Es geht um Doping in Russland, Doping in Westdeutschland, um die Marktmacht des Fußballs und den Videobeweis, um schicksalhafte Verletzungen, verpatzte Olympiabewerbungen und um vier Jahre Große Koalition im Sport. Viele Themen für dieses Best-of.
Das Sportjahr 2017. Wir beginnen unseren Rückblick mit einer Entscheidung am Ende dieses Jahres – der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees zu den Dopingvorwürfen gegen Russland.
Russische Sportler können teilnehmen
IOC-Präsident Thomas Bach sagte Anfang Dezember: "Die sauberen russischen Athleten können teilnehmen an den Olympischen Spielen."
Das Exekutivkomitee beschließt, dass es keinen Komplettausschluss russischer Sportler von den Winterspielen im Februar in Südkorea gibt. Glaubt ihnen das IOC nach Einzelfallprüfung, dass sie sauber sind, dürfen sie in Pyeongchang starten. Diese Prüfungen sollen bis Ende Januar abgeschlossen sein. Gesperrt wird allerdings das Olympische Komitee Russlands. Nationale Symbole wie die russische Hymne oder Flagge sollen bei den Winterspielen weitestgehend wegfallen.
"Fortwährendes Leugnen"
Zugelassene Sportler sollen unter neutraler Flagge starten. Kritiker sprechen von Staatsdoping, einer wachsweichen Entscheidung des IOC, Russland von einer viel zu harten Strafe. Fest steht: Getroffen wird sie vor allem auf Grundlage der Berichte Richard McLarens. Der kanadische Rechtsprofessor war von der Welt-Anti-Doping-Agentur als Sonderermittler eingesetzt worden – und trifft sich wenige Tage vor der IOC-Entscheidung mit Deutschlandfunk-Redakteurin Marina Schweizer zum Sportgespräch.
Marina Schweizer: "Professor McLaren, ich möchte gerne mit einem Zitat von Ihnen aus dem letzten Jahr beginnen, dass sie eine gute Chance sehen, dass Russland sich ändert. Ihr Bericht ist von Russland aber immer noch nicht offiziell akzeptiert worden. Wie denken Sie heute darüber?"
Richard McLaren: "Ich denke, die Russen haben einige Anstrengungen unternommen. Sie haben die Führung der Anti-Doping-Agentur RUSADA reformiert. Sie arbeiten am Anti-Doping-Labor. Sie haben ihre Kontrolleure neu geschult. Sie unternehmen also positive Schritte, also bin ich in dieser Hinsicht zufrieden. Was mich enttäuscht, ist ihr fortwährendes Leugnen – und dass sie nicht bereit sind, tiefer zu graben, um wirklich aufzubrechen, was im Land passiert."
Marina Schweizer: "Was sagen sie zu der Fokussierung auf ihre Person und ihre Arbeit? All das, was in Russland darüber gesagt worden ist?"
Richard McLaren: "Wenn man kein gutes Argument hat, dann versucht man, den Überbringer der Nachricht anzugreifen. Das ist eine Standard-Technik bei vielen der Logik. Das ist mir sicherlich bei einigen Gelegenheiten entgegengebracht worden. Dazu gehören Beschimpfungen und andere Arten von Drohungen, die nicht notwendigerweise von Regierungsmitarbeitern kommen, sondern auch von einzelnen russischen Bürgern – etwa mit Emails und Anrufen."
Marina Schweizer: "Nach all dieser Zeit, nach all den Monaten der Diskussion, dieser Fragen. Nach allem, was sie von Russland gesehen haben, wie die Russen ihre Arbeit beurteilt haben. Nach viel Lob und viel Kritik und wahrscheinlich auch Druck. Würden sie es wieder tun?"
Richard McLaren: "Absolut, ich würde es wieder tun. Es war eine sehr interessante Aufgabe, die ich mit Freude erfüllt habe. Ich habe in meinem Leben nur wenige Dinge getan, die solch eine Auswirkung hatten wie dies. Es ist sehr bereichernd, wenn ein Ermittler sein kann, der potentiell signifikante Veränderungen auslösen kann."
"Sommermärchen nicht gekauft"
WADA-Ermittler Richard McLaren – kurz vor der Entscheidung gegen einen Komplettausschluss russischer Athleten von den nächsten Winterspielen. Nach Einzelfallprüfung hat das Internationale Olympische Komitee bereits etliche Athleten gesperrt, weit mehr könnten aber theoretisch noch zugelassen werden. Doch es geht bei Doping und Russland nicht nur um Wintersport. Es geht auch darum, dass russische Fußballer in Verdacht geraten. Dies und die mutmaßlich korrumpierte Vergabe der WM an Russland, lassen den Fußball-Weltverband FIFA einmal mehr in einem äußert schlechten Licht dastehen.
Überhaupt gilt die FIFA vielen immer noch das Ebenbild einer durch und durch verdorben Sportorganisation. Diesen Ruf hat auch Ex-FIFA-Präsident Sepp Blatter zu verantworten. Ende 2015 wird Blatter gesperrt und zieht sich danach erst mal zurück. Im Herbst 2017 gibt er dann ARD-Korrespondent Dietrich-Karl Meurer ein langes, eher biografisches Interview. Darin erzählt Blatter, dass er ein Comeback plant – nicht als Fußballfunktionär, sondern als Autor.
Dietrich-Karl Mäurer: "Also sie schreiben ein Buch, ein autobiografisches Buch. Welche Rolle spielen sie da, Aufklärer oder Täter?"
Sepp Blatter: "Aufklärer, Aufklärer. Also meine Rolle wird gespielt von einem famosen Detektiv. Aufklärung, was war. War es ein Komplott, war es ein Attentat und was es ist? Also in einem Jahr sollte man ein Szenario herausbringen – dann entweder ein Szenario, das etwas für ein Kino wäre, oder dann etwas für ein Buch."
Dietrich-Karl Mäurer: "Alle dürfte dann interessieren, was sie dann über Korruption in der FIFA geschrieben haben. Was sagen sie heute? Gab es denn Korruption in der FIFA?"
Sepp Blatter: "In der FIFA gibt es keine Korruption, die FIFA ist nicht korrupt. Es sind Leute, die in der FIFA waren."
Dietrich-Karl Mäurer: "Ja, aber immer wieder wird ja nun spekuliert, die Entscheidung dahin oder dorthin zu vergeben, die wurde gekauft. Wurden also WM-Entscheidungen nicht gekauft?"
Sepp Blatter: "Also, ich sage da immer wieder und ich sage es auch wegen dem Sommermärchen: Die FIFA-WM wurden nicht gekauft. Die FIFA-WM wurden durch politische Empfehlungen, um nicht zu sagen politischen Druck vergeben. Das ist dasselbe, was passiert bei den Olympischen Spielen, das ist genau dasselbe. Und dann wird immer gesagt, es ist bezahlt worden."
Dietrich-Karl Mäurer: "Okay, dann lasen sie uns mal durch deklinieren: Sommermärchen – nicht gekauft?"
Sepp Blatter: "Sommermärchen nicht gekauft, nein."
Dietrich- Karl Mäurer: "Russland, gekauft?"
Sepp Blatter: "Russland, nein. Wenn ich ihnen sage, wie das gelaufen ist: Das war ein Konsensus im Exekutivkomitee, wir bleiben in Europa. Und in Europa, wer hat noch nie eine WM gehabt? Das ist Osteuropa, hat noch nie gehabt. Und dann haben wir gesagt, wir gehen jetzt mal in den Osten – und da war Russland."
