"But make no mistake. We will close Guantanamo prison, which has damaged our national security interests and become a tremendous recruiting tool for El Kaida."
Er hütete sich allerdings, einen Zeitpunkt zu nennen. Dass der ursprünglich verkündete Termin "Schließung innerhalb eines Jahres" nicht zu halten war, hatte sich schon seit Monaten abgezeichnet. Und doch, die Bilanz des ersten Obama-Jahres steht nicht vorrangig im Zeichen der Nichtschließung des Gefangenenlagers auf dem amerikanischen Marinestützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba. Schon deshalb nicht, weil das Land größere Sorgen hat.
Vor einem Jahr rüsteten die Vereinigten Staaten zur Amtseinführung ihres 44. Präsidenten. Über zwei Millionen Menschen wollten mit eigenen Augen sehen, wie Barack Obama, der vormalige Jungsenator von Illinois, am 20. Januar auf den Stufen des Kapitols in Washington vereidigt wurde.
Viele glaubten, dass nun alles anders werde. Aber irgendwann holt die Realität die Träume ein und kollidiert der rhetorische Schwung mit dem tatsächlich Machbaren. Zumal jeder Präsident, auch Barack Obama, mit dem fertig werden muss, was ihm der Vorgänger hinterlassen hat. Im Fall des George W. Bush war das eine Menge: die Hypotheken- und die Bankenkrise, die weltweite Rezession, die horrende Neuverschuldung, das Debakel im Irak, der sich verschärfende Krieg in Afghanistan.
Dann Obamas eigene Vorhaben: die Krankenversicherung für alle, ein Projekt, das in den letzten 60 Jahren immer wieder gescheitert war; 48 Millionen Amerikaner haben keine Krankenversicherung. Dann energische Maßnahmen zum Klimaschutz als Anfang vom Ende der großen Energieverschwendung. Nichts davon ist nach dem ersten Obama-Jahr wirklich schon unter Dach und Fach. Das größte Problem: die Arbeitslosigkeit, sie liegt, den milliardenschweren Konjunkturprogrammen zum Trotz, bei zehn Prozent. Die Stimmung ist nicht gut; Obamas Sympathiewerte sind gesunken; gerade auch bei jungen Wählern, die einen radikalen Neubeginn und nicht mühsam ausgehandelte Kompromisse erwartet hatten und schon gar keine Ausweitung des Krieges in Afghanistan. Dabei hatte Obama frühzeitig gewarnt, man könne nicht erwarten, dass nun plötzlich alles in Ordnung sei, nur weil er zum Präsidenten gewählt wurde.
"We cannot pretend somehow, that because Barack Hussein Obama got elected as president everything suddenly is going to be okay."
Auch in der Außenpolitik: Probleme über Probleme. Die terroristische Bedrohung dauert an. Und nach den Europäern hat auch Präsident Obama den Iran nicht zum eindeutigen Verzicht auf den Atomwaffenerwerb bewegen können. Von Nordkorea nicht zu reden. Dabei hat Obama sicherlich große Anstrengungen unternommen, das in aller Welt ramponierte Ansehen der Vereinigten Staaten aufzubessern.
Obama: "Ich kann hier als Präsident der Vereinigten Staaten klipp und klar sagen, dass wir nicht foltern."
Es gibt keine geheimen Gefängnisse mehr, in denen vermeintliche oder tatsächliche Terroristen zweifelhaften Verhören unterzogen werden, hart an der Grenze zur Folter oder auch jenseits derselben. Gleich zu Beginn, am zweiten Tag im Amt, hatte Präsident Obama dreierlei verfügt.
"Als Erstes habe ich die Anwendung der sogenannten erweiterten Verhörtechniken durch die Vereinigten Staaten von Amerika verboten."
Ex-Vizepräsident Cheney nannte das tollkühn und eine Gefährdung der nationalen Sicherheit.
"Die zweite Entscheidung war die Anordnung, das Gefangenenlager in Guantanamo Bay zu schließen."
Innerhalb eines Jahres, also bis heute oder morgen, sollte das Lager geräumt und geschlossen sein. Dazu kam es nicht.
"Meine dritte Entscheidung war, die Überprüfung aller in Guantanamo anhängigen Verfahren anzuordnen."
