Peter Kapern: Sie hat sich einen mächtigen Gegner ausgesucht. Die Rede ist von Bettina Wulff, der Frau des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. Sie will sich mit dem Internet-Suchmaschinenkonzern Google anlegen, mit einem Global Player also, um ein Gerücht aus der Welt zu schaffen, das jahrelang über sie kursierte und kursiert, denn für das Internet gibt es kein Radiergummi. Wer bei Google Bettina Wulffs Namen eingibt, wird von der Suchmaschine ganz automatisch in die Gerüchteküche geleitet.
Ist die Suche bei Google wirklich so neutral, ist sie wirklich nur eine mit Algorithmen errechnete Auswahl aus all jenen Suchbegriffen, die die Internet-User bei Google eintippen, so wie es der Konzern selbst behauptet? Das habe ich vor der Sendung den Publizisten und Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister gefragt.
Lutz Hachmeister: Zum Teil ja, zum Teil natürlich nicht. Google filtert ja auch andere Dinge: es werden rechtsextreme Seiten herausgefiltert, pornographische Seiten. Google kann schon eingreifen in das, was da angezeigt wird, wenn man Buchstaben eingibt oder den Anfang eines Namens eingibt. Natürlich möchten die das nicht zum Prinzip werden lassen, weil das macht doch sehr viel Arbeit, wenn man das quasi individuell steuern muss. Man müsste ja reagieren auf jede individuelle Klage.
Aber was man zusammenfassend sagen kann ist, dass Google eben keine Suchmaschine ist. Es ist keine Maschine, die automatisch funktioniert, sondern der Konzern ist so auf dem halben Weg zu einem Medienkonzern. Er hat dann auch Verantwortung für die Dinge, die unter seinem Namen entstehen. Vielleicht haben wir alle zu lange hingenommen, dass der Konzern sich so unter diesem Don't be evil - tu nichts Böses verkauft hat. Insofern ist diese Klage im Grundsatz interessant und berechtigt.
Kapern: Sie haben es gerade schon angedeutet: Die Internet-Suche via Google wird also durchaus absichtsvoll gesteuert. Aber welche Absicht steht dahinter? Kann man das definieren?
Hachmeister: Ich glaube nicht, dass in diesem Fall absichtlich von Google indiziert wird, dass nach dem Namen Bettina Wulff was auch immer auftaucht, also "Escort" oder "Prostituierte", sondern das ist schon ein automatisierter Vorgang. Aber man kann natürlich eingreifen. Man kann im Nachhinein, wenn man sieht, hier läuft etwas gewaltig schief, hier werden Gerüchte verbreitet, die nicht belegt sind, dann könnte Google eingreifen. Diese Behauptung, wir können gar nichts tun, es ist eben nur eine Maschine oder ein Algorithmus, die ist falsch.
Kapern: Warum tut Google das in dem einen Fall und in dem anderen Fall nicht?
Hachmeister: Ich glaube, weil Google vermeiden möchte, dass es Tausende von Beschwerden und Anfragen bearbeiten muss. Wenn es um Einzelpersonen geht, quasi hinter einem Kaufmann zum Beispiel "Betrüger" auftaucht oder "Lump", dann ist das natürlich eine erhebliche Form von Mehrarbeit, die Google sehr belasten würde, und deshalb versucht der Konzern, das pauschal zunächst abzuwehren.
Kapern: Kann Bettina Wulff den Kampf gegen Google gewinnen?
Hachmeister: Ja, durchaus! Die Rechtsprechung ist da sehr differenziert. Einzelne Prozesse hat Google in Deutschland gewonnen, im Ausland andere verloren, gerade was die Funktion "Autocomplete" anlangt, und das kann man ja durch alle Instanzen kämpfen. Google kann sich da nicht sicher sein, mit dem Argument, wir sind doch eine harmlose Suchmaschine, letztlich damit durchzukommen.
Kapern: Nun hat Bettina Wulff ja in einer eidesstattlichen Versicherung beteuert, dass sie kein Vorleben im Rotlicht-Milieu gehabt habe, und Hans Leyendecker, der Autor der Süddeutschen Zeitung, kommt zu dem Ergebnis, Bettina Wulff sei das Opfer einer Kampagne. Welche Rolle spielt denn nun Google in diesem Gesamtzusammenhang?