Dietrich-Karl Mäurer: "Aktuell dürfen sie mit der FIFA nichts zu tun haben. Gianni Infantino, ist das ein würdiger Nachfolger, ist das ein guter Präsident?"
Sepp Blatter: "Ich kann nur feststellen, dass der Fußball weiterhin gut gespielt wird, der Fußball ist on top. Man muss jetzt nur versuchen, dass der Fußball auch sein menschliches Gesicht nicht verliert. Wir haben die Goal-Line-Technology gemacht, damit man die Tore erkennen kann. Da war ich auch mit einverstanden. Aber mehr Technologie im Spielfeld ist sehr, sehr mit Gefahren verbunden. Denn schließlich muss noch der Schiedsrichter entscheiden. Also mit diesem sogenannten elektronischen Schiedsrichter – gut, es ist eine Probephase, aber so wie sie angewandt wurde im Confederations-Cup, waren plötzlich die Videoschiedsrichter die Schiedsrichter."
"Sehr mangelhafte Kommunikation, mangelhafte Transparenz"
Sepp Blatter – wie gewohnt mit seiner ganz eigenen Version der Wahrheit in Sachen Korruption und mit Bedenken in Sachen Videoassistent. Dass er mit diesen Bedenken nicht ganz falsch liegt, zeigen die heftigen Diskussionen in der Bundesliga. Dort wird der Videoassistent zur aktuellen Saison testweise eingeführt. Zum Ende der Hinrunde ziehen im Deutschlandfunk Alex Feuerherdt vom Schiedsrichter-Blog "Colinas Erben" sowie Ex-FIFA-Schiedsrichter und TV-Experte Markus Merk eine Zwischenbilanz.
Markus Merk: "Nach dem Confederations-Cup, wo wir das alle gesehen haben, wo es uns eigentlich alle gestört hat, und wir haben gesagt, es läuft unglaublich schlecht, hat man uns in Deutschland kommuniziert, ja wir testen das schon ein Jahr im Hintergrund offline, es wird alles besser funktionieren, und dann kam Spieltag eins. Und ich werde das nie vergessen: Wir saßen eben im Studio bei Sky und warten auf die ersten Situationen und dann heißt es, die Technik zwischen Köln und den Schiedsrichtern auf dem Platz, sie funktioniert nicht, die Kommunikation ist nicht herzustellen!
Ein äußerst unglücklicher Start – und in der Folge waren es eben dann auch menschliche Fehler. Ich denke auch, vor allen Dingen jetzt Spieltag 16, 17 da haben wir positive Situationen gesehen. Der Umgang mit diesen schwierigen Situationen, er nimmt Fortschritte an – und das ist auch das, was mir jetzt für die Rückrunde Hoffnung gibt."
Alex Feuerherdt: "Ich glaube eines der Probleme, das bestanden hat jetzt in der Hinrunde, ist sicherlich auch gewesen, dass nicht ganz klar gewesen ist, wann gehen sie eigentlich raus in die sogenannte Review-Area, gucken sich das Ganze selbst noch mal an. Am Anfang schien es mir ein bisschen so gewesen zu sein, dass der Eindruck entstanden ist, die werden irgendwie ferngesteuert. Da steht so einer auf dem Platz, der greift sich ans Ohr. Man sieht auch gar nicht, was machen die da in Köln in diesem Studio eigentlich. Und dann entscheidet der irgendwas. Und als die Schiedsrichter dann rausgegangen sind etwas häufiger und haben selbst nachgeschaut, da haben die Leute im Stadion aber auch an den Fernsehschirmen das Gefühl, aha, der vergewissert sich jetzt selbst noch mal, der macht sich jetzt selbst ein Bild davon.
Ein markantes Beispiel war für mich Patrick Ittrich jetzt im Spiel zwischen Stuttgart und Bayern, der pfeift in der Nachspielzeit dann auf Anraten des Videoassistenten einen Strafstoß gegen Bayern München. Da noch mal rausgegangen zu sein, noch mal geguckt zu haben, das verschafft mir Akzeptanz bei den Spielern, bei den Fans, bei den Medien, bei der Öffentlichkeit und dann kann man so eine Entscheidung – wie man in Schiedsrichterkreisen sagt – auch besser verkaufen.
Und ich glaube ein großes Problem ist die sehr mangelhafte Kommunikation und die mangelhafte Transparenz des DFB gewesen. Denn ich glaube, wenn man einen solchen umfangreichen Test, eine solche Neuerung einführt, dann muss man die Leute einfach mitnehmen – und das ist nicht geschehen. Vor der Saison ist viel erklärt worden, wann wird eigentlich eingegriffen, und mit Saisonbeginn sind, glaube ich, insbesondere die Fans häufig alleine gelassen worden damit.
Man muss natürlich auch ein bisschen erläutern: Was machen die da eigentlich? Warum ist eine Entscheidung so oder anders getroffen worden? Warum hat sich der Videoassistent eingeschaltet, Schrägstrich nicht eingeschaltet? Wann darf er es überhaupt? Und dann gibt es eine Kurskorrektur. Dies ist ja später wieder kassiert worden, was ja auch mal ein Zeichen davon ist, dass da etwas grundlegend schief gelaufen ist. Natürlich hat das die Verwirrung noch mal erhöht. Es hat einen personellen Wechsel gegeben bekanntlich in der Spitze. Projektleiter ist nicht mehr Hellmut Krug, sondern Lutz Michael Fröhlich. Die Transparenz ist nach meinem Eindruck seitdem auch deutlich besser geworden. Aber das kann lange noch nicht das Ende der berühmten Fahnenstange sein!"
"Keine Chance, Pyrotechnik zu verhindern"
Doch nicht nur über den Videoassistenten, sondern auch über ein anderes Thema wird im deutschen Fußball emotional gestritten – über Pyrotechnik. Weil trotz des Verbots immer wieder bengalische Fackeln gezündet werden, schlägt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius vor, kontrolliertes Abrennen zu erlauben. Über diesen Vorschlag diskutiert Klaas Reese aus der Deutschlandfunk-Sportredaktion in der Sommerpause mit dem SPD-Politiker Boris Pistorius. Mit dabei außerdem der Geschäftsführer des FC St. Pauli, Andreas Rettig, und der Fan-Aktivist Marc Quambusch.
Marc Quambusch: "Also Silvester wird immer fröhlich mit Pyrotechnik gefeiert, und zwar weltweit. Was mir inzwischen auf den Keks geht, ist dass es so eine unfassbare emotionale Aufladung gekriegt hat - sowohl auf Seiten der Gegner als auch auf Seiten der Befürworter. Wir sollten das ganze Thema mal runterkochen. Wenn einer eine Seenotfackel in der Hand hat, ist es nicht eine Handgranate, die er da zündet. Und gleichzeitig ist es aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss der Fankultur. Ich glaube: Man muss halt einfach sagen, sieht halt einfach geil aus – und das zu negieren, finde ich schon den ersten Fehler, weil man so tut, als ob es eigentlich etwas total Irrationales wäre. Und ja, es ist vielleicht irrational, aber das ist der ganze Fußball."
Klaas Reese: "Sollten Fußballfans nicht einfach anerkennen, dass das verboten ist, und sich etwas anderes überlegen, Herr Rettig?"
