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Bewährungsprobe für die Pressefreiheit

Polizisten des Bundeskriminalamtes stürmten 1962 die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Herausgeber Rudolf Augstein und andere Mitarbeiter wurden des Landesverrates bezichtigt. Die Affäre weitete sich zur Staatskrise aus.

Von Brigitte Baetz | 26.10.2012
    Es ist der Abend des 26. Oktober 1962. Am Beginn dieser regnerischen Nacht läuft eine Polizeiaktion an, die das politische System der Bundesrepublik Deutschland in zuvor nie gekannte Turbulenzen stürzen wird.

    Kurz nach 21 Uhr werden die Hamburger und Bonner Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" von der "Sicherungsgruppe Bonn" des Bundeskriminalamtes gestürmt. Als die Beamten in der Hansestadt auf Widerstand treffen, bestellen sie noch drei Überfallkommandos der Polizei und 20 Mann der Hamburger Kripo. Die zwei Etagen des Spiegel im Hamburger Pressehaus werden besetzt und durchsucht. Leo Brawand, damals Leiter des Ressorts Wirtschaft beim Spiegel, wird sich später daran erinnern, wie er sich während der Aktion im Kleiderschrank versteckt hielt.

    "Als der Chef vom Dienst rauf kam und sagte, Brawand, da unten ist der Teufel los. Landesverrat! Augstein soll nach Kuba geflohen sein. Es war ja während der Kuba-Krise. Was sollen wir denn wohl machen? Machen wir erstmal weiter, damit das Blatt erscheint, … und in dem Moment hörte ich Schritte. Hab ich meine Jacke vom Stuhl genommen und bin in diesen Schrank rein. Und hab soweit ein bisschen aufgemacht und sah wie der Hausmeister, der kam dann an mit drei bewaffneten Leuten von der Bundesanwaltschaft. Und der sagte: 'Hier hef se ook schon dicht macht'. Und die gingen dann wieder weg und haben dann aber die Tür versiegelt und zugeschlossen, und ich habe sie nachher aufgemacht mit einer Schere und mit einem Brieföffner und bin dann über die Treppe bin ich dann abgehauen, obwohl mir ja nichts passiert wäre."

    Während Leo Brawand nach draußen flieht, werden mehrere Mitarbeiter des Spiegel festgenommen, darunter die beiden Chefredakteure des Blattes, Claus Jacobi und Johannes K. Engel. Ihre Privatwohnungen werden durchsucht, die Korrespondenzen beschlagnahmt, sogar die Betten der Kinder durchwühlt. Der stellvertretende Chefredakteur Conrad Ahlers wird in seinem Urlaubsort Torremolinos mitsamt seiner Frau aus dem Bett geklingelt und von der spanischen Polizei verhaftet. Auch Rudolf Augstein ist nicht in der Redaktion, er wird sich tags darauf freiwillig stellen. Verlagsgeschäftsführer Hans Detlef Becker verkündet:

    "Am heutigen Mittag um kurz nach Zwölf ist der Herausgeber des Spiegel, Herr Rudolf Augstein, verhaftet worden. …

    Ferner sind unsere Geschäfts- und Redaktionsräume in Hamburg und Bonn teils versiegelt, bzw. unter Bewachung gestellt und teils durchsucht worden. …

    Ferner sind die Privatwohnungen des Herausgebers, Herrn Augstein, und der drei genannten Redakteure durchsucht und auch dort Unterlagen mitgenommen worden, unter anderem ein Schulaufsatz von Herrn Augstein, den man im Schreibtisch fand."

    Eine Nacht- und Nebel-Aktion, die nicht nur die Freunde des Hamburger Magazins an Methoden des Dritten Reiches erinnert. Die sich gerade in Produktion befindliche neue Ausgabe darf noch druckfertig gemacht werden – und muss Zeile für Zeile zunächst einem Ermittlungsrichter vorgelegt werden. Das kommt einer verfassungswidrigen Vorzensur gleich. Es ist eine Aktion, deren Hintergründe sich der Öffentlichkeit erst nach und nach enthüllen und die zum Sturz des vierten Kabinetts Adenauer führen wird. Die Bundesanwaltschaft erklärt:

    Mehrere Mitarbeiter des Spiegel sind wegen des Verdachts des Landesverrats, der landesverräterischen Fälschung und der aktiven Bestechung vorläufig festgenommen worden. (Den Anlass gaben Artikel), die sich mit wichtigen Fragen der Landesverteidigung in einer Art und Weise befassen, die den Bestand der Bundesrepublik sowie die Sicherheit und Freiheit des deutschen Volkes gefährden.


