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Bettine und Achim von Arnim
Die ungewöhnliche Ehe zweier Romantiker

20 Jahre lang waren die Schriftsteller Bettine und Achim von Arnim miteinander verheiratet. Sie galten als eigenwilliges, aber von leidenschaftlichen Streitereien unbeirrtes Traumpaar der Romantik. Nun hat die frühere Ehe- und Familientherapeutin Hildegard Baumgard die Doppelbiografie "Bettine und Achim von Arnim - Die Geschichte einer ungewöhnlichen Ehe" veröffentlicht.

Von Katrin Hillgruber |
    Bronzedenkmal des Dichterpaars Bettina und Achim von Arnim im Berliner Arnimpark
    Die Doppelbiografie von Bettine und Achim von Arnim basiert auf dem ausgedehnten Briefwechsel des Paares. (dpa / picture alliance / Manfred Krause)
    "In Wiepersdorf scheint alles sehr früh zu sein", bemerkte die dänische Lyrikerin Inger Christensen. Als sie 1995 als Stipendiatin des Künstlerhauses Wiepersdorf in den südlichen Fläming kam, hatte sie das Gefühl, ihre Kindheit rücke auf einmal in diese – wie sie schrieb – "übriggebliebene Frühheit hinein, die es sonst nicht gibt".
    Auf dem Schloss der Familie von Arnim sah sie sich mit einer "wochenlangen Sonntagsstille" konfrontiert, wo die Sehnsucht modere. Offenbar hatte Inger Christensen die berüchtigte Wiepersdorfer Melancholie befallen, die bereits vor hundert Jahren den damaligen Hausherrn Ludwig Achim von Arnim umweht haben soll. Auch in Sarah Kirschs Gedichtzyklus "Wiepersdorf" ist vom "frühschlafenden Land-Strich hinter den Wäldern" die Rede.
    Diese Stimmen zweier zeitgenössischer Dichterinnen wirken wie Echos auf das Lamento einer Kollegin aus dem 19. Jahrhundert, nämlich der einstigen Gutsherrin Bettine von Arnim, geborene Brentano. Als Tochter eines Kaufmanns vom Comer See, der es in Frankfurt am Main zu beträchtlichem Wohlstand gebracht hatte, war Bettine mit ihren zwölf Geschwistern, darunter dem Lieblingsbruder Clemens, im prächtigen Haus zum Goldenen Kopf aufgewachsen.
    Der Kontrast zwischen dem Frankfurter Geschäftshaushalt und der protestantischen Nüchternheit des märkischen Wiepersdorf, wo Bettine als Achims Frau stets die sogenannte Arnimarmut zu spüren bekam, hätte nicht größer sein können. An Neujahr 1823 klagte sie in einem Brief an ihre Schwester Gunda, verheiratete von Savigny:
    "Das Schreiben vergeht einem hier, wo den ganzen Tag, das ganze Jahr, das ganze liebe Leben nichts vorfällt, weswegen man ein Bein oder einen Arm aufheben möchte. Ich kenne kein Geschäft, was den Kopf mehr angreift als gar nichts tun und nichts erfahren; jeder Gedanke strebt aus der Lage heraus, in der man sich befindet, man fliegt und erhebt sich weit und mit Anstrengung über die Gegenwart und fällt um so tiefer, um so gefährlicher wieder zurück, daß es einem ist, als ob man alle Knochen zerschlagen habe."
    Paar führte jahrelang eine Fernbeziehung
    Ludwig Achim von Arnim und sein älterer Bruder Carl Otto, genannt Pitt, hatten das Ländchen Bärwalde, etwa achtzig Kilometer südlich von Berlin gelegen, von ihrer Großmutter väterlicherseits geerbt, der energischen Caroline Freifrau von Labes. Sie erzog die Jungen, nachdem Achims Mutter wenige Wochen nach dessen Geburt am 26. Januar 1781 gestorben war.
