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Bewältigung der Coronakrise
Italiens Not und Europas Geld

"Erst starben die Menschen, jetzt stirbt die Wirtschaft": So hört man es aus Italien. Dort hoffen Regierung und Bürger auf europäische Solidarität und milliardenschwere Hilfszahlungen. Die Rechtspopulisten aber haben in der Krise eine eigene Agenda.

Von Kirstin Hausen und Brigitte Scholtes |
A view taken on May 12, 2020 in Venice shows a deserted Grand Canal near the Rialto bridge, during the country's lockdown aimed at curbing the spread of the COVID-19 infection, caused by the novel coronavirus. With the tourism sector reeling, the European Commission was on May 13, 2020 to present a rescue plan for the sector. Vincenzo PINTO / AFP
Nicht nur die touristischen Attraktionen wie Venedig leiden in Italien unter der Krise (Vincenzo PINTO / AFP)
Das Regionalfernsehen des staatlichen italienischen Rundfunksenders RAI: Seit dem Ende des totalen Lockdown wegen der Corona-Pandemie und der jetzt schrittweisen Wiedereröffnung der Betriebe berichtet die Redaktion der Lombardei täglich aus den verschiedenen Provinzen.
Es sind Geschichten von Unternehmern, die um ihre Existenz kämpfen, aber nicht aufgeben: "Bei uns im Betrieb gilt: Schutzmasken für alle, Sicherheitsabstand und wir messen bei Arbeitsbeginn die Körpertemperatur", hört man da.
EU in der Coronakrise - Düstere Prognose für die Wirtschaft
Der EU-Haushaltskommissar hat die Wirtschaftsprognose für das kommende Frühjahr bekanntgegeben. Aufgrund der Coronakrise sieht diese in allen EU-Ländern nicht gerade rosig aus. Doch besonders finanzschwache Länder trifft es härter als andere. Darum wird ein umfassender Wiederaufbaufonds gefordert.
Und: "Wir haben ein Krisenkomitee gegründet. In der Fabrik haben wir die Arbeitszeiten so geändert, dass weniger Menschen gleichzeitig arbeiten. Die Büroarbeit wird zu Hause erledigt. Unsere Probleme sind die Probleme aller Betriebe hier: Es fehlt an Liquidität, weil wir keinen Umsatz gemacht haben, die Kosten aber weiterliefen. Das Kurzarbeitergeld haben wir unseren Angestellten vorgestreckt."
Versprochene Gelder lassen auf sich warten
Damit spricht der Unternehmer Lorenzo Canobbio einen wunden Punkt an. Die staatliche Unterstützung aus Rom, dringend notwendig, um dem Bankrott zu entgehen, kam nicht so unbürokratisch und schnell an, wie Ministerpräsident Giuseppe Conte es versprochen hatte. Viele Firmen warten noch immer auf die Hilfsgelder.
Für die Regionen Lombardei und Venetien, die wirtschaftlich produktivsten des Landes und gleichzeitig die am schwersten vom Coronavirus betroffