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Betrug mit System

Vor zwei Monaten gab die Staatsanwaltschaft Oldenburg bekannt, dass sie 150 Ermittlungsverfahren wegen falsch deklarierter Bioeier und überbelegter Hühnerställe aufgenommen hat. Ein erster Zwischenbericht zeigt nun: Der Betrug hatte vermutlich System.

Von Vanja Budde | 19.04.2013
    18.000 Hühner in Freilandhaltung, weitere 15.000 Legehennen in Bodenhaltung: Wer als Landwirt in der Eierbranche mit ihrem massiven Preisdruck finanziell überleben will, der setzt auf Masse. Auch der Geflügelhof Schönecke im Norden Niedersachsens expandiert, die Baugenehmigung für einen dritten Stall ist gerade durch.

    Der Betrieb ist von den Ermittlungen nicht betroffen, aber das gigantische Verfahren der Staatsanwaltschaft in Oldenburg ist natürlich auch auf dem Geflügelhof Schönecke Thema. Die ganze Branche ist in Aufruhr. An systematischen Betrug seiner Kollegen mag Henner Schönecke aber nicht glauben.

    "Überall gibt es Leute, die schwarze Schafe sind, definitiv. Ich persönlich glaube nicht, dass das ein Systemthema ist. Das hat auch manchmal technische Probleme, dass der Lieferant einfach zu viele Tiere auf dem Fahrzeug hat. Oder dass wenn Junghennenstall leer gemacht wird, dass dann da 100 Tiere zu viel sind, das passiert. Und da würde ich jetzt nicht sagen, dass das Vorsatz ist und Betrugswillen."

    "Es sieht nach systematischem Überbelegungsbetrug aus,"

    sagt dagegen Niedersachsens neuer Landwirtschaftsminister Christian Meyer von den Grünen. In Übereinstimmung übrigens mit einer Sprecherin der Staatsanwaltschaft, die in diesem Zusammenhang auf die schiere Menge der Fälle hinwies: Fast jeder fünfte Eier erzeugende Betrieb in Niedersachsen steht unter Verdacht, zu viele Hennen in seine Ställe gepfercht zu haben. Alle Haltungsformen sind betroffen, etwa zwei Drittel sind konventionelle, ein Drittel meist große Bio-Betriebe. In manchen Fällen betrug die Überbelegung 50 Prozent.

    "Deshalb wollen wir da auch bei den Vorschriften einiges verändern, vor allem auch die Brütereien in die Kette integrieren, wie viele Küken eigentlich angeliefert worden sind und wie viele Eier am Ende rauskommen. Daran kann man nämlich ziemlich klar ermessen, wie viel Hühner auch im Stall sind."

    Als Meyer die zusätzlichen Kontrollen im Landtag ankündigte, warf die schwarz-gelbe Opposition dem neuen Minister Populismus vor. Meyer bausche den Fall für seine Zwecke auf, meinte Stefan Birkner von der FDP, vor dem Regierungswechsel selber Umweltminister:

    "Es geht darum, jede Gelegenheit zu nutzen und zu instrumentalisieren, um die eigenen politischen Ziele, nämlich die sogenannte Agrarwende, unter großem Applaus und ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen. Dabei wird billigend in Kauf genommen, wenn nicht gar beabsichtigt, dass eine öffentliche Vorverurteilung der Beschuldigten und ganzer Berufsgruppen erfolgt und diese unter Generalverdacht gestellt werden."

    Der Agrarminister konterte, indem er die Systemfrage stellte:

    "Jetzt bezahlen wir den Preis für diese eher industriellen statt den bäuerlichen Strukturen, die wir als Landesregierung stärken wollen. Jetzt bekommen wir die Auswirkungen von diesen agrar-industriellen Komplexen zu spüren, die weder umwelt- noch ressourcenschonend agieren. Die Leidtragenden sind nicht nur die betrogenen Verbraucher, die etwas anderes gekauft haben, als sie gekriegt haben, sondern auch die vielen ehrlichen und unschuldigen Landwirte, die wieder einmal Opfer von mangelnden Kontrollen, etwa in der Futtermittelindustrie, sind."

    Gestern Nachmittag nun teilte die Staatsanwaltschaft in Oldenburg mit, dass sie bislang 26 Strafbefehle beantragt habe, unter anderem wegen gewerbsmäßigen Betruges und Verstößen gegen das Lebensmittelgesetz. Bewährungsstrafen zwischen sieben Monaten und einem Jahr wurden beantragt, verbunden mit hohen Geldauflagen in Höhe des Gewinns aus den betrügerischen Eierverkäufen. Und das ist nicht wenig: 60 Millionen Euro könnten die Eierproduzenten erschlichenen haben. Etwa 125 Verfahren sind noch anhängig. Nach Aufbauschen sieht das nicht aus.