Diese Einzelfallprüfung ist der Dreh- und Angelpunkt; nur erforderte sie wesentlich mehr Zeit, als man ursprünglich veranschlagt hatte; und schon deshalb scheiterte die Schließung Guantanamos zum vorgesehenen Termin. Außerdem legte sich der Kongress quer. Das Repräsentantenhaus und der Senat beschlossen mit großen Mehrheiten – also auch mit Stimmen aus den Reihen der Demokraten, Obamas eigener Partei –, die für die Schließung des Lagers beantragten 50 Millionen Dollar zu sperren und der Administration zu untersagen, Guantanamo-Häftlinge auf das amerikanische Festland zu verlegen. Die Mehrzahl der Abgeordneten und Senatoren wollte erst einmal wissen, wie es weitergehen soll. Und genau das hängt von dieser zeitraubenden Einzelfallprüfung ab.
Sie entscheidet darüber, wer - weil ungefährlich - freigelassen und in die Heimat oder ein drittes Land überstellt werden kann oder aber, wer in den USA vor Gericht gestellt wird. Und jene, die dann noch übrig bleiben, sie sind das eigentliche Problem. Mutmaßliche Terroristen, die unverändert als gefährlich eingestuft werden und deshalb nicht freigelassen, aber auch nicht vor Gericht gestellt werden können, weil keine gerichtsverwertbaren Beweise vorhanden sind oder weil Geständnisse mit folterähnlichen Methoden erzwungen wurden, die vor Gericht keinerlei Bestand hätten.
"Wir werden niemanden freilassen, der unsere nationale Sicherheit gefährdet."
Mancher mag übersehen haben, dass es auch nach der Schließung des Lagers von Guantanamo immer noch Gefangene geben wird, die ohne Gerichtsverfahren unbefristet festgehalten werden. Präsident Obama hat daraus kein Geheimnis gemacht; er hat sogar aufgezählt, wer gegebenenfalls dazugehören wird.
"Leute, die in Lagern der El Kaida eine umfassende Sprengstoffausbildung erhielten, die Taliban-Truppen anführten, die Bin Laden Treue schwuren oder auf andere Weise deutlich gemacht haben, dass sie beabsichtigen, Amerikaner zu töten. Das sind Leute, die de facto Krieg gegen die Vereinigten Staaten führen."
Man schätzt, dass etwa achtzig bis einhundert Guantanamo-Häftlinge in diese Kategorie fallen, also etwa zehn Prozent der 800 Gefangenen, die insgesamt in Guantanamo interniert waren. Vor einem Jahr, als Präsident Obama sein Amt antrat, waren bereits 525 entlassen worden. 198 werden derzeit noch festgehalten, darunter solche, die freigelassen werden sollen. Die anfänglich als Zellen genutzten Drahtkäfige sind lange verwaist und von Grün überwuchert. Trotzdem ist die Schließung des Lagers nicht in Sicht. "Wir haben weder die Mittel noch die gesetzlichen Möglichkeiten, Gefangene aufs amerikanische Festland zu bringen", erklärte vor Kurzem ein Sprecher des Pentagon. Von den fünf Häftlingen abgesehen, die in New York vor Gericht gestellt werden sollen.
Den Weg zur Schließung freimachen, kann also nur der der Kongress. Und der hat im Augenblick, wie man unterstellen darf, andere Sorgen, beispielsweise endlich die große Krankenversicherungsreform unter Dach und Fach zu bringen.
Außerdem stehen Anfang November die nächsten Kongresswahlen an, und Abgeordnete und Senatoren, die wiedergewählt werden wollen, legen sich nicht mit ihren Wählern an, die mehrheitlich nicht viel davon halten, mutmaßliche Terroristen in großer Zahl ins Land zu holen.
Präsident Obama hat für die Unterbringung der restlichen Guantanamo-Häftlinge in amerikanischen Hochsicherheitsgefängnissen plädiert. Aber kaum fiel der Name Fort Leavenworth in Kansas, protestierten beide Senatoren dieses Bundesstaates, beides Republikaner. Als ein Gefängnis in Michigan als mögliche Alternative genannt wurde, protestierte die Regierungschefin dieses krisengeschüttelten Bundesstaates, eine Demokratin. Inzwischen hat sich die Administration festgelegt. Der Justizminister soll ein nicht voll genutztes Hochsicherheitsgefängnis im 500-Einwohner Städtchen Thomson am Mississippi in Obamas Heimatstaat Illinois erwerben. Der Governor, ein Demokrat, ist einverstanden, und Illinois´ Senator Richard Durbin spricht von einer Riesenchance, liege die Arbeitslosigkeit in Illinois doch bei 11 Prozent und im Nordwesten noch höher.
