Die europäischen Abgeordneten sind privat nach Indien gereist, das hat auch das EU-Parlament extra betont. Und auch das indische Außen- und Innenministerium haben gesagt, sie hätten mit dem Besuch nichts zu tun. Seltsam nur, dass die privat gereisten Politiker sich sogleich mit dem Premierminister von Indien haben treffen können, mit dem indischen Außenminister und dem nationalen Sicherheitsberater. Welchem privaten Besucher wird eine solche Gelegenheit jemals geboten? Inhaltlich scheinen genau diese Abgeordneten auf einer Linie mit Indiens Regierungspartei zu liegen: Der indische Premierminister Narendra Modi ist ein bekennender Hindunationalist: "So you can say yes, I am a hindunationalist."
Das sagte Narendra Modi ein Jahr vor seinem Amtsantritt im Jahr 2014 der Nachrichtenagentur Reuters. Und seitdem er im Amt ist, sind die Beziehungen zum muslimischen Nachbarland Pakistan wieder extrem angespannt. Viele Muslime in Indien, die rund 14 Prozent der indischen Bevölkerung ausmachen, fühlen sich von der hindunationalistischen Regierung ohnehin ausgegrenzt. Politiker der Regierungspartei wollen aus Indien einen Hindu-Staat machen, was genau das Gegenteil von der derzeitigen säkularen Verfassung wäre. Und nun durften die privat gereisten rechten Parlamentarier, die meisten nicht unbedingt als besonders Muslim-freundlich bekannt, in die Krisenregion Kaschmir fliegen, was seit drei Monaten nicht einmal den Abgeordneten von der indischen Opposition erlaubt wird.
Seit Modi im Amt ist, sind die Beziehungen zu Pakistan extrem angespannt
Der indische Premierminister Modi sagte, er wollte den europäischen Delegierten damit die Möglichkeit geben, zu verstehen, welche Entwicklungsziele Indien in der Region Kaschmir erreichen will. Die Region war bislang Teil des einzigen Bundesstaates in Indien, in der mehrheitlich Muslime lebten. Seit Donnerstag ist aus dem Bundesstaat ein so genanntes Unions-Territorium geworden, was bedeutet, dass die Menschen aus Kaschmir nun direkt aus Delhi regiert werden. Dabei wollen vor allem die Muslime in der Region am liebsten unabhängig sein von Indien. Nur wenige Stunden, bevor die EU-Parlamentarier in Kaschmir gelandet sind, hat es an mehreren Orten in Srinagar, der größten Stadt der Region, Proteste gegeben gegen die indische Regierung. Ein Video der Nachrichtenagentur AP zeigt maskierte Demonstranten, die Steine auf ein Militärfahrzeug werfen. Einer von ihnen, mit einem Motorradhelm auf dem Kopf, gibt der Nachrichtenagentur ein kurzes Interview:
"Unsere Leute werden abgeschlachtet ..."
"Seit mehr als 80 Tagen protestieren wir hier, aber das scheint ja niemanden auf der Welt zu interessieren. Unsere Leute werden abgeschlachtet, alles ist geschlossen, die komplette Kommunikation ist lahmgelegt."
Von den Protesten haben die europäischen Abgeordneten nichts gesehen, die Straßen waren komplett abgesperrt, als die Gruppe in mehreren schwarzen SUVs zu ihrem ersten Termin gefahren ist. Zu einem Militärstützpunkt der indischen Armee in Srinagar. Hunderttausende Soldaten sind in der Krisenregion Kaschmir stationiert. Und seitdem die indische Regierung dem Bundesstaat im Sommer den Sonderstatus entzogen hat, sind noch zehntausende mehr dazu gekommen. Auf dem Weg nach Kaschmir hat der EU-Parlamentarier Nathan Gill von der Brexit-Partei kurz mit der indischen Nachrichtenagentur ANI gesprochen:
"Für uns ist das nun eine gute Möglichkeit als ausländische Delegation in Kaschmir zu sein und aus erster Hand zu sehen, was hier genau vor sich geht."
Haben sie wirklich alles gesehen? Genau das bezweifeln viele. Die ehemalige Ministerpräsidentin von Kaschmir, Mebooba Mufti, die wie tausende andere Menschen auch seit August inhaftiert ist, ließ von ihrer Tochter über Twitter mitteilen, dass es sich um ein "betreutes Picknick" gehandelt habe, was mit den Parlamentariern dort veranstaltet wurde, denen eine "orchestrierte Normalität" vorgesetzt worden sei.
Kritik an der Reise der rechten EU-Parlamentarier
In der Tat haben die indischen Fernsehsender Videos gezeigt, auf denen die EU-Abgeordneten über den malerischen Dal-See gerudert wurden. In der englischsprachigen Presse in Indien gab es heftige Kritik an dieser skurrilen Reise, einige zitierten auch den Muslimführer Omaisi, der gesagt hatte, dass Nazis nach Kaschmir gereist seien, die gegen den Islam seien. Das hat die EU-Parlamentarier sehr verärgert, der Franzose Thierry Mariani von der Partei von Marine Le Pen hat sich auf einer Pressekonferenz darüber beschwert:
"Wir wollen uns gar nicht in die indische Politik einmischen. Und dann lese ich, dass ich ein Nazi sei. Schauen Sie sich bitte meine Biographie an, ich bin 14 Mal gewählt worden in Frankreich, das wäre nie der Fall, wenn ich eine solche Ideologie verfolgen würde. Bitte recherchieren Sie, bevor Sie so etwas behaupten."
Dass die meisten Menschen in Kaschmir nach wie vor keinen Internetzugang haben, wahllose Menschen verhaftet werden, die Menschen dort kein Versammlungsrecht haben, davon werden die EU-Parlamentarier am Rande auch mitbekommen haben. Aber die Botschaft der indischen Regierung, die sie mitgeben wollte, ist definitiv bei den Abgeordneten eins zu eins so angekommen: Islamistische Terroristen sei das Hauptproblem von Kaschmir:
"Hier kann eine Entwicklung stattfinden, deswegen, wegen des Terrorismus", sagt Henri Maloose aus Frankreich: "Die internationale Gemeinschaft muss gemeinsam gegen Terrorismus vorgehen."
Das indische Außenministerium hat versichert, dass man in naher Zukunft auch anderen ausländischen Gruppen den Zugang nach Kaschmir erleichtern möchte. Und fügt hinzu, dass die Auswahl der ersten Besucher, also der rechten EU-Parlamentarier, nicht tendenziös gewesen sei.