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"Bevor ein wenig Erde unseren Mund füllt"

Er war ein Augenblicksmensch. Jedes seiner Konzerte war ein bisschen anders als die anderen. Und doch war Georges Moustaki auf sein immer gleiches Image festgelegt, sein Ohrwurm-Repertoire, seine Welterfolge. Jetzt ist der Magier des Moments im Alter von 79 Jahren gestorben.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 23.05.2013
    Der französische Sänger und Komponist Georges Moustaki.
    Der französische Sänger und Komponist Georges Moustaki. (picture alliance / dpa / Sandro Campardo)
    Er war ein Augenblicksmensch, ein Genießer der Gegenwart. Jedes seiner Konzerte war ein bisschen anders als die anderen, selbst wenn er dasselbe Programm vortrug, im Casino de Paris, im Olympia, im Rond-Point- Theater auf den Champs-Elysées oder an tausend anderen Orten in der ganzen Welt. Er war kein Proben-Pedant, sondern ein Magier des Moments, der mit seinem Publikum flirtete. Doch zugleich war er auf sein immer gleiches Image festgelegt, sein Ohrwurm-Repertoire, seine Welterfolge, die er in den 60er- und 70er-Jahren nur so aus dem Ärmel schüttelte.

    Giuseppe Mustacchi, jüngstes Kind einer griechischen Einwandererfamilie in Ägypten, wurde vom Himmel mit der Sorglosigkeit der Erfolgreichen beschenkt. Mit 17 verließ er sein jüdisches Elternhaus und ging nach Paris, um sein Glück zu versuchen. Er begegnete dem 13 Jahre älteren Chansonnier Georges Brassens, dessen Vornamen Georges er aus Ehrerbietung übernahm. Brassens, dem er seine ersten Kompositionen überreicht hatte, führte ihn ein in die Welt der Cabarets und Jazzkeller; schnell machten Moustakis Melodien die Runde, gesungen von Catherine Sauvage, am Klavier begleitet von Serge Gainsbourg, mit Jacques Brel im Vorprogramm.

    Eines der berühmtesten Cabarets damals hieß Milord l'Arsouille. Mit Moustakis Lied "Milord" landet Edith Piaf 1959 einen Sensationserfolg. Die Piaf und er, zwanzig Jahre Altersunterschied, werden das Skandalpärchen des Jahres, aber länger als ein Jahr dauert die Affäre nicht. Moustaki, noch nicht mal 30, ist aber schon ganz oben angekommen: Er schreibt jetzt für Yves Montand, Barbara, und Serge Reggiani, er beginnt selbst aufzutreten und er leistet sich eine riesengroße zweistöckige Wohnung auf der Île Saint-Louis im Herzen von Paris.

    Seine Lieder handeln von seiner Liebe zum Luftikus-Leben, eine Mischung aus französischer "légèreté" und griechischer Melancholie, perfekt verkörpert von einem Bartträger mit wildem, früh ergrautem Strubbelhaar und einer stets etwas unausgeschlafen oder überanstrengt wirkenden Stimme.

    1969 war in Frankreich nicht nur die Agitation der Arbeiterklasse an der künstlerischen Tagesordnung, sondern auch das überzeitliche Thema der Libido. Georges Moustaki hat sich zwar mit seiner Gitarre ebenfalls an die Seite der Trotzkisten gestellt und die permanente Revolution besungen, aber eine Zwanzigjährige aufreißen und mit ihr ewige Liebe machen, das gefiel noch mehr.

    Aus seiner Autobiografie mit dem Titel "Filles de la mémoire" spricht das unstillbare Baudelairesche Verlangen nach der fremden Frau. "Vom Vamp bis zur bekehrten Lesbe", heißt es da, "von der keuschen Bourgeoisen bis zur nymphomanischen Lolita, sowohl die treue alte Freundin als auch der Groupie oder das Mädchen vom Lande – jede erweckt in mir ein Gefühl der Dankbarkeit für das jeweils einzigartige Vergnügen."

    Wollte man Moustakis Texte allen Ernstes mit heutigen Augen lesen, wäre in unserer erotisch korrekten Epoche ein Aufschrei sicher – zumindest außerhalb Frankreichs. Aber zum Glück handelt es sich um Musik, deren Verse kaum jemand versteht. Musik, die mit wenigen Akkorden auskommt, um ganz lange im Ohr zu bleiben. Musik, die aus der Jugend der heute Fünfzig- oder Sechzigjährigen herübergrüßt – ein akustisches Nostalgiebad, das uns nicht nur an die Entdeckung eigener Gefühlswelten, sondern einer ganzen Kultur, nämlich der französischen, erinnert.

    Endgültig von der Bühne abgetreten war Georges Moustaki schon vor vier Jahren, als er wegen Atemschwierigkeiten ein Konzert in Barcelona abbrechen musste. Vor einem Jahr hörte man von ihm, dass er, der Multimillionär, bei den Präsidentschaftswahlen die kommunistische Splitterpartei NPA unterstützte – ein im französischen Kulturbetrieb nicht untypisches Phänomen. In den letzten Monaten lebte Moustaki zurückgezogen in Nizza, wo er heute im Alter von 79 Jahren gestorben ist.