Hachmeister: Eigentlich eher eine schwache Rolle. Natürlich ist das durch diese Suchmaschine verstärkt worden, aber man kommt natürlich auch ohne "Autocomplete" auch bei anderen Suchmaschinen, die es ja gibt, Bing zum Beispiel von Microsoft, zu denselben Ergebnissen. Da liegt die Verantwortung schon sehr bei den Urhebern von Webseiten oder von Blogs, die das behaupten. Für die Entstehung des Gerüchtes und, ich glaube, auch noch nicht einmal für die anfängliche Verbreitung kann man Google eigentlich nicht haftbar machen.
Kapern: Sondern wen?
Hachmeister: Ich kann allen nur raten, die das lesen, in welchem Blatt auch immer, da sehr vorsichtig zu sein, irgendjemandem zu glauben, und sei er auch noch so renommiert als Journalist, was da im Moment geschrieben wird. Man muss da schon noch mal länger recherchieren. Es gibt diese Andeutungen, dass es CDU-interne Gegner von Christian Wulff in Niedersachsen waren, er ist da mit manchen Leuten nicht besonders zimperlich umgegangen, auch in der eigenen Partei nicht, hat Leute nicht wiederberufen auf hohe Ämter. Daher kann das kommen, das ist nicht unrealistisch, das anzunehmen. Aber die Recherchen sind da lange noch nicht am Ende.
Kapern: Sie haben hingewiesen darauf, dass die niedersächsische CDU bestreitet, was im Moment überall zu lesen ist, nämlich dass sie die Quelle des Gerüchts über Bettina Wulff sei. Wie glaubwürdig ist dieses Dementi für Sie?
Hachmeister: Das ist nicht besonders glaubwürdig. Bei meinen Recherchen – ich bin ja auch an einem größeren Dokumentarfilm über diese Affäre – gibt es schon deutliche Hinweise, dass aktiv gefragt wurde, warum bringt ihr die Geschichte nicht, Journalisten auch eben aus Kreisen der niedersächsischen CDU, auch aus Kreisen der dortigen Staatskanzlei damals. Das sind sehr zuverlässige Quellen, das geht also über Gerüchte hinaus.
Zum anderen muss man sagen: Es gibt "die niedersächsische CDU" ja nicht. Damit ist ja nicht die ganze Partei in Haftung genommen, sondern eben einzelne Leute, die enttäuscht waren, die zum Teil aus sehr konservativen Kreisen der Niedersachsen-CDU kamen, die diese neue Beziehung nicht wollten, die befürchtet haben, das schadet unserem Kandidaten. Das ist ja auch psychologisch durchaus verständlich.
Kapern: Ist das Streuen von Gerüchten ein probates, ein oft angewandtes Mittel im Kampf um Einfluss, um Posten in der Politik?
Hachmeister: Ja, wie häufig das vorkommt, ist eine gute Frage. Es gibt da natürlich keine Empirie, weil es eben Gerüchte sind. Aber es ist durchaus ein gängiges Mittel und man sieht dann allerdings, wenn zu solchen Mitteln gegriffen wird, wie sehr die Verhältnisse dann eskaliert sind.
Es ist ja komisch, dass bei Christian Wulff immer dieses Bild vom netten Schwiegersohn von nebenan, dem harmlosen Regionalpolitiker vorgeherrscht hat, und er war aber auf der anderen Seite doch ein durchaus ruppiger, rabiater Machtpolitiker, der auch ganz weit nach oben wollte. Ist ja auch ganz nach oben gekommen, muss man sagen. Und dass man dann Spuren hinterlässt und Verletzungen und Verwundungen, das ist klar.
Kapern: Sie haben es eben angedeutet: Sie arbeiten an einem großen Dokumentarfilm über die Affäre Wulff. Was genau werden Sie dort herausstellen und zu welchen Erkenntnissen werden Sie über die Affäre Wulff, ihre Entstehung und ihrem Verlauf kommen?
