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Beth Orton
"Ich habe alles über den Haufen geworfen"

Die englische Musikerin Beth Orton ist Mitte der 1990er-Jahre durch ihren "Folktronica"-Sound bekannt geworden, also einer Mischung aus Folksongs und elektronischen Elementen. Ihr neues, siebtes Album "Kidsticks" hat sie nicht in ihrer Heimatstadt London, sondern in Los Angeles aufgenommen. Warum man sich manchmal entwurzeln muss, darüber hat sie mit Anke Behlert gesprochen.

Beth Orton im Gespräch mit Anke Behlert |
    Die englische Musikerin Beth Orton präsentiert ihr neues Album
    Die englische Musikerin Beth Orton präsentiert ihr neues Album (Foto:Tierney Gearon / Epitaph/ANTI- Records )
    Anke Behlert: Beth Orton, auf Ihrer Facebook-Seite haben Sie vor kurzem geschrieben, dass Sie etwas Neues begonnen haben, was Sie sehr viel Mut gekostet hat. Können Sie das näher erklären?
    Beth Orton: Als ich das auf Facebook geschrieben habe, hab ich es eigentlich sofort bereut. Ich dachte mir schon, dass dann alle fragen würden: Wieso musstest du mutig sein? Das ist ein bisschen schwierig zu beantworten. Ich habe bei Null angefangen ein neues Instrument zu lernen. Jahrelang habe ich Songs auf der Gitarre geschrieben und daran gearbeitet, eine gute Gitarristin zu sein und mein Handwerk zu perfektionieren. Nachdem ich dann bei dem Folk-Sänger und Gitarristen Bert Jansch Unterricht genommen und mit ihm Musik gemacht hatte, habe ich diesen vertrauten Weg verlassen und etwas komplett anderes gemacht. Das finde ich mutig.
    Behlert: Ihr neues Album haben Sie "Kidsticks" genannt, was steckt dahinter?
    Orton: Ich habe das Album "Kidsticks" genannt, weil ich erst mal überhaupt keine Erwartungen daran hatte. Der Produzent Andrew Hung und ich haben in einer Garage angefangen, daran zu arbeiten. Wir sind mit einer kindlich-naiven Haltung rangegangen. Der Song "Kidsticks" klang so, als würden Kinder mit Stöcken auf Flaschen hauen, also Musik mit den Sachen machen, die sie um sich herum finden. Es war erst nur ein Arbeitstitel, aber er ist geblieben. Ich fand ihn einfach sehr passend.
    Behlert: Dieses Album aufzunehmen war also nicht einfach ein weiterer Schritt in ihrer Karriere, sondern hat sich wie ein Neuanfang angefühlt?
    Orton: Ja, genau! Es ging nicht darum, an der Karriere zu arbeiten. Ich liebe meine Gitarre und ich werde auch weiterhin darauf spielen, aber das Instrument war für mich erst mal ausgereizt. Das Keyboard hingegen war für mich ganz neu, ich wusste auch nicht, wie man Songs darauf schreibt. Das Gleiche gilt fürs Produzieren, das hatte ich vorher auch noch nie gemacht. Aber ich hatte keine andere Wahl, denn Andrew war wieder nach London geflogen und ich in Los Angeles geblieben. Ich konnte ihm zwar Sachen schicken, aber hatte niemanden, den ich direkt nach einer zweiten Meinung fragen konnte.
    Behlert: Sie haben das Album in Los Angeles geschrieben und aufgenommen, welchen Einfluss hatte die Stadt auf die Platte?
    Orton: Wenn man schon älter ist und sich ein Leben aufgebaut hat, eine Familie hat und dann in eine neue Stadt zieht, kann das ein ziemlicher Kulturschock sein. Als würde man seine Geschichte und Identität aufgeben. Natürlich kann sich das aber auch positiv auswirken. Mittlerweile wohnen wir wieder in London, aber diese Entwurzelung zu dem Zeitpunkt hatte einen großen Einfluss auf das Album.
    "Es gibt dort natürlich auch unglaublich viel lächerliche Dummheit"
    Behlert: Wie hat Ihnen Los Angeles gefallen?