    Im April 1814, drei Jahre nach ihrer Hochzeit, übersiedelten Achim und seine Frau Bettine mit den kleinen Söhnen Freimund und Siegmund nach Wiepersdorf, um von der Landwirtschaft zu leben. Doch im Gegensatz zum genügsamen und die Einsamkeit gewohnten Achim hielt es Bettine dort nur drei Jahre aus – sie zog mit den Kindern nach Berlin zurück, damals eine ganze strapaziöse Tagesfahrt in der Kutsche entfernt.

    Was für die zwanzigjährige Ehe der Arnims einen ständig schwelenden Konflikt bedeutete, hat sich im Nachhinein als unschätzbares Glück für die Literaturwissenschaft erwiesen. Denn ohne die häufige räumliche Trennung von Achim und Bettine wäre es nie zum ausgedehnten Briefwechsel des Paares gekommen. Nun hat Hildegard Baumgart diesen philologischen und kulturgeschichtlichen Schatz erneut in Form einer Doppelbiografie gehoben.
    Der Schriftsteller Achim von Arnim, einer der bedeutendsten Vertreter der Romantik, wurde am 26. Januar 1781 in Berlin geboren und verstarb am 21. Januar 1831 in Wiepersdorf bei Jüterbog. 1811 heiratete er die Dichterin Bettina Brentano, die Schwester Clemens Brentanos. Zu seinen wichtigsten Werken zählen "Des Knaben Wunderhorn", "Isabella von Ägypten" und "Die Kronenwächter".
    Einer der bedeutendsten Vertreter der Romantik - der Schriftsteller Achim von Arnim. (pichture alliance )
    "Bettine und Achim von Arnim – Die Geschichte einer ungewöhnlichen Ehe" stellt die Fortsetzung ihres Buches "Bettine Brentano und Achim von Arnim – Lehrjahre einer Liebe" aus dem Jahr 1999 dar. Damit vollendet die Romanistin und frühere Ehe- und Familientherapeutin ihre jahrzehntelange Beschäftigung mit jenen beiden Schriftstellern, die als Traumpaar der Romantik schlechthin gelten. Im Nachwort erklärt Hildegard Baumgart:
    "Dieses Buch über eine ungewöhnliche Ehe hat auch eine ungewöhnliche Geschichte. Anfang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts begann ich, ausgehend von meiner Arbeit an einer Paar- und Familienberatungsstelle, über die geschichtliche Entwicklung unserer Eheauffassung nachzudenken, und entschied mich auf der Suche nach einem Paar, das aus 'romantischer Liebe' eine Ehe schloss, für Bettine Brentano und Achim von Arnim. Es wurde eine Arbeit, die mich zwanzig Jahre beschäftigte."
    Anhand unzähliger Briefstellen wird der Alltag plastisch rekonstruiert
    Er sei froh, die Tollhäusler los zu sein, wird Johann Wolfgang von Goethe zitiert, dem die Frischvermählten im August 1811 in Weimar ihre Aufwartung machten. Als junges Mädchen hatte Bettine laut Baumgart mit dem glühend verehrten Frankfurter Landsmann eine flüchtige erotische Szene erlebt: Er soll ihr Mieder geöffnet und ihren blanken Busen geküsst haben. Nun kam es zu einem Zwischenfall in einer Ausstellung, als Bettine Goethes Ehefrau Christiane als "Blutwurst" beschimpft haben soll.
    Hildegard Baumgart scheint es mit den Arnims ganz anders als Goethe zu ergehen: Je mehr sie über Bettine und Achim forscht, desto plastischer rekonstruiert sie anhand unzähliger Briefstellen deren Alltag. Die beiden erscheinen wie Hausgenossen, mit denen sie seit Jahrzehnten vertrauten Umgang pflegt und auf die sie ihre Sympathie gleichmäßig verteilt.
