Dem Bund fehle die Gesetzgebungskompetenz für die familienpolitische Leistung, heißt es in dem am Dienstag in Karlsruhe verkündeten Urteil. Zuständig für ein Betreuungsgeld seien die Länder, nicht der Bund. Derzeit beziehen etwa 460.000 Eltern Betreuungsgeld. Sie erhalten 150 Euro monatlich, wenn ihr zwischen 15 und 36 Monate altes Kind keine öffentlich geförderte Kinderbetreuung in Anspruch nimmt. Für Eltern heißt das Urteil nun: Sie können ab sofort keine neuen Anträge auf Betreuungsgeld stellen. Erhaltene Leistungen müsse aber niemand zurückzahlen, meint der ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam.
Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) will "nach einer Lösung suchen, damit Familien, die das Betreuungsgeld bereits beziehen, es bis zum Ende bekommen". Über die weitere Umsetzung werde sie sich mit den Regierungsfraktionen am 13. August beraten. Schwesig begrüßte das Urteil: "Ich freue mich, dass wir nun Klarheit haben." Das Betreuungsgeld sei der falsche Weg und habe keine Zukunft." Die freiwerdenden Mittel sollten Kindern und Familien zugutekommen, zum Beispiel durch eine verbesserte Kinderbetreuung.
Länder werden gestärkt
Wohlwollend aufgenommen wurde das Urteil vor allem in Hamburg. Der dortige Senat hatte gegen das 2013 auf betreiben der CSU eingeführte und stets umstrittene Betreuungsgeld geklagt. Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) forderte den Bund auf, das nun freiwerdende Geld für die Verbesserung der Qualität in den Kitas zur Verfügung zu stellen. Das sehen auch viele seiner Kollegen in den Bundesländern so. Baden-Württembergs Landeschef Winfried Kretschmann sieht in dem Urteil eine Stärkung des Förderalismus. Die grün-rote Landesregierung gehört nicht zu den Anhängern der Leistung. Stattdessen setzt man im Ländle lieber auf erschwingliche gute Bildung.
Kein Landesbetreuungsgeld in NRW
Nordrhein-Westfalens Familienministerin Ute Schäfer (SPD) fordert, dass die Mittel für diese Leistung aus dem Bundeshaushalt zielgerichtet in den Ausbau der Betreuungsangebote in den Ländern investiert werden, etwa für mehr Kita-Personal. Für Eltern, die derzeit Betreuungsgeld beziehen, gelte aber Vertrauensschutz. Das Betreuungsgeld sollte nicht unmittelbar ausgesetzt werden, sondern auslaufen. Die rot-grüne Landesregierung plant auch keine landeseigene Prämie wie in Bayern. Das größte Bundesland zählte mit Bayern und Baden-Württemberg im 1. Quartal 2015 zu den Top drei unter den Bundesländern, die die Leistung in Anspruch genommen haben.
Bayern und Sachsen wollen weiter bezahlen
Der Freistaat will weiterhin die Wahlfreiheit zwischen Kita oder der Betreuung zu Hause. Der ehemalige CSU-Vorsitzende Erwin Huber sagte im Deutschlandfunk: "Bayern wird das Betreuungsgeld weiter bezahlen" und lud Familie ein, nach Bayern zu ziehen. Auch Sachsen will an der Leistung festhalten. Die sächsische Sozialministerin Barbara Klepsch sagte dem MDR, "Politik sollte verlässlich sein. Auch in Sachsen haben sich über 10.000 Familien bewusst für das Betreuungsgeld des Bundes entschieden." Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner sprach sich über den Kurznachrichtendienst Twitter dafür aus, dass frei werdende Gelder an die Länder gehen und schlug für Rheinland-Pfalz ein Landesfamiliengeld vor.
In der saarländischen Landesregierung ist das ablehnende Urteil auf ein geteiltes Echo gestoßen. Sozialministerin Monika Bachmann (CDU) monierte, das Gericht habe "gegen ein Mehr an Wahlfreiheit entschieden". Familien sollten frei entscheiden können, wie sie die Betreuung ihrer Kinder organisierten. "Mit dem Aus für das Betreuungsgeld fällt eine wichtige Komponente der familienpolitischen Leistungen weg", so die Ministerin in Saarbrücken. Bildungsminister Ulrich Commercon (SPD) begrüßte hingegen die Entscheidung. Dadurch biete sich jetzt die Gelegenheit, die Diskussion um den Ausbau der Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur in Deutschland endlich vom Kopf auf die Füße zu stellen, erklärte Commercon und lehnte zugleich die Einführung eine Landesbetreuungsgeldes ab.
Zustimmung im Osten des Landes
Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Birgit Hesse (SPD) bezeichnete das Urteil als "ein wichtiges Signal für eine zeitgemäße Familienpolitik". Brandenburgs Familienministerin Diana Golze (Linke) betont, es sei ungerecht "der einen Elterngruppe 150 Euro im Monat zu zahlen und andere Eltern über Kitagebühren zur Kasse zu bitten". Die Gebührenfreiheit von Kindertagesbetreuung müsse weiter diskutiert werden, so Golze. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) erwartet keine gravierenden Auswirkungen durch das Urteil. Das Land gewährleiste mit seinem Kinderförderungsgesetz eine Betreuung und frühkindliche Bildung für Kinder auf hohem Niveau.
(sima/dk)