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Besuch bei Tsipras
Erdogans Charme-Offensive

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan trifft heute in Athen auf den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Die Gespräche sollen in freundlicher Atmosphäre stattfinden - zumindest, wenn es nach Erdogan geht. Dabei gibt es heikle Streitpunkte zwischen Athen und Ankara, berichten die Korrespondenten beider Länder.

Christian Buttkereit und Michael Lehmann im Gespräch mit Anne Raith |
    Die griechische und türkische Fahne.
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan besucht zum ersten mal Griechenland. Es ist der erste Besuch eines türkischen Präsidenten überhaupt seit 65 Jahren. (imago/Rainer Unkel)
    Anne Raith: Es ist sein erster Besuch in Griechenland als Präsident, der erste Besuch eines türkischen Präsidenten überhaupt seit 65 Jahren, obgleich Recep Tayyip Erdogan als Ministerpräsident durchaus schon zu Gast war, in Athen.
    Sein Besuch fällt nun aber in eine Zeit, in der die türkischen Beziehungen zu nicht wenigen europäischen Hauptstädten eingetrübt sind, allen voran zu Berlin. Und auch das türkisch-griechische Verhältnis ist nicht frei von Spannungen.
    Was also erwarten Ankara und Athen voneinander? Darüber wollen wir vor dem zweitägigen Besuch mit unseren Korrespondenten in der Türkei und in Griechenland sprechen mit Christian Buttkereit und Michael Lehmann. Guten Morgen!
    Michael Lehmann: Guten Morgen!
    Christian Buttkereit: Schönen guten Morgen!
    Raith: Christian Buttkereit in Istanbul, es ist von einer "Charme-Offensive" Erdogans die Rede. Mit welcher Intention reist denn der türkische Präsident nach Athen?
    Buttkereit: Die Türkei würdigt mit diesem Besuch, dass sich Griechenland um ein gutes Verhältnis zum großen Nachbarn bemüht hat, auch, als es eben zwischen der EU und der Türkei gekracht hat, vor allem eben auch mit Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Im türkischen Interesse sind aber auch wirtschaftliche Fragen. Mit der allmählichen Erholung der Konjunktur in Griechenland wird das Land für den Absatz türkischer Produkte wieder interessanter. Gut möglich, dass Erdogan in Tsipras auch einen Fürsprecher sucht, um doch noch zu einer Erweiterung der Zollunion mit der EU zu kommen. Außerdem stehen einige Infrastrukturgroßprojekte auf der türkischen Wunschliste. Die Türkei macht so was ja gern. Geplant ist jetzt unter anderem eine neue Brücke über die Grenze. Es soll eine neue Fährverbindung von Izmir nach Thessaloniki geben und einen Schnellzug von Istanbul nach Griechenland.
    Raith: Herr Lehmann, wie wird das denn bei Ihnen gespiegelt? Mit welchen Erwartungen wird Erdogan in Athen empfangen?
    Lehmann: Rein äußerlich wirkt das alles sehr aufgeräumt. In dieser Stunde wird die Landung der Präsidentenmaschine am Athener Flughafen erwartet, und es ist dort ein Sonderparkplatz eingerichtet. Schwarze Limousinen sind aufgefahren, Minibusse, gestern in der Stadt schon sehr viel Sicherheitspersonal unterwegs. Aber wenn man nachfragt, dann überwiegt dann doch die Skepsis, was die Ergebnisse, die möglichen Ergebnisse dieses Besuchs angeht. Erdogan selbst, die türkische Seite hat ihn wohl eingefädelt, und es gab auch sehr viele Diskussionen hinter den Kulissen, was man denn von griechischer Seite an Bedingungen stellen könnte, damit das eben nicht zu einer ungewollten Machtdemonstration verkommt. Auch das ist die Sorge.
    Ungeklärte Grenzstreitigkeiten sorgen immer wieder für Unruhe
    Raith: Es gibt ja eine Reihe von Konfliktpunkten zwischen den beiden: Den Flüchtlingsdeal, von dem beide ja sehr abhängig sind, dann aber auch die Auslieferung türkischer Militärs, die nach dem Putsch nach Griechenland geflohen sind, oder die ungeklärten Grenzstreitigkeiten zwischen beiden Ländern, die, Herr Lehmann, für die Griechen ja auch immer wieder zu spüren sind.
