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Besuch bei den Jesiden im Nordirak
Verschleppt, ermordet, vergessen?

Zehntausende Jesiden, die ins nordirakische Sinjar-Gebirge fliehen und dort von IS-Terroristen eingekesselt auf Hilfe warten: Im August 2014 gingen diese Bilder um die Welt. Drei Jahre später scheint es so, als habe die Öffentlichkeit das Massaker von damals vergessen. Die Jesiden aber leiden bis heute.

Von Susanne El Khafif und Björn Blaschke |
    Blick aus einem Helikopter auf fliehende Jesiden.
    Im August 2014 waren Tausende Jesiden auf der Flucht vor dem IS. (dpa /apa / Michel Reimon )
    Jahrhunderte alte, ausladende Bäume beschirmen einen kleinen, aber zentralen Platz; Kinder toben, Erwachsene sitzen auf dem Boden nebeneinander und trinken Tee. Über den Baumkronen sind die spitzen Türme eines Tempels zu sehen. Es ist ein angenehmer, ein friedlicher Platz im Nordirak ...
    Ohne überbordende Spiritualität und religiösen Pomp ... Die Menschen nutzen die Nebengebäude des Tempels als Ort der Zusammenkunft; ein Gewölbe für die Lagerung der Lampenöle, besuchen das Grab eines wichtigen Heiligen aus dem elften Jahrhundert und das Brunnenhaus:
    Alte Bäume vor dem Innenhof mit einem Eingang zu Tempel in Laleesh
    Im Tempelgebäude von Laleesh hoffen viele Jesiden auf einen Neuanfang. (Deutschlandradio / Susanne El Khafif)
    "Das Brunnenhaus dient einem bestimmten Ritual. Der Kopf eines Kindes wird drei Mal mit dem Wasser des Brunnens besprenkelt, eine Art Taufe, wie im christlichen Glauben".
    So erklärt es Lukman Mahmoud, ein schlanker, hoch aufgeschossener Mann in kurdischer Pluderhose mit einem Turban auf dem Kopf. Lukman ist Hüter dieses Platzes, ein freundlicher Mann, der sich viel Zeit nimmt, seinen Glauben zu erklären.
    Laleesh – der Ort, an dem nach jesidischer Überlieferung alles begann.
    Es gibt in der Jahrtausende alten Religion der Jesiden viele zumeist mündliche Überlieferungen. Eine besagt, dass Laleesh das Zentrum der Schöpfungsgeschichte ist.
    Eine andere Überlieferung besagt, dass Gott aus seinem Licht sieben Engel erschuf. Einer von ihnen, Melek Taus, habe sich selbst zu Gott machen wollen. Doch der Allmächtige bestrafte diese Anmaßung und verbannte ihn in die Hölle. Dort bereute Melek Taus – und Gott vergab ihm seine Schuld. Fortan diente Melek Taus Gott und den Menschen – als Mittler – symbolisiert durch einen blau schimmernden Pfau. Diesem Pfau gebührt die Verehrung der Jesiden.
    Weil Melek Taus aber zunächst in der Hölle schmorte, werden die Jesiden in der islamischen Welt häufig auch "Teufelsanbeter" genannt.
    Für die vermeintlich religiösen IS-Terroristen ein Grund dafür, dass sie im Sommer 2014 das Sinjar, das Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden, überfielen. Dort ermordeten sie Tausende, zumeist Männer, Alte und Kleinkinder, verschleppten und versklavten unzählige Frauen und Mädchen, trieben Hunderttausende in die Flucht.
    Auf dem Weg ins Sinjar, eine Region, die die Jesiden kurdisch "Shingaal" nennen. Die Region liegt ganz im Norden des Irak, etwa vier Autostunden von Laleesh entfernt, mittendrin erstreckt sich ein Gebirgszug, auf einer Länge von etwa 100 Kilometern.
    Zehntausende hatten sich im Sommer 2014 dort hinauf geflüchtet, aus der Tiefebene, aus Sinjar-Stadt und den umliegenden Dörfern. Im Gebirge waren sie der Hitze, dem Durst und dem Hunger ausgesetzt, waren vom IS belagert - Bilder, die um die Welt gingen - bis Hubschrauber Hilfspakete aus der Luft abwarfen, die Amerikaner den IS bombardierten, kurdische Kämpfer auf dem Boden einen Korridor schufen, über den sich dann viele Jesiden retten konnten. Noch immer aber sollen sich heute im Gebirge Tausende Flüchtlinge aufhalten - obwohl das Sinjar wieder befreit ist.