    Auch in die so unterschiedlichen Temperamente des Paares – die extrovertierte Bettine, den introvertierten Achim - fühlt sie sich beinahe mimetisch ein. Dabei schießt sie jedoch gelegentlich über das Ziel hinaus. So teilt sie zum Beispiel aus Achims Junggesellenzeit mit, er sei im Königsberger Kriegsexil in die vierzehnjährige Auguste Schwinck verliebt gewesen, ein – wie es heißt – "ebenso bezauberndes wie eigentlich uninteressantes Mädchen". Woher aber will die Verfasserin das wissen?
    Beim Lesen stellt sich zunehmend der Eindruck der Vertrautheit ein, ja des unmittelbaren Miterlebens der zwanzig Ehejahre bis zu Arnims frühem Tod 1831. Hildegard Baumgarts übergeordnetes Thema ist die Liebe und die Frage, wie diese sich durch die Heirat aus der Poesie in den Alltag überführen lässt.
    Dezente Mutmaßungen über erotische Beziehung
    Mit knapp 26 beziehungsweise 30 Jahren waren die Brautleute für damalige Verhältnisse recht alt. Am 11. März 1811 ließen sich die Katholikin Elisabeth Catharina Ludovica Magdalena Brentano und der Protestant Carl Joachim Friedrich Ludwig von Arnim trauen. Bettine lebte bei der erwähnten Schwester Gunda und deren Mann am Berliner Monbijouplatz, während sich der Bräutigam eine Wohnung mit seinem Schwager in spe Clemens Brentano teilte. Bei der Gestaltung des Festtages zeigte sich Arnims Talent für grotesk-fantastische Arrangements, das auch seine späteren Erzählungen wie "Isabella von Ägypten" oder "Die Majoratsherren" prägte:
    "Nach der Trauung benahmen sich beide weiter so, als seien sie nicht verheiratet. Arnim ging in 'freudiger Einsamkeit' zum Essen in ein Restaurant. Erst abends sahen die eben Vermählten sich wieder, gingen mit Savignys in eine Ausstellung und blieben dann noch mit ihnen und Clemens zusammen, wobei Arnim – eher absichtlich als aus Versehen – ein Glas fallen ließ. Später ließ er es zur Erinnerung an den Hochzeitstag zurechtschleifen und mit der Inschrift versehen: 'Mensch, hilf dir selbst, so hilft dir Gott.' Mit einigem Recht konnte er ja die Heirat mit Bettine, die nur zustande kam, weil er sie nach langem Ausweichen energisch auf ja oder nein festlegte, als ein Ergebnis von Selbsthilfe ansehen."
    Die Hochzeitsnacht verlief für heutige Verhältnisse merkwürdig. Offenbar fürchtete Achim, den empfindlichen Clemens zu verstimmen, wenn er erst gegen Morgengrauen in die gemeinsame Junggesellenwohnung zurückkäme. Deshalb nahm er heimlich ein Brechmittel ein und behauptete, ihm sei auf dem Heimweg schlecht geworden, sodass er in ein Wirtshaus habe einkehren müssen.
    Doch der Aufwand dieser kleinen Lügengeschichte scheint sich gelohnt zu haben, wie Hildegard Baumgart in der ihr eigenen Mischung aus Nähe zu ihren Protagonisten und dezenten Mutmaßungen in erotischen Dingen vermittelt:
    "Es war für ihn, den ewig Vorsichtigen, den Zweifler, die seltenste und beglückendste Erfahrung. Auch für Bettine hatte sich alles gelöst. Sie hatte sich lange gegen die Bindung an Arnim und die Lebensform der Ehe gewehrt und war jetzt mit ihrem Schicksal einverstanden. Wenn sie im Mai an Goethe schreibt, sie könne nicht glücklicher werden, als sie geboren ist, so enthält dieser merkwürdige Satz Resignation und Zuversicht zugleich – kein Glück mehr in höherer Bestimmung, als Sängerin, als selbständige Frau in der kulturellen Szene, aber Glück allemal.
