Reimann, die in der SPD-Bundestagsfraktion unter anderem für Soziales und Frauen zuständig ist, sagte, man müsse zwischen der juristischen und der politischen Bewertung trennen. Die juristische Bewertung des Betreuungsgeldes obliege nun dem Bundesverfassungsgericht und müsse abgewartet werden.
Die politische Bewertung der SPD sei, dass das Betreuungsgeld kontraproduktiv wirke und falsche Anreize setze. Die Erfahrung habe gezeigt, dass gerade Familien das Betreuungsgeld in Anspruch nähmen, deren Kinder darauf angewiesen seien, stärker gefördert zu werden. Nach Ansicht von Reimann wird damit eine "Nichtnutzung" frühkindlicher Bildung honoriert.
Christiane Kaess: Vor der Einführung des Betreuungsgeldes, noch in der schwarz-gelben Berliner Regierungskoalition, schlugen die Emotionen hoch. Unterstützt die staatliche Leistung, dass Frauen zuhause bleiben, ganz im Sinne eines traditionellen Familienmodells? Die Vermutung lag nahe, war es doch eine Herzensangelegenheit der CSU, die mit aller Kraft ihre Vorstellung durchsetzte. Schon damals warnten Kritiker auch vor verfassungsrechtlichen Risiken. Seit gestern steht das Betreuungsgeld für diejenigen, die ihre Kinder unter drei Jahren nicht in eine staatliche Kita geben, jetzt vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe auf dem Prüfstand. Mein Kollege Jasper Barenberg hat gestern Abend mit Carola Reimann gesprochen. Sie ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag. Er hat sie zuerst gefragt, ob sie darauf hofft, dass Karlsruhe das Betreuungsgeld kippt.
Jasper Barenberg: Frau Reimann, hoffen Sie darauf, dass Karlsruhe das Betreuungsgeld kippt?
Carola Reimann: Es ist jetzt ein Verfahren und es ist natürlich klar, man muss trennen zwischen der juristischen Entscheidung, die jetzt beim Gericht liegt - da bin ich ganz entspannt und vertraue auf das Gericht - und der politischen Bewertung. Und die politische Bewertung ist natürlich, die Sie alle kennen und die wir immer schon hatten, dass wir das Betreuungsgeld in der Sache für kontraproduktiv halten, ein Instrument, das falsche Anreize setzt.
Barenberg: In Karlsruhe, Sie haben es angesprochen, geht es nicht um den Streit, ob das Betreuungsgeld sinnvoll ist oder nicht, sondern unter anderem um die Frage, ob es dazu dient, gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu schaffen. Verletzt das Betreuungsgeld den Grundsatz der Gleichbehandlung?
Reimann: Das ist ja das, was jetzt sorgfältig geprüft wird, wie die Kompetenz des Bundes ist, ob das gerechtfertigt war, ein solches Gesetz zu machen, und da will ich aber dem Gericht auch nicht vorgreifen.
Barenberg: Es sind weit mehr Frauen als Männer, die das in Anspruch nehmen, wissen wir. Ist das schon ein Hinweis darauf, dass es den Grundsatz der Gleichbehandlung aus Ihrer Sicht verletzen könnte?
Reimann: Was wir natürlich aus den Erfahrungen der Länder, die eine mehrjährige Erfahrung haben - Skandinavien ist da ja so ein Beispiel -, sehen, ist, dass natürlich das auch Auswirkungen auf die Gleichberechtigung der Geschlechter hat und dass sich das negativ auf die Frauenerwerbsquote ausgewirkt hat. Das sind schon Dinge, die man berücksichtigen muss.
Barenberg: Nun wird ja beispielsweise auch das Erziehungsgeld von mehr Frauen als von Männern in Anspruch genommen. Aber das war bisher, zumindest wüsste ich das nicht, kein Grund zu überlegen, es abzuschaffen.
