Alte Menschen gehören zu den Hauptrisikogruppen der Lungenkrankheit COVID-19, die durch das sehr ansteckende Coronavirus ausgelöst wird. Viele Altenheime haben deshalb zu drastischen Maßnahmen gegriffen. Angehörige dürfen mancherorts nicht mehr zu Besuch kommen, oder Heimbewohner dürfen das Haus nicht mehr verlassen.
Wir sprechen darüber mit der Juristin Ulrike Kempchen vom BIVA-Pflegeschutzbund. Diese Organisation setzt sich für die Rechte von Bewohnerinnen und Bewohnern aller Heimarten und Wohnformen ein, für Selbstbestimmtheit im Alter und auch bei Behinderung.
Jule Reimer: Frau Kempchen, die Maßnahmen schwanken zwischen Besuchsverbot und, na ja, ein Angehöriger darf maximal noch kommen. Ist das alles rechtens?
Ulrike Kempchen: Guten Tag, Frau Reimer! Ja, das ist durchaus rechtens, wenn entsprechende Erlasse von den Bundesländern herausgebracht wurden. Jedes Bundesland war da tätig, um die Situation zu regeln, und hat entsprechend entweder Besuchseinschränkungen oder sogar Besuchsverbote verhängt.
Jedes Land regelt das individuell
Reimer: Das heißt, man muss auch vielleicht mal schauen, was pro Bundesland gilt?
Kempchen: Ganz genau, richtig. Wir haben auf unserer Homepage eine Übersicht gegeben über alle Bundesländer, denn die Regelungen sind durchaus unterschiedlich. Jedes Land regelt dort individuell.
Reimer: Wie sieht es aus mit dem Verbot, das Heim zu verlassen, zum Beispiel sich mit Angehörigen vor dem Haus auf der, was weiß ich, Parkbank zu treffen?
Kempchen: Das ist tatsächlich ein schwieriges Thema, weil Sie in den Erlassen der Länder zu Ausgangsregelungen eigentlich keine Regelungen finden. Sie haben Besuchsverbote geregelt oder Besuchseinschränkungen, aber die Ausgänge sind nicht geregelt, und wenn Sie jemandem verbieten, ein Haus zu verlassen, haben Sie quasi eine Ausgangssperre.
Eine solche kann natürlich aufgrund eines Gesetzes oder auch gerichtlich angeordnet werden, aber derzeit haben wir keine flächendeckenden Ausgangssperren, so dass gerade für die Menschen, die sehr verletzlich sind, dieser Ausgang eigentlich nicht verboten ist, aber eingeschränkt wird, weil die Heime entsprechend befürchten, dass Keime "eingeschleppt" werden.
"Eine Situation, die kennen wir so noch nicht"
Reimer: Man muss natürlich auch die Situation der Heimleitungen sehen. Die sind da zwischen Baum und Borke. Wenn tatsächlich etwas passiert, wenn sich mehrere Leute anstecken, vielleicht sogar sterben, dann ist natürlich auch für die die Hölle los.
Kempchen: Das ist natürlich alles nachvollziehbar. Wir haben hier eine Situation, die kennen wir so noch nicht, mit einem neuen Virus, der sich rasend schnell verbreitet und gerade für ältere Menschen eine tödliche Folge haben kann.
Auf der anderen Seite haben wir Menschen in den Einrichtungen, die absolut darauf angewiesen sind, auch Sozialkontakte zu haben mit Angehörigen, die auch wie wir alle ein Stück weit in die Sonne raus möchten, frische Luft haben möchten. Dann eingesperrt zu sein in einer Einrichtung, ist schon sehr bitter, und dann muss man gucken, wie ist die Verhältnismäßigkeit gewahrt zwischen Schutz auf der einen Seite und Freiheitsgedanken oder auch einfach Sozialkontakten auf der anderen Seite.
Reimer: Das heißt, wie ist sie gewahrt, oder welche Lösung, meinen Sie, könnte man suchen?
Kempchen: Man müsste mal schauen, wie man hier mit allen Vorkehrungen an Sicherheitsmaßnahmen, die bekannt sind, verfahren kann. Wenn Sie einen Menschen "fertig verpackt" mit dem Rollstuhl zum Beispiel an die Tür schieben und ein Angehöriger, der auch alle Sicherheitsvorkehrungen einhält, durch den Garten der Anlage spazieren geht, oder mit Abstand auf der Bank sitzt, so dass die pflegebedürftige Person merkt, hier ist jemand für mich da, meine Angehörigen, ich bin an der frischen Luft, dann kann man die Probleme oder Gefahren tatsächlich einschränken. Es bedarf dafür nur Ideen und natürlich auch eines Personaleinsatzes, und da ist die Frage, ist der gegeben vor Ort.
"Wir haben schon in Normalsituationen einen Personalmangel"
Reimer: Demenzkranke sind nicht so einfach zu steuern. Auf der anderen Seite sagte mir jemand am Wochenende, seine Mutter würde ihn gar nicht mehr kennen.
Kempchen: Ja, die Angst haben viele Angehörige, gerade bei demenziell Erkrankten. Die vergessen schlicht und einfach ihre Bezugsperson, wenn sie sie eine Zeit lang nicht sehen. Viele befürchten einen Schub in der Demenz und wieder andere Angehörige haben kommuniziert, dass sie befürchten, dass die Versorgung nicht optimal läuft, weil sie sonst tagtäglich zum Beispiel das Essen anreichen, oder bei anderen Pflegearbeiten unterstützen.
Reimer: Was sagen Sie in dem Fall?
Kempchen: Wir hoffen alle natürlich, dass die Einrichtungen ihrem Auftrag gut nachkommen und dass sie möglichst wenig Defizite beim Personal haben, dass da möglichst wenige erkrankt sind. Aber wir haben tatsächlich auch schon in Normalsituationen einen Personalmangel. Der verschärft sich natürlich jetzt, so dass wir denken, dass einige Befürchtungen realistisch sind.
"Grundsätzlich immer Gefahren, Keime einzuschleppen"
Reimer: Sagen Sie bitte noch ganz kurz. Eine große Sorge ist, die Heimbewohner könnten sich infizieren, müssen dann ins Krankenhaus, sind auf der Intensivstation. Ist da ein Kontaktverbot zulässig?
Kempchen: Krankenhäuser haben noch mal etwas andere Vorschriften als Einrichtungen. Beim Kontaktverbot in der Einrichtung müssen Sie bitte auch bedenken, auch das Personal kommt jeden Tag in die Einrichtung, fährt nach Hause zu den Familien. Es sind grundsätzlich immer Gefahren da, Keime einzuschleppen. Hier kommt es darauf an, wie die Sicherheit oder auch die Hygiene gewahrt wird, und das müssen alle Beteiligten und auch die Angehörigen natürlich.
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