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'Die Fata Morgana ist jetzt vergangen'

Die Theaterwelt ist in Aufruhr. Christoph Marthaler, der geniale Regisseur, der die Kritik verzauberte und das Publikum in poetisch choreographierten Theater-musikalien so verwob, dass ihm Hören und Sehen verging – er soll gehen. Dem Basler Schauspieldirektor Stefan Bachmann liefen, es ist nicht allzu lange her, auch die Besucher davon; zu einer Diskussions-Veranstaltung, die provozierend hieß: 'Da geh ich nicht mehr hin!' kamen dann 2000. Und danach auch wieder mehr ins Theater. Ihn habe ich vor der Sendung gefragt: ist das, was wir in Zürich erleben, nun nur die Einzelentscheidung einer provinziellen Kulturbürokratie, oder ist das der 'kulturelle backlash', wie Thomas Ostermeier sagt?

Ein Interview von Karin Fischer |
    Bachmann: Für mich ist es extrem schwierig, sozusagen ein Pauschalurteil sofort zu fällen oder ein Fazit aus der ganzen Sache zu ziehen, zumal ich natürlich vielleicht durch die Nähe, die ich zu Zürich habe, da so emotional betroffen bin, dass ich es erst einmal als ein lokales Problem sehen möchte. Im Moment beschränkt es sich für mich auf ein lokalpolitisches Problem, was vor allem die Stadt Zürich betrifft. Als Schweizer betrifft mich das sehr. Worin das Problem besteht? Für mich war sozusagen die Berufung von Christoph Marthaler nach Zürich eine Art von Fata Morgana. Das Unmögliche ist sozusagen wahr geworden. Zürich hat sich ein Stück anarchischer, poetischer Theaterkultur geholt, wie ich es eigentlich nie für möglich gehalten hätte und diese Fata Morgana ist jetzt vergangen. Für mich ist es ein bisschen so, wie wenn die Stadt zur Normalität zurückkehren würde, also sozusagen zu dem theatralen Mittelmaß, was sie so an Schauspielhaus gewöhnt gewesen ist.

    Fischer: Also, ein natürlicher Prozess oder ein Armutszeugnis?

    Bachmann: Nein, natürlich ein Armutszeugnis, denn man hat ja viel Hoffnung da rein gesetzt und es ist ja auch so, dass die Leute, die Christoph Marthaler als Intendanten berufen haben, gewusst haben, wen sie sich da holen und sich ja auch mit dem Namen geschmückt haben. Das war für Zürich eine ganz wichtige Strahlung nach außen und die hat man jetzt leider aufgegeben, weil Zahlen doch wichtiger sind als künstlerische Qualität.

    Fischer: Aber wer Theater macht, der braucht natürlich auch Publikum und ganz jenseits der Zahlen ist auch Ihnen vorgeworfen worden, zu viel Pop-Theater, zu viel Sperriges zu machen für eine Klientel, die ja nun einmal diejenige ist, die sozusagen nicht von der Bühne aus das Gefühl haben möchte, wieder nach Hause geschickt zu werden.

    Bachmann: Nein, niemand von uns, der Theater machen möchte, schickt irgendjemanden nach Hause. Dass es bei radikalen Theaterentwürfen zu Reibungen kommt und dass man auch Leute vor den Kopf stößt, das lässt sich ja nicht vermeiden, aber langfristig möchte man die Säle nicht leer spielen. Das ist irgendwie ein Gerücht. Man ist natürlich immer bestrebt, Publikum zu finden. Es ist dann immer die Frage: Was ist denn überhaupt das Publikum? Da war bei uns in Basel die Aufgabe ganz wichtig: Wir möchten wieder ein neues Publikum dazugewinnen. Wir haben dann am Anfang erst einmal einen Teil des alteingesessenen Publikums verloren, aber über die Zeit wieder gewonnen. Nur um das zu erreichen, dafür braucht man allerdings ein bisschen mehr Zeit als nur zwei Spielzeiten, die man Christoph Marthaler in Zürich jetzt allerdings nur zugebilligt hat. Das ist sozusagen - das ist zumindest meine Erfahrung in Basel gewesen - eine längerfristige Annäherung zwischen Publikum und den Theatermachern. Beide müssen sich aufeinander einstellen, und das braucht Zeit.

    Fischer: Sie wünschen sich mehr Zeit für Christoph Marthaler in Zürich. Was fordern Sie von den Zürichern, um diese Art von radikaler Poesie noch einmal in ihren Häusern stattfinden zu lassen?

    Bachmann: Na ja, ich wünsche ihnen eigentlich, dass sie diese radikale Poesie nicht nur in ihren Häusern sondern auch in ihren Köpfen stattfinden lassen, und dazu müssten sie sozusagen bereit sein, auch dem chaotischen und wuchernden Künstlerischen einen Raum zu geben und sozusagen nicht alles immer mit dem Maß des wirtschaftlich Rechnenden umzugehen. Ich glaube, das ist ein Problem unserer Zeit, und vielleicht kommen wir da auf den Anfang zurück: Wenn das eine allgemeine Tendenz sein sollte, ein Backlash, wie das Thomas Ostermeier vielleicht nennt, dann hat das vielleicht damit etwas zu tun, dass das Subventionsmodell Theater sozusagen in unserer streng durchökonomisierten Welt natürlich immer weniger Raum hat und es wird ihm immer weniger Berechtigung von außen zugebilligt, und da muss man natürlich mal grundsätzlich darüber sprechen, ob dieses Modell subventioniertes Stadttheater, sozusagen überhaupt noch sozusagen in unserer Gesellschaft geduldet oder überhaupt gewollt wird. Aber solange es das noch gibt, finde ich, sind diese subventionierten Theater Räume der Utopie und meinetwegen eben auch des Streites und des Chaos und der Unruhe und eigentlich der Alternative zur bestehenden Welt - ein Utopieraum.

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