Andreas Rettig: "Ja, das ist ein ganz schwieriges Feld. Weil das haben wir bei unserem Klub ja auch festgestellt: Sie haben keine Chance, Pyrotechnik zu verhindern in den Stadien. Das heißt, das ist eine irrige Annahme zu glauben, dass man mit noch härteren Strafen und Sanktionen hier das unterbinden kann. Und wenn man das tatsächlich auch so annimmt, dann finde ich, sollte man sich Gedanken machen, wie kann ich auch aus dem Sicherheitsgedanken her Wege finden, dass am Ende der Schaden für alle anderen so gering wie möglich bleibt. Deswegen finde ich, das man zumindest sich damit beschäftigen muss."
Klaas Reese: "Herr Pistorius, wie sieht denn ihr Vorschlag aus?"
Boris Pistorius: "Also wir reden ja nicht nur über Fackeln, wir reden eben auch über alle anderen Pyro-Geschichten und eben Böller und dergleichen. Also müssen wir da auch noch mal sauber differenzieren. Mein Vorschlag beruht nun auf der Erkenntnis, dass es Vereinen bis heute nicht gelingt, dass das Zeug nicht mit reinkommt. Wenn man das also sieht und gleichzeitig das Verbot in der Welt ist und es gleichzeitig Ultra-Gruppierungen und Fan-Gruppierungen sind – sind ja auch nicht alle -, die sagen, das gehört für mich dazu, das ist ein absolutes Must Have im Fußball, Emotion und überhaupt und das geht nicht ohne Pyrotechnik, und wir gleichzeitig einen sich verschärfenden Konflikt haben zwischen Teilen der Fan-Szene und den Verbänden und den Vereinen, dann muss man, finde ich, mal darüber nachdenken, wie man da wieder ein bisschen Ruhe reinbringt. Und wenn man sich an den schon mal unternommenen Versuch - 2011 war es, glaube ich – erinnert, der ja ein paar Wochen lang gut gegangen ist und dann am Ende gescheitert ist, dann finde ich, ist es die Mühe wert, sich mit diesem Versuch noch mal auseinanderzusetzen, unter klaren Auflagen. Damit klar ist, wer zündet da was, damit nicht etwas ins Stadion gerät, was keiner da haben will."
Marc Quambusch: "Aber es ist ja nicht so, Herr Pistorius, dass der Versuch gescheitert ist damals, sondern er wurde vom DFB einfach beendet. Und das ist, wenn man es in der Rückschau betrachtet, schon auch ein Anfangspunkt der Auseinandersetzungen mit dem DFB, die bis heute eben anhalten."
Boris Pistorius: "Das kann man so sehen, das ist so!"
Marc Quambusch: "Und ich glaube, was man schon merkt, dass die Angst inzwischen auf DFB-Seite, dass sie eben doch plötzlich isoliert sind und merken dass die ganzen Kurven irgendwie fröhlich in Anti-DFB-Wechselgesänge einstimmen, dass sie da schon merken, dass ihr schönes Hochglanzprodukt so ein bisschen beschädigt wird. Und ich sehe mir das so ein bisschen so als Tourist an gerade ehrlich gesagt. Ich guck mal, was passiert."
"Vom Fußball dominiert"
Pyrotechnik und Videobeweis, und wenn wir noch die Diskussionen über die 50+1-Regel, über die Macht von Investoren und über Rekordablösen dazu nehmen, dann zeigt das: Über Fußball wird lieb und gerne, in aller Breite und Tiefe detailliert debattiert. Er ist omnipräsent – auch durch zunehmend zerfaserte Spieltage und durch Wettbewerbe, die ständig vergrößert werden. Der Deutschlandfunk nimmt diese Entwicklung im November 2017 zum Anlass, die vermeintliche Übermacht des Fußballs zum Thema seiner jährlichen Sportkonferenz zu machen. Fragestellung: "Erdrückt die Fußball-Blase den Spitzensport in Deutschland?"
"Ich glaube, es ist ganz wichtig herauszustellen, dass Fußball sich in der Verantwortung sieht, dass auch andere Sportarten zum Zug kommen, aber dann eben als Zugpferd und keineswegs als Raubtier. Das wollen wir nicht sein und deswegen macht es auch keinen Sieg, wenn der Fußball anderen zum Fraß vorgeworfen wird," sagt auf der Sportkonferenz Rainer Koch, Vize-Präsident des Deutschen Fußballbundes. Der Fußball – gerne bereit, sein Know How über Vermarktung und Medienpräsenz mit anderen Sportarten zu teilen, so stellt es Koch dar. Zugpferd also und kein Raubtier. Doch Deutschlandfunk-Redakteur Moritz Küpper hat in seinem Eingangsreferat ein Gegenbeispiel parat.
Moritz Küpper: "Beispiel: Aktuelles Sportstudio im ZDF. Ursprünglich war das Sportstudio ja mal eine Sendung, in der es auch um andere Sportarten ging – und das tut es mitunter ja auch immer noch. Es sind auch mal Basketballer, Hockeyspieler, Handballer, Leichtathleten zu Gast. Allerdings ist dort in den letzten Jahren etwas passiert, was die Vormachtstellung des Fußballs noch mal manifestiert hat – und eben dann auf Kosten der anderen Sportarten.
Denn beim Verkauf der Bundesliga-TV-Rechte, vor allem des Samstagsabendspiels, an das ZDF hat sich die die DFL, die Deutsche Fußball-Liga, ausbedungen, dass eben von diesem Samstagabendspiel eine ausführliche Zusammenfassung zu zeigen ist – und zwar egal, ob es ein unattraktives 0:0 war oder eben ein packendes Spiel, was das dann vielleicht redaktionell verdient hätte. Mit anderen Worten: Wenn diesem Spiel eine knappe Viertelstunde gezeigt wird, dann noch Analyse und die Zusammenfassung dann logischerweise der Nachmittagsspiele auch noch, dann wird die Sendung automatisch vom Fußball dominiert."
"Kommunikativ kein ausreichend guter Job"
Aber: Machen es sich andere Sportarten manchmal vielleicht auch etwas zu einfach, wenn sie ausschließlich auf die Marktmacht des Fußballs verweisen? Ja, sagt auf der Sportkonferenz Robert Zitzmann von der Vermarktungsagentur Jung von Matt.
Robert Zitzmann: "Man muss bemerken, dass viele Sportarten, viele Ligen, Vereine, Verbände einfach kommunikativ keinen ausreichend guten Job machen, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten. Und ich glaube, gerade die Digitalisierung bietet unheimlich viele tolle Möglichkeiten, sich auch nach vorne zu spielen. Mutig sein, kreativ sein, versuchen gute PR-Stories zu schreiben. Und, ja, sportliche Leistungen sind am Ende das A und O."
"Keinen Bock auf paralympischen Sport"
Sebastian Dietz kann auf sportliche Leistung verweisen – und wie. 2016 in Rio Gold im Kugelstoß, 2012 in London Gold im Diskuswurf. Und: Auch Dietz versucht, sich und seine Erfolge zu vermarkten, Sponsoren anzusprechen, Fans zu gewinnen. Sein Problem, sagt Dietz, sei aber, dass er Behindertensportler ist.