    Titelgeschichte "Bedingt abwehrbereit" bleibt zunächst ohne großes Echo

    Alles beginnt mit der Spiegel-Ausgabe 41 von 1962. Die Titelgeschichte "Bedingt abwehrbereit" stellt der Bundeswehr ein schlechtes Zeugnis aus. Der Militärexperte des Blattes, Conrad Ahlers, beschreibt das Nato-Manöver Fallex 62, das gravierende Mängel bei der Sicherung der Zivilbevölkerung bei einem Angriff aufgezeigt hat und berichtet über mögliche Atomwaffenpläne der deutschen Armee. Im Ernstfall, so der Tenor des Artikels, fehle es der Bundeswehr an allem: an Soldaten, Waffen und Gerät.

    Mit Raketen anstelle von Brigaden und mit Atomgranatwerfern anstelle von Soldaten ist eine Vorwärtsverteidigung der Bundeswehr nicht möglich. Eine wirksame Abschreckung bleibt fraglich.

    Es ist ein Artikel, der, wie sich später herausstellen wird, auf Wunsch des Magazins sogar vor der Veröffentlichung von Mitarbeitern des BND gegengelesen worden ist.

    Denn nach der damals im Strafrecht einschlägigen "Mosaiktheorie" kann das bloße publizistische Zusammenfügen bekannter Fakten schon Landesverrat sein. Die Höchststrafe für diesen Straftatbestand: 15 Jahre Zuchthaus. Doch die Titelgeschichte des Spiegel bleibt zunächst ohne großes Echo. Im Hintergrund allerdings ermittelt die Bundesanwaltschaft, aus eigenem Ermessen. Hinzu kommt: schon über eine Woche vor der Titelstory "Bedingt abwehrbereit", hat der Würzburger Ordinarius für Staatsrecht Friedrich August von der Heydte wegen diverser Spiegel-Artikel Anzeige gegen Rudolf Augstein und einen unbekannten Informanten des Magazins wegen Landesverrats erstattet. Entscheidender wird jedoch das Verhalten von Teilen der Bundesregierung sein, insbesondere ein Gutachten im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums, auf dessen Grundlage die Bundesanwaltschaft letztlich die Haftbefehle beantragt.


    Rudolf Augstein hält Franz-Josef Strauß für eine Gefahr

    Doch davon ahnt die Öffentlichkeit noch nichts, nur einige Spiegel-Mitarbeiter meinen sich später erinnern zu können, dass es in den Telefonleitungen der Redaktion allzu häufig knackt. Die Deutschen bewegt zunehmend die gespannte weltpolitische Lage, die sich auch auf das geteilte Land und Berlin auswirken könnte. Die Kuba-Krise macht bewusst, wie dünn der Firnis auf den Ost-West-Beziehungen ist. Im Fokus einer kritischen Öffentlichkeit befindet sich deshalb eine der schillerndsten Figuren im Kabinett Adenauer: der Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß.

    Vor allem Rudolf Augstein, Herausgeber des Spiegel, macht kein Hehl daraus, dass er Strauß für eine Gefahr hält - umso mehr als der Bayer sich gute Chancen ausrechnen kann, Nachfolger von Konrad Adenauer als Kanzler zu werden. In einem seiner zahlreichen Artikel gegen Strauß schreibt Augstein:

    Dieser ungestüme Mann, der insgeheim an Atomwaffen denkt und militanten Katholizismus mit deutscher Sprunghaftigkeit vereint, dieser Mann kann in einer voraussehbaren Weltkonstellation unheilvoll werden.

    Augstein belässt es nicht nur bei Kommentaren. Skandal für Skandal deckt der Spiegel auf, beispielsweise die Fibag-Affäre. Der Verteidigungsminister hatte einen befreundeten Unternehmer für den Bau von Kasernen empfohlen. Ganz offen bekennt Augstein, einen Kanzler Strauß verhindern zu wollen:

    "Er war Gast in meinem Hause am Maienweg und benahm sich derart, dass ich gesagt habe, der nicht!"