"Die Leute suchen verzweifelt gute Jobs. Und die Arbeitsplätze, über die wir hier reden, gehören zu den besten; über 3.000 Stellen, die Hälfte für Einheimische."
Wirtschaftsplaner in der Thomson-Region teilen diese Auffassung.
"Dreitausend Jobs sind eine Menge. Selbst die Hälfte wäre mehr als Nordwest-Illinois seit Langem gesehen hat."
Senator Mitch McConnell aus Kentucky, der Führer der Republikaner im Senat, ist entschieden anderer Auffassung.
"Gegen ein Guantanamo-Nord ist das amerikanische Volk mit Sicherheit. Es ist hanebüchen, das als Arbeitsbeschaffungsprogramm der Regierung auszugeben."
Die Mutter eines Soldaten, der viermal im Irak und in Afghanistan diente, ist derselben Auffassung.
"Diese Terroristen hierher zu bringen, ist ein Schlag in das Gesicht der Soldaten."
Devon Chaffee von der Washingtoner Menschenrechtsorganisation Human Rights First setzt einen weiteren Akzent.
"Wir befürchten, dass nach Thomson überführte Gefangene womöglich unbegrenzt ohne Verfahren interniert bleiben. Damit würde das Ziel der Schließung des Lagers Guantanamo Bay verfehlt."
Das acht Jahre alte Gefängnis von Thomson könnte 1600 Häftlinge aufnehmen, ist aber nur mit 200 belegt. Es müsste umgebaut werden, und auch das dürfte Monate in Anspruch nehmen, falls der Kauf überhaupt zustande kommt. Denn die Mittel dafür und für die Umbauten müsste wiederum der Kongress bewilligen. Es kann durchaus sein, dass die Schließung des Lagers von Guantanamo auch in diesem Jahr nicht zustande kommt. Ex-Vizepräsident Dick Cheney hatte bereits im Mai vergangenen Jahres prophezeit:
"In Europa Beifall für die Schließung von Guantanamo zu fbekommen, war leicht; es ist aber schwierig, eine Alternative zu finden, die dem Recht und zugleich der nationalen Sicherheit der USA dient."
Der Widerstand gegen die Schließung Guantanmos hält an, zumal es sich am Ende nur um eine Verlegung der restlichen Gefangenen handeln wird. Wozu dann der ganze Aufwand, fragt sich mancher; zumal man möglicherweise einen weiteren Anziehungspunkt für Terroristen schafft.
Zudem häufen sich Berichte, dass freigelassene Guantanamo-Häftlinge umgehend wieder in die Terrorszene eingestiegen sind. Insbesondere im Jemen, wie es scheint. Jemenitische Terrorverdächtige waren in Guantanamo von Anfang an überproportional vertreten. Benjamin Wittes von der Brookings Institution, einer liberalen Denkfabrik in Washington:
"Von den ursprünglich fast 800 Guantanamo-Häftlingen stammte über ein Achtel aus dem Jemen. Erstaunlich, wenn man bedenkt, wie klein das Land ist."
Während die Behörden im benachbarten Saudi-Arabien in der Terroristenverfolgung hart durchgreifen und freigelassene Guantanamo-Häftlinge ein Rehabilitierungsprogramm durchlaufen lassen, scheint die Regierung im Jemen kaum in der Lage zu sein, Islamisten, Jihadisten und Terroristen wirksam unter Kontrolle zu halten. Shayana Kadidal vom Center for Constitutional Rights:
"Saudi-Arabien hatte über die Jahre etwas mehr als 130 Gefangene in Guantanamo; etwa 120 sind zurückgekehrt. Dagegen hatte der Jemen knapp über 100; aber 90 sind noch da."
91, um genau zu sein. 91 der 198 in Guantanamo verbliebenen Gefangenen sind Jemeniten. Darunter auch solche, die eigentlich freigelassen werden sollen; aber auch das kommt nicht voran. Wie sagte Außenministerin Hillary Clinton? "Die Instabilität im Jemen ist eine Bedrohung der regionalen, ja sogar der globalen Stabilität."
Clinton: "The instability in Yemen is a threat to regional stability and even global stability."
