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Bestseller der Theologie

Von Donnerstag an wird Benedikt XVI. Deutschland besuchen. Aus diesem Anlass stellt "Andruck" Joseph Ratzingers 1968 erstveröffentlichten Band "Einführung in das Christentum" vor.

Von Matthias Gierth |
    Als der junge, eher schüchterne Joseph Ratzinger 1968 seine Tübinger Vorlesung "Einführung in das Christentum" als Buch veröffentlichte, war die Studentenrevolte in vollem Gange. Die Kirchenrevolution des Zweiten Vatikanischen Konzils der Jahre 1962 bis 1965 lag bereits hinter der katholischen Kirche. Beide Revolten haben Ratzingers tiefes Unbehagen hervorgerufen. Als Konzilsberater hatte er noch klar auf der Seite der kirchlichen Reformer gestanden. Schon wenige Jahre später aber schreibt er in seiner "Einführung in das Christentum":

    "Die Frage, was eigentlich Inhalt und Sinn des christlichen Glaubens sei, ist heute von einem Nebel der Ungewissheit umgeben, wie kaum irgendwann zuvor in der Geschichte."

    Den Zustand der Theologie anno 1968 vergleicht Ratzinger mit der Dummheit des "Hans im Glück":

    "Hat unsere Theologie nicht den Anspruch des Glaubens stufenweise herunterinterpretiert? Und wird der arme Hans, der Christ, der vertrauensvoll sich von Tausch zu Tausch, von Interpretation zu Interpretation führen ließ, nicht wirklich bald statt des Goldes, mit dem er begann, nur noch einen Schleifstein in Händen halten, den wegzuwerfen, man ihm getrost zuraten darf?"

    Wie ein roter Faden wird sich Ratzingers Kampf gegen diese "moderne Theologie" und all ihre angeblichen Relativierungsversuche durch sein Leben ziehen. Für ihn deutet die moderne Theologie die Gestalt Christi neu und sie verändert den Gottesbegriff grundlegend. "Einführung in das Christentum" ist Ratzingers erster großer Versuch, dem ein Bollwerk entgegenzusetzen. Entlang des Glaubensbekenntnisses entwirft er sein Panoptikum des christlichen Glaubens. Seine Theologie dreht sich um das Zueinander von Schrift, Tradition und Kirche, das Wesen der Liturgie und das christliche Gottesbild. In seiner Ekklesiologie, der Lehre von der Kirche, sind die Themen Bischofs- und Papstamt zentral. Noch ficht Ratzinger mit dem Rüstzeug des Wissenschaftlers, dem Argument. Später, als oberster Glaubenshüter, wird er autoritär über lateinamerikanische Befreiungstheologen wie Leonardo Boff den Daumen heben oder senken. Der spätere römische Kurienkardinal Walter Kasper verfasst 1969 als junger Wissenschaftler und Kollege Ratzingers eine Rezension über dessen "Einführung in das Christentum". Darin moniert er einen ...

    "ausgesprochen platonischen Ansatz",

    der die geschichtliche Vermittlung von Sinnfragen umgehe und der – jenseits der realen Kirchengeschichte ...


    "hart an die Grenze eines rein spiritualistischen Kirchenverständnisses führt."

    Tatsächlich wird auch der spätere Präfekt der Glaubenskongregation Ratzinger nicht bereit sein, unter dem Aspekt eben jener geschichtlichen Vermittlung des Glaubens irgendwelche Konzessionen an die Gegenwart zu machen.

    "Einführung in das Christentum" hat Bekanntheit und Ruhm Ratzingers schon in dessen jungen Jahren maßgeblich befördert. Das Buch startete 1968 mit einer Auflage von 4500 Exemplaren, 1969 waren bereit 45.000 verkauft. Im Jahr 2000 stimmte Joseph Ratzinger als Kardinal einer unveränderten Neuausgabe zu – nach über 30 Jahren. Auch für eine Wissenschaft wie die Theologie ist das eine enorm lange Zeit. Der Umstand zeigt, wie sehr sich Ratzinger auch heute noch in seinem Frühwerk wiederfindet. In einem einleitenden Essay zur Neuausgabe nimmt er seine Kritik an der modernen Theologie unmittelbar wieder auf: Eine Erneuerung der Christologie müsse, so Ratzinger:

    "den Mut haben, Christus in seiner ganzen Größe zu sehen, wie ihn die vier Evangelien zusammen in ihrer spannungsvollen Einheit zeigen."

    Genau diesen Mut vermisst der Autor mehrheitlich bei der gegenwärtigen Theologen-Generation. Von dieser Fundamentalkritik führt ein direkter Weg zu den beiden Büchern über "Jesus von Nazareth", die Ratzinger als Papst Benedikt schreibt. Der Theologe auf der Kathedra Petri greift nun selbst zur Feder. Auf seinen Wandel vom durchaus liberalen Konzilstheologen hin zum restriktiven Glaubenshüter angesprochen, hat Joseph Ratzinger einmal erwidert: Nicht er, sondern die anderen hätten sich geändert. Tatsächlich hat die inhaltliche Ambivalenz vieler Konzilstexte kirchliche Entwicklungen ermöglicht, die Ratzinger von Anfang an so jedenfalls nicht wollte. Die theologischen Fundamente, die Joseph Ratzinger mit seiner "Einführung in das Christentum" geschaffen hat, belegen – aus dem zeitlichen Abstand heraus betrachtet –, dass sich seine Standpunkte über die Jahrzehnte hinweg in der Tat kaum geändert haben. Nur die Vehemenz mit der er sie vertrat und vertritt, hat sich gewandelt. Und die Möglichkeit, die die Geschichte ihm eröffnete, seine Vorstellungen in der römisch-katholischen Kirche an oberster Stelle umzusetzen.

    Joseph Ratzinger: "Einführung in das Christentum". Erstveröffentlicht 1968, aktuelle Ausgabe: Kösel Verlag, 368 Seiten, 21,95 Euro
    ISBN 978-3-466-20455-7