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Bewältigung der Corona-Pandemie
Freiwillige Maßnahmen werden meist besser akzeptiert

Eine neue Studie zeigt: Die Menschen in Deutschland sind tendenziell eher einverstanden mit Corona-Maßnahmen, die auf Freiwilligkeit beruhen. Den Daten sprächen auch dafür, dass das Anti-Corona-Vorgehen in Deutschland als sinnvoll angesehen werde, sagte Studienautorin Katrin Schmelz im Dlf.

Katrin Schmelz im Gespräch mit Michael Böddeker |
Hinweisschild in einer deutschen Innenstadt: "Bitte tragen Sie einen Mund-Nasen-Schutz."
Mit einem "Bitte" ist oft mehr zu erreichen als mit einem "Du musst" - Hinweisschild in einer deutschen Innenstadt (picture alliance / Rupert Oberhäuser)
Es gibt viele Maßnahmen, die verhindern sollen, dass sich die Corona-Pandemie weiter ausbreitet, zum Beispiel: Maske tragen, möglichst wenig reisen, die Corona-App nutzen oder sich impfen lassen. In der Theorie hilft das alles – in der Praxis allerdings nur, wenn auch möglichst viele Menschen mitmachen und die Maßnahmen befolgen, entweder freiwillig oder weil es vorgeschrieben ist.
Was davon klappt besser - auf Freiwilligkeit zu setzen oder auf Verbote und Zwang? Was motiviert Menschen eher dazu, die Maßnahmen einzuhalten? Dazu wurde an der Uni Konstanz geforscht. Befragt wurden dafür im Frühjahr rund 4.800 Menschen in Deutschland. Katrin Schmelz ist Verhaltensökonomin und Psychologin. Sie hat die Studie dazu in der Fachzeitschrift "PNAS" veröffentlicht.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Tendenz zur Freiwilligkeit

Michael Böddeker: Frau Schmelz, was kam bei der Befragung heraus, was motiviert die Menschen mehr – Freiwilligkeit und Eigenverantwortung oder doch eher Vorschriften?
Katrin Schmelz: Als Wissenschaftlerin sage ich gerne, es kommt drauf an. Insgesamt zeigt sich, dass das Einverständnis mit den Maßnahmen im Durchschnitt größer ist, wenn die Maßnahmen freiwillig sind, als wenn sie verpflichtend sind, oder gleich, das kommt auf die Maßnahmen einfach an. Es gibt Maßnahmen wie zum Beispiel Maske tragen oder Reisebeschränkungen, da ist das Einverständnis mit den Maßnahmen ungefähr gleich, ob sie freiwillig oder verpflichtend sind, und bei anderen Maßnahmen – der App oder Impfungen oder auch Kontaktbeschränkungen – ist das Einverständnis unter freiwilligen Bedingungen größer.
Böddeker: Das heißt, die Motivation ist höher, wenn die Corona-App und die Impfungen freiwillig sind?
Schmelz: Richtig. Wobei wir gefragt haben eben genau nach dem Einverständnis, wir haben nicht danach gefragt, ob sich die Leute tatsächlich daran halten, wenn es verpflichtend ist, das wäre auch eine andere Frage, sondern es geht eher um die Motivation und gegebenenfalls auch um den Widerstand, gegen seinen Willen eine verpflichtende Maßnahme umzusetzen.
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Kontrollier- und Durchsetzbarkeit