Hachmeister: Na ja, wir sind da noch mitten drin in den Recherchen. Aber es ist eigentlich ein interessantes politisches Machtspiel. Es ist ja auch die Frage, warum ist er nominiert worden damals und von wem genau, wer hat ihn in Vorschlag gebracht, welche Risiken waren damit unter Umständen verbunden. Also es geht nicht so sehr um die Biografie und um Psychologien, sondern wirklich um ein hohes Machtspiel auch zwischen Medien und Politik in dieser neuen Berliner Republik, wo neue Medien, wo das Internet eine Rolle spielt. Das mal so als Sittengemälde hinzustellen, ist Sinn des Films.
Kapern: Wann werden wir den sehen können?
Hachmeister: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, man muss da so lange recherchieren, wie die Recherche auch braucht. Im Moment sind wir da so in einem Dickicht von Andeutungen und Gerüchten und gegenseitigen Vorhaltungen. Es lassen sich auch Journalisten instrumentalisieren, das muss man ganz klar sagen. Da ist dann der Informant auch deutlich zu erkennen, wenn man genau liest. Es ist ja auch die skurrile Geschichte passiert, dass das Buch von Bettina Wulff längst auf dem Markt war, am Samstag jetzt schon in den Buchhandlungen auslag, als seriöse Medien noch herumgerätselt haben, was da drinstand. Da konnte sich der Normalbürger schneller informieren als professionelle Journalisten. All das wird zu recherchieren und zu hinterfragen sein.
Kapern: Lassen Sie uns noch mal kurz auf die Rolle von Journalisten schauen in dieser Affäre. Günther Jauch hat eine Unterlassungserklärung unterschrieben für Bettina Wulff, der Stern auch, dazu etliche andere Redaktionen. Haben die nachlässig, haben die fahrlässig gehandelt?
Hachmeister: Als ich das damals gesehen habe bei Günther Jauch, eine der wenigen Talkshows zum Thema Wulff, die ich damals auch live verfolgt habe, war mir in dem Moment klar, das ging zu weit, und zwar aus einem Grund: Entweder die Redaktion hat eine Recherchekapazität, dieses Gerücht selber zu bestätigen, dann kann man es auch weiterverbreiten.
Einfach etwas vorzulesen vor einem Millionenpublikum, das jemanden doch schwer belastet, ohne Beleg, ist einfach üble Nachrede. Das ist ein Tatbestand in den deutschen Gesetzen, und das war mir in dem Moment klar, als er auch diese Frage gestellt hat. Einfach nur zu sagen, ich habe nur zitiert, das reicht nicht. Wenn jemand über Sie aus einem obskuren Blatt zitiert, Sie waren früher mal an einem Bankraub beteiligt gewesen, das würde Sie auch schwer treffen. Da muss man schon gucken, was man weiterverbreitet. Aber wie gesagt: Das betrifft gar nicht den Tatbestand an sich, sondern die mangelnde Recherche der Redaktion in dem Fall.
Kapern: Ist das ein weit verbreiteter Umgang mit solchen Gerüchten im deutschen Journalismus?
Hachmeister: Ja. es wird schon viel voneinander abgeschrieben. Es wird mehr abgeschrieben als recherchiert. Das liegt übrigens auch an ökonomischen Tatsachen. Das heißt, es wird häufig nicht mehr so viel Geld für Recherche ausgegeben, sondern für schnell produzierte Sendungen im Fernsehen, für schnell geschriebene Artikel. Den zweiten und dritten Check zu machen, da ist ja auch keiner davor gefeit, mal Fehler zu machen, aber das scheint mir inzwischen so ein Strukturprinzip zu sein, dass sich die wenigsten Blätter und Sender noch leisten, die Geschichte hinter der Geschichte aufzufinden, und vielleicht muss man da … - journalistische Ethik nützt ja nichts, wie wir wissen, aber stärker darauf hinzuweisen und das zu brandmarken, kann ja doch durchaus was bringen.
Kapern: Sie haben eben das Buch von Bettina Wulff schon angesprochen. Eigentlich sollte es im November erscheinen, nun wird es am Mittwoch in den Buchhandlungen liegen. In einigen Buchhandlungen allerdings war es schon am vergangenen Wochenende erhältlich. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Erscheinen des Buches und dem Publikwerden des Kampfes von Bettina Wulff gegen diese Gerüchte?
Hachmeister: Ja, das ist orchestriert. Solche Zufälle gibt es gar nicht. Diese Offensive ist klug geplant, der Rechtsberater und der Medienberater sind ja auch keine Amateure. Dass das zusammenhängt, ist eindeutig. Alles andere wäre naiv, das zu glauben.
Kapern: Der Publizist und Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ist die Suche bei Google wirklich so neutral, ist sie wirklich nur eine mit Algorithmen errechnete Auswahl aus all jenen Suchbegriffen, die die Internet-User bei Google eintippen, so wie es der Konzern selbst behauptet? Das habe ich vor der Sendung den Publizisten und Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister gefragt.
Lutz Hachmeister: Zum Teil ja, zum Teil natürlich nicht. Google filtert ja auch andere Dinge: es werden rechtsextreme Seiten herausgefiltert, pornographische Seiten. Google kann schon eingreifen in das, was da angezeigt wird, wenn man Buchstaben eingibt oder den Anfang eines Namens eingibt. Natürlich möchten die das nicht zum Prinzip werden lassen, weil das macht doch sehr viel Arbeit, wenn man das quasi individuell steuern muss. Man müsste ja reagieren auf jede individuelle Klage.
Aber was man zusammenfassend sagen kann ist, dass Google eben keine Suchmaschine ist. Es ist keine Maschine, die automatisch funktioniert, sondern der Konzern ist so auf dem halben Weg zu einem Medienkonzern. Er hat dann auch Verantwortung für die Dinge, die unter seinem Namen entstehen. Vielleicht haben wir alle zu lange hingenommen, dass der Konzern sich so unter diesem Don't be evil - tu nichts Böses verkauft hat. Insofern ist diese Klage im Grundsatz interessant und berechtigt.
Kapern: Sie haben es gerade schon angedeutet: Die Internet-Suche via Google wird also durchaus absichtsvoll gesteuert. Aber welche Absicht steht dahinter? Kann man das definieren?
Hachmeister: Ich glaube nicht, dass in diesem Fall absichtlich von Google indiziert wird, dass nach dem Namen Bettina Wulff was auch immer auftaucht, also "Escort" oder "Prostituierte", sondern das ist schon ein automatisierter Vorgang. Aber man kann natürlich eingreifen. Man kann im Nachhinein, wenn man sieht, hier läuft etwas gewaltig schief, hier werden Gerüchte verbreitet, die nicht belegt sind, dann könnte Google eingreifen. Diese Behauptung, wir können gar nichts tun, es ist eben nur eine Maschine oder ein Algorithmus, die ist falsch.
Kapern: Warum tut Google das in dem einen Fall und in dem anderen Fall nicht?
Hachmeister: Ich glaube, weil Google vermeiden möchte, dass es Tausende von Beschwerden und Anfragen bearbeiten muss. Wenn es um Einzelpersonen geht, quasi hinter einem Kaufmann zum Beispiel "Betrüger" auftaucht oder "Lump", dann ist das natürlich eine erhebliche Form von Mehrarbeit, die Google sehr belasten würde, und deshalb versucht der Konzern, das pauschal zunächst abzuwehren.
Kapern: Kann Bettina Wulff den Kampf gegen Google gewinnen?
Hachmeister: Ja, durchaus! Die Rechtsprechung ist da sehr differenziert. Einzelne Prozesse hat Google in Deutschland gewonnen, im Ausland andere verloren, gerade was die Funktion "Autocomplete" anlangt, und das kann man ja durch alle Instanzen kämpfen. Google kann sich da nicht sicher sein, mit dem Argument, wir sind doch eine harmlose Suchmaschine, letztlich damit durchzukommen.
Kapern: Nun hat Bettina Wulff ja in einer eidesstattlichen Versicherung beteuert, dass sie kein Vorleben im Rotlicht-Milieu gehabt habe, und Hans Leyendecker, der Autor der Süddeutschen Zeitung, kommt zu dem Ergebnis, Bettina Wulff sei das Opfer einer Kampagne. Welche Rolle spielt denn nun Google in diesem Gesamtzusammenhang?