Sebastian Dietz: "Ich bin 2012 aus London zurückgekommen als Paralympics-Sieger. Als ich nach Hause gekommen bin, habe ich auch versucht, mit Agenturen beispielsweise zu sprechen. Und die Agenturen haben mit ganz klar gesagt, dass sie keinen Bock haben auf paralympischen Sport – und dass ihnen das zu viel Arbeit ist und zu wenig Rendite. Und dann sprechen wir davon, dass wir uns zwar auf Instagram und so weiter präsentieren müssen. Aber wenn du dann zum Teil professionelle Hilfe nicht bekommst und eine paralympische Goldmedaille dann dementsprechend das nicht wert ist, dann ist das halt eben fragwürdig."
"Hätte nicht besser laufen können"
Von einem echten Vermarktungs-Clou berichtet im Deutschlandfunk-Sportgespräch hingegen Turner Andreas Toba. Dieser Clou gelingt ihm, ohne dass er es plant – bei den Sommerspielen in Rio. Bei seiner Bodenübung reist sich Toba das Kreuzband, kehrt für seine Übung am Pauschenpferd aber trotzdem in die Halle zurück und hilft der deutschen Turn-Mannschaft so dabei, ins olympische Finale einzuziehen. Anschließend wird Toba zwar mehrfach operiert, aber auch mit Preisen überhäuft, von wildfremden Menschen auf der Straße beklatscht – und als "Hero de Janeiro" abgefeiert. Dieser Titel steht noch heute auf seiner Homepage.
Andreas Toba: "Also ich selber würde nicht sagen, dass ich ein Held bin, weil ich da einfach ganz normal, wie ich finde, wie es ein Sportler machen sollte, gehandelt habe. Warum das beispielsweise bei mir auf der Webseite steht, ist, wenn sie nach draußen gehen und zehn Leute fragen: ‚Kennen sie Andreas Toba, den Turner?‘ Dann werden ihnen wahrscheinlich zehn Leute sagen: ‚Ne!‘ Wenn sie aber nach ‚Hero de Janeiro‘ fragen oder nach dem Turner, der sich das Kreuzband gerissen hat, dann kann jeder damit was anfangen. So blöd es sich anhört: Die Verletzung und die Zeit, in der das passiert ist, und auch das ganze Drumherum – es hätte nicht besser laufen können. Wenn eine Verletzung auftritt, ist sag ich mal in Anführungsstrichen bei Olympischen Spielen das Beste, weil da haben wir halt Aufmerksamkeit, die Möglichkeit, dass es auch die meisten Menschen zu Hause sehen."
"Schade, dass es olympisch wird"
"Hero de Janeiro" – eine Geschichte, wie sie nur Olympia schreiben kann, sagt Andreas Toba. Und genau wegen solcher Geschichten wünschen sich viele Verbände, dass auch ihre Sportart olympisch wird. Bei den nächsten Sommerspielen 2020 in Tokio ist unter anderem Skateboardfahren neu dabei. Doch das findet der deutsche Skateboard-Pionier Titus Dittmann überhaupt nicht gut. Der studierte Lehrer, Wettkampf-Organisator und Mode-Unternehmer hält nicht viel vom olympischen Schneller, Höher, Weiter. Es passt für Titus Dittmann einfach nicht zum Skaten.
Titus Dittmann: "Das Schöne ist ja auch beim Skateboarden, dass die Sozialkompetenz sich schneller ausbildet darüber, weil eben nicht das absolute Ergebnis im Vordergrund steht, sondern der Kampf gegen sich selber und wie man sich selber entwickelt. Und wenn so eine Skateboard-Gruppe zusammen ist… jeder weiß ja, in welchem Level jeder fährt. Und wenn irgendeiner sich selber übertrifft und hat einen neuen Trick gelernt, egal wie einfach er ist, sind alle begeistert. Und dann werden alle Kinder mitgenommen. Alle Kinder haben ihr Erfolgserlebnis. Bei Höher, Schneller, Weiter hat nur der Erste ein Erfolgserlebnis. Also aus der pädagogischen Sicht und soziologischen Sicht sage ich: Schade, dass es olympisch wird! Weil es wird eine Menge dieser Kraft nehmen, die man halt zur Persönlichkeitsbildung bei den Kindern durch diese Selbstbestimmtheit nutzen kann."
"Ganz bittere Momente"
Michael Vesper würde sicher vehement widersprechen. Schließlich steht Vesper seit elf Jahren ganz im Dienste Olympias, als Generaldirektor und dann als Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes. Mit dem Jahreswechsel hört der einflussreiche und streitbare Sportfunktionär beim DOSB auf und hat auf seiner Abschiedstour auch Halt gemacht im Deutschlandfunk.
Astrid Rawohl: "Wir das sind Matthias Friebe und Astrid Rawohl, wollen jetzt aber nicht nur den roten Teppich ausrollen und mit dem Taschentuch winken. Also, Michael Vesper: Drei gescheiterte Olympia-Bewerbungen, die heftig ruckelnde Spitzensportreform, interne Kritik am DOSB-Führungsstil – das alles in ihrer Amtszeit. Mit welchem Thema wollen wir beginnen?"
Michael Vesper: "Ja, zunächst mal: Der rote Teppich, der hätte mich auch sehr gewundert. Aber sie haben die Olympia-Bewerbungen angesprochen. Das waren natürlich ganz bittere Momente für mich."
Astrid Rawohl: "Wo haben Sie da Fehler gemacht?"
Michael Vesper: "Vielleicht hätten wir in der Tat noch intensiver die Partizipation der Menschen vor Ort organisieren müssen und ihnen auch Mitspracherechte einräumen müssen. Obwohl wir das gerade bei Hamburg 2024 in einem Maß getan haben, das auch national und international sehr anerkannt worden ist."
Astrid Rawohl: "Aber die Menschen haben ja auch ihren Argumenten nicht vertraut. Vielleicht ja auch, weil immer die gleichen Argumente vorgegeben wurden seit Jahren, nach dem Motto: Olympia bringt euch heile Hallen und eine tolle Infrastruktur?"
Michael Vesper: "Na, es ist ja auch so. Die Olympischen Spiele wirken wie ein Ermöglicher und auch ein Beschleuniger."
Astrid Rawohl: "Im Nachklapp zu Hamburg hat DOSB-Präsident Alfons Hörmann den Schwarzen Peter für das Scheitern dann der Bundeskanzlerin zugeschoben. Das kam nicht gut an insgesamt. Begann da das zunehmend zerrüttete Verhältnis zwischen Sport und Politik?"
Michael Vesper: "Nein, es gibt kein zerrüttetes Verhältnis zwischen Sport und Politik."
Astrid Rawohl: "Nun war gerade Mitgliederversammlung des DOSB in Koblenz und man hat doch deutlich gemerkt, dass der anwesende geschäftsführende Innenminister Thomas de Maizière appelliert hat, alle müssten an einem Strang ziehen. Aber hinter den Kulissen hat es doch ganz schön rumort, weil eben die eigentlich gemeinsam angestrebte Spitzensportreform rüttelt und deren Umsetzung so auf sich warten lässt."
Michael Vesper: "Die Leistungssportreform ist auch ein wirklich dickes Brett, was da zu bohren ist. Das Konzept haben wir voriges Jahr mit einer überwältigenden Mehrheit verabschiedet. Die Bundesregierung hat dem auch zugestimmt…"
Astrid Rawohl: "Auf der Bühne. Und hinter dem Vorhang war aber doch einiges an Kritik zu hören."