    Lehmann: Ja, es gibt in diesem Grenzverlauf in der Luft, aber auch im Wasser immer wieder Manöver, die auf griechischer Seite für Sorgen sorgen, zum Beispiel die Dog Fights von Kampfjets. Das sieht nicht nur gefährlich aus, das ist auch gefährlich. Interessanterweise gab es gestern ein im griechischen Fernsehsender SKAI ausgestrahltes Interview mit Erdogan, darin hat er auf diese Dog Fights eher ein bisschen schmunzelnd geantwortet und gesagt, na ja, er kennt seine Piloten, sagt ihnen auch immer wieder, sie müssen ein bisschen aufpassen. Aber sie müssten ja auch schließlich trainieren, auch gefährliche Manöver. Und in einem anderen Punkt hat er Dinge gesagt, die heute auch in der Presse in Griechenland fast schon wütend kommentiert werden. Er hat nämlich die Verträge, was die Grenzziehung zwischen Griechenland und der Türkei angeht, die Verträge von Lausanne, den wichtigen Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg, mehr oder weniger in Frage gestellt, indem er gesagt hat, da müsse man doch auch mal modernisieren. Und das hört man natürlich auf griechischer Seite überhaupt nicht gern.
    Raith: Wie ernst sind denn, Herr Buttkereit, diese Manöver aus türkischer Sicht zu nehmen, und das, was Erdogan jetzt angekündigt hat?
    Buttkereit: Man muss das, glaube ich, unterscheiden. Das eine ist tatsächlich eine Provokation Griechenland gegenüber, der eben auch dieser Streit um die Seegrenze zugrunde liegt. Es ist ja festgelegt im Vertrag von Lausanne, dass eben alles, was mehr als drei Seemeilen von der türkischen Küste entfernt liegt, zu Griechenland gehört, außer die Inseln sind namentlich erwähnt. Hier geht es wohl um acht kleinere unbewohnte Inseln, die zum Teil eben nur 3,2 Seemeilen von der türkischen Küste entfernt sind. Und das nutzt die Türkei, glaube ich, schon als Provokationsmasse Griechenland gegenüber. Aber man darf auch nicht vergessen, dass so eine Machtdemonstration an den Außengrenzen natürlich auch immer ein Signal nach innen ist, an die türkischen Nationalisten, auf deren Stimmen Erdogan sicherlich auch bei den nächsten Wahlen wieder angewiesen sein wird.
    Umstrittener Besuch bei der türkischen Minderheit in Griechenland
    Raith: Stichwort Signal. Morgen will Präsident Erdogan ja die türkische Minderheit in Griechenland besuchen. Welches Signal soll von diesem Treffen, von diesem Termin ausgehen?
    Buttkereit: In Westthrakien leben etwa 80.000 bis 120.000 Muslime, ein guter Teil von ihnen sind ethnische Türken. Sie genießen einen international verbrieften Minderheitenschutz. Aber die Türkei kritisiert seit Jahren, dass nicht alles, was auf dem Papier garantiert wird, auch praktiziert wird. Zum Beispiel, dass es zu wenige Schulen gibt, in denen die Kinder dieser Minderheit auf Türkisch unterrichtet werden. Kinder von muslimischen Familien, die grenznah wohnen, gehen deshalb zum Teil sogar in der Türkei zur Schule. Erdogan sieht sich als Schutzpatron der Muslime weltweit, das haben wir ja zum Beispiel bei der Rohingya-Krise auch erlebt, und natürlich sieht er sich erst recht als solcher, wenn es um die Muslime in der unmittelbaren Nachbarschaft geht. Also ein ganz klares Signal, die Türkei steht euch bei.
    Raith: Und wie wurde, Herr Lehmann, dieser Termin oder diese Terminankündigung in der unmittelbaren Nachbarschaft, also in Griechenland, wahrgenommen?
    Lehmann: Da soll es innerhalb der griechischen Regierung die meisten Diskussionen gegeben haben, um diesen Wunsch Erdogans, nach Thrakien auch hochzufliegen, und er wird das ja morgen schon sehr früh tun. Es hieß, dass möglicherweise sogar daran der Besuch hätte scheitern können. Man will eben auf keinen Fall, dass Erdogan von einem Balkon möglicherweise heraus, nach einem Freitagsgebet ein Signal in Richtung Heimat senden kann, dass ihm nutzt, aber das vielleicht in Griechenland selbst dann für Unruhe sorgt. Man akzeptiert die türkische Minderheit dort, es ist die offizielle Lesart hier in Athen. Und man hofft, dass dieser Besuch, so versucht man das hier auch der griechischen Bevölkerung zu verkaufen, hauptsächlich einen privaten Charakter haben wird. Davon geht man aus. Aber natürlich ist man gespannt, was denn da tatsächlich morgen Vormittag an Bildern auch zu sehen und zu erleben sein wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.