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Betrug unter Freunden

In seiner Oper "Ein Maskenball" erzählt Giuseppe Verdi die Geschichte des lebenslustigen, aufgeklärten Monarchen Gustav III. von Schweden, der 1792 auf einem Maskenball in Stockholm ermordet wird. In Dresden ist das Stück nun an der Semperoper zu sehen.

Von Georg-Friedrich Kühn | 01.10.2011
    Die Aufführung beginnt stumm, bedeutungsschwanger. Nur millimeterweise hebt sich der Bühnenvorhang. Eine in einen nachtblauen Glitzermantel verhüllte Dame kommt auf den Laufsteg vor dem Graben. Sie zerfetzt Papierchen und knüllt sie zu Boden. Von der anderen Seite kommt eine jüngere Frau mit einem Knaben. Sie herzen sich. Später erfahren wir, es ist die Wahrsagerin Ulrica, die Amelia, die unglücklich in den Landesfürsten verliebte Ehefrau seines besten Freundes und späteren Mörders, trifft. Was die Szene bringt – man weiß es nicht. Und man fragt besser auch nicht.

    Das Theater, das man dann in den folgenden Stunden zu sehen bekommt, mutet ohnehin an wie beim Kindergeburtstag. Figuren in knallbunten, meist glitzernden Kostümen bewegen sich wie auf Kommando in Gruppen, strecken die Arme aus nach dem Conte. Wir haben uns doch alle lieb, soll das sagen, nicht nur Amelia liebt. So auch notiert es die junge Regisseurin Elisabeth Stöppler im Programmheft. Das ganze Leben ist ein Maskenball. Und in diesem Verdischen "Maskenball" tragen alle Masken im Gesicht.

    Erst im Todes-Finale werden diese Masken samt den Kleidern abgelegt. Der Chor steht dann in blütenweißer Unterwäsche, ein nackter Mann, wohl das alter Ego des Conte, durchwandert die Szene. Sie verurteilen Renato, dass er seinen Freund Riccardo erschossen hat, erschießen musste. Die Macht des Schicksals – wie die Liebe.

    Kennte man nicht den aus der Historie abgeleiteten Inhalt der Oper, szenisch, durch die Personenführung, erfährt man hier davon wenig. Stöppler und ihre Bühnenbildnerinnen, Rebecca Ringst und Annett Hunger, berauschen sich stattdessen am fast permanenten Auf und Ab der in Segmenten steuerbaren Hubpodien. Auch die Beleuchtungsbrücke tanzt mit bei diesem mechanischen Ballett.

    Auch sängerisch wird man nur zum Teil fündig. Die beste Figur macht noch der Conte, Wookyung Kim, mit seinem kräftigen und doch farbenreichen Tenor. Den Pagen Oscar hat die Regisseurin stimmgerecht in eine Frau und eine weitere heimliche Geliebte des Grafen verwandelt. Carolina Ullrich singt diesen Oscar. Ullrich ist zwar sicher in den Koloraturen und Spitzentönen, ihr fehlt allerdings das soubrettig Leichte der Partie - insofern fehlbesetzt. Auch Marjorie Owens als Amelia braucht bis zum Schlussakt, um ihr dann immer noch stark vibrato-getränktes Organ zum Leuchten zu bringen.

    Souverän mit samtenem Glanz die Staatskapelle unter Carlo Montanaro im Graben. Untadelig der szenisch allerdings kaum geforderte Chor. Am Ende gab es einen Orkan von Buhs fürs Regieteam, Bravos für die Sänger.

    Szenisch kommt das Haus, wie es scheint, auch im zweiten Jahr der neuen, aus München importierten Intendantin Ulrike Hessler nicht so recht aus den Puschen. Aber Hessler setzt damit nur eine Linie fort, die in Dresden seit vielen Jahren zu beobachten und zu beklagen ist. Mit den knappen Finanzen allein lässt sich das nicht bemänteln, es fehlt an der Spitze das Gespür für kraftvolles, sinnliches Theater. Mit dem Semper-Bau als solchem und der exzellenten Staatskapelle allein kann das Haus auf Dauer nicht bestehen, wenn es interessant bleiben will fürs Publikum.