Michael Vesper: "Da ich die Diskussion geleitet habe, habe ich alles auf der Bühne mitbekommen. Und jetzt muss es natürlich auch die notwendigen finanziellen Spielräume geben. Und jetzt wird es sicherlich bis Januar, Februar, März nächsten Jahres dauern, bis die Bundesregierung im Amt ist. Und dann wird es noch mal ein paar Monate dauern, bis der Haushalt verabschiedet ist."
Matthias Friebe: "Man hat ja das Gefühl, dass das dickste Brett, was man quasi bohren wollte, golden ist, dass es vor allem darum geht, mehr Goldmedaillen nach Deutschland zu bringen wieder. Und dass das verschiedene Interessen, unter anderem die der Athleten, zu wenig Gehör finden dabei."
Michael Vesper: "Natürlich richtet sich eine Leistungssportreform darauf, mehr Erfolge zu erzielen. Das ist ja klar, das verlangen auch sie als Medien vom Sport."
Astrid Rawohl: "Nein."
Michael Vesper: "Sie verlangen keine Erfolge vom Sport?"
Astrid Rawohl: "Nein."
Michael Vesper: "Gut, Dann sind sie in der Minderheit, würde ich mal sagen."
Astrid Rawohl: "Mag sein. Aber die muss gestärkt werden."
Michael Vesper: "Nein, also, jeder, der im Leitungs- und Spitzensport antritt, will gewinnen, will erfolgreich sein. Das ist die Motivation für sie."
Astrid Rawohl: "Ich will da jetzt nicht unterbrechen. Aber sie wollen natürlich auch ihr Auskommen haben, ihre gesicherte Zukunft, ihre Anerkennung ein Stück weit und Unterstützung."
Michael Vesper: "Ja. Die ganze Leistungssportreform dient dazu, die Athletinnen und Athleten zu unterstützen."
"Riesen-Spektrum an rechtlichen Fragen"
Etliche Athleten selbst empfinden den Umbau des deutschen Sportsystems aber ganz und gar nicht als Unterstützung. Sie kritisieren beispielsweise, dass sich eine zu starke Fokussierung abzeichnet auf medaillenträchtige Sportarten und gleichzeitig finanzielle Kürzung bei anderen. Auch die angestrebte Zentralisierung im Stützpunktsystem macht Athleten sorgen.
Einige beklagen, dass sie zum Umzug gezwungen werden sollen – ohne Rücksicht darauf, ob sie in ihrer bisherigen Heimat beispielsweise bereits ein funktionierendes Trainingsumfeld, einen Arbeits- oder Studienplatz haben. Vieles an der Leistungssportreform mit ihren gravierenden Folgen und erhofften Medaillen wirkt nicht durchdacht. Dies ist ein Grund dafür, dass sich im Oktober viele deutsche Sportler zu einer neuen Interessensvereinigung zusammentun – zum Verein Athleten Deutschland. Treibende Kraft dahinter ist die Kanutin Silke Kassner.
Silke Kassner: "Ich denke vor allem auch, die Gespräche und die Umsetzung der Leistungssportreform machen es auch in großen Teilen sichtbar, wie viele Teilbereiche es gibt, die auch noch mal Fragestellungen im Alltag der Athleten auch noch mal aufrufen. Und da ist es, glaube ich, sehr, sehr wichtig, dass sich die Athleten einbringen, um einfach auch definieren und darzustellen: 'Wie läuft der Athletenalltag ab, wenn er nicht gerade auf einem Wettkampf ist? Wann braucht er was, wann braucht er welche Informationen über was? Und wie genau in welcher Form kann man unterstützen?'
Und wir wollen da vor allem einen Beitrag erst mal leisten mit guter Vorbereitung. Wo sind Lücken, wo kann man zuarbeiten, jetzt auch gerade in die Gremien im Sport, in eine AG Duale Karriere etc. Wir haben ein Riesen-Spektrum an rechtlichen Fragen. Der sportrechtliche Rahmen, egal ob aus der Athleten- und Schiedsvereinbarung oder dem Anti-Doping-Gesetz, ist so groß, und nicht jeder Sportler ist Jurist. Und wir wollen einfach auch einen Beratungsbereich schaffen mit dem Verein, wo die Athleten Dinge einfach auch erklärt bekommen."
Service-Agentur für Sportler
Der Verein Athleten Deutschland soll also eine Art Service-Agentur sein für Sportler – mit hauptamtlichen Mitarbeitern. Der Verein soll eine Ergänzung sein zur ehrenamtlichen Athletenkommission im DOSB. Der Dachverband, so hört man, ist nicht gerade begeistert über die Eigeninitiative der Sportler – kann man sie doch durchaus als ein Zeugnis für seine eigenen Versäumnisse deuten. Wie dem auch sei – Radsportlerin Mieke Kröger stellt im Sportgespräch fest, dass Einiges zu tun ist.
Mieke Kröger: "Für mich stellt sich halt wirklich die Frage: Was bin ich? Ich meine, ich studiere. Das ist sehr schwer zu verknüpfen, der Leistungssport mit dem Studium. Und ab nächstem Jahr, wenn ich 25 werde, muss ich mich selbst krankenversichern. Ich zahle nichts in die Altersvorsorge ein. Genau diese Problematik, einfach das Bild des Sportlers in Deutschland zu definieren, das ist für mich persönlich ein sehr, sehr großes Anliegen. Und ich denke, da gibt es viele, die, ich sage mal, ein Ähnliches Schicksal erleiden."
"Ohne Trainer keine erfolgreichen Athleten"
Traumberuf Spitzensportler? Was deutsche Athleten teilweise schildern, hört sich nicht danach an. Aber: Nicht nur über die gesellschaftliche Stellung des Athleten muss dringend gesprochen werden, sondern auch über die des Trainers, fordert im Deutschlandfunk Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler.
Thomas Röhler: "Beispiel Thüringen. Über die Jahre, die ich Leichtathlet bin, wurden drastisch Trainerstellen reduziert. Immer mehr Arbeit lastet auf einem Trainer. Ohne Trainer wird es keine erfolgreichen Athleten geben. Da können wir Talente suchen, wie wir wollen. Die müssen eines Tages trainiert werden, die müssen sehr, sehr professionell trainiert werden. Wir haben extrem viel Trainierwissen in Deutschland, wir haben die besten Sport-Unis und, und, und. Und dann müssen wir Trainern aber auch eine Zukunft bieten, die finanziell einen Anreiz bietet.
Im normalen Maße, sag ich mal, da reden wir überhaupt nicht über viel Geld. Ich glaube, das ist es, was dem olympischen Sport helfen würde. Zweite Geschichte, um die Athletengeschichte anzusprechen: Der erfolgreiche Athlet hat Chancen, der muss aber unterstützt werden, und vor allem muss er erstmal grundabgesichert werden, um sich für den Sport zu entscheiden. Die Phase sehe ich als eine der wichtigsten an, wenn es aus der Schule rausgeht, wenn man merkt, hey, das ist ein Talent, dann werden die Eltern nachfragen: Ja, wie willst du das finanzieren, Kind? Und ich glaube, dann sind staatliche Institutionen gefragt, Perspektiven aufzuzeigen, wie Leistungssport erst mal abgesichert werden kann, ohne dass man ein persönliches finanzielles Risiko eingeht in dem Maße, dass man dann ohne alles dasteht."