    Ein jesidischer Kämpfer steht vor einem Pick Up im Sinjar-Gebirge
    Jesidische Kämpfer im Sinjar-Gebirge (Deutschlandradio / Susanne El Khafif)
    Eingekesselt, enthauptet oder lebendig begraben
    In Serpentinen windet sich die Straße bergauf. Vorneweg fährt ein Pick-up, auf dem sich ein Trupp jesidischer Kämpfer, Peschmerga, befindet, das Maschinengewehr aufgepflanzt, die Kalaschnikow im Anschlag. Rechts und links spärlich bewachsene Hügel, mehr Geröll als Gras und Büsche, niedrig wachsendes Nadelgehölz. Am Rand der Straße ein paar ausgebrannte Autowracks.
    Dann ein Halt. Die Männer im Pick-up wollen etwas zeigen, wollen erzählen, was genau hier geschah, an dieser Stelle, auf halber Höhe zum Gebirgskamm, am 3. August 2014.
    Einer der älteren Kämpfer ergreift das Wort, berichtet vom Massaker, das der IS hier verübt hat. Nicht allen Jesiden sei damals die Flucht ins Gebirge gelungen, der IS habe viele abgefangen, und einstige arabische Nachbarn, die sich den Terroristen angeschlossen hatten, hätten den Fluchtweg nach unten blockiert. Eingekesselt seien sie gewesen, dann erschossen worden, enthauptet, manche lebendig begraben – verscharrt, an Ort und Stelle.
    Der Blick schweift in die Tiefe, folgt dem Weg, den die Flüchtenden damals genommen haben, fällt auf den Tal-Kessel, die umliegenden Hügel – Stätten des Todes – Massengräber! Es ist still. Nur ein heißer Wind weht herauf, brennt in den Augen.
    Es geht auf enger werdenden Serpentinen weiter bergauf - bis zu 1.400 Meter ist das Sinjar-Gebirge hoch. Am Straßenrand immer wieder paramilitärische Stellungen mit Männern, die Wache schieben, manchmal nur hinter Felsbrocken verschanzt – über allem Fahnen, die von Wind und Sonne zerschlissen sind.
    Die Banner unterscheiden sich, gehören zu verschiedenen Kampfverbänden, die sich im Sinjar festgesetzt haben.
    Das Lager "Serdasht" hoch oben im Gebirge. Auf einem Plateau stehen Zelte aus weißem Plastik – 100, vielleicht 150 an der Zahl - sie wirken ärmlich, wie hingewürfelt, stehen inmitten von Staub und Geröll.
    Das Lager wird von den Peschmerga kontrolliert. Es untersteht damit der Regierung der autonomen Region Irakisch-Kurdistan. An deren Spitze steht Präsident Masoud Barzani.
    In einem der größeren Zelte hat sich eine Gruppe Frauen versammelt, alle gehören derselben Großfamilie an - zwei Alte mit weißem Kopftuch in knöchellangem Gewand, dann hübsche junge Frauen mit offenem Haar, zwei kleine Mädchen, die auf dem Boden spielen. Die Frauen geben einander Halt, das ist deutlich zu spüren, die jüngste Vergangenheit hat sie zusammengeschweißt.
    "Wir konnten fliehen, am 3. August 2014", sagt Zeeri, eine junge Frau.
    "Doch unten in der Stadt, da war es furchtbar. Sie haben die Patienten aus dem Krankenhaus auf die Straße geworfen. Und dann waren da die vielen kleinen Kinder. Ihre Mütter konnten sie nicht alle mitnehmen, weil sie ihre Ehre schützen mussten und nicht in die Hände des IS fallen durften - so blieben die Kinder zurück."
    "Sie haben uns alle vergessen"
    Eine der alten Frauen spricht aus, mit welchen Ängsten sie heute leben müssen, spricht von den Milizen, die einander bekriegen, wünscht sich, dass nur eine bleibe. Eine, die gut sei für ihr Volk.
    Drei Jahre haben sie hier schon ausgehalten, ohne Strom - in Hitze, Regen und Schnee, eingehüllt in Plastikplanen, um im Winter nicht zu erfrieren. Die wenige Hilfe reiche nicht aus.
