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Betonierte Antike

Sanfte Wartung Fehlanzeige: Die römische Ruinenstadt Pompeji verfällt. Doch statt die alten Villen behutsam zu restaurieren, wollen Berlusconis Kultur-Funktionäre aus Italien lieber ein kulturelles Disneyland machen.

Von Henning Klüver | 23.07.2011
    Pompeji verkommt. Pompeji verfällt. Ist Pompeji noch zu retten? Solche Schlagzeilen machten im Sommer vor drei Jahren die Berlusconi-Regierung hellhörig. Sie war nach einem Wahlsieg wieder an die Regierungsmacht gekommen und schickte einen Notkommissar, einen Beamten vom Zivilschutz, in das mit 66 Hektar Grundfläche größte Ausgrabungsgebiet Europas.

    Der Journalist und Publizist Gian Antonio Stella hat zusammen mit seinem Kollegen Sergio Rizzo in dem Buch "Vandali", "Wandalen" sich mit dem Problem des Erhalts vom Kulturschönheiten in Italien auseinandergesetzt. Er kommentiert:

    "In Italien gilt heute alles als Notstand. Und das ist ein großes Unglück, denn vor allem unter der Berlusconi-Regierung, aber nicht nur unter ihr, hat Italien die pflegliche Instandhaltung verlernt, heute herrscht überall die Logik des Notstandes."

    Denn eine Folge dieser Notstandspolitik ist, dass in Pompeji öffentliche Finanzmittel in Millionenhöhe zum Fenster hinaus geworden werden. Ein neuer, fix und fertig gestellter Eingangsbereich wird bislang nicht genutzt. Dagegen hat man einen monströsen Betonbunker als Lagerhalle Mitten im Ausgrabungsgebiet gebaut. Die Kosten explodierten dabei von veranschlagten 3,9 Millionen auf über 5 Millionen Euro. Derweil blättern Fresken ab, brechen antike Mauern zusammen und stürzen 2000 Jahre alte Häuser ein. Zur Wartung eines Hauses, eines antiken Domus, gehören eben Wärter, viele wurden jedoch entlassen und ihre Stellen gestrichen. Neben den Fresken bilden wohl die Mosaiken den größten Schatz der antiken Stadt. Aber es gibt längst keinen einzigen Mosaik-Handwerker mehr, und im Domus des Cecilio Giocondo wachsen Schimmel und Gras über Bodenbilder. Gian Antonio Stella:

    "Man lässt also etwas verkommen und dann versucht man es mit einem teuren Großeingriff wieder in Ordnung zu bringen. Das ist ein Riesenfehler. Dabei gehören Pflege, Wartung und Instandhaltung zur Geschichte Italiens. Wenn die Italiener sich nicht darum gekümmert hätten, dann würde es heute ein Siena nicht mehr geben. Dann gäbe es kein Venedig, Venedig ist ein Wunder der pfleglichen Wartung. Aber das ist es, was heute in Pompeji fehlt."

    Stella hatte mit einem Artikel im "Corriere della Sera" gezeigt, wie etwa die angebliche Restaurierung des antiken Großen Theaters unter Einsatz von Beton jedweder Denkmalspflege Hohn sprach. Sinn der Operation war es, das Theater für Großveranstaltungen von der Oper bis zum Schlagerfestival zu nutzen. Es geht darum, Pompeji besser zu "valorisieren", wie es in der Sprache der Kulturpolitiker heißt, die sich mehr um die Verwertung als um den Erhalt von Kulturgütern kümmern. Anfang des Monats wurde das Große Theater nun wegen der offensichtlichen brutalen Fehlrestaurierung gerichtlich beschlagnahmt und eine juristische Untersuchung eingeleitet.

    Damit wird erneut eine Kulturpolitik ad absurdum geführt, deren Ziel es ist, Italien zu einem "kulturellen Disneyland" zu machen. Das jedenfalls hatte der Manager Mario Resca, der vom Kulturministerium für Fragen der Verwertung engagiert worden ist, noch im Januar so wörtlich als Leitziel verkündet. In Pompeji wurden deshalb auch ganz auf Spektakel ausgerichtete Videoprojektionen aufgebaut. Und bei dümmlichen Internetauftritten lernt man die Namen der streunenden Hunde der Ausgrabungsstätte kennen. Allein die Zählung der 55 Tiere hat 100.000 Euro verschlungen, fast 2000 Euro pro Tier.

    "Um die Werte Italiens zu erhalten, muss man sich um die wirklichen Werte kümmern, um die Schönheit der Landschaften, die Schönheiten der Bauwerke, die Schönheiten der Kunstgegenstände. Wenn man alles in ein Las Vegas verwandeln will, warum sollen denn Besucher noch nach Italien kommen und nicht gleich nach Las Vegas fahren?"

    Gian Antonio Stella fühlt sich durch den Bericht einer UNESCO-Kommission bestätigt. Die kam nach einem Besuch der Ausgrabungsstätte zum Schluss, dass der Ort keine "theatralische Präsentation" benötige, das "nackte Pompeji in seiner Herrlichkeit" sei austrahlungskräftig genug, um steigende Einnahmen zu gewährleisten. Doch man müsse mit einem Pflegeplan die Wartung der Anlage und ihren Erhalt sicher stellen. Die italienische Regierung hat inzwischen ein Sonderfinanzierungsgesetz mit einem Finanzrahmen von insgesamt 105 Millionen Euro für Pompeji und andere Ausgrabungsstätten im Land verabschiedet. Die Erfahrungen der letzten Jahre mit solcher Politik der Notverordnungen stimmt allerdings nicht gerade hoffnungsvoll.