    Strauß seinerseits geht keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Er hält Augstein und seinen Spiegel für nihilistisch und wird dem Blatt noch in seinen Lebenserinnerungen Verbindungen zum sowjetischen Geheimdienst KGB unterstellen. In seiner Ablehnung des Blattes sieht er sich einig mit Kanzler Adenauer, auch er einer, den Augstein mit Vorliebe angreift, da er seiner Meinung nach Deutschland durch die Westbindung auf Dauer gespalten hat. Wie später Helmut Kohl erklärt Adenauer gerne öffentlich:

    "Ich lese übrigens den Spiegel im Allgemeinen nicht, möchte ich hier bemerken. Ich habe Besseres zu tun."

    Doch in Wirklichkeit muss sich auch der Bundeskanzler spätestens seit der Razzia in der Spiegel-Redaktion mit dem Inhalt des Nachrichtenmagazins auseinandersetzen. Denn die Aktion von Bundesanwaltschaft und Polizei am 26. Oktober führt nicht nur zu einer lagerübergreifenden Solidaritätsaktion der deutschen Presse, sondern auch zu großem Unmut in der Bevölkerung.

    Mehr als 600 Wissenschaftler aller Couleur wenden sich mit öffentlichen Erklärungen gegen Justiz und Regierung. Der konservative Schriftsteller Hans Habe vergleicht das Vorgehen gegen den Spiegel mit der Verhaftung Carl von Ossietzkys durch die Nazis. Im ganzen Land werden Podiumsdiskussionen veranstaltet. Es kommt zu Sitzstreiks und Demonstrationen. Auf einer Demo ist zu hören:

    "Meine Damen und Herren, in der deutschen Bevölkerung ist Unruhe, und diese Unruhe ist eine begrüßenswerte Unruhe in der deutschen Bevölkerung."
    Studenten: "Strauß rein, Augstein raus."

    Augstein zu den Protesten:

    ""Der Hamburger Innensenator Helmut Schmidt führte eine Protestdemonstration an, natürlich nicht, um sie anzuführen, sondern um sie zu kanalisieren, und der Gefängnisdirektor kam zu mir in die säuberlich gescheuerte Bude und sagte mir: gucken Sie, hören Sie, da draußen, hören Se’s, das ist alles für Sie."

    Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik formiert sich so etwas wie eine außerparlamentarische Opposition: beunruhigte Bürger, konservative wie progressive, sehen die Grundrechte der jungen Demokratie in Gefahr. Aber auch im Deutschen Bundestag kommt es zu Tumulten, als das Parlament in einer drei Tage dauernden Fragestunde Aufklärung über die Durchsuchung des Spiegel und die Verhaftung der Redakteure verlangt. Fritz Erler, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, in der direkten Auseinandersetzung mit Konrad Adenauer:

    "Wo es sich um Landesverrat handelt, muss zugepackt werden, aber auch eine Untersuchung wegen Landesverrats setzt die rechtsstaatlichen Prinzipien unseres Grundgesetzes nicht außer Kraft"

    Adenauers Antwort lautete:

    "Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande."

    Zwischenrufer: "Wer sagt das?"

    "Ich sage das. Ich sage das, denn, meine Damen und Herren, wenn von einem Blatt, das in einer Auflage von 500.000 Exemplaren erscheint, systematisch, um Geld zu verdienen, Landesverrat betrieben wird … Ich bin sehr erstaunt, Sie wollten sich doch gar nicht vor den Spiegel stellen. Sie wollen doch nur die Methoden, mit denen Landesverrat aufgedeckt wird, die passen Ihnen nicht."

    Doch die christlich-liberale Regierungskoalition ist gespalten. Die FDP zeigt sich empört über den – wie sie es sieht - Übergriff des Staates. Der Abgeordnete Wolfgang Döring verwendet sich für seinen Freund Augstein:
    "Aber Herr Bundeskanzler, ich bin es nicht nur meinem Freunde, sondern auch dem Staatsbürger Augstein und allen anderen schuldig, dagegen zu protestieren, dass Sie hier sagen, Herr Augstein verdient am Landesverrat. Dann haben Sie als Erster hier ein Urteil gefällt, das zu fällen nur den Gerichten zusteht."

    FDP-Fraktionschef Erich Mende nimmt den Spiegel gegen eine Vorverurteilung in Schutz:

    "Niemand in diesem Haus denkt daran, sich schützend vor Landesverräter zu stellen. Solange allerdings ein rechtskräftiges Urteil eines unabhängigen Gerichtes die letzte Entscheidung nicht getroffen hat, gelten nach unserer Strafprozessordnung alle zwar als Verdächtige und Beschuldigte, doch noch nicht als verurteilte Landesverräter."

