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Besuch bei Pluto
Der Weltraum als Denkmuster der Politik

Der Flug einer Raumsonde zum Zwergplaneten Pluto bietet einige Ansatzpunkte für Vergleiche mit der Politik auf der Erde. So scheint es, dass in der Griechenlandkrise grundsätzlich nach Pluto-Bedingungen kommuniziert wird: Ein Funksignal braucht fünf Stunden, zehn Stunden dauert es bis zur Antwort.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Pluto und Charon vor einigen Tagen
    Pluto und Charon vor einigen Tagen (NASA)
    4,2 bis 7,5 Milliarden Kilometer weit ist Pluto von der Erde weg - eine eigentlich unvorstellbare Zahl. Doch allmählich bekommen wir Routine im Umgang mit eigentlich unvorstellbaren Zahlen. Wie war das mit den europäischen Finanzen, mit diversen Rettungsschirmen, Notfallkrediten, Hilfsprogrammen? Der Weltraum ist das Denkmuster der Politik, oder wie die Angelsachsen sagen: "The sky ist the limit."
    Deshalb ist das Pluto-Projekt noch um ein paar Deutungsmöglichkeiten reicher als die normale Raketenschießerei ins All. Deren Attraktivität beruht ja im Wesentlichen auf der Lust meist männlicher Menschen, auf weit entfernte Gegenstände zu zielen. Das ist ein offenbar naturgegebenes Bedürfnis, welches evolutionsgenetisch mit dem Jagdtrieb und prähistorischen Ernährungsnotwendigkeiten zusammenhängen mag, jedenfalls gibt es vom Stein- und Speerwurf über die Armbrust und die Feuerwaffe bis zur Atlas V-Trägerrakete eine allumfassende Faszination des Visierens, Schießens und Treffens – eine Faszination, die allerdings, wenn zwischen Start und Ziel des Projektils neun Jahre Flugzeit liegen, ins Astronomische gesteigert wird.
    Ein Funksignal braucht fünf Stunden, um vom Pluto bis zu uns zu gelangen, das heißt, zehn Stunden würde jede Antwort dauern, wenn man mit jemandem auf Pluto telefonieren wollte. Doch so reizvoll exotisch solche Zeitverhältnisse im Sinne der vielbeschworenen Entschleunigung erscheinen mögen, auch sie kommen uns auf politischem Gebiet nur zu bekannt vor. Telefoniert die Euro-Gruppe nicht grundsätzlich zum Pluto-Tarif mit maximal verzögertem Signal - und das schon während ihres jahrelangen Fluges durch den leeren Raum?
    Gewiss, die "New Horizons"-Expedition verdankt sich auch unserem Wissensdurst und der faustischen Suche nach dem absolut Neuen, Unerhörten und noch nie Gesehenen. Fast auf die Stunde genau 150 Jahre, bevor die Pluto-Sonde gestern ihr Ziel erreichte, waren sieben Leute erstmals auf das Matterhorn geklettert, den damals letzten noch unbezwungenen Alpengipfel. Sie waren mit einer rivalisierenden Mannschaft fast um die Wette gerannt. Was für eine monumentale Sinnlosigkeit lag in dieser Eile, da doch die Berge schon so lange dastanden!
    Auch die aktuelle Pluto-Aufregung ist relativ sinnlos; der dichte Taktschlag irdischer Nachrichtengebung passt so gar nicht zu den interplanetarischen Zeitverhältnissen. Aber dass wir diese Inkommensurabilität überhaupt einmal spüren, bildet vielleicht den wichtigsten Gewinn der ganzen Mission. Im Übrigen können wir Pluto jetzt abhaken, so wie es Edward Whymper mit dem Matterhorn machte. Auf der Erde gibt es so gut wie kein unbetretenes Gebiet mehr; deshalb müssen wir einfach immer weiter fliegen.