Hachmeister: Eigentlich eher eine schwache Rolle. Natürlich ist das durch diese Suchmaschine verstärkt worden, aber man kommt natürlich auch ohne "Autocomplete" auch bei anderen Suchmaschinen, die es ja gibt, Bing zum Beispiel von Microsoft, zu denselben Ergebnissen. Da liegt die Verantwortung schon sehr bei den Urhebern von Webseiten oder von Blogs, die das behaupten. Für die Entstehung des Gerüchtes und, ich glaube, auch noch nicht einmal für die anfängliche Verbreitung kann man Google eigentlich nicht haftbar machen.
Kapern: Sondern wen?
Hachmeister: Ich kann allen nur raten, die das lesen, in welchem Blatt auch immer, da sehr vorsichtig zu sein, irgendjemandem zu glauben, und sei er auch noch so renommiert als Journalist, was da im Moment geschrieben wird. Man muss da schon noch mal länger recherchieren. Es gibt diese Andeutungen, dass es CDU-interne Gegner von Christian Wulff in Niedersachsen waren, er ist da mit manchen Leuten nicht besonders zimperlich umgegangen, auch in der eigenen Partei nicht, hat Leute nicht wiederberufen auf hohe Ämter. Daher kann das kommen, das ist nicht unrealistisch, das anzunehmen. Aber die Recherchen sind da lange noch nicht am Ende.
Kapern: Sie haben hingewiesen darauf, dass die niedersächsische CDU bestreitet, was im Moment überall zu lesen ist, nämlich dass sie die Quelle des Gerüchts über Bettina Wulff sei. Wie glaubwürdig ist dieses Dementi für Sie?
Hachmeister: Das ist nicht besonders glaubwürdig. Bei meinen Recherchen – ich bin ja auch an einem größeren Dokumentarfilm über diese Affäre – gibt es schon deutliche Hinweise, dass aktiv gefragt wurde, warum bringt ihr die Geschichte nicht, Journalisten auch eben aus Kreisen der niedersächsischen CDU, auch aus Kreisen der dortigen Staatskanzlei damals. Das sind sehr zuverlässige Quellen, das geht also über Gerüchte hinaus.
Zum anderen muss man sagen: Es gibt "die niedersächsische CDU" ja nicht. Damit ist ja nicht die ganze Partei in Haftung genommen, sondern eben einzelne Leute, die enttäuscht waren, die zum Teil aus sehr konservativen Kreisen der Niedersachsen-CDU kamen, die diese neue Beziehung nicht wollten, die befürchtet haben, das schadet unserem Kandidaten. Das ist ja auch psychologisch durchaus verständlich.
Kapern: Ist das Streuen von Gerüchten ein probates, ein oft angewandtes Mittel im Kampf um Einfluss, um Posten in der Politik?
Hachmeister: Ja, wie häufig das vorkommt, ist eine gute Frage. Es gibt da natürlich keine Empirie, weil es eben Gerüchte sind. Aber es ist durchaus ein gängiges Mittel und man sieht dann allerdings, wenn zu solchen Mitteln gegriffen wird, wie sehr die Verhältnisse dann eskaliert sind.
Es ist ja komisch, dass bei Christian Wulff immer dieses Bild vom netten Schwiegersohn von nebenan, dem harmlosen Regionalpolitiker vorgeherrscht hat, und er war aber auf der anderen Seite doch ein durchaus ruppiger, rabiater Machtpolitiker, der auch ganz weit nach oben wollte. Ist ja auch ganz nach oben gekommen, muss man sagen. Und dass man dann Spuren hinterlässt und Verletzungen und Verwundungen, das ist klar.
Kapern: Sie haben es eben angedeutet: Sie arbeiten an einem großen Dokumentarfilm über die Affäre Wulff. Was genau werden Sie dort herausstellen und zu welchen Erkenntnissen werden Sie über die Affäre Wulff, ihre Entstehung und ihrem Verlauf kommen?
Hachmeister: Na ja, wir sind da noch mitten drin in den Recherchen. Aber es ist eigentlich ein interessantes politisches Machtspiel. Es ist ja auch die Frage, warum ist er nominiert worden damals und von wem genau, wer hat ihn in Vorschlag gebracht, welche Risiken waren damit unter Umständen verbunden. Also es geht nicht so sehr um die Biografie und um Psychologien, sondern wirklich um ein hohes Machtspiel auch zwischen Medien und Politik in dieser neuen Berliner Republik, wo neue Medien, wo das Internet eine Rolle spielt. Das mal so als Sittengemälde hinzustellen, ist Sinn des Films.