    "Sie haben uns alle vergessen!" sagt Zeeri. "Unsere Stadt, die Dörfer, alles zerstört. Und keiner, der sie aufbaut. In Mosul ist das anders. Aber das Sinjar - warum geschieht uns wieder dieses Unrecht - uns Jesiden. Mein Bruder kann nicht in die Schule gehen. Warum?"
    Leben zwischen Trümmern
    Vom Lager "Serdasht" im Sinjar-Gebirge nach Sinjar-Stadt. Beim Eintreffen wird deutlich, was die junge Frau in den Bergen gemeint hat. Die Stadt, die einmal fast 90.000 Einwohner gezählt haben soll, ist in weiten Teilen kaum mehr als eine Trümmerlandschaft, auf den Straßen liegen Scherben von geborstenen Fensterscheiben, liegt Hausrat, der von Plünderern liegengelassen wurde.
    "La illaha ilallah": "Es gibt keinen Gott außer Gott" steht auf einer übrig gebliebenen Wand eines zerbombten Hauses
    Die Überbleibsel vom IS an einer Hauswand in Sinjar-Stadt - mit dem für die Terrororganisation typischen Schriftbild "La illaha ilallah": "Es gibt keinen Gott außer Gott" (Deutschlandradio / Susanne El Khafif)
    Die Altstadt ist komplett am Boden; in den neueren Vierteln steht vielleicht noch jedes zweite Haus; wahrscheinlich weniger. Viele Dächer sind eingedrückt – Folgen des Bombardements aus der Luft, mit dem die Anti-IS-Koalition die Terroristen niederringen wollte. Dazu die Zeugnisse der Bodengefechte vom Herbst 2015, als der IS endgültig besiegt wurde: Kaum ein Haus, das noch steht, und dessen Mauern nicht von Einschusslöchern gezeichnet sind. Und auf manchen Hauswänden prangt noch in Schwarz "Es gibt keinen Gott außer Gott" - das Glaubensbekenntnis der Religion, in deren Namen der IS glaubt, auf bestialische Weise töten zu dürfen.
    Das Ausmaß der Zerstörung ist beklemmend. Und doch gibt es Menschen, die nach Sinjar-Stadt zurückkehrt sind; gibt es Kinder, die in den Trümmern spielen.
    "Wir kamen zurück, als Freiwillige, ohne Sold"
    Vor einer Ladenzeile, die noch in Teilen steht. Hier hat Sabry sein kleines Geschäft, er verkauft Konserven, Getränke, das Nötigste. Sabry ist Vater von acht Kindern, ein großer stattlicher Mann. Seit zwei Jahren ist er zurück. Er will für die Peschmerga und die ersten Rückkehrer da sein.
    Wie viele andere Jesiden war er 2014 zunächst geflohen, schloss sich dann aber später den Peschmerga an. Er wollte der Ohnmacht, die er empfunden hatte, als die Terroristen über das Sinjar hergefallen waren, etwas entgegensetzen. "Wir kamen zurück", sagt er, "als Freiwillige, ohne Sold. Und dann haben wir unser Land befreit."
    Ein Großteil von Sabrys Familie war den Häschern entkommen. Nur der Onkel und dessen Frau waren verschleppt worden, doch auch sie sind zurück, wurden über Mittelsmänner für viele Tausend Dollar zurückgekauft. Und: Baba Sheikh, das religiöse Oberhaupt der Jesiden, hat sie rehabilitiert. Sie hatten in der Gefangenschaft ihrem Glauben abschwören müssen und der Tante war Gewalt angetan worden.
    Es gebe keine Probleme damit, meint Sabry, die Gemeinschaft nehme alle wieder auf, auch die Frauen und Mädchen, die vergewaltigt wurden.
    "Sie werden willkommen geheißen", sagt er, "und werden als Jesiden wiedergeboren."
    Ein paar 100 Meter weiter hat die Familie von Nadia Zuflucht in einem Haus gefunden. Es ist nicht ihr eigenes. Die Familie stammt aus einem Dorf, das heute von den Hashd ash-Shabi, arabisch-schiitischen Milizen, kontrolliert wird.