    Orton: Es hat mir sehr gut gefallen. Ich weiß, man darf L.A. eigentlich nicht mögen. Aber in Laurel Canyon, wo wir gewohnt haben, gab es eine richtige Community und es war sehr nett, das hatte ich nicht erwartet. Mein Mann ist Amerikaner und wir waren eigentlich nur dorthin gegangen um zu arbeiten, sind dann aber länger geblieben als geplant. Es gibt dort natürlich auch unglaublich viel lächerliche Dummheit. Aber ich habe auch ein paar großartige Menschen kennengelernt. Und die Natur ist wunderschön. Es ist ein sehr interessanter und inspirierender Ort, um zu schreiben.
    Behlert: Gibt es thematisch einen roten Faden auf dem Album?
    Orton: Nein, das Album selbst ist das Thema. Weil es ein Experiment war. Ich hatte gar keine Erwartungen, doch je mehr ich daran gearbeitet habe, desto mehr Schwung hat das Ganze bekommen und jetzt ist da. Das ist alles.
    Behlert: Ihr letztes Album "Sugaring Season" klang sehr nach Angekommen-Sein, dieses dagegen ist ruhelos und musikalisch passiert sehr viel. Wie haben Sie die Stücke geschrieben?
    Orton: "Sugaring Season" war die Antwort auf mein damaliges Leben. Damals war ich eins mit mir selbst. Für das neue Album habe ich das alles über den Haufen geworfen. Ich hatte erst ein paar einfache Loops, Andrew Hung und ich haben uns dafür verschiedene Sounds ausgedacht, das war sehr aufregend. Wir waren wie Kinder, haben uns gegenseitig angefeuert. In den darauf folgenden Monaten habe ich ein paar Melodien geschrieben. Ein Freund hat dann den Bass eingespielt, der die Loops und die Melodie wunderbar zusammenhält. Ich habe dann immer mehr Leute aus L.A. dazugeholt, alle haben sich eingebracht. Wir hatten kein schickes Studio, manchmal musste es auch schnell gehen. Bei meinen letzten Alben war ich immer sehr perfektionistisch. Dieses Mal war es das Gegenteil.
    "So kann die Musik atmen und führt auf gewisse Weise ein Eigenleben"
    Behlert: Und wie wussten Sie, wann die Songs fertig waren?
    Orton: Sie sind immer noch nicht fertig! Ich hätte noch weiter machen können, aber ich hatte kein Geld mehr. Ich konnte nichts mehr daran machen. Und als ich es dann doch versucht habe, hat sich das Universum irgendwie gegen mich verschworen. Alles, was ich dann probiert habe, funktionierte aus irgendwelchen Gründen nicht und Sachen gingen schief. Da wusste ich: Ok, das Album bleibt so.
    Behlert: Sie haben einmal erzählt, dass Sie am liebsten Songs schreiben, wenn "die Spinnen ihre Netze flicken" - also nachts oder in den frühen Morgenstunden. Machen Sie das immer noch?
    Orton: Ja, das mache ich immer noch. Ich liebe es, Songs zu schreiben. Jetzt, kurz bevor die Platte erscheint, schreibe ich aber gar nicht viel, hier und da mal eine Zeile. Das kommt eben alles auch zu seiner Zeit. Das hört sich vielleicht nach Hippiemist an, das Universum-Blabla, aber da ist schon etwas dran. Man kann so was nicht erzwingen. Bei meinem ersten Album "Trailer Park" war es ähnlich, da bin ich auch nicht dazu gekommen, ihm den letzten Schliff zu geben. Aber die Leute lieben dieses Album. Ich weiß natürlich nicht, ob es bei dem Neuen genauso wird, aber ich muss Vertrauen haben und damit zufrieden sein, auch wenn ich nicht alles perfekt machen konnte. So kann die Musik atmen und führt auf gewisse Weise ein Eigenleben. Wenn man sein Handwerk ganz genau machen will, kann es passieren, dass man es übertreibt und alles Lebendige wegnimmt. Das zu verstehen, war sehr wichtig für mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.