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Besuch aus Madagaskar
"Die reichen Länder haben letztlich auch bei uns das Sagen"

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Journalist aus Madagaskar den Deutschlandfunk besucht. Jules Miandriniaina ist für eine Woche im Kölner Funkhaus. Wir haben mit ihm über sein fernes Land gesprochen und das Leben der Menschen dort, über Rohstoffe und die Macht der reichen Länder im südlichen Afrika.

    Lob/Bertolaso: Mit welchen Erwartungen sind Sie nach Deutschland gekommen?
    Jules Miandriniaina: Als Radiojournalist bin ich natürlich an den Medien in Deutschland sehr interessiert. Ich möchte erfahren, wie die Sender hier auf ihre Hörer und Nutzer zugehen, wie sie die Menschen binden. Ich hoffe, in der Woche beim Deutschlandfunk auch sonst einiges lernen zu können. Das betrifft technische Punkte, aber auch die Frage, wie das Radio sich gegen Internet und Fernsehen behauptet und wie Mitarbeiter hier gefunden, eingesetzt und geschult werden, damit ein Radio erfolgreich sein kann.
    Lob/Bertolaso: Nach dem Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo" wird in Europa über die Pressefreiheit und ihre Grenzen diskutiert. Was ist da Ihre Position?
    Miandriniaina: Ich finde, man muss bei Religion und Meinungsfreiheit schon etwas unterscheiden. Außerdem haben ja nicht alle Religionen auf der Welt die gleichen Regeln und Verhaltensmaßstäbe. Für mich muss die Presse völlig frei sein. Doch die Freiheit endet da, wo die Freiheit anderer beginnt. „Charlie Hebdo" hat seine Freiheiten übertrieben ausgenutzt, doch das rechtfertigt natürlich nicht die Ermordung Unschuldiger. Anders ausgedrückt: denke ich an die ermordeten Journalisten, sage auch ich „Ich bin Charlie". Aber „ich bin nicht Charlie", wenn es darum geht das eigene Leben und das anderer schwerer zu machen.
    Lob/Bertolaso: Sie arbeiten für ein katholisches Radio in Madagaskar. Wie wird in Ihrem Land das Miteinander der verschiedenen Religionen diskutiert?
    Miandriniaina: Viele Madegassen sind Christen. Noch bis 1980 gab es zwischen den Katholiken und den verschiedenen protestantischen Gruppen eine ziemliche Polarisierung. Mitte der 1980er Jahre begannen dann auch bei uns ökumenische Bestrebungen. Die laufen zwischen den großen Kirchen in einigermaßen ruhigen Bahnen weiter. Einige neue Kirchen und Sekten missionieren allerdings inzwischen wieder intensiver. Und was den Islam angeht, zu den Muslimen hat die Mehrheitsgesellschaft ein nicht gerade herzliches, aber problemloses Verhältnis. Es herrscht schließlich Religionsfreiheit.

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    Der Journalist Jules Miandriniaina zu Gast beim Deutschlandfunk. (Deutschlandfunk/Marco Bertolaso)
    Jules Miandriniaina ist 28 Jahre alt und arbeitet als Journalist bei dem katholischen Radiosender "Don Bosco" in Madagaskar. Eine deutsche politische Stiftung und die "Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit" gaben ihm die Möglichkeit, nach Köln zu kommen. Den Kontakt zum Deutschlandfunk hatte DLF-Wissenschaftsjournalist Lennart Pyritz hergestellt, der in Madagaskar geforscht und gearbeitet hat. In der Nachrichten. und Online-Redaktion des Deutschlanfunks war Jules Miandriniaina einen Tag zu Besuch - und dort entstand spontan die Idee, dem interessanten Gast nicht nur Antworten zu geben, sondern ihm auch Fragen zu stellen.
    Lob/Bertolaso: Experten sagen, Madagaskar habe eigentlich engere Beziehungen zu dem fernen Indonesien als zu dem nahen afrikanischen Kontinent. Würden Sie da zustimmen?
    Miandriniaina: Die Madegassen stammen von Indonesiern ab, die vor langer Zeit auf unsere Insel gekommen sind. Das sieht man den meisten von uns auch an und das merkt man auch an der Kultur. Unsere Sprache ist ebenfalls dem Indonesischen ähnlich. Die Wissenschaftler haben auf unserer Insel 18 verschiedene Volksgruppen ermittelt. Die Menschen, die an den Küsten leben, haben viele Gemeinsamkeiten mit den Menschen im südlichen Afrika. Die politischen Beziehungen zu Afrika sind stärker als die zu Indonesien. Dagegen sind wir wirtschaftlich und in gesellschaftlichen Fragen mehr in Richtung Südostasien ausgerichtet.
    Lob/Bertolaso: Was sollte man sonst noch über Ihr Land wissen?
    Miandriniaina: Madagaskar gilt als ein Entwicklungsland. Daran wird sich auch nicht viel ändern, wenn sich weltpolitisch nichts bewegt. Denn es sind schon die reichen Länder, die das Sagen haben. Letztlich entscheiden sie über Investitionen und Finanzhilfen. Und ohne diese sogenannte „internationale Gemeinschaft" geht eben nichts bei uns. Letztlich ist der Hintergrund simpel: die entwickelten Länder brauchen immer neue Rohstoffe, vor allem Öl und Metalle, und die holen sie sich in kleinen Ländern wie meinem. Es ist schon verrückt: wir leben in Armut, obwohl wir eigentlich reich sind, also reich an Bodenschätzen, reich an Wäldern etc. Sogar die kleinen Inseln vor Madagaskar, die sogenannten „Verstreuten Inseln" haben sich die reichen Länder unter den Nagel gerissen, in diesem Fall Frankreich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.