Mit besonderer Sorge betrachtet man in Washington die Aktivitäten von "El Kaida auf der Arabischen Halbinsel". Führende Leute dieses jemenitischen El-Kaida-Ablegers sind tatsächlich ehemalige Guantanamo-Häftlinge. Richard Barett, Koordinator der El-Kaida-Beobachter der Vereinten Nationen:
"Einer der Obertheologen, wenn man ihn so titulieren will, war in Guantanamo. Zwei Saudis, die im Januar letzten Jahres zum jemenitischen El-Kaida-Ableger stießen, sind Ex-Guantanamo-Häftlinge. Einer ist nach Saudi-Arabien zurückgekehrt und hat sich gestellt."
Diese vier – drei Saudis und ein Jemenite - sind freigelassen worden, weil man sie inzwischen für ungefährlich hielt. Irrtümlicherweise.
"Wenn man sich alle Leute anschaut, die das saudische Programm durchlaufen haben, und alle, die in Guantanamo freigelassen wurden, ist es doch eine ziemlich kleine Zahl, die von neuem den Terror unterstützen."
Aber was Terroristen anrichten können oder schon angerichtet haben, hat selten mit ihrer zahlenmäßigen Stärke zu tun. Die 3.000 Toten des 11. September 2001 gehen auf das Konto von 19 Terroristen. Ein einzelner, der sogenannte Schuhbomber, versuchte, eine Verkehrsmaschine über dem Atlantik zum Absturz zu bringen. Und dann der jüngste Vorfall: der geplante Sprengstoffanschlag auf Flug Nummer 523 der North-West-Airlines, der am ersten Weihnachtstag mit 278 Passagieren und 11 Besatzungsmitgliedern von Amsterdam nach Detroit unterwegs war. Kurz vor der Landung versuchte ein 23-jähriger Student aus Nigeria den in seiner Unterhose eingenähten Plastiksprengstoff zu zünden. Nur glückliche Umstände und ein paar zupackende Passagiere verhinderten eine Katastrophe. El Kaida auf der Arabischen Halbinsel übernahm die Verantwortung, und der junge Nigerianer, gebildet und betucht, war im Jemen radikalisiert und zum Selbstmordattentäter ausgebildet worden. Dieser vereitelte Sprengstoffanschlag am ersten Weihnachtstag veranlasste Präsident Obama, die eigenen Geheimdienste ungewöhnlich drastisch zu kritisieren. Außerdem heizte dieser Vorfall die Guantanamo-Diskussion an.
"Aufgrund der ungeklärten Lage bin ich mit dem Justizminister übereingekommen, dass wir derzeit keine weiteren Gefangenen in den Jemen entlassen. Aber täuschen Sie sich nicht, wir werden das Gefängnis in Guantanamo schließen, das unseren nationalen Sicherheitsinteressen schadet und für El Kaida ein wichtiges Rekrutierungsreservoir geworden ist."
Ganz anders führende Republikaner. Pete Hoekstra, der Obmann der Republikaner im Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses forderte Präsident Obama auf, das "unverfrorene und naive Versprechen", Guantanamo zu schließen, aufzugeben.
"Den Kern von El Kaida auf der Arabischen Halbinsel bilden ehemalige Guantanamo-Gefangene. Leute, die in Guantanamo einsaßen, zurückgeschickt wurden und nun wieder auf dem Schlachtfeld sind."
Der Widerspruch der Demokratin Jane Harman, Vorsitzende des Unterausschusses zur Einschätzung der terroristischen Gefahr, fiel vergleichsweise milde aus.
"Das ist viel zu simpel. Natürlich gibt es eine Verbindung zwischen dem Weihnachtsattentäter und dem Jemen; aber der Jemen ist nicht alles. Guantanamo dient El Kaida und anderen Kräften weltweit als einzigartige Rekrutierungsbasis."
Guantanamo ist ein Symbol geworden; aber eine Schließung, die auf eine Verlegung hinausliefe, hat auch nur Symbolcharakter. Es werden weiterhin Gefangene ohne Gerichtsverfahren unbefristet festgehalten; sie können bestenfalls damit rechnen, dass die Fortdauer ihrer Gefährlichkeit regelmäßig überprüft werden soll. Die Diskussion, was wichtiger ist, die Grundrechte der Bürger oder ihre Sicherheit, wird weitergehen. Und ein neuerlicher Terroranschlag müsste sie auf die Spitze treiben. Präsident Obama ist sich dessen bewusst:
"Gerade jetzt planen Leute in entfernten Ausbildungslagern und überfüllten Städten, Amerikaner zu töten. Und das wird in einem Jahr, in fünf Jahren und in aller Wahrscheinlichkeit auch in zehn Jahren der Fall sein."
