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Betreuung rundum

Vier Milliarden Euro ließ die Bundesregierung 2003 springen, um den großflächigen Ausbau von Ganztagsschulen in Deutschland anzustoßen. Tatsächlich: Das Angebot ist stark gewachsen, jetzt müsse auch die Qualität des schulischen Angebotes besser werden, hieß es auf dem Bundeskongress der Ganztagsschullehrer in Saarbrücken.

Von Tonia Koch | 29.11.2012
    Nachdem das Ganztagsschulangebot in den letzten Jahren rasant zugenommen hat, wollen die Vertreter der Ganztagsschulen die Politik dafür gewinnen, für mehr Qualität in den Schulen zu sorgen, sagt der Vorsitzende des Ganztagsschulverbandes Stephan Appel:

    "Wir hoffen, dass wir klar machen können, dass wir nur angehalten haben im Augenblick, um uns umzuschauen und auf Qualität zu pochen."

    Saarbrücken als Tagungsort des Kongresses sei deshalb bewusst gewählt worden, weil von hier der Blick über den Tellerrand problemlos möglich sei. Die Exkursionen der 450 Teilnehmer führten in saarländische Schulen aber eben auch nach Luxemburg und Frankreich, wo ganztätiger Unterricht die Regel ist. In Deutschland hingegen würden trotz des stark gewachsenen Angebots lediglich 28 Prozent der Schüler davon Gebrauch machen. Diese Zahl, so Appel, spiegele das vorhandene Qualitätsproblem wider.

    "Viele Bundesländer haben darauf gesetzt, an möglichst vielen Schulen etwas zu haben, einfach, um auch viele Adressen zu haben, weil ihnen der Betreuungsaspekt in der ersten Runde am wichtigsten war."

    Die freiwillige Ganztagsschule mit der klassischen Einteilung: Unterricht am Vormittag und betreute Freizeit oder Hausaufgaben am Nachmittag, tue sich schwer damit, die Unterrichtsqualität zu verbessern. In der gebundenen Ganztagsschule, die Lehrer und Schüler auch am Nachmittag dazu verpflichtet, anwesend zu sein, ließe sich das wesentlich einfacher organisieren. Appel:

    "Weil man dadurch besser integrieren kann und weil man auch rhythmisieren kann. Rhythmisieren ist dieses Zauberwort, dass man den Stressvormittag in der herkömmlichen Schule auflöst und an diesem Vormittag nicht mehr sechs Stunden hintereinander unterrichtet, sondern nur drei oder vier und dafür am Nachmittag die eine oder andere Stunde nachholt, dann geht das Lernen besser."

    Das Schengen-Lyceum in Perl an der luxemburgischen Grenze steht ebenfalls auf der Besucherliste der Kongressteilnehmer. Die Gesamtschule führt ihre Schüler, die fast zur Hälfte aus Luxemburg kommen vom Hauptschulabschluss bis zum Abitur. Und sie folgt den qualitativen Grundsätzen, die der Gesamtschullehrerverband an die Lernkultur in den Schulen stellt. An drei Tagen in der Woche geht der Unterricht bis 16 Uhr. Eine Unterrichtseinheit dauert grundsätzlich 2 Stunden, was die tatsächliche Lernzeit erheblich erhöht und der Start in den Schulalltag sieht anders aus als an vielen anderen Schulen. Rektor Volker Staudt

    "Zunächst beginnt jeder Tag bei uns mit der Studienzeit. Morgens von 10 vor 8 bis 20 nach 8 sind alle Schülerinnen und Schüler in der Klasse versammelt, bei ihrem Tutor ihrer Tutorin und dort wird dann der Tag vorbereitet. Es werden Aufgaben gemacht, es wird sich vorbereitet auf Klassenarbeiten oder im Klassenrat kann etwas behandelt werden, was von Belang ist, so fängt der Tag an."

    Die Mädchen und Jungs der 5B des Schengen-Lyceum schnippen mit den Fingern, der Lärmpegel sinkt, dann kann es losgehen. Nacheinander verlassen Gruppen von Schülerinnen und Schülern den Raum. Sie bereiten sich auf ein Rollenspiel in Französisch vor.

    Der Wechsel von aktiven und passiven Zeiten, die Möglichkeit den Klassenverband zeitweilig aufzulösen und die Schülerinnen und Schüler in Lerngruppen aufzuteilen, um den Lernstoff zu vertiefen, das sei unabdingbar, wenn eine Ganztagsschule Erfolg versprechend arbeiten wolle, sagt Christiane Stahlschuss vom Bildungszentrum Bodneg in Baden-Württemberg. Allerdings hänge der Erfolg wesentlich von den Rahmenbedingungen ab und dazu zählte die Ausstattung der Schulen mit ausreichend Personal. Stahlschuss:

    "Nein, das heißt nicht mehr Lehrer, sondern mehr Lehrerstunden und vor allem Lehrer, die Vollzeit schaffen. Jetzt wird's gefährlich, weil das hört sich dann vielleicht diskriminierend an, aber ich muss ganz ehrlich sagen, diese 10-Stunden-Lehrer, die eine Ganztagsschule hat, das sind die, die sehr viel vermasseln in Anführungsstrichen, die kann man nicht jeden Tag an die Schule verpflichten und das bedeutet viele Einschränkungen im Stundenplan."

    Der Ganztagsschulverband fordert zwar grundsätzlich 30 Prozent mehr Lehrkräfte und Sozialpädagogen für den Ganztagsschulbetrieb, aber allein damit lassen sich nach Auffassung der Praktiker die organisatorischen Probleme des Ganztages nicht lösen.