Matthias Friebe: "Bleiben wir vielleicht noch mal kurz bei den Trainern. Gegenargument wäre ja, wenn sie sagen, es sind viele Posten gestrichen worden in Thüringen in den letzten Jahren: Es ist ja trotzdem ein Olympiasieger bei rausgekommen!"
Thomas Röhler: "Ich bin einer der Glücklichen, der einen Landestrainer hat. Bis vor kurzem war ich für meinen Trainer noch Hobby. Einfach, weil unsere Sportfördersatzung so aussieht. Und da sind im Sport schon viele ungewöhnliche Finanzierungskonzepte notwendig, um überhaupt den Sport zu ermöglichen. Das heißt es sind Mischfinanzierungen, und, und, und. Dinge, die in der freien Wirtschaft überhaupt nicht denkbar sind, werden im Sport als normal verkauft, nur um Trainerstellen zu halten. Das gibt natürlich einem jungen Trainer überhaupt keine Planungssicherheit, über Familie und Dinge nachzudenken. Man erwartet von Trainern, dass die am Wochenende auf dem Platz stehen und unter der Woche trainieren. Und wenn sie dann noch Urlaub nehmen müssen, um einen Trainingslehrgang zu bestreiten mit ihren Athleten, dann ist das eine sehr, sehr harte Arbeitssituation. Klar erwartet man Leidenschaft und nur mit der Leidenschaft geht es auch. Aber ich finde, dass Leidenschaft auch nicht zur Ausbeutung führen darf."
"Wenn alle wissen würden, wie viel man im Tischtennis verdienen kann..."
Mit dem Jahreswechsel von 2017 auf 2018 bekommt Deutschland eine neue Nummer eins – im Tischtennis. Dimitri Ovtcharov wird ab Januar die Weltrangliste anführen. Zwar profitiert er auch davon, dass die Zählweise im Ranking geändert wird. Aber Grund für die Eroberung der Weltranglistenführung ist vor allem Ovtcharovs ziemlich einzigartige Erfolgsserie in 2017. Nach Timo Boll ist er der zweite deutsche Spieler, der die chinesische Vormachtstellung durchbrechen kann. Dass ziemlich viel Arbeit dazugehören muss, lässt sich erahnen, als Ovtcharov im Sportgespräch mit Matthias Friebe von seinen Erfahrungen mit Tischtennis in China erzählt.
Dimitri Ovtcharov: "Das ganze Förderkonzept der Chinesen ist natürlich einmalig. Ich meine, die Jungs aus China, selbst aus Japan mittlerweile, trainieren im Alter von acht Jahren schon zehn Stunden am Tag, besuchen keine Schule, sondern nur Tischtennis. Und die Stunden, die sie in der Halle investieren und die Qualität, in der sie das machen, sind nicht vergleichbar mit uns. Und das macht über die Jahre und über die Masse der Spieler, die sie haben, natürlich viel aus."
Matthias Friebe: "Ist der Kopf nach wie vor wahnsinnig entscheidend im Tischtennis-Sport?"
Dimitri Ovtcharov: "Absolut. Da kann man auch 14 Stunden am Tag trainieren, das wird einem nicht helfen. Man muss wissen, was auf einen zukommt, man muss für alle Situationen gewappnet sein, mal einen schlechten Tag zu haben, mal Pech zu haben. Und das mentale Training ist ebenso wichtig wie das körperliche Training."
Matthias Friebe: "Und da sind die Chinesen auch weit voraus?"
Dimitri Ovtcharov: "Das würde ich nicht sagen, dass sie weit voraus sind. Aber sie müssen mental enorm stark sein, weil der Druck, jedes Mal zu gewinnen und nie zu verlieren, ist immer gegeben, ja. Wenn man als Chinese, als neuer, ein, zwei Mal keinen Erfolg hat, dann ist die Karriere vorbei, dann kommt der nächste, dann wird er als mental schwach abgestempelt und das war es. Selbst Ma Long hat 2010 bei der Mannschafts-WM gegen Timo verloren und deshalb haben sie ihn als Weltranglisten-Ersten 2012 zu Olympia nicht mitgenommen. Und dadurch haben sie natürlich enormen Druck und können normalerweise von Beginn nicht so gut performen wie sie eigentlich im Training können. Aber sie arbeiten bestimmt täglich daran, das Maximale auch in diesen Situationen aus sich herauszuholen und das so gut wie möglich auszublenden."
Matthias Friebe: "Kann man eigentlich von dem chinesischen Spielstil reden, ist das so eine Spielstil, den man hat?"
Dimitri Ovtcharov: "Ich sag mal, in Europa gibt es sehr, sehr viele, verschiedene Spieltypen. Das ist jeder irgendwo extrem einzigartig. In China gibt es zwei bis drei Spielertypen. Und die Trainer von oben bis unten legen immer eine klare Linie für jeden Spielertypen fest und probieren praktisch alle, das Gleiche zu trainieren. Und bei den Übungen heißt es oft, weniger ist mehr, als das Tischtennis neu zu erfinden, wie wir es in Europa manchmal probieren."
Matthias Friebe: "Gibt es da einen Typus Chinesen, gegen den sie am liebsten Spielen?"
Dimitri Ovtcharov: "Ja, ich spiele gerne gegen rückhandorientierte Chinesen und kann dort wirklich gut mithalten. Das überrascht sie manchmal und dann baut ihr komplettes Spiel ab und dann habe ich sie oft am Rande einer Niederlage und habe es auch einige Male gepackt."
Matthias Friebe: "Dimitri Ovtcharov, Tischtennis ist jetzt nicht in der ersten Reihe, gerade wenn man den Fußball sich betrachtet. Oder das was, was einen als Sportler auch mal nervt, oder ist es irgendwie auch ganz entlastend?"
Dimitri Ovtcharov: "Ja, wir können uns als Tischtennisspieler glücklich schätzen, das Tischtennis vor allem in Asien große Aufmerksamkeit genießt, wo wir auch wirklich Stars sind und der Sport anders wahrgenommen wird wie in Europa. In Europa ist es halt leider oft ein Hobbysport. Und ich glaube, wenn alle wissen würden, wie viel man im Tischtennis verdienen kann, dann würde vielleicht auch die Aufmerksamkeit steigen."
Matthias Friebe: "Wie gut muss man denn in der Weltrangliste stehen, um gut zu verdienen?"
Dimitri Ovtcharov: "Ja, das ist gerade. Man muss nicht absolute Weltspitze sein, um sechsstellige Beträge zu verdienen. Wir haben Spieler in der Nationalmannschaft, die sind wirklich auch abgeschlagen in der Welt und verdienen immer noch gut."
"Ein unglaublicher Ritt"
Also, Ovtcharovs Tipp für die Berufswahl: Tischtennisprofi werden. Aber: Selbst mit diesem Job würde man wohl nicht herankommen an die Gehälter von Sportstars in den USA – zum Beispiel an die stark steigenden Gehälter in der amerikanischen Basketball-Liga NBA. In dieser Liga ist seit mittlerweile 20 Jahren Dirk Nowitzki zu Hause. Mit dem deutschen Vorzeige-Basketballer hat Astrid Rawohl vor dem Beginn der aktuellen Saison über seine Karriere und das Thema Geld gesprochen.
Astrid Rawohl: "Sie selbst betonen ja immer wieder, dass ihnen Geld, Reichtum überhaupt nicht viel bedeutet. Durch den neuen Rahmentarifvertrag der NBA können einzelne Spieler nun Gehälter von über 200 Millionen Dollar erreichen. Was halten sie von dieser Entwicklung?"
