim Singen.
"That is what I am here today: to march against the abuse of power."
Im Januar 2017, lange vor der Veröffentlichung von "Dirty Computer", beteiligt sich Monáe am Women's March On Washington. In ihren Worten: ein Marsch gegen Machtmissbrauch. Und: "Fem the future." Fem the Future. Macht die Zukunft weiblich.
2018 gehören Popmusiker*innen vermeintlicher Minderheiten zu den Tonangebern, darunter Anna Calvi, Christine And The Queens oder Troye Sivan. Aber bei niemandem kommt so viel zusammen wie bei Janelle Monáe: Sie ist Person Of Color, Feministin, Politaktivistin, queer – und sie erreicht ein Millionenpublikum.
Janelle Monáe singt auf "Dirty Computer" nicht den Blues der Unterdrückten, der Einsamen. Im Jahr 2018 dringt ein neues Narrativ in den Pop-Mainstream: Auch LGBTI-Musiker*innen haben Spaß und erzählen ermutigende Geschichten vom queeren Miteinander.
Noch immer ist die Zahl von LGBTI-Teenagern, die unter Depressionen leiden oder Selbstmord begehen, vergleichsweise hoch. Dass Popmusiker*innen wie Janelle Monáe gerade in Zeiten, in denen die USA und Europa einen konservativen Backlash erleben, solche positiven Botschaften aussenden – man kann gar nicht genug betonen, wie wichtig das ist. (Christoph Reimann)
Mein Album 2018 ist "Universal Beings" von Makaya McCraven. Makaya McCraven ist ein Drummer aus Chicago.
Und sein Album ist - für mich jedenfalls - noch vor Kamasi Washington oder dem Album von Sons of Kemet ein herausragendes Beispiel für die Wiederkehr von Jazz als lebendigem, relevanten, zeitgenössischen Genre und bildet dadurch einen der Megatrends 2018 ab. (Steffen Irlinger)
Niemand glaubt, dass Paul McCartney mal eben so bei jemandem ins Auto steigt. Jeder weiß, dass er das nur macht, wenn es um etwas geht. In diesem Jahr ging es um sein neues Album "Egypt Station". Da Paul schon immer Humor bewiesen hat, passte ihm "Carpool-Karaoke" mit dem britischen Comedian James Corden natürlich ins Konzept. Und Paul liefert.
In dieser Ausgabe der knapp 24 Minuten währenden Pseudo-Autofahr-Mitsing-Doku, die ja schon lange mit anderen Stars wie Stevie Wonder, Elton John nach demselben Schema erfolgreich gestrickt wurde - und wird, bekommt der Beatles-Fan sein emotionales Champagnerbad und bringt auch den Moderator zum Heulen.
"Mein Großvater und mein Vater haben mir gemeinsam diesen Song vorgespielt", schluchzt er, als "Let it be" aus der Anlage des SUVs erklingt. "Ich wünschte, er könnte dies jetzt erleben." Paul sagt: "Das tut er."
Man glaubt ihm das. Nicht nur James Corden.
Eine kleine, sympathisch geschummelte Mitfahr-Doku
Dann geht es zu Paul nach Hause. Heute ein Museum – Magical Mystery. Von 1955 bis circa 1962 hat er hier in Liverpool gewohnt, sagt er und zeigt gleich einmal, wo die ersten Kracher der Fab Four entstanden sind – auf dem Klo nämlich. Und im kleinen living room steht das originale Klavier von damals.
Vor der Tür in der Liverpooler Straße versammeln sich die ersten Fans, die längst informiert wurden, dass er - also ER - tatsächlich da ist! Wie immer. Und wie immer heißt es: "Wir lieben dich!" McCartney nimmt sie in den Arm und freut sich.
Und das Finale dieser kleinen, sympathisch geschummelten Mitfahr-Doku, macht es dann wirklich zum Medien-Comedy-Musik-Ereignis. Denn diese Überraschung ist nicht komplett gestellt, eher wie ein gelungener "Verstehen Sie Spaß?"-Gag inszeniert. Und mal ehrlich: Wer würde nicht gerne in einer englischen Kneipe zwei Knöpfe auf einer Jukebox-Box drücken, um dann zu erleben, wie sich ein Vorhang beiseiteschiebt und Paul McCartney mit seiner aktuellen Band losrockt!