Er hütete sich allerdings, einen Zeitpunkt zu nennen. Dass der ursprünglich verkündete Termin "Schließung innerhalb eines Jahres" nicht zu halten war, hatte sich schon seit Monaten abgezeichnet. Und doch, die Bilanz des ersten Obama-Jahres steht nicht vorrangig im Zeichen der Nichtschließung des Gefangenenlagers auf dem amerikanischen Marinestützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba. Schon deshalb nicht, weil das Land größere Sorgen hat.
Vor einem Jahr rüsteten die Vereinigten Staaten zur Amtseinführung ihres 44. Präsidenten. Über zwei Millionen Menschen wollten mit eigenen Augen sehen, wie Barack Obama, der vormalige Jungsenator von Illinois, am 20. Januar auf den Stufen des Kapitols in Washington vereidigt wurde.
Viele glaubten, dass nun alles anders werde. Aber irgendwann holt die Realität die Träume ein und kollidiert der rhetorische Schwung mit dem tatsächlich Machbaren. Zumal jeder Präsident, auch Barack Obama, mit dem fertig werden muss, was ihm der Vorgänger hinterlassen hat. Im Fall des George W. Bush war das eine Menge: die Hypotheken- und die Bankenkrise, die weltweite Rezession, die horrende Neuverschuldung, das Debakel im Irak, der sich verschärfende Krieg in Afghanistan.
Dann Obamas eigene Vorhaben: die Krankenversicherung für alle, ein Projekt, das in den letzten 60 Jahren immer wieder gescheitert war; 48 Millionen Amerikaner haben keine Krankenversicherung. Dann energische Maßnahmen zum Klimaschutz als Anfang vom Ende der großen Energieverschwendung. Nichts davon ist nach dem ersten Obama-Jahr wirklich schon unter Dach und Fach. Das größte Problem: die Arbeitslosigkeit, sie liegt, den milliardenschweren Konjunkturprogrammen zum Trotz, bei zehn Prozent. Die Stimmung ist nicht gut; Obamas Sympathiewerte sind gesunken; gerade auch bei jungen Wählern, die einen radikalen Neubeginn und nicht mühsam ausgehandelte Kompromisse erwartet hatten und schon gar keine Ausweitung des Krieges in Afghanistan. Dabei hatte Obama frühzeitig gewarnt, man könne nicht erwarten, dass nun plötzlich alles in Ordnung sei, nur weil er zum Präsidenten gewählt wurde.
"We cannot pretend somehow, that because Barack Hussein Obama got elected as president everything suddenly is going to be okay."
Auch in der Außenpolitik: Probleme über Probleme. Die terroristische Bedrohung dauert an. Und nach den Europäern hat auch Präsident Obama den Iran nicht zum eindeutigen Verzicht auf den Atomwaffenerwerb bewegen können. Von Nordkorea nicht zu reden. Dabei hat Obama sicherlich große Anstrengungen unternommen, das in aller Welt ramponierte Ansehen der Vereinigten Staaten aufzubessern.
Obama: "Ich kann hier als Präsident der Vereinigten Staaten klipp und klar sagen, dass wir nicht foltern."
Es gibt keine geheimen Gefängnisse mehr, in denen vermeintliche oder tatsächliche Terroristen zweifelhaften Verhören unterzogen werden, hart an der Grenze zur Folter oder auch jenseits derselben. Gleich zu Beginn, am zweiten Tag im Amt, hatte Präsident Obama dreierlei verfügt.
"Als Erstes habe ich die Anwendung der sogenannten erweiterten Verhörtechniken durch die Vereinigten Staaten von Amerika verboten."
Ex-Vizepräsident Cheney nannte das tollkühn und eine Gefährdung der nationalen Sicherheit.
"Die zweite Entscheidung war die Anordnung, das Gefangenenlager in Guantanamo Bay zu schließen."
Innerhalb eines Jahres, also bis heute oder morgen, sollte das Lager geräumt und geschlossen sein. Dazu kam es nicht.
"Meine dritte Entscheidung war, die Überprüfung aller in Guantanamo anhängigen Verfahren anzuordnen."