Dirk Nowitzki: "Ja, Wahnsinn, Wahnsinn. Aber man muss natürlich sehen, dass wir einen riesen Fernsehdeal unterschrieben haben, ähnlich wie hier im Fußball in der Premier League. Das heißt, die Gehaltsobergrenze ist nach oben geschoben worden. Ist natürlich Wahnsinn. Kann man so als normaler Mensch überhaupt nicht verstehen, was da jetzt für Summen rumgeworfen werden. Aber die Eigentümer müssen einfach das Geld ausgeben, weil es ihnen so gut geht von der Liga her."
Astrid Rawohl: "Stephen Curry von den Golden State Warriors, 201 Millionen Dollar für fünf Jahre, Rekordvertrag. Ist das denn wirklich gerechtfertigt und wie ist das zu vermitteln überhaupt noch?"
Dirk Nowitzki: "Ja, gute Frage, gute Frage, wie das zu vermitteln ist. Aber schauen wir uns mal Golden State an. Als der Eigentümer die Mannschaft gekauft hat. Hat er sie, glaube ich, für 480 Millionen gekauft. Jetzt über die vier, fünf, sechs Jahre, als er sie hat, jetzt sind sie 2,2 Milliarden wert. Also hat er ja auch seinen Wert riesig gesteigert. Das ist quasi die Sichtweise eines Spielers: Warum soll nur der Eigentümer reicher werden und die Spieler kriegen davon nichts ab? So ist es ein bisschen zu rechtfertigen. Aber trotzdem sind die Summen natürlich astronomisch."
Astrid Rawohl: "Im Raum steht ja immer noch, nachdem sie die 30.000-Punkte-Marke im März geknackt haben, jetzt die 20-Jahre-Marke von Kobe Bryant bei den Lakers zu knacken. Sind das die Ziele, die sich jetzt noch so ein bisschen so stecken?"
Dirk Nowitzki: "Klar, 20 Jahre bei einem Klub ist schon Wahnsinn. Ansonsten habe ich eigentlich keine Ziele. Ich versuche einfach, noch Spaß zu haben und so lange es zu machen, wie es geht, wie der Körper mithält. Und dann langt es auch irgendwann. Aber war schon eine tolle, tolle Zeit und war schon ein unglaublicher Ritt. Also vor allem, wenn mal überlegt, dass ich damals mit 20 rüber bin und wusste ja überhaupt nicht, ob es klappt. Und dann war das erste Jahr auch noch so schwer. Da ging ja fast alles schief. Und dass ich mich trotzdem dadurch gekämpft und dadurch gearbeitet habe, das werde ich schon nie vergessen."
Astrid Rawohl: "Würde so eine Ausnahmekarriere heute in diesen Zeiten auch noch funktionieren können oder war das eine Zeit, wo alles gepasst hat?"
Dirk Nowitzki: "Ja, da kam natürlich schon eine Menge zusammen. Ob es der Holger Geschwindner war, der Mentor, den ich mit 15 getroffen habe, der mir quasi alles beigebracht hat, der mich auch außerhalb vom Spielfeld immer nach vorne gepusht hat. Ob er mir wieder irgendwelche Bücher gegeben hat zum Lesen oder irgendwelche Musikinstrumente geschenkt hat. Dann natürlich die Lage, als ich nach Dallas kam. Wir hatten damals keine tolle Mannschaft und da hatte ich ein bisschen Glück, weil da konnte ich so in meine Rolle reinwachsen. Ich hatte damals einen Trainer, der mich wahnsinnig unterstützt hat. Da kam schon eine Menge Gutes für mich zusammen. Da waren die Sterne, die irgendwie richtig standen."
"Für Erfolg ist eine gewisse Lockerheit wichtig."
So wie für Basketballer Dirk Nowitzki müssen die Stern irgendwie auch für Tennisspielerin Laura Siegemund gut gestanden haben. Sonst hätte sie es wohl nie auf zwischenzeitlich Platz 27 der Weltrangliste geschafft. 2017 gewinnt sie das Damen-Turnier in Stuttgart. Allerdings lief für Laura Siegemund nicht immer alles rund – vor allem, als sie zu Beginn ihrer Karriere zeitweise als neue Steffi Graf gehandelt wird und teilweise an dem Druck scheitert. Im Sportgespräch erzählt die heute 29-Jährige, was sie rückblickend anders machen würde – und warum sie versucht, ihre Erfahrungen an jüngere Tennisspielerinnen weiterzugeben.
Laura Siegemund: "Also ich habe viel wirklich durch Trial and Error sozusagen erfahren. Also da hat man gemerkt, das war jetzt nix, es war ein Satz mit X. Mit einem Trainer oder einer Trainingsform oder irgendwas. Durch Verletzungen dann teilweise gemerkt, okay das war jetzt nicht das Richtige. Und da bin ich froh darüber, wenn ich andere ein bisserl davor bewahren kann und aus meinem Leben und meinem Werdegang erzählen kann. Ich hatte gefühlt im Nachhinein oft nicht so einen Ansprechpartner, wo ich das Gefühl hatte, Mensch, der ist schon diesen Weg gegangen, den ich noch vor mir habe. Es gibt gerade im Trainingsbereich Dinge… Also ich habe mit zwölf, 13, 14 ein Trainingspensum gehabt, das kann man entweder professionell und extrem hart nennen oder man kann einfach sagen, es war zu früh zu viel.
Also da habe ich schon sehr viel gemacht. Das würde ich heute, wenn ich jugendliche Spieler betreuen würde, würde ich es anders machen, weil ich davon überzeugt bin, für einen Erfolg ist ganz wichtig so eine gewisse Lockerheit. Disziplin und harte Arbeit sind absolute Grundlagen. Ohne das geht gar nichts. Aber wenn man es dann schafft, so eine gewisse Lockerheit und Spaß beizubehalten, das ist extrem schwierig, muss man dazu sagen, aber wenn man das schafft, dann das schafft, gerade wenn man sehr ehrgeizige Jugendlich hat, so wie es eine war, dann geht das oft ein bisschen verloren, und das war bei mir mit Sicherheit auch ein Manko dann."
"Vier verlorene Jahre"
Jamaika, Kenia, GroKo, KoKo. Von wem wird Deutschland in Zukunft regiert? Eine Frage im Jahr 2017 nach der Bundestagswahl. Vor dieser Wahl Ende September ziehen im Deutschlandfunk die sportpolitischen Sprecher der bis dahin vier Fraktionen im Bundestag Bilanz. Was hat die Große Koalition zwischen 2013 und 2017 aus sportlicher Sicht erreicht? Und: Welche Rolle hat dabei der Sportausschuss im Bundestag gespielt? Über diese Fragen diskutieren Michaela Engelmeier von der SPD, Özcan Mutlu von den Grünen, Eberhard Gienger von der Union und André Hahn von der Linken – und wie wir jetzt hören: Die Antworten fallen ganz unterschiedlich aus.