    Bundeskanzler Konrad Adenauer entgegnete:

    "Gott, was ist mir schließlich Augstein. Gott, der Mann hat Geld verdient auf seine Weise, und es gibt Kreise, die ihm dabei geholfen haben, indem sie sich abonniert haben auf den Spiegel und indem sie Annoncen hineingesetzt haben. Das sind Leute, die stehen nicht sehr hoch in meiner Achtung, die ihnen so viele Annoncen gegeben haben und so weiter (Lachen, Applaus). Aber er hat viel Geld verdient, sehr viel Geld verdient, ist für meinen Begriff auch kein Maßstab für seine sittliche Größe, meine Damen und Herren, ich kann mir nicht helfen."

    Die finanzielle Situation für den Spiegel ist in diesen Tagen durchaus ernst, so der damalige Wirtschaftschef des Magazins Leo Brawand später, obwohl natürlich die Spiegel-Affäre auch die Auflage in die Höhe treibt. Doch ohne die Mithilfe der anderen Redaktionen im Hamburger Pressehaus – von Zeit bis Stern – die den Spiegel-Leuten ihre Räume und Arbeitsgeräte zur Verfügung stellen, hätte der Spiegel seine Arbeit für einige Wochen einstellen müssen. Dazu Brawand:

    "Die Angst war schon begründet, beispielsweise, weil eben sich ein Teil etwa der Anzeigenkunden ja doch abgewendet hat von uns, oder andere, etwa die Papierlieferanten nur gegen Vorkasse liefern wollten. Also, die Bedrohung war schon echt, und das war ja auch der Sinn der Sache. Wie John Jahr, unser Seniorchef gesagt hat: Die wollen den Spiegel kaputtmachen, das war die Idee. Und umso mehr die Gegenkräfte, die wir mobilisiert haben."

    Was zunächst lange unklar ist: Wer war letztlich verantwortlich für die Durchsuchung der Spiegel-Redaktion und vor allem für die Verhaftung von Conrad Ahlers durch die spanische Polizei des Caudillo Franco? Verteidigungsminister Strauß leugnet eine Beteiligung, obwohl die Rechtsgrundlage für den Zugriff auf den Spiegel ein Gutachten aus seinem Ministerium gewesen ist. Der Bundeskanzler rettet sich bei der Fragestunde im Bundestag zunächst in Süffisanz:

    "Wenn der Herr Ahlers in Deutschland gewesen wäre, und er wäre dann verhaftet worden, könnte kein Mensch was dagegen sagen. Nun war er zufällig in Spanien. Und da hat ihn dasselbe Missgeschick getroffen."

    Adolf Arndt, der sogenannte "Kronjurist" der SPD, mag Adenauers unernste Replik so nicht hinnehmen. Er pocht darauf, dass der Rechtsstaat sich eben nicht der Mittel bedienen darf, die einer Diktatur zur Verfügung stehen.

    " … Und wenn wir uns auf rechtsstaatliche Weise verteidigen, dann bildet es sehr wohl einen Unterschied, ob jemand in Malaga unter Verstoß gegen internationale Abreden oder auf sonst dunkle und zweifelhafte Weise seiner Freiheit beraubt worden ist, oder ob er hier, auf unserem Boden, nach einem Haftbefehl eines Richters festgenommen worden ist."


    Franz-Josef Strauß bei einer Rede im Deutschen Bundestag 1973
    Franz-Josef Strauß bei einer Rede im Bundestag (1972). Rudolf Augstein, machte kein Hehl daraus, dass er Strauß für eine Gefahr hält (AP)
    1962: In München demonstrierten Studenten gegen Polizei-Maßnahmen im Zuge der "Spiegel"-Affäre.
    1962: In München demonstrierten Studenten gegen Polizei-Maßnahmen im Zuge der "Spiegel"-Affäre. (picture alliance / dpa / Klaus-Dieter Heirler)
    Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß gerät in Bedrängnis

    Erst am dritten Tag der Fragestunde gibt ein hörbar erregter Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß zu, dass die Verhaftung in Spanien auf seine direkte Intervention hin durchgeführt worden ist:

    "Als der Militärattache, ich weiche Ihnen nicht aus, das wäre eine völlig falsche Annahme oder Unterstellung, bei einem Anruf den Sachverhalt gar nicht glauben wollte, und sagte, er erkenne nur die Stimme des Ministers, bin auch ich mit ihm verbunden worden und habe ihm das wiederholt, was vorlag. Sicherungsgruppe. Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes ruft an und behauptet, dass Oberst Oster von dieser Reise Bescheid wisse. Der Herr Ahlers wird gesucht wegen des Tatverdachts des Landesverrats. Gegen ihn liegt ein höchstrichterlicher Haftbefehl vor. Er ist begründet mit Fluchtgefahr und mit Verdunkelungsgefahr."