Schade - da wäre auch ich gerne dabei gewesen. Aber, wie bisher viele Millionen Menschen weltweit, habe auch ich es im Netz gesehen. Schade übrigens auch, dass Keith Richards bei den Stones keine Hits gesungen hat – den hätte ich gern nächstes Jahr bei Carpool Karaoke gesehen. (Kerstin Janse)
Das Album "Beautiful Swamp" von Ah! Kosmos
Die Sounddesignerin Basak Günak, die aus Istanbul stammt und mittlerweile in Berlin wohnt, hat im Oktober ihr neues Album "Beautiful Swamp" veröffentlicht. Ihr Künstlername ist Ah! Kosmos und der steht für stilistische Weite und experimentelle Klänge: Deep House, Trance, türkische Musik und Postrock. Diese Kombination ist wirklich herausragend und war für mich eine der spannendsten Veröffentlichungen in diesem Jahr. Den Song "Wide" hat Ah! Kosmos mit dem Gitarristen Özgür Yilmaz eingespielt. Herausgekommen ist eine Art psychedelischer Space-Rock, der an die Musik der aktuellen Tuareg-Bands erinnert. Typisch Ah! Kosmos, denn sie pflegt einen experimentellen und exotischen Ansatz, dem man anhört, dass die Musikerin schon für Theater und Ballett komponiert hat und einen universellen Sound jenseits von eingängigen Schubladen anstrebt. (Thomas Elbern)
Mein Musikmoment 2018 war gar nicht so sehr ein Musikmoment, sondern eher ein Begegnungsmoment: und zwar mein Corsogespräch, das ich mich Aki Bosse geführt und aufgezeichnet habe – weil Aki Bosse einfach so ein wahnsinnig netter, schlauer und engagierter Typ ist. Ich kannte ihn vor dem Gespräch noch nicht persönlich, und wir haben uns vor dem Gespräch im Hof getroffen, noch eine geraucht und uns über Radiomoderatoren unterhalten, von Privatsendern. Und er hat so seine lustigsten Anekdoten erzählt, was für bescheuerte Fragen er schon gestellt bekommen hat. Solche Sachen wie: "Hallo, Aki Bosse, ich freu' mich total dass du hier bist! Und?"
Ja, wir hatten sehr viel Spaß, schon in diesem Vorgespräch, haben dann halt unser zehn-, fünfzehnminütiges Corsogespräch aufgezeichnet, und das war auch ganz toll, eben weil er so ein schlauer und netter und engagierter Typ ist und tolle Sachen zu erzählen hat, sehr reflektiert ist, sehr reflektiert auch an seine Musik rangeht, man ihn auch kritische Sachen fragen kann, ohne dass er gleich die beleidigte Leberwurst macht. Es war einfach eine sehr nette Atmosphäre, und nach dem Gespräch haben wir dann wieder im Hof eine geraucht, uns noch ein bisschen über Grünkohl, Fußball und alles Mögliche unterhalten, uns zum Abschied umarmt und auf die Schulter geklopft – und seitdem mag ich auch die Musik von Bosse viel, viel lieber – seit ich weiß, was das für ein netter, schlauer und engagierter Typ ist. (Sascha Ziehn)
Damon Albarn ist Frontmann der Band Blur und ein Tausendsassa des Pop. Mehrere Alben und unterschiedliche Musikprojekte gleichzeitig pro Jahr zu bedienen und nebenbei zu touren, ist für ihn ein Normalzustand.
Mit der fiktiven Comicfigurenband "Gorillaz" brachte er im Sommer 2018 das gelungene Album "The Now Now" heraus – Songs zwischen Folk und Synth-Pop, mal knarzig-nölig, mal entspannt-groovig. Auch live überzeugend, wie beim Open'er-Festival in Polen, bei dem ich die Gorillaz sah. "I don't want this isolation" – für mich die wichtigste Zeile auf der Platte.
Damon Albarn: "Darin liegt im Moment die Gefahr: Isolationismus und Populismus. In der Demokratie ist es nötig, dass alle ein gewisses Bewusstsein und Bildung haben. Das ist aber nicht der Fall."
Und das ist, was mich an Damon Albarn fasziniert: dass er gegen die zunehmende Isolation in der Welt ansingt, gegen die zunehmende Abkapselung der USA, wie eben auf "The Now Now". Gegen die Isolation der westlichen Welt von den Ländern des Südens. So brachte Albarn in der Vergangenheit Musiker des syrischen Nationalorchesters auf der Bühne zusammen und lässt mit dem Bandprojekt Africa Express afrikanische, europäische und US-amerikanische Künstler gemeinsam auftreten. Und jetzt, am Ende des Jahres, geht er mit der Supergroup The Good, the Bad & the Queen unter dem ironischen Albumtitel "Merrie Land" gegen die Selbstisolierung seiner Heimat Großbritannien vor.