Reimann: Deswegen! Das muss an der Stelle geklärt werden. Es ist ja auch nicht die Frage in der Sache, sondern jetzt wird ja geklärt, ob das wirklich in der Kompetenz liegt, wie die verfassungsrechtliche Kompetenz des Bundes in dieser Angelegenheit ist. Klar ist auch, dass ja auch die Länder in der Vergangenheit schon die Möglichkeit hatten, dieses Instrument zu nutzen und für sich zu organisieren. Thüringen ist ja so ein Beispiel.
Barenberg: Lassen Sie uns über die Sache selbst sprechen. Was ist eigentlich dagegen einzuwenden, Erziehungsleistungen von Eltern zu honorieren und solche Eltern auch zu unterstützen, wie vor allem ja die CSU argumentiert, die sich so entscheiden, eben für die Betreuung zuhause?
Reimann: Na ja, das Betreuungsgeld ignoriert ja eine Nichtnutzung und ist, glaube ich, nicht als Honorar für die Betreuungsleistung gedacht. Das, glaube ich, kann keiner in der Höhe wirklich so ernsthaft vorschlagen. Ich habe vor allen Dingen das Problem mit dem Betreuungsgeld, dass wir sehen, dass es genutzt wird von Familien, wo wir uns eine Förderung der Kinder stärker wünschen und nicht weniger, und es hält doch etliche ab, dann eine Kita zu besuchen, und für uns ist frühkindliche Bildung in der Kita schon ein wichtiger Punkt der Förderung von Kindern und das Instrument des Betreuungsgeldes fördert nicht frühkindliche Bildung, sondern verhindert sie.
Barenberg: Wir wollen, dass Kinder in die Kita kommen und Mütter arbeiten. Das hat Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele gesagt, aus Ihrer Partei, der SPD. Hat der Staat das zu entscheiden?
Reimann: Das ist ins Ermessen der Familie gelegt. Aber die Wahlmöglichkeit muss schon da sein. Und es ist ja auch so, dass wir natürlich eine Familienpolitik verfolgen, die schon auch ermöglicht stärker die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und nicht nur Familie oder Beruf. Beides muss da möglich sein und ich sehe schon in der Vergangenheit, dass wir eher Frauen vor die Wahl gestellt haben, sich für eins von beiden zu entscheiden, und dass wir große Anstrengungen unternehmen müssen im Bereich der Familienpolitik, Vereinbarkeit besser organisieren zu können. Da ist Elterngeld Plus eine Möglichkeit, diese bessere Vereinbarkeit auch zu leben. Das wünschen sich ja auch, das geben die Befragungen her, die immer wieder repräsentativ gemacht werden, das wünscht sich ein sehr, sehr großer Teil der jungen Familien.
Barenberg: Sie haben gesagt, die SPD sei bereit, das Betreuungsgeld sofort wieder abzuschaffen, sollte eine Entscheidung in diese Richtung aus Karlsruhe kommen. Aus dem Familienministerium von Manuela Schwesig hört man demgegenüber, wir stehen zum Koalitionsvertrag. Was gilt denn nun für die SPD?
Reimann: Wir stehen zum Koalitionsvertrag. Klar ist, im Koalitionsvertrag ist ja so ein Betreuungsgeld nicht verabredet. Die Union war nicht bereit, das Betreuungsgeld abzuschaffen. Ein Koalitionsvertrag ist immer ein Kompromiss. Es gab viele Punkte, die die SPD für sich durchgesetzt hat, Mindestlohn, Frauenquote, Entgeltgleichheit, und deswegen stehen wir zum Koalitionsvertrag. Sollte aber die Union zu einer anderen Einschätzung kommen zum Betreuungsgeld, sind wir natürlich sofort bereit, das Betreuungsgeld auch wieder abzuschaffen.
Kaess: ..., sagt Carola Reimann. Sie ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag. Mein Kollege Jasper Barenberg stellte die Fragen.
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