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Betriebsrestaurants
"Eine ganz neue Kantinenesskultur entsteht"

Viele Arbeitgeber hätten Kantinen als wichtigen Teil der Unternehmenskultur erkannt, sagte die Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler im Dlf. Gut zubereitetes betriebliches Essen sei zum Ausdruck der Wertschätzung für Mitarbeiter geworden - und habe eine große sozialisierende Kraft.

Hanni Rützler im Gespräch mit Birgid Becker |
    Eine vegane Spinat-Suppe, aufgenommen am 24.01.2014 auf der Messe "Veggie-World" in den Rhein-Main-Hallen in Wiesbaden (Hessen).
    Ob Mitarbeiter sich im Unternehmen wohl fühlen, hängt stark mit der dortigen Esskultur zusammen - so das Ergebnis des "Food Report 2019" (picture alliance / Fredrik von Erichsen)
    Birgid Becker: Der vorletzte Arbeitstag vor den Weihnachtsfeiertagen geht allmählich zu Ende und das heißt für viele Beschäftige: noch ein Tag Kantinenessen, dann beginnt die Weihnachtsschlemmerei. Die Kantinen sind aber nicht mehr unbedingt die Massenabfütterungseinrichtung, die sie früher einmal waren. Nicht nur, dass sie mit knapp sieben Milliarden Euro im Jahr, die Groß-Caterer und Kantinenbetreiber umsetzen, eine nennenswerte ökonomische Größe sind. Nein, immer mehr Firmen sehen ihre Kantinen auch als Schaufenster für die Unternehmenskultur. Das zumindest hat die österreichische Ernährungsexpertin Hanni Rützler so entdeckt. Sie analysiert in einem Food-Report Trends für den Handel und die Lebensmittelindustrie. Wie ist sie nun auf die Kantinen aufmerksam geworden - das habe ich sie vor der Sendung gefragt.
    Hanni Rützler: Ich setze mich jährlich mit dem Thema Gastronomie sehr bewusst auseinander und habe heute einen Schwerpunkt auf die Kantinen gelegt, weil die kommen oft zu kurz in der Wahrnehmung, aber sie werden eigentlich immer mächtiger. Viele Menschen essen im Alltag am Arbeitsplatz auswärts und da bewegt sich was, da kommt richtig was Bewegung hinein. Also sie sind oft besser als ihr Ruf und irgendwie erscheint mir das so wie ein Stiefkind der Branche. Wenn man aber genauer hinschaut, sieht man, dass da wirklich eine ganz neue Kantinenesskultur entsteht und die betriebliche Esskultur wirklich so zum Ausdruck der Wertschätzung für die Mitarbeiter geworden ist.
    Kantinen helfen beim Teambuilding
    Becker: Bei manchen Firmen, deren Kantinen Sie vorgestellt haben, da erwartet man ja auch geradezu, dass es eine besondere Kantine gibt, etwa wenn Sie die Kantine des Künstlers Ólafur Elíasson beschreiben: Alle an einem Tisch mit Schüsseln, die man sich weiterreicht, große Familie also. Also bei solchen Unternehmen erwartet man das ja schon fast, dass die sich was Besonderes ausdenken.
