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Betrug in der Wissenschaft
Nur bessere Kontrolle und neue Anreize können etwas ändern

Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der zurückgezogenen wissenschaftlichen Arbeiten um das 35-fache gestiegen. Das liegt aber nur zum Teil am fehlenden Unrechtsbewusstsein der Wissenschaftler, die durch mehr Publikationen mit spektakulären Ergebnissen ihr Renommee zu erhöhen. Hauptgrund für die aufgedeckten Fälschungen sind vielmehr die besseren Kontrollen.

Von Sabine Goldhahn |
    Ein Student der Universität Bonn in Talar und Barett / Doktorhut während der Abschlussfeier
    Ein Student der Universität Bonn in Talar und Barett / Doktorhut während der Abschlussfeier (imago/Rainer Unkel)
    Über eine Million wissenschaftliche Arbeiten werden jedes Jahr veröffentlicht. Dabei findet man immer mehr Artikel mit dem Vermerk "retracted", also zurückgezogen. Der Medizinjournalist Ivan Oransky von der Internet-Plattform Retraction Watch:
    "Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der zurückgezogenen wissenschaftlichen Arbeiten um das 35-fache gestiegen. Zwar ist auch die Zahl der Veröffentlichungen allgemein gestiegen, aber nicht im selben Verhältnis. Nun können wir uns fragen, warum das so ist: Weil es mehr Wissenschaftsbetrug gibt oder weil es einfacher ist, ihn aufzudecken? Es werden nicht nur mehr Publikationen wegen Betrugs zurückgezogen, sondern auch aus anderen Gründen. Daher würde ich sagen, es liegt an der besseren Kontrolle."
    Oransky muss es wissen, denn seit mehreren Jahren überwachen er und sein Team die Zahl der zurückgezogenen Arbeiten und gehen deren Ursachen auf den Grund, oft durch Nachfrage bei den Forschern.
    Forschen aufgrund falscher Datengrundlage
    Ihre Analysen veröffentlichen sie im Internet. Doch in der Regel dauert es ein paar Jahre, bis ein Artikel zurückgezogen wird. In der Zwischenzeit dienen gerade spektakuläre Forschungsergebnisse als Arbeitsgrundlage für andere Wissenschaftler, auch, wenn sie falsch sind. Das kostet Geld.
    Eine andere Form der Kontrolle übernimmt daher die Internet-Plattform "PubPeer". Auf ihr kann jeder Forscher anonym auf Fehler oder Unstimmigkeiten in Fachartikeln hinweisen. Der Vorteil: Artikel werden nicht nur vor der Veröffentlichung begutachtet, sondern auch danach. Gefälschte Gutachten oder fehlerhafte Arbeiten kommen schneller ans Licht.
    Ein wachsames Auge
    Auch klinische Studien sind im Fokus der Prüfer, denn oftmals wird nur ein Teil der Ergebnisse berichtet. Was unspektakulär oder nicht signifikant ist, fällt unter den Tisch. Daher hat die von englischen Forschern gegründete Initiative "Compare" fünf wichtige Fachzeitschriften unter die Lupe genommen. Sie verglichen, ob die veröffentlichten Studienziele auch dem entsprachen, was man laut Studienplan herausfinden wollte.
    Ihr Fazit: Von 67 Studien waren nur neun in Ordnung. Es wurde nur über durchschnittlich 62 Prozent aller vordefinierten Studienziele berichtet. Stattdessen haben die Forscher im Schnitt fünf neue dazugeschrieben. Eine der untersuchten Fachzeitschriften, das "Annals of Internal Medicine", hat schnell auf diese Entdeckung reagiert. Künftig muss man mit dem Artikel auch den Studienplan einreichen.
    Neu erfundene Studienziele, unterdrückte Laborergebnisse, Plagiate, gefälschte Bilder. Die Liste der wissenschaftlichen Vergehen ist lang. Trotzdem will Oransky eher ein Zeichen setzen als betroffene Forscher an den Pranger zu stellen.
    "Wichtig ist, dass ein Fachartikel die zugrunde liegende Forschung korrekt abbildet. Wir sollten daher aufpassen, betroffene Wissenschaftler nicht wegen einer zurückgezogenen Veröffentlichung generell zu verurteilen. Wenn wir das machen, laufen wir Gefahr, dass Forscher wieder weniger Arbeiten von sich aus zurückziehen, selbst wenn sie vielleicht Fehler enthalten. Daher sollten wir die Forscher ermutigen, korrekt zu handeln und fehlerhafte Arbeiten zurückzuziehen. Auf jeden Fall sollten wir Ehrlichkeit anerkennen."
    Falsche Anreize
    Oransky zufolge sind falsche Anreize einer der Hauptgründe für wissenschaftliches Fehlverhalten. Fast alles dreht sich um die Veröffentlichungen. Die Anzahl der Arbeiten, wie häufig sie von Fachkollegen zitiert wurden und ob sie in einem renommierten Journal erschienen sind. An diesen Werten messen sich nicht nur die Forscher untereinander, sondern sie spielen auch bei der Besetzung von Lehrstühlen und bei der Vergabe von Fördermitteln eine Rolle.
    Gerd Folkers, Professor an der ETH Zürich und Präsident des Schweizerischen Wissenschafts- und Innovationsrates:
    "Wir haben eine Krise in der Wissenschaft, weil wir durch die äußeren Drücke, die auf die Wissenschaft lasten, und das ist ihre Bezahlbarkeit, das ist ihre gesellschaftliche Repräsentanz, ihre gesellschaftliche Rolle, ihre politische Rolle, weil alle diese Drücke zu einem zunehmenden ökonomischen Verhalten führen."
    Und das bedeutet im Klartext: Geforscht wird nur an Themen, die erfolgversprechend und publizierbar sind. Doch zur Bewertung von Forschung braucht es andere Wege, findet Oransky:
    "Wir müssen wertschätzen, wenn Wissenschaftler zusammenarbeiten, ihre Daten teilen oder eine Software entwickeln, die anderen Forschern nützt, auch wenn es nicht zu einer Veröffentlichung kommt."
    Wie man das praktisch umsetzen will, ist noch offen. Es wäre ein sehr großer Wandel im Wissenschaftssystem. Und dafür ist noch einiges an Umdenken nötig.