Diese Einzelfallprüfung ist der Dreh- und Angelpunkt; nur erforderte sie wesentlich mehr Zeit, als man ursprünglich veranschlagt hatte; und schon deshalb scheiterte die Schließung Guantanamos zum vorgesehenen Termin. Außerdem legte sich der Kongress quer. Das Repräsentantenhaus und der Senat beschlossen mit großen Mehrheiten – also auch mit Stimmen aus den Reihen der Demokraten, Obamas eigener Partei –, die für die Schließung des Lagers beantragten 50 Millionen Dollar zu sperren und der Administration zu untersagen, Guantanamo-Häftlinge auf das amerikanische Festland zu verlegen. Die Mehrzahl der Abgeordneten und Senatoren wollte erst einmal wissen, wie es weitergehen soll. Und genau das hängt von dieser zeitraubenden Einzelfallprüfung ab.
Sie entscheidet darüber, wer - weil ungefährlich - freigelassen und in die Heimat oder ein drittes Land überstellt werden kann oder aber, wer in den USA vor Gericht gestellt wird. Und jene, die dann noch übrig bleiben, sie sind das eigentliche Problem. Mutmaßliche Terroristen, die unverändert als gefährlich eingestuft werden und deshalb nicht freigelassen, aber auch nicht vor Gericht gestellt werden können, weil keine gerichtsverwertbaren Beweise vorhanden sind oder weil Geständnisse mit folterähnlichen Methoden erzwungen wurden, die vor Gericht keinerlei Bestand hätten.
"Wir werden niemanden freilassen, der unsere nationale Sicherheit gefährdet."
Mancher mag übersehen haben, dass es auch nach der Schließung des Lagers von Guantanamo immer noch Gefangene geben wird, die ohne Gerichtsverfahren unbefristet festgehalten werden. Präsident Obama hat daraus kein Geheimnis gemacht; er hat sogar aufgezählt, wer gegebenenfalls dazugehören wird.
"Leute, die in Lagern der El Kaida eine umfassende Sprengstoffausbildung erhielten, die Taliban-Truppen anführten, die Bin Laden Treue schwuren oder auf andere Weise deutlich gemacht haben, dass sie beabsichtigen, Amerikaner zu töten. Das sind Leute, die de facto Krieg gegen die Vereinigten Staaten führen."
Man schätzt, dass etwa achtzig bis einhundert Guantanamo-Häftlinge in diese Kategorie fallen, also etwa zehn Prozent der 800 Gefangenen, die insgesamt in Guantanamo interniert waren. Vor einem Jahr, als Präsident Obama sein Amt antrat, waren bereits 525 entlassen worden. 198 werden derzeit noch festgehalten, darunter solche, die freigelassen werden sollen. Die anfänglich als Zellen genutzten Drahtkäfige sind lange verwaist und von Grün überwuchert. Trotzdem ist die Schließung des Lagers nicht in Sicht. "Wir haben weder die Mittel noch die gesetzlichen Möglichkeiten, Gefangene aufs amerikanische Festland zu bringen", erklärte vor Kurzem ein Sprecher des Pentagon. Von den fünf Häftlingen abgesehen, die in New York vor Gericht gestellt werden sollen.
Den Weg zur Schließung freimachen, kann also nur der der Kongress. Und der hat im Augenblick, wie man unterstellen darf, andere Sorgen, beispielsweise endlich die große Krankenversicherungsreform unter Dach und Fach zu bringen.
Außerdem stehen Anfang November die nächsten Kongresswahlen an, und Abgeordnete und Senatoren, die wiedergewählt werden wollen, legen sich nicht mit ihren Wählern an, die mehrheitlich nicht viel davon halten, mutmaßliche Terroristen in großer Zahl ins Land zu holen.
Präsident Obama hat für die Unterbringung der restlichen Guantanamo-Häftlinge in amerikanischen Hochsicherheitsgefängnissen plädiert. Aber kaum fiel der Name Fort Leavenworth in Kansas, protestierten beide Senatoren dieses Bundesstaates, beides Republikaner. Als ein Gefängnis in Michigan als mögliche Alternative genannt wurde, protestierte die Regierungschefin dieses krisengeschüttelten Bundesstaates, eine Demokratin. Inzwischen hat sich die Administration festgelegt. Der Justizminister soll ein nicht voll genutztes Hochsicherheitsgefängnis im 500-Einwohner Städtchen Thomson am Mississippi in Obamas Heimatstaat Illinois erwerben. Der Governor, ein Demokrat, ist einverstanden, und Illinois´ Senator Richard Durbin spricht von einer Riesenchance, liege die Arbeitslosigkeit in Illinois doch bei 11 Prozent und im Nordwesten noch höher.