    Rützler: Wenn ein Künstler sich dieses Themas annimmt, irgendwie würde man das erwarten. Aber was mir an dem Projekt so gut gefällt, ist, dass er das Essen sozusagen wirklich als Akt der Gemeinschaftsbildung auch inszeniert und zelebriert. Das tut dem Team gut. Die sind in der Zwischenzeit sehr groß, sehr erfolgreich, sehr spezialisiert und er nützt das Essen, damit diese verschiedenen Kunstabteilungen sozusagen zusammenkommen und gemeinsam sich austauschen. Er sagt, das ganze System würde gar nicht mehr funktionieren, wenn man nicht so in einer Atmosphäre zusammenkommt, dass man nicht arbeitet und trotzdem was austauschen kann. Das, glaube ich, inszeniert und zelebriert er ganz toll, und das ist auch ein Thema, was sehr große Küchen zunehmend einsetzen. Also Google, der hat zum Beispiel eigene, mobile Esskulturen geschaffen, die er platziert zwischen den Abteilungen. Da kann man sich dann Kaffee und Kleinigkeiten holen und da kommen verschiedene Menschen von verschiedenen Abteilungen zusammen. Die Räume, wo dann zu Mittag gegessen wird, die sind auch so gestaltet, dass man auf die jeweiligen Bedürfnisse Rücksicht nimmt. Also nicht jeder will einen großen Tisch und einen Überblick und alle sehen, sondern manche wollen sich auch eher zurückziehen und abschalten. Andere wollen sich zurückziehen und ein kleines Gespräch führen. Dritte freuen sich, wenn sie sozusagen mal wieder alte Bekannte treffen, die man so nicht sieht. Also das wird auch räumlich ganz bewusst gestaltet, um den verschiedenen Bedürfnissen der Arbeitnehmer gerecht zu werden.
    Essenspausen fördern Kreativität
    Becker: Um noch mal ein Beispiel zu erwähnen, dass bei Ihnen auch gut wegkommt, ein Beispiel aus der ganz normalen industriellen Welt, da kommt ja auch MAN, der Lkw-Bauer bei Ihnen gut weg.
    Rützler: Ja. Das Spannende ist, wenn man da mal sich durch die Systeme schaut, das muss nicht immer so teuer und exquisit sein. Natürlich gibt es auch Sterneküche bei der Betriebsverpflegung, sehr erfolgreich. Es geht auch ganz einfach und preisgünstig. Ich glaube, es ist wirklich ein neuer Blick auf das Potenzial des gemeinsamen Essens, weil im Alltag eben kaum mehr gekocht wird oder unregelmäßiger gekocht wird. Wenn, dann liebevoll gekocht und präsentiert wird und den Kunden die Möglichkeit gegeben wird, hier sozusagen zu wählen. Bei guter Ausgangsqualität und Frische, dann hat es wirklich eine große sozialisierende Kraft und bringt so viel Lebensqualität. Ich glaube, was der mächtigste Treiber ist hinter dieser Entwicklung, ist, dass wir die neueren Berufe. Da geht es immer um Kreativität. Das ist geistige Arbeit. Das sind Menschen, die sitzen den ganzen Tag vor den Computern, und da ist sozusagen das Essen eine Möglichkeit, sozusagen noch mal abzuschalten, an was anderes zu denken, und Kreativität lässt sich ja nicht zwischen acht und zwölf organisieren, sondern die passiert meistens irgendwann dazwischen, wenn man nicht damit rechnet. Da wird das Essen so wirklich eingesetzt nicht nur als sozialisierende Kraft, sondern eben auch zur Entspannung und um sozusagen dem Geist die Möglichkeit zu geben, neue Erfahrungen und Inspirationen zu bekommen.
    Food-Trucks sorgen für regionale Abwechslung
    Becker: Aber wir sind jetzt schon ein bisschen snobby, finden Sie nicht, wenn wir über solche Genusstempel sprechen, über die Handwerker, die im Sprinter an der nächsten Pommesbude halten müssen oder die Lkw-Fahrer, die neben ihren Fahrzeugen mit dem Gaskocher hantieren - über die reden wir jetzt nicht. Die haben gar keine Chance, oder?
    Rützler: Wenn man sich nur auf der Autobahn bewegt, ja, auch da hat sich ein bisschen was bewegt, wobei das ist schon einige Jahre her. Spannend finde ich aber sehr wohl zum Beispiel auch die Entwicklungen in Food-Trucks. Da kann man zum Beispiel verfolgen am Ende, wo die Lieblings-Food-Trucks sich im Moment bewegen, und damit kann man auch regional ein bisschen Bewegung in das kulinarische Angebot bringen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.