    Strauß hatte im Namen des Bundeskanzlers dem deutschen Militärattache in Madrid befohlen, Ahlers festsetzen zu lassen. Augstein befände sich bereits auf Kuba, so der Minister. Ein Vorgang, den Bundesinnenminister Hermann Höcherl, ein Parteifreund von Franz Josef Strauß, noch zu beschönigen versucht.

    "Offenbar ist auch hier so verfahren worden. Das ist, äh, ich möchte mal sagen, das ist etwas außerhalb der Legalität, aber wir sind alle der Meinung. Ja, ich meine Sie, es ist tatsächlich so. Ich weiß nicht, warum Sie lachen, meine Herrn."

    Die Spiegel-Affäre verwandelt sich in eine Strauß-Affäre. Die SPD fordert seinen Rücktritt. Erst nach und nach enthüllt sich, dass der Verteidigungsminister, durchaus mit Deckung des Kanzlers, aktiv das Vorgehen gegen das Hamburger Nachrichtenmagazin forciert, und: den liberalen Justizminister absichtlich nicht informiert hat. Die FDP-Minister verlassen die Koalition. Der 86-jährige Adenauer muss ein neues Kabinett bilden – ohne Franz-Josef Strauß. Im Herbst 1963 tritt auch er zurück, ein halbes Jahr, nachdem Rudolf Augstein nach 103 Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist.

    Doch die Spiegel-Affäre hat mehr bewegt, als nur das Ende der Kanzlerschaft Konrad Adenauers einzuläuten. Sie markiert den Wendepunkt hin zu einer offeneren Gesellschaft. Die Besetzung der Spiegel-Redaktion durch die Staatsgewalt geschieht 1962 zu einem Zeitpunkt, als sich die Deutschen langsam lösen von der Obrigkeitshörigkeit der frühen Nachkriegsjahre – und wirkt als ein Katalysator für die bald entstehende Studentenbewegung.

    Und auch auf die Rechtsprechung wirkt sich die Spiegel-Affäre aus. 1965 setzt der Bundesgerichtshof Rudolf Augstein und Conrad Ahlers mangels Beweisen außer Verfolgung, das heißt, es wird kein Hauptverfahren gegen sie angestrengt. Eine Verfassungsbeschwerde des Spiegel-Verlages gegen die Razzia in seinen Redaktionsräumen bleibt allerdings erfolglos. Die Hälfte der Richter bewertet den Verdacht auf Landesverrat in diesem Fall für wichtiger als den Schutz der Pressefreiheit.

    "Es ist folgendes Urteil zu verkünden: Die Verfassungsbeschwerde wird zurück gewiesen."

    Was als Niederlage von Rudolf Augstein verstanden werden kann, entpuppt sich jedoch als Grundsatzurteil für die Pressefreiheit. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. August 1966 geht als "Spiegel-Urteil" in die deutsche Rechtsgeschichte ein. Es stellt fest, dass die Presse im demokratischen Staat eine öffentliche Aufgabe erfüllt und eine freie Presse einen wesentlichen Faktor im demokratischen Willensbildungsprozess darstellt. Für heutige Verhältnisse eine Binsenweisheit, doch damals eine wichtige Feststellung, die in der politischen Kultur der Bundesrepublik bis heute nachwirkt. Die einschlägige Rechtsprechung wird dadurch entscheidend geprägt.

    Im sogenannten Cicero-Urteil von 2007, das das Durchsuchen von Redaktionsräumen für verfassungswidrig erklärt, wenn dadurch Informanten enttarnt werden sollen, wiederholen die Bundesverfassungsrichter wörtlich ganze Passagen aus dem Spiegel-Urteil von 1966. Siegfried Weischenberg, Journalistik-Professor an der Universität Hamburg:

    "Da ist im Grunde genommen erstmals explizit beschrieben worden, was "öffentliche Aufgaben der Medien" eigentlich bedeutet. Es war der große Einschnitt. Deswegen halte ich diese Spiegel-Affäre im Grunde genommen für zentral, nicht nur für die Theorie, sondern insbesondere auch für die Praxis der deutschen Pressefreiheit."
    Cicero - Magazin für Politische Kultur
    Cicero - Magazin für Politische Kultur (Cicero)