    Nadia und ihre Familie waren drei Jahre im Flüchtlingslager und sind gerade erst zurück. Wie die Frauen in den Bergen klagt auch Nadia über die schlechte Versorgungslage in Sinjar-Stadt, kein Strom, kaum Wasser. Sie erzählt, dass sie immer wieder auf der Straße stehen, hoffen, dass ihnen ein vorbei fahrender Tanklaster etwas Wasser gibt.
    Allgegenwärtige Spannungen
    Ehemalige, zerbombte Ladenzeile in Sinjar-Stadt
    Ruinen in Sinjar-Stadt (Deutschlandradio / Susanne El Khafif)
    Die Spannungen, die verhindern, dass weit mehr Menschen nach Sinjar-Stadt zurückkehren, sind allgegenwärtig ...
    Wie im Gebirge wehen auch unten in der Stadt die Banner der verschiedenen bewaffneten Fraktionen: Die gelben Fahnen der KDP, der Partei von Masoud Barzani, dem Präsidenten der autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Hier haben die Peschmerga, haben Barzanis Soldaten Stellung bezogen - und die Rojava Einheiten, syrische Kurden, trainiert von Barzanis Leuten. Dann sind da die roten Fahnen der PKK und die Bilder von Abdullah Öcalan, dem Gründer der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei. Neben ihnen die gelb-grünen Fahnen der YPG, eine ebenfalls syrisch-kurdische Miliz; aufgestellt wiederum von der PKK. Im Grau der Zerstörung: ein Farben-Spiel - bunt und gefährlich!
    Im August 2014 wurden die irakisch-kurdischen Peschmerga, die bis dahin das Sinjar kontrollierten, von den vorrückenden IS-Terroristen überrascht. Die Peschmerga flohen; ließen die Jesiden ohne Waffen zurück. In dieser Situation kamen PKK-Trupps und syrische YPG-Kämpfer den Jesiden zur Hilfe. Dann, im November 2015, schlugen irakisch-kurdische Peschmerga Seite an Seite mit PKK-Milizionären und deren syrischen Verbündeten den IS zurück. Doch die Befreier blieben und fielen in alte Rivalitäten zurück.
    Die PKK behauptet, ihre Präsenz im Sinjar sei wichtig. General Ashti Kocar sieht das anders.
    Ein paar Kilometer von Sinjar-Stadt entfernt. Der General hat zum Tee in seine stark gesicherte Bastion geladen. Der Schnurrbart, den der kleine, stämmige Mann trägt, ähnelt dem seines Vorbildes – ähnelt dem von Präsident Masoud Barzani. Der General ist ein wichtiger Mann. Er steht allen Peschmerga im Sinjar vor - gut 10.000 Männern und Frauen. Er sagt: Die PKK hat nichts in seiner Region verloren.
    "Einige Peschmerga-Generäle mögen 2014 vor dem IS geflohen sein", gesteht er ein, doch dann seien die Peschmerga zurückgekommen und hätten das Sinjar befreit. Richtig: mit der PKK. Aber jetzt sollten deren Kämpfer abziehen – zusammen mit ihren Verbündeten - denn ihre Feinde säßen woanders; in der Türkei und in Syrien. "Solange sie hier sind", sagt General Ashti, "greift die türkische Luftwaffe die PKK bei uns an – und gefährdet uns alle!"
    Die Konflikte zwischen den Kurden-Fraktionen sind ein Grund für die Instabilität. Ein anderer ist die Präsenz der arabisch-schiitischen Milizen, der Hashd al-Shaabi. Gut 30 Kilometer Luftlinie von Sinjar-Stadt haben sie sich festgesetzt. General Ashti ist davon überzeugt, dass dahinter Teheran stecke.
    Neben der Türkei ist auch der Iran Regionalmacht; eine, die im Irak viel Einfluss hat. Fest steht: Der Iran bildete die Hashd al-Shaabi für den Kampf gegen den IS aus, war damit aktiv involviert. Der Iran dürfte dabei weitere Interessen im Blick haben: Die Hashd al-Shaabi kontrollieren mittlerweile im Irak einen zentralen Landweg zwischen dem Iran und Syrien; einen Landweg, der am Sinjar-Gebirge vorbeiführt. Über diesen Landweg aber kann Teheran seine Verbündeten in Syrien und selbst im Libanon versorgen: Bashar al-Assad und die Hisbollah.