Kapern: Wann werden wir den sehen können?
Hachmeister: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, man muss da so lange recherchieren, wie die Recherche auch braucht. Im Moment sind wir da so in einem Dickicht von Andeutungen und Gerüchten und gegenseitigen Vorhaltungen. Es lassen sich auch Journalisten instrumentalisieren, das muss man ganz klar sagen. Da ist dann der Informant auch deutlich zu erkennen, wenn man genau liest. Es ist ja auch die skurrile Geschichte passiert, dass das Buch von Bettina Wulff längst auf dem Markt war, am Samstag jetzt schon in den Buchhandlungen auslag, als seriöse Medien noch herumgerätselt haben, was da drinstand. Da konnte sich der Normalbürger schneller informieren als professionelle Journalisten. All das wird zu recherchieren und zu hinterfragen sein.
Kapern: Lassen Sie uns noch mal kurz auf die Rolle von Journalisten schauen in dieser Affäre. Günther Jauch hat eine Unterlassungserklärung unterschrieben für Bettina Wulff, der Stern auch, dazu etliche andere Redaktionen. Haben die nachlässig, haben die fahrlässig gehandelt?
Hachmeister: Als ich das damals gesehen habe bei Günther Jauch, eine der wenigen Talkshows zum Thema Wulff, die ich damals auch live verfolgt habe, war mir in dem Moment klar, das ging zu weit, und zwar aus einem Grund: Entweder die Redaktion hat eine Recherchekapazität, dieses Gerücht selber zu bestätigen, dann kann man es auch weiterverbreiten.
Einfach etwas vorzulesen vor einem Millionenpublikum, das jemanden doch schwer belastet, ohne Beleg, ist einfach üble Nachrede. Das ist ein Tatbestand in den deutschen Gesetzen, und das war mir in dem Moment klar, als er auch diese Frage gestellt hat. Einfach nur zu sagen, ich habe nur zitiert, das reicht nicht. Wenn jemand über Sie aus einem obskuren Blatt zitiert, Sie waren früher mal an einem Bankraub beteiligt gewesen, das würde Sie auch schwer treffen. Da muss man schon gucken, was man weiterverbreitet. Aber wie gesagt: Das betrifft gar nicht den Tatbestand an sich, sondern die mangelnde Recherche der Redaktion in dem Fall.
Kapern: Ist das ein weit verbreiteter Umgang mit solchen Gerüchten im deutschen Journalismus?
Hachmeister: Ja. es wird schon viel voneinander abgeschrieben. Es wird mehr abgeschrieben als recherchiert. Das liegt übrigens auch an ökonomischen Tatsachen. Das heißt, es wird häufig nicht mehr so viel Geld für Recherche ausgegeben, sondern für schnell produzierte Sendungen im Fernsehen, für schnell geschriebene Artikel. Den zweiten und dritten Check zu machen, da ist ja auch keiner davor gefeit, mal Fehler zu machen, aber das scheint mir inzwischen so ein Strukturprinzip zu sein, dass sich die wenigsten Blätter und Sender noch leisten, die Geschichte hinter der Geschichte aufzufinden, und vielleicht muss man da … - journalistische Ethik nützt ja nichts, wie wir wissen, aber stärker darauf hinzuweisen und das zu brandmarken, kann ja doch durchaus was bringen.
Kapern: Sie haben eben das Buch von Bettina Wulff schon angesprochen. Eigentlich sollte es im November erscheinen, nun wird es am Mittwoch in den Buchhandlungen liegen. In einigen Buchhandlungen allerdings war es schon am vergangenen Wochenende erhältlich. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Erscheinen des Buches und dem Publikwerden des Kampfes von Bettina Wulff gegen diese Gerüchte?
Hachmeister: Ja, das ist orchestriert. Solche Zufälle gibt es gar nicht. Diese Offensive ist klug geplant, der Rechtsberater und der Medienberater sind ja auch keine Amateure. Dass das zusammenhängt, ist eindeutig. Alles andere wäre naiv, das zu glauben.
Kapern: Der Publizist und Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.