"Die Leute suchen verzweifelt gute Jobs. Und die Arbeitsplätze, über die wir hier reden, gehören zu den besten; über 3.000 Stellen, die Hälfte für Einheimische."
Wirtschaftsplaner in der Thomson-Region teilen diese Auffassung.
"Dreitausend Jobs sind eine Menge. Selbst die Hälfte wäre mehr als Nordwest-Illinois seit Langem gesehen hat."
Senator Mitch McConnell aus Kentucky, der Führer der Republikaner im Senat, ist entschieden anderer Auffassung.
"Gegen ein Guantanamo-Nord ist das amerikanische Volk mit Sicherheit. Es ist hanebüchen, das als Arbeitsbeschaffungsprogramm der Regierung auszugeben."
Die Mutter eines Soldaten, der viermal im Irak und in Afghanistan diente, ist derselben Auffassung.
"Diese Terroristen hierher zu bringen, ist ein Schlag in das Gesicht der Soldaten."
Devon Chaffee von der Washingtoner Menschenrechtsorganisation Human Rights First setzt einen weiteren Akzent.
"Wir befürchten, dass nach Thomson überführte Gefangene womöglich unbegrenzt ohne Verfahren interniert bleiben. Damit würde das Ziel der Schließung des Lagers Guantanamo Bay verfehlt."
Das acht Jahre alte Gefängnis von Thomson könnte 1600 Häftlinge aufnehmen, ist aber nur mit 200 belegt. Es müsste umgebaut werden, und auch das dürfte Monate in Anspruch nehmen, falls der Kauf überhaupt zustande kommt. Denn die Mittel dafür und für die Umbauten müsste wiederum der Kongress bewilligen. Es kann durchaus sein, dass die Schließung des Lagers von Guantanamo auch in diesem Jahr nicht zustande kommt. Ex-Vizepräsident Dick Cheney hatte bereits im Mai vergangenen Jahres prophezeit:
"In Europa Beifall für die Schließung von Guantanamo zu fbekommen, war leicht; es ist aber schwierig, eine Alternative zu finden, die dem Recht und zugleich der nationalen Sicherheit der USA dient."
Der Widerstand gegen die Schließung Guantanmos hält an, zumal es sich am Ende nur um eine Verlegung der restlichen Gefangenen handeln wird. Wozu dann der ganze Aufwand, fragt sich mancher; zumal man möglicherweise einen weiteren Anziehungspunkt für Terroristen schafft.
Zudem häufen sich Berichte, dass freigelassene Guantanamo-Häftlinge umgehend wieder in die Terrorszene eingestiegen sind. Insbesondere im Jemen, wie es scheint. Jemenitische Terrorverdächtige waren in Guantanamo von Anfang an überproportional vertreten. Benjamin Wittes von der Brookings Institution, einer liberalen Denkfabrik in Washington:
"Von den ursprünglich fast 800 Guantanamo-Häftlingen stammte über ein Achtel aus dem Jemen. Erstaunlich, wenn man bedenkt, wie klein das Land ist."
Während die Behörden im benachbarten Saudi-Arabien in der Terroristenverfolgung hart durchgreifen und freigelassene Guantanamo-Häftlinge ein Rehabilitierungsprogramm durchlaufen lassen, scheint die Regierung im Jemen kaum in der Lage zu sein, Islamisten, Jihadisten und Terroristen wirksam unter Kontrolle zu halten. Shayana Kadidal vom Center for Constitutional Rights:
"Saudi-Arabien hatte über die Jahre etwas mehr als 130 Gefangene in Guantanamo; etwa 120 sind zurückgekehrt. Dagegen hatte der Jemen knapp über 100; aber 90 sind noch da."
91, um genau zu sein. 91 der 198 in Guantanamo verbliebenen Gefangenen sind Jemeniten. Darunter auch solche, die eigentlich freigelassen werden sollen; aber auch das kommt nicht voran. Wie sagte Außenministerin Hillary Clinton? "Die Instabilität im Jemen ist eine Bedrohung der regionalen, ja sogar der globalen Stabilität."
Clinton: "The instability in Yemen is a threat to regional stability and even global stability."