    Sieben gesunde, frei erzogene Poetenkinder
    'Lieber seidner Leib' wird sie vier Jahre später noch an Arnim schreiben, und das 'eheliche Küssen' geriet ihnen mehrmals leidenschaftlicher, als sie es eigentlich gewollt hatten: nach den vier Söhnen und der ersten Tochter wurden die beiden folgenden Schwangerschaften nicht eben mit Jubeltönen begrüßt. Doch schreibt Achim noch nach fast zehn Ehejahren sehnsüchtig von einer Reise: '…ich küsse Dich, Du mein Leib, und Deine Seele ruht in der meinen'."
    Der Glaube an die Unsterblichkeit der Jugend und der Erhalt einer höheren, poetischen Existenz: Das benennt Hildegard Baumgart als die beiden Leitmotive von Bettines Leben. Auf knapp 700 Seiten lässt sie unglaublich dicht und lebensecht daran teilhaben, wie Bettine allen Widrigkeiten und Mühsalen zum Trotz diese hehren Ideale in ihrer Ehe aufrecht zu erhalten versuchte – mehr noch als Achim, den häufig der – wie er schrieb – "Gram unserer unglücklichen Hauswirtschaft" plagte.
    Sieben gesunde, frei erzogene Poetenkinder entsprangen der Verbindung - zunächst die Söhne Freimund, Friedmund, Siegmund und Kühnemund, denn der patriotische Vater hatte seinem unter Napoleon leidenden Volk freie, kühne, friedfertige, sieghafte Männer gewünscht. Zum Glück für die drei Töchter Maximiliane, Armgart und Gisela, die sich von 1818 bis 1827 einstellten, erhielten diese keine programmatischen Namen. Maximiliane wurde nach Bettines Mutter benannt, einer Jugendliebe Goethes, die ihre schwarzen Augen der Lotte aus den "Leiden des jungen Werther" lieh.
    Stets verherrlichte die kleine und dunkle Bettine ihren stattlichen blonden Mann mit der markanten Nase, den "Baron aus dem Norden", als ingeniösen Schriftsteller. Dabei rezipierte die zeitgenössische Kritik seine Bücher meist negativ, so auch die eng befreundeten Brüder Grimm. Johann Wolfgang von Goethe war schon länger von Arnim abgerückt, den er einst für die Gedicht- und Liedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" bewundert hatte. 1802 unternahmen Clemens und Achim jene Rheinreise, über die Brentano reimte:
    "Es setzten zwei Vertraute / Zum Rhein den Wanderstab, / Der Braune trug die Laute, / Das Lied der Blonde gab."
    Goethe und die Arnims: Konflikt der Generationen und Temperamente
    Dieses Schlüsselwerk der Frühromantik galt – nicht zuletzt unter der allgegenwärtigen Bedrohung durch Napoleon - als ein Denkmal deutschen Geistes. Doch nun, nachdem sich die Arnims in Weimar unmöglich gemacht hatten, trat der Konflikt der Generationen und Temperamente offen zutage:
    "Denn es war ja nicht nur Bettine, die ihn in all den Jahren zunehmend auf die Nerven ging, auch Achim, den er als Person sehr mochte, schätzte er als Schriftsteller immer weniger und war mit all seinen Grundsatzpositionen nicht einverstanden. […] Goethe hatte es sich mit der Absage an die junge Generation nicht leicht gemacht. […] Allerdings beziehen Goethes Urteile über das 'Romantische' wohl immer schon die zeitgenössische Literatur mit ein, so wenn er schon 1808 zu Riemer sagte: 'Das Romantische ist kein Natürliches, Ursprüngliches, sondern ein Gemachtes, ein Gesuchtes, Gesteigertes, Übertriebenes, Bizarres, bis ins Fratzenhafte und Karikaturenartige …Das Antike ist nüchtern, modest, gemäßigt, das Moderne ganz zügellos, betrunken.' Es war ein Generationenkonflikt, in dem Goethe sich keine Verständigung mehr zumuten wollte und konnte."