"Brexit? Wir kommen zurück"
"Politische Musik funktioniert nur wirklich, wenn es diese seltsame Alchemie gibt, wo man nicht weiß: Geht es hier um Liebe oder um Politik?"
"Don't leave me now", heißt es etwa in "The Last Man to Leave" – wehmütige Zeilen des Verlassenwerdens; ein Sinnbild für die Entfremdung von der eigenen Heimat, dem Pop-Land Großbritannien, das sich schmerzvoll von der EU verabschiedet.
"Aber machen Sie sich keine Sorgen, wir kommen zurück."
Damon Albarn ist meine Persönlichkeit des Jahres: Engagiert, nachdenklich und feinsinnig, dabei entspannt und überhaupt nicht elitär oder ideologisch-abgehoben, so schickt er seine musikalischen Botschaften in die Welt. Ein Beleg dafür, dass Pop-Künstler etwas bewegen können. (Adalbert Siniawski)
Was macht ein gutes Konzert aus? Es muss in Erinnerung bleiben. Die Musik muss gefallen, die Technik funktionieren. Timing, richtige Instrumenten-Stimmung und Dynamik sind wichtig. Und es muss ein Kontakt zum Publikum aufgebaut werden. Beim Auftritt der Australierin Stella Donnelly passte alles. Die junge Musikerin spielte vor dem amerikanischen Songwriter William Fitzsimmons in der Kölner Philharmonie, im Rahmen der c/o pop.
Mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Respekt vor der großen Konzerthaus-Kulisse performte Donnelly ihre Folk-Pop-Jazz-Songs mit versiertem Gitarrenspiel, einer perfekten Intonation ihrer klaren, beweglichen Stimme und großer Eindringlichkeit. Keine gigantische Show (würde auch nicht zur Musik passen), kein großes Bohei um die eigene Person, ab und zu eine kleine ironische Spitze in den Ansagen. Und auch die hatten es in sich - insbesondere, als sie die Entstehung ihres Songs "Boys will be Boys" erläuterte, in dem es um sexuelle Gewalt und Übergriffe auf Frauen geht. Anlass für den Song waren Erlebnisse einer engen Freundin, der Musikerin, die vergewaltigt wurde und anschließend zudem mit "Selbst schuld"-Vorwürfen angegangen wurde. Stella Donnelly verpackt den deutlichen Text in einer scheinbar süßen, unschuldigen Melodie. Für mich ein Konzert-Highlight des Jahres und auch einer der besten Songs von 2018. (Anja Buchmann)
Der Song "This is America" von Childish Gambino
Dieser Song ist wirklich eine totale Wucht. Es geht um Childish Gambino mit "This is America". Dahinter steckt Donald Glover und der kann alles. Der ist Schauspieler, Drehbuchautor der Sitcom "Atlanta", Komiker und eben auch Musiker, als solcher nennt er sich dann Childish Gambino.
Es gab in diesem Jahr ja einige Songs gegen Polizeigewalt und Rassismus. Aber so wahnsinnig gut und relevant wie dieser Song und vor allem das Video war keiner. Der Song beginnt ganz beschwingt, "wir wollen alle nur eine Party machen". Childish Gambino tänzelt supercool mit freiem Oberkörper durch so eine Lagerhalle. Doch dann zückt er eine Waffe und erschießt einen Menschen. Und plötzlich ist es ein ganz anderer Song, andere Stimmlage und der Satz: "This is America".
Dieser Song ist wirklich unfassbar brutal. Donald Glover erschießt mit einem Sturmgewehr einen schwarzen Gospelchor, wirft die Waffe weg. Die Message ist klar: Was sind das bitte für Waffengesetze? Also Metaebene ohne Ende, super viele Anspielungen auf das aktuelle Amerika zwischen Polizeigewalt, dem perfekten Instagram-Foto, der nächsten Party und Rassismus. Und falls sich noch mal jemand fragen sollte, was Pop und vor allem super erfolgreicher Mainstream-Pop aus den USA kann: diesen Song anhören - und vor allem anschauen. Denn das ist wirklich der verstörendste und relevanteste Song, den ich in diesem Jahr gehört habe." (Ina Plodroch)