Michaela Engelmeier: "Wenn ich mir mal die vergangenen vier Jahre angucke, was wir an Sportpolitik nun tatsächlich im Bundestag, im Sportausschuss geschaffen haben, dann bin ich schon begeistert. Fangen wir mit dem Anti-Doping-Gesetz an! Wir haben das zweite Dopingopfer-Hilfegesetz wieder neu aufgelegt. Und nicht zu vergessen: Die Sportanlagen-Lärmschutz-Verordnung, die haben wir auf neue, moderne Füße gestellt. Und dann muss man auch sagen: Diese Reform der Spitzensportförderung, die haben wir schon mitbegleitet. Aber da sind wir einfach oft an unserer Grenzen gestoßen, weil wir einfach nicht beteiligt wurden als Parlamentarier im Sportausschuss."
Özcan Mutlu: "Also ich bin absolut enttäuscht, sage ich, weil diese vier Jahre mehr oder minder verlorene Jahre für den deutschen Sport sind. Wir mussten aus der Opposition heraus ständig Debatten anstoßen. Egal, ob es der WM-Skandal ist. Und ich sage: Dieser Ausschuss krankt daran, dass er geheim tagt."
Eberhard Gienger: "Nicht nur der Sportausschuss ist nicht öffentlich, sondern alle Ausschüsse sind nicht öffentlich – und das mit gutem Recht. Wir haben das ja häufig erlebt, dass Fenster-Reden gehalten werden, dass einer, der sich eigentlich überhaupt nicht mehr zu Wort melden müsste, dann aufgrund der Tatsache, dass da ja geschrieben werden könnte…".
Özcan Mutlu: "Ein sehr schwaches Argument!"
Eberhard Gienger: "Nein, nein. Das ist kein schwaches Argument. Die Debatten werden nicht öffentlich geführt im Rahmen des Sportausschusses und wenn wir dann in die Öffentlichkeit gehen, ins Plenum, dann ist es ja auch öffentlich. Und das muss doch vollkommen ausreichen."
Andre Hahn: "Wir haben den Sport nur relativ selten im Plenum des Bundestages. Und viele, viele Diskussionen, die in der Öffentlichkeit sind, angefangen von den Fernseh-Übertragungsrechten, das sind alles Dinge, die die Öffentlichkeit sehr stark interessieren. Deshalb finde ich auch, man sollte das öffentlich machen. Und im Übrigen misst man ja dann auch mit zweierlei Maß. Also wir hatten zum Beispiel eine Anhörung, da wird vier Stunden über Doping in Russland diskutiert…."
Özcan Mutlu: "Öffentlich diskutiert!"
Andre Hahn: "Öffentlich diskutiert, ja! Und als wir dann endlich über Doping in Westdeutschland und die Aufarbeitung der Geschichte dort diskutiert haben, fand das hinter verschlossenen Türen statt mit den Athleten, die ausgesagt haben, mit Sachverständigen, mit Wissenschaftlern – und niemand dufte dabei sein. Das ist irgendwie einfach die Angst da, dass man in der Debatte nicht bestehen könnte."
Doping in Westdeutschland
Im Frühjahr sorgt der Dopingforscher und Pharmazeut Simon Krivec mit seiner Doktorarbeit für Schlagzeilen. Titel: "Die Anwendung von anabolen-androgenen Steroiden in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1960 bis 1988 unter besonderer Berücksichtigung der Leichtathletik". 31 Sportler geben darin zu, Anabolika missbraucht zu haben. Es ist der nächste Beleg dafür, dass das Bild vom sauberen westdeutschen Athleten und vom randvoll gedopten ostdeutschen Sportler ein Zerrbild ist. Einer der Athleten, der sich in der viel beachteten Dissertation äußerte, ist der ehemalige Diskuswerfer Klaus-Peter Hennig. Zusammen mit Autor Simon Krivec ist Hennig Anfang April zu Gast im Sportgespräch bei Philipp May.
Philipp May: "Herr Hennig, sie sind einer der wenigen in der Dissertation, der von vorneherein gesagt hat, ja, ich verzichte auf Anonymität, ich pack‘ aus. Warum?"
Klaus-Peter Hennig: "Ich weiß, wie damals der Druck auf die Athleten gestiegen ist durch das sportpolitische Wettrüsten Ost und West. Da waren wir eingebunden, obwohl wir frei entscheiden konnten, was wir machen, was wir nicht machen. Ich kenne das eben seit der Olympiade 1968 in Mexiko, wo wir zwei getrennte deutsche Mannschaften hatten und wo wir so halbwegs mitbekommen haben, dass jetzt die Zeit des Friedens im Sport vorbei war. Dieses Thema Anabolika war damals schon virulent. Und warm ich das jetzt berichte, was ich damals für Erfahrungen gemacht habe: Ich hab mich als Athlet nie wohl gefühlt in dieser Situation. Ich war einer Zwickmühle die ganzen Jahre und bin eigentlich sehr enttäuscht darüber, dass unsere Funktionäre und auch die Ärzte teilweise, dass die einfach ein doppeltes Spiel gespielt haben mit uns Athleten. Wir haben geglaubt, dass wir aus freien Stücken handeln, aber wir waren eigentlich auch manipuliert worden. Das ist uns erst später aufgefallen. Das haben wir in der Zeit, in der wir aktiv waren, gar nicht so realisiert."
Philipp May: "Herr Krivec, würden sie soweit gehen und tatsächlich so wie im Osten von einem Dopingsystem West sprechen?"
Simon Krivec: "System ist vielleicht ein klein wenig zu hoch gegriffen. Es ist nicht in dem Maße vom Staat propagiert worden, dass man gesagt hat, der Athlet, er muss es nehmen. Natürlich gab es bestimmte Konzentrationen an bestimmten Stellen in Leverkusen, genauso wie in Mainz und in Freiburg, was ja auch bekannt ist. Aber jeder Athlet konnte in Eigenregie ein klein wenig zumindest noch steuern. Er musste es nicht nehmen. Beziehungsweise er musste es dann nehmen, wenn er international erfolgreich sein wollte, weil er Chancengleichheit mit dem Athleten aus dem Osten vielleicht erreichen wollte und das war dann nur über Anabolika möglich."
Philipp May: "Gab es denn jemanden an höherer Stelle, der dieses System hätte durchbrechen können?"
Simon Krivec: "Im Grunde hätte das jeder aus dem Umfeld des Athleten tun können. Der Athlet selber war vielleicht in der Zwickmühle, dass er sagt, ich bin abhängig von irgendwelchen Fördermaßnahmen oder von irgendwelchen finanziellen Abhängigkeiten, dafür dass er Leistung erbringt. Dennoch: Die Funktionäre, des DLV in dem Fall, die haben natürlich davon gewusst. Das ist auch in den Zeitzeugen-Befragungen immer wieder zum Vorschein gekommen, dass die gesagt haben: Das wusste jeder, die haben das toleriert, sie hätten Abhilfe schaffen können, haben das aber nicht gemacht!"
Philipp May: "Wie sieht es aus mit dem Bundesinnenministerium als Geldgeber?"
Simon Krivec: "Der Geldgeber – das ist ja heute nicht anders als es früher war – ist natürlich immer daran interessiert, Ergebnisse zu sehen. Und Ergebnisse werden auch heute und sind auch damals schon gemessen worden am sportlichen Erfolg. Das heißt: Man propagiert damit Doping und man propagiert damit auch eine Leistungssteigerung, wenn man sagt: Ich möchte, dass der Athlet eine Leistung erbringt, die nicht nur im deutschen Maßstab Spitzenklasse ist, sondern auch im internationalen Maßstab Spitzenleistungen darstellt. Und man muss dabei ja auch immer fragen, inwieweit in anderen Ländern Spitzenleistung erbracht wird."