    Achim von Arnims Manuskripte, ob als Schriftsteller oder als Redakteur der antinapoleonischen, von der Zensur gegängelten Zeitschrift "Der Preußische Correspondent", litten an "romantischer Unordnung", stellt Hildegard Baumgart tadelnd fest. Mit dem Reim "Was euch an meinen Werken quält / mit meinem Besten ist’s vermählt", hatte Arnim trotzig die ihn zutiefst verletzende Kritik pariert. Man kann sich die enorme Arbeit vorstellen, mit der sich Bettine nach Achims Tod 1831 als Herausgeberin seines Werks konfrontiert sah. Sie überlebte ihren Mann um 28 Jahre.
    Eine Büste des Dichters Johann Wolfgang von Goethe
    Der Dichter Johann Wolfgang von Goethe war mit den Arnims befreundet. (dpa / picture alliance / Uwe Zucchi)
    "Eine Planung des Aufbaus kann man hineininterpretieren, aber unmittelbar einleuchten tut sie nicht. Die 'romantische Unordnung' scheint mir nicht beabsichtigt, sondern sie ist wahrscheinlich die Folge von Arnims Produktionsweise und seiner Achtlosigkeit gegenüber der Wirkung auf das Publikum. Mit anderen Worten: Wer so etwas veröffentlicht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er nur zögernd gelesen wird. Erfolgreichere Autoren, etwa E.T.A. Hoffmann, Ludwig Tieck oder gar Walter Scott arbeiteten ganz anders."
    Bettine war davon überzeugt, ihr Mann würde die Menschheit verschönern, wenn er sich nur entschließen könne, deutlicher aufzutreten. Einmal allerdings tat er dies überdeutlich und mit gewaltsamen Folgen: Als Gründungsmitglied der mit Hardenberg, Fichte und anderen prominent besetzten "Deutschen Tischgesellschaft" hielt der frischverheiratete Arnim 1811 seine sogenannte Judenrede, die 160 Jahre lang ungedruckt blieb. Im Nachwort dankt die Autorin postum ihrem Mann, dem 2003 verstorbenen Literaturkritiker Reinhard Baumgart, für seine Hilfe bei der Rekonstruktion dieses unrühmlichen Kapitels.
    Bettines intensive Briefwechsel mit jüngeren Männern
    Hildegard Baumgart schildert ausführlich die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen bis hin zur aktenkundigen Prügelei auf einem Badeschiff, die Arnims verworrenes, offenbar witzig gemeintes Pamphlet nach sich zog. Seine Frau hingegen zählte jüdische Salondamen wie Sara Levin und besonders Rahel Varnhagen zu ihren Bekannten. Bettine, so die Verfasserin, sei zum Stern von Rahel Varnhagens Geselligkeit avanciert. Beide Damen der Berliner Gesellschaft warben um den jungen Historiker Leopold von Ranke:
    "Bettine blieb bis an Rahels Lebensende mit ihr verbunden, enger oder weiter, wie es ihre Art war. Im Vergleich der beiden Frauen fällt auf, mit wie vielen Personen Rahel Kontakt hatte und wie oft sie leidenschaftlich Anteil nahm, während Bettine ihre fliegenden wechselnden Gewohnheiten beibehielt. Wenn Rahel annimmt, Bettine müsse wohl 'selten ächt berührt worden sein', so hat sie sicher recht, jedenfalls im gesellschaftlichen Umkreis. Selbst eine Bettine hatte mit sieben Kindern, einem schwierigen Mann und eigenen schöpferischen Ambitionen nicht soviel Offenheit und Zeit frei wie eine Frau, deren ganzes äußeres und inneres Leben bestimmt war durch ihre Begabung für Geselligkeit. Ganz geheuer waren sie sich bei aller Liebe wohl niemals."
    Ab 1823 verfestigte sich die räumliche Trennung des Paares. Während Bettine Achim weiterhin gut zusprach und ihn zu Reisen ermunterte, pflegte sie selbst intensive Briefwechsel mit jüngeren Männern wie Leopold von Ranke oder dem attraktiven Jurastundenten Philipp Hössli aus Graubünden. Die Korrespondenz mit Hössli ist unter dem Titel "Ist dir bange vor meiner Liebe?" als Buch erschienen.