    Zudem können die Hashd der Regierung in Bagdad, die mit dem Iran liiert ist, von Nutzen sein - angesichts des Unabhängigkeitsreferendums, das am 25. September in Irakisch-Kurdistan ansteht. Bagdad ist gegen das Referendum – auch weil in den Gebieten abgestimmt werden soll, die umstritten sind: zu Beispiel im Sinjar. Für Bagdad gehört das Gebiet zum Zentral-Irak; doch auch Irakisch-Kurdistan reklamiert es für sich.
     Eine jesidische Familie kommt in der Tempelanlage von Laleesh zusammen
    Der Zusammenhalt unter den Jesiden ist groß - Hilfe aus dem Ausland hingegen erhalten sie aktuell kaum (Deutschlandradio / Susanne El Khafif)
    Kaum Hilfe von außen
    'Waffen verboten' – dieses Schild prangt am Eingang zur einzigen Klinik von Sinjar-Stadt: Im Eingangsbereich warten ein paar Alte und Mütter mit ihren Kindern. Zwar gibt es auch hier selten Wasser und Strom, doch immerhin: Seit kurzem kommen zwei Ärzte, vormittags zweimal die Woche. Die Versorgung ist minimal. Die Ärzte verabreichen Medikamente, Operationen aber müssen in Dohuk vorgenommen werden, etwa drei Autostunden entfernt.
    Die Klinik in Sinjar-Stadt wird seit August betrieben, weil es eine internationale Nichtregierungsorganisation möglich macht. MEDAIR. Ansonsten scheint es keine weitere ausländische Hilfsorganisation zu geben, die in Sinjar-Stadt tätig ist. Auch die Vereinten Nationen machen sich rar. Obwohl sich der stellverstretende UN-Sondergesandte für den Irak erst kürzlich deutlich besorgt um das Schicksal der Jesiden zeigte. Doch auch die Vereinten Nationen verweisen auf den Mangel an Sicherheit.
    Die Folge: Es gibt auch zwei Jahre nach der endgültigen Befreiung von Sinjar-Stadt kaum Wiederaufbau und keine Grundversorgung. Eine große Zahl der Flüchtlinge, die zurückkommen will, ist damit dazu verdammt, weiter in den Lagern auszuhalten – am Tropf internationaler Geldgeber.
    Saad ist zurückgekehrt, voller Hoffnung, aus einem Lager für Binnenvertriebene in Dohuk. Ein junger Mann mit gegeltem Haar und in modischem T-Shirt.
    Er hat chronische Schmerzen, sieht keine Heilung im Irak, hofft, sie im Ausland zu finden, will eigentlich nur weg aus seiner Heimat - obwohl er Englisch studiert hat und womöglich gute Chancen als Übersetzer hätte.
    Das Sinjar ist ein Problem, für das es keine Lösung gibt. Für Saad steht fest: "Entweder die Jesiden gehen fort. Oder sie bekommen Schutz – Schutz aus dem Ausland!"
    Hoffen auf Akzeptanz und Frieden
    Zurück nach Laleesh, dort, wo für die Jesiden alles begann.
    Und wo alles immer wieder neu beginnt Lukman Mahmoud, der Hüter dieses Ortes erzählt, dass Frauen und Mädchen nach Laleesh kämen - nachdem sie Monate-, manchmal Jahre lang von ihren Peinigern versklavt und vergewaltigt wurden. In Laleesh würden sie erneut mit dem heiligen Wasser besprenkelt – "rein" gewaschen von der Schande, die der IS über sie gebracht habe.
    Doch wie geht Lukman mit der jüngsten Vergangenheit um? Kann es nach all dem Grauen, nach all dem Verrat noch Versöhnung geben – mit den einstigen Nachbarn, den sunnitischen Arabern? Mit der Mehrheit der Kurden, die ebenfalls sunnitisch ist?
    Es sei gleichgültig, sagt Lukman, ob es sich um Kurden oder Araber handle. Sie alle beteten gen Mekka in Richtung Osten. Es gehe auch nicht darum, dass die Jesiden den Muslimen verziehen. Es seien vielmehr die Muslime, die lernen müssten, die Jesiden als Andersgläubige zu akzeptieren. Solange das nicht geschehe, solange würden sich die Jesiden in die entgegengesetzte Richtung orientieren – zum Grenzübergang in die Türkei. Da beginne der Westen!