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Betreuungsgeld ist "sehr kontraproduktiv"

Die Wirtschaft sei angewiesen auf gute Fachkräfte und "wir brauchen hier auch dringend die Frauen", sagt Marie-Christine Ostermann, Vorsitzende des Verbands der Jungunternehmer. Die Politik sei in der Pflicht, genügend Kita-Plätze zu schaffen.

Moderation: Andreas Kolbe |
    Andreas Kolbe: Im April 2007, also vor mehr als fünf Jahren, haben sich Bund, Länder und Gemeinden auf den Ausbau der Kinderbetreuung geeinigt – beim sogenannten "Krippengipfel". Das Ziel: Ab August 2013 sollen Kinder auch unter drei Jahren einen Rechtsanspruch haben auf einen Betreuungsplatz. Fünf Jahre Zeit also, die nicht genutzt wurde, denn wie die heutigen Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen: bis Sommer kommenden Jahres wird die große, noch klaffende Lücke bei der Betreuung wohl nicht zu schließen sein.

    Zu dem Thema begrüße ich jetzt am Telefon die Bundesvorsitzende des Verbands der Jungunternehmer, Marie-Christine Ostermann. Schönen guten Tag!

    Marie-Christine Ostermann: Guten Tag!

    Kolbe: Wenn Kinder nicht betreut werden, können Eltern nicht arbeiten gehen. Ist das nicht ein fatales Signal, das da heute auch für die Wirtschaft gesetzt wird?

    Ostermann: Ja, es ist schon sehr schwierig, denn die Wirtschaft, die Unternehmen, wir sind sehr angewiesen auf gute Fachkräfte und wir brauchen hier auch dringend die Frauen. Und deswegen ist eine gute Kinderbetreuung wirklich maßgebend wichtig, damit auch die Frauen mehr in den Unternehmen arbeiten können und auch dort eine Karriere machen können.

    Kolbe: Da ist das Stichwort die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die wird ja nicht nur von der Politik gefordert, auch Sie setzen sich dafür ein. Heißt das nicht, dass letztlich auch die Unternehmen mehr dafür tun müssen, zum Beispiel Betriebskindergärten einzurichten?

    Ostermann: Ja. Auch die Unternehmen sind hier absolut in der Pflicht, und da tun wir zum Glück auch schon eine ganze Menge. Mein Unternehmen Rullko beispielsweise bietet sehr viel Teilzeit an, sehr viel flexible Arbeitszeiten für die Frauen, aber auch viele "Home Office"-Arbeitsplätze, also die Arbeit von zuhause aus, und das wird glücklicherweise auch von Vätern in Anspruch genommen und nicht nur von Müttern, für beide Geschlechter. Wir haben auch eine Umfrage gemacht beim Verband "Die Familienunternehmer", "Die jungen Unternehmer", und 94 Prozent unserer Mitglieder bieten da wirklich viele Aktivitäten an für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auch die finanzielle Unterstützung der Kinderbetreuung, beispielsweise Betriebskindergärten, oder auch finanzierte Plätze in einem Kindergarten von den Unternehmen aus.

    Kolbe: Aber offensichtlich reicht das Engagement bislang nicht, sonst hätten wir nicht diese große Lücke jetzt. Woran liegt das, dass die Firmen sich da nicht noch mehr engagieren, beim Ausbau von Kindertagesstätten beispielsweise?

    Ostermann: Ja es ist natürlich wichtig, dass die Firmen sich engagieren, und da ist sicherlich auch noch einiges ausbaufähig. Manchmal höre ich das beispielsweise auch aus Konzernen, dass die Arbeitskultur manchmal schwierig ist, dass Meetings spät Abends gemacht werden, auch am Wochenende, dass eine ständige Blackberry-Präsenz vorhanden ist. Das sind Dinge, wo wir dringend dran arbeiten müssen, dass es gang und gäbe ist, dass die Eltern Nachmittags nachhause gehen können und sich dann um ihre Kinder kümmern können, und auch über Stellvertretungen ist, denke ich, das immer so zu organisieren, dass man Familie und Karriere auch vereinbaren kann.

    Aber natürlich ist hier auch die Politik in der Pflicht. Hier wurde das Ziel gesetzt, genügend Kita-Plätze zu schaffen, und ich finde, da müssen Unternehmen und auch die Politiker gut zusammenarbeiten, und hier ist auch die Politik gefordert, da auch wirklich genügend Betreuungsplätze mit zur Verfügung zu stellen.

    Kolbe: Also ein Kulturwandel muss stattfinden in den Unternehmen. Aber muss sich vielleicht auch etwas an den gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern, damit sich kleinere Unternehmen beispielsweise auch zusammentun können - wir haben es gerade von Gerd Landsberg in dem Beitrag gehört -, sich zusammentun können, um eine Tagesmutter einzustellen, oder vielleicht einen gemeinsamen Betriebskindergarten zu gründen? Gibt es da Defizite?

    Ostermann: Ich glaube, gesetzliche Rahmenbedingungen brauchen wir da nicht. Aber was gut ist, ist, wenn die Unternehmen einen guten Kontakt auch zur Stadt haben und auch darauf hingewiesen werden, dass es vielleicht Kooperationsmöglichkeiten gibt, auch für kleinere Unternehmen, gemeinsam mit der Stadt sich da zusammenzuschließen. Darauf hinzuweisen und dafür Werbung zu machen, das ist sicherlich auch der richtige Weg.

    Aber ich sage noch mal: Da sind nicht nur die Unternehmen gefordert, da ist auch die Politik gefordert, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, und da kann ich es beispielsweise auch gar nicht verstehen, dass auf der einen Seite wirklich versucht wird, möglichst viele Frauen in Arbeit zu bringen, und auf der anderen Seite dann jetzt das Betreuungsgeld eingeführt wird. Das finde ich sehr kontraproduktiv, denn das wird eher dazu führen, dass mehr Frauen wahrscheinlich eher wieder zuhause bleiben und selbst ihre Kinder betreuen und eben nicht in die Unternehmen arbeiten kommen.

    Kolbe: In Deutschland fehlen mehr als 200.000 Kita-Plätze, was auch für die Wirtschaft zum Problem werden kann. Das sagt Marie-Christine Ostermann, die Vorsitzende des Verbands "Die jungen Unternehmer". Besten Dank für das Gespräch.

    Ostermann: Dankeschön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.