    Bettines kühner Überschwang schien sich nach Goethe einfach andere Objekte zu suchen. Dennoch reiste sie mit ihrem pompösen Entwurf eines Goethe-Denkmals umher und suchte weiter den Kontakt zu ihm. 1835 kam ihr jüngster Sohn, der schöne Kühnemund, bei einem Badeunfall in der Spree ums Leben. Im selben Jahr debütierte die Fünfzigjährige höchst erfolgreich mit dem Band "Goethes Briefwechsel mit einem Kinde":
    "Goethe sprach ein ambivalentes Meisterwort über das 'Kind', das ihn später einmal so verehrend bloßstellen sollte: 'Sie ist das wunderlichste Wesen von der Welt, unglücklich zwischen dem Italienischen und Deutschen hin und her schwebend, ohne Boden fassen zu können; sie habe eiserne Beharrlichkeit in dem, was sie einmal nach ihrer Art ergriffen habe, und dann mittendrin wieder die unsichersten Launenblitze, von denen sie selbst nicht wisse, wo sie hinfahren.' Mit dem zweiten Teil dieser Äußerung ist Bettines Charakter sicher gut beschrieben. Vielleicht führte das 'Schweben' zu Varnhagens Aperçu 'Bettine ist ein Vogel; sie ist immer entweder gekauert oder in Lüften'."
    Reiseschilderungen gehören zu den schönsten Passagen des Buches
    Die Reiseschilderungen auf Grundlage der Briefe an die ausgedehnte Verwandtschaft und Bekanntschaft der Arnims – Fotografien gab schließlich noch nicht - gehören zu den schönsten Passagen des Buches. Ihre akribisch gesammelten und paraphrasierten Briefzitate zwingen Hildegard Baumgart allerdings zu einem positivistischen Ansatz. Feministische Grundsatzkritik an der Rolle der Frau in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die sich bei jeder Geburt der Lebensgefahr aussetzte, scheint bei ihr nur in Ansätzen auf. Und gelegentlich hört man die Paartherapeutin durch:
    "Wie es nicht anders sein kann, hatte sich in der Arnimschen Ehe mittlerweile ein normaler Alltag entwickelt, der nicht nur voller Glück, sondern auch voller Zwänge war; es gab neben dem immer neuen Entzücken über das Kind für Bettine auch das unterschwellig belastende Gefühl, Mutter sein und bleiben zu müssen und nie im Leben mehr von dieser Verantwortung loskommen zu können. In dieser Zeit schrieb sie nichts darüber, aber später thematisierte sie oft sehr deutlich den Grundkonflikt, der keiner Frau erspart bleibt, die mehr Begabungen und Interessen hat als nur Mann und Kinder."
    Mit dieser Auffassung ist die Autorin in ihrer mittlerweile fünften Publikation über die Arnims, die ein hilfreiches Register ergänzt, der zu Recht bewunderten Bettine ausnahmsweise voraus. Denn diese hatte ihrem Schweizer Schwarm Philipp Hössli 1824 geschrieben, die Ehe sei für das Weib das Einzige, für den Mann aber bloß eine Epoche, woraufhin der junge Mann heftig widersprach.
    In Wiepersdorf, wo Achim von Arnim mit seiner Novelle "Die Versöhnung in der Sommerfrische" eben jenen Begriff der Sommerfrische prägte, liegen er und Bettine begraben. Es ist das Verdienst dieser zweiten großen Doppelbiografie Hildegard Baumgarts, dass man die beiden auch im Abstand von zweihundert Jahren so lebendig diskutieren, dichten und streiten hört.

    Hildegard Baumgart: "Bettine und Achim von Arnim. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Ehe"
    Insel Verlag, Berlin 2016. 750 Seiten, 32,00 Euro.