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Bevölkerungsentwicklung
Zuwanderung für Deutschland als Chance

Das Statistische Bundesamt hat eine neue Studie vorgestellt, die verdeutlicht, was seit Jahren bekannt ist: Wegen des Bevölkerungsrückganges ist Deutschland auf Zuwanderung angewiesen. Aber kann die Integration von so vielen Menschen gelingen?

Von Kemal Hür | 28.04.2015
    Zwei Menschen bei einem Integrationskurs in Berlin im September 2014
    Deutschland braucht 450 bis 500.000 Einwanderer pro Jahr, damit die Bevölkerung nicht schrumpft. (dpa / picture-alliance / Jens Kalaene)
    Ahmed sägt etwa zehn Zentimeter kleine Stücke von einer Holzleiste ab und klebt sie kreisförmig aneinander.
    "Ich mache einen Ring. Aber der Ring ist Europa. Das sind 28 Stück."
    Jedes kleine Holzstück soll ein europäisches Land symbolisieren. Ahmed will später die Fahnen des jeweiligen Landes auf die Holzteile malen. Der 29-jährige Nigerianer lebt seit anderthalb Jahren in Deutschland. Er ist über Italien nach Deutschland geflüchtet. In seiner Heimat war er Elektriker. Hier darf er noch nicht arbeiten; denn sein Asylverfahren ist nicht abgeschlossen. Zurzeit hat er eine Duldung für sechs Monate. Das ist der niedrigste Aufenthaltsstatus. Damit darf Ahmed auch keine Ausbildung machen. Seit Anfang des Jahres aber lernt er in dem Projekt Arrivo Berlin verschiedene Handwerksberufe kennen. Das Projekt will Flüchtlinge und Betriebe unbürokratisch zusammenbringen, sagt Projektleiter Anton Schünemann.
    "Das funktioniert unbürokratisch, indem man versucht, rauszufinden, wer sind diese Menschen, wo kommen die her? Was bringen die für besondere Kenntnisse mit? Für welche Bereiche interessieren sie sich? Haben sie bestimmte Informationen, Kenntnisse, die sie schon mitbringen, die man dann nur noch verfeinern muss, oder muss man ganz viele Dinge erklären, damit klar ist, wie der Arbeitskontext ist, wie der Arbeitsmarkt in Deutschland funktioniert."
    Diese Informationen werden nicht abgefragt, wenn Flüchtlinge in Deutschland Asyl beantragen. Damit sie aber als Arbeitskräfte berücksichtigt werden könnten, sei es unerlässlich, Informationen über deren Qualifikationen zu haben, sagt Schünemann. Denn Studien zufolge könne die deutsche Wirtschaft auf die Flüchtlinge nicht verzichten. So verfüge jeder fünfte über einen Hochschulabschluss. Und jeder dritte Flüchtling habe eine Berufsausbildung. Deutschland gingen viele Talente verloren, sagt auch Anton Schünemann.
    "Es werden einerseits Hochqualifizierte gesucht; es werden Leute mit einer Ausbildung gesucht, es werden aber auch ganz viele Menschen gesucht, die hier noch eine Ausbildung machen sollen. Letzteres natürlich im Handwerksbereich, mit dem wir uns hier beschäftigen an ganz oberster Stelle. Und dem werden die Menschen, die hierher kommen, total gerecht."
    Bedeutung der Zuwanderung für den Arbeitsmarkt
    Nach einer heute vorgestellten Studie des Statistischen Bundesamtes braucht Deutschland 450- bis 500.000 Einwanderer pro Jahr, damit die Bevölkerung nicht schrumpft. Auch der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration stellte heute in Berlin sein Jahresgutachten vor und verwies auf die Bedeutung der Zuwanderung für den Arbeitsmarkt. Professor Heinz Faßmann:
    "Wenn wir in Deutschland jährlich eine Netto-Zuwanderung von 200.000 Menschen hätten im erwerbsfähigen Alter - das ist eine ganz wichtige Einschränkung, im erwerbsfähigen Alter - zwischen 20 und 65, dann würde die Bevölkerung bis 2050 immer noch um 10 Millionen schrumpfen."
    Auf dieses Problem machen Betriebe sowie Industrie- und Handwerkskammer seit Langem aufmerksam. Um den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen, dürfe man nicht nur eine erleichterte Einwanderung für Hochqualifizierte fordern, die Politik müsse auch den Arbeitsmarkt für Flüchtlinge öffnen.
    Arrivo Berlin ist ein Modellprojekt und will seit Dezember letzten Jahres Flüchtlinge auf das Arbeitsleben vorbereiten. Das Projekt des Jugendvereins Schlesische27 wird gefördert vom Berliner Senat, der Flüchtlingsinitiative Brigde und der Handwerkskammer. 15 junge Flüchtlinge lernen in einem Parcours sechs Monate lang Handwerksberufe kennen. Sie bekommen in dieser Zeit auch die Möglichkeit, bei Kooperationsbetrieben Praktika zu absolvieren.
    Der 29-jährige Ahmed aus Nigeria würde gerne das Projekt abschließen und eine reguläre Ausbildung machen. Aber mit seinem Aufenthaltsstatus ist das nicht möglich. Das ist eine Ungewissheit für ihn, aber auch für die Betriebe, die jungen motivierten Flüchtlingen eine Chance geben würden, aber nicht wissen, ob sie überhaupt dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen.
    "Jetzt hier habe ich eine Duldung für sechs Monate. Ich weiß nicht, wenn die sechs Monate Duldung fertig sind, bekomme ich eine andere Possibilita oder nicht."