Mit besonderer Sorge betrachtet man in Washington die Aktivitäten von "El Kaida auf der Arabischen Halbinsel". Führende Leute dieses jemenitischen El-Kaida-Ablegers sind tatsächlich ehemalige Guantanamo-Häftlinge. Richard Barett, Koordinator der El-Kaida-Beobachter der Vereinten Nationen:
"Einer der Obertheologen, wenn man ihn so titulieren will, war in Guantanamo. Zwei Saudis, die im Januar letzten Jahres zum jemenitischen El-Kaida-Ableger stießen, sind Ex-Guantanamo-Häftlinge. Einer ist nach Saudi-Arabien zurückgekehrt und hat sich gestellt."
Diese vier – drei Saudis und ein Jemenite - sind freigelassen worden, weil man sie inzwischen für ungefährlich hielt. Irrtümlicherweise.
"Wenn man sich alle Leute anschaut, die das saudische Programm durchlaufen haben, und alle, die in Guantanamo freigelassen wurden, ist es doch eine ziemlich kleine Zahl, die von neuem den Terror unterstützen."
Aber was Terroristen anrichten können oder schon angerichtet haben, hat selten mit ihrer zahlenmäßigen Stärke zu tun. Die 3.000 Toten des 11. September 2001 gehen auf das Konto von 19 Terroristen. Ein einzelner, der sogenannte Schuhbomber, versuchte, eine Verkehrsmaschine über dem Atlantik zum Absturz zu bringen. Und dann der jüngste Vorfall: der geplante Sprengstoffanschlag auf Flug Nummer 523 der North-West-Airlines, der am ersten Weihnachtstag mit 278 Passagieren und 11 Besatzungsmitgliedern von Amsterdam nach Detroit unterwegs war. Kurz vor der Landung versuchte ein 23-jähriger Student aus Nigeria den in seiner Unterhose eingenähten Plastiksprengstoff zu zünden. Nur glückliche Umstände und ein paar zupackende Passagiere verhinderten eine Katastrophe. El Kaida auf der Arabischen Halbinsel übernahm die Verantwortung, und der junge Nigerianer, gebildet und betucht, war im Jemen radikalisiert und zum Selbstmordattentäter ausgebildet worden. Dieser vereitelte Sprengstoffanschlag am ersten Weihnachtstag veranlasste Präsident Obama, die eigenen Geheimdienste ungewöhnlich drastisch zu kritisieren. Außerdem heizte dieser Vorfall die Guantanamo-Diskussion an.
"Aufgrund der ungeklärten Lage bin ich mit dem Justizminister übereingekommen, dass wir derzeit keine weiteren Gefangenen in den Jemen entlassen. Aber täuschen Sie sich nicht, wir werden das Gefängnis in Guantanamo schließen, das unseren nationalen Sicherheitsinteressen schadet und für El Kaida ein wichtiges Rekrutierungsreservoir geworden ist."
Ganz anders führende Republikaner. Pete Hoekstra, der Obmann der Republikaner im Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses forderte Präsident Obama auf, das "unverfrorene und naive Versprechen", Guantanamo zu schließen, aufzugeben.
"Den Kern von El Kaida auf der Arabischen Halbinsel bilden ehemalige Guantanamo-Gefangene. Leute, die in Guantanamo einsaßen, zurückgeschickt wurden und nun wieder auf dem Schlachtfeld sind."
Der Widerspruch der Demokratin Jane Harman, Vorsitzende des Unterausschusses zur Einschätzung der terroristischen Gefahr, fiel vergleichsweise milde aus.
"Das ist viel zu simpel. Natürlich gibt es eine Verbindung zwischen dem Weihnachtsattentäter und dem Jemen; aber der Jemen ist nicht alles. Guantanamo dient El Kaida und anderen Kräften weltweit als einzigartige Rekrutierungsbasis."
Guantanamo ist ein Symbol geworden; aber eine Schließung, die auf eine Verlegung hinausliefe, hat auch nur Symbolcharakter. Es werden weiterhin Gefangene ohne Gerichtsverfahren unbefristet festgehalten; sie können bestenfalls damit rechnen, dass die Fortdauer ihrer Gefährlichkeit regelmäßig überprüft werden soll. Die Diskussion, was wichtiger ist, die Grundrechte der Bürger oder ihre Sicherheit, wird weitergehen. Und ein neuerlicher Terroranschlag müsste sie auf die Spitze treiben. Präsident Obama ist sich dessen bewusst:
"Gerade jetzt planen Leute in entfernten Ausbildungslagern und überfüllten Städten, Amerikaner zu töten. Und das wird in einem Jahr, in fünf Jahren und in aller Wahrscheinlichkeit auch in zehn Jahren der Fall sein."