Böddeker: Das heißt im Umkehrschluss, wenn jetzt die Corona-App verpflichtend wäre oder die Impfung verpflichtend wäre, dann wäre der Widerstand größer, wenn ich Sie richtig verstehe?
Schmelz: Definitiv, ja. Ich sehe in den Daten zum Beispiel bei der App eben bei 40 bis 50 Prozent der Befragten einen starken Widerstand gegen die verpflichtende Implementierung der App, wohingegen knapp 40 bis 50 Prozent freiwillig bereit sind, die App zu nutzen. Wenn man das runterrechnet auf die verfügbaren Smartphones, auf denen die App tatsächlich installiert werden kann, dann deckt sich das ungefähr mit den tatsächlichen Installierungen.
Böddeker: Haben Sie eine Vermutung, woran das liegt? Liegt das vielleicht auch daran, dass man den Leuten direkt ansieht, ob sie eine Maske tragen oder nicht, aber dass man eben die Installation dieser Corona-Warn-App deutlich schwieriger kontrollieren kann?
Schmelz: Zum Beispiel bei einer App würde man sagen, man kann die gar nicht so gut durchsetzen, dass man 100 Prozent Kooperation erreichen könnte, dann muss man einfach damit leben. Bei einer Maske, das kann man gut durchsetzen im öffentlichen Raum, und das ist eigentlich auch ganz sinnvoll, weil es nicht so viel Widerstand gegen Kontrolle gibt. Aber dass der Widerstand damit zusammenhängt, ob man die Maske gut oder schlecht durchsetzen kann oder die Durchsetzung gut oder schlecht erzwingen kann, das glaube ich eher nicht.
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"Vorgehen in Deutschland sinnvoll"

Böddeker: Sie haben es ja gerade auch schon gesagt, das eine ist die Motivation oder das Einverständnis mit den Maßnahmen, und das andere ist, ob sich die Menschen tatsächlich dann so verhalten, wie es vorgeschrieben oder gewünscht ist. Kann man aus Ihrer Studie auch Rückschlüsse darüber ziehen, wie sich die Menschen dann verhalten am Ende, oder nur auf die Motivation zunächst mal?
Schmelz: Zunächst mal auf die Motivation. Beim Verhalten kommt es wirklich darauf an, inwieweit eine Maßnahme zum Beispiel in unserem demokratischen Land wirklich durchsetzbar ist. Aber wenn man sieht, dass eine Maßnahme im Falle der Verpflichtung starken Widerstand hervorruft, dann ist davon auszugehen, dass sich auch ein erheblicher Teil der Bevölkerung nicht daran hält oder eben unter Zwang daran hält, was an anderer Stelle wieder Aggressionen und Widerstand schürt, was ja auch irgendwo kanalisiert werden muss, wenn man jetzt zum Beispiel an die Krawallnächte in Stuttgart oder Frankfurt oder anderen Orten weltweit denkt oder die Zunahme häuslicher Gewalt oder was auch immer. So ein Widerstand existiert, und der kanalisiert sich anders.
Böddeker: Jetzt ist es in Deutschland ja auch ungefähr so, wie das Ihre Studie empfiehlt, oder? Die Impfung ist freiwillig und die Nutzung der Corona-App ist freiwillig, andere Dinge wie Masken tragen und Kontaktbeschränkungen sind dagegen schon verpflichtend. Heißt das, Deutschland hat diese Mischung aus Zwang und Motivation bisher ganz gut hinbekommen?
Schmelz: Ich denke ja. Die Länder haben da ja verschiedene Vorgehen gewählt. Meine Daten sprechen dafür, dass das Vorgehen in Deutschland auf die Art sinnvoll war, wahrscheinlich wurden die Regelungen in Deutschland aus anderen Gründen so getroffen, aber das macht sicher Sinn.
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Umfragewerte von Anfang November ähnlich

Böddeker: Jetzt wurde die Umfrage ja im Frühjahr gemacht, also lange bevor es einen Impfstoff gab, auch sogar bevor es eine funktionierende Contact-Tracing-App in Deutschland gab. Was glauben Sie, wenn man jetzt noch mal nachfragen würde, käme dabei was Ähnliches raus?
Schmelz: Wir haben diese Umfrage zum Anfang des zweiten Lockdowns, Anfang November, noch mal gemacht, die Daten sind noch ganz frisch und noch nicht gründlich ausgewertet, aber insgesamt so in den Häufigkeiten, die die Menschen auf freiwillige und verpflichtende Maßnahmen reagieren, für diese Maßnahmen sieht es sehr, sehr ähnlich wieder aus. Die Daten sind da offenbar ziemlich stabil, und wir haben da auch die gleichen Leute befragt, die wir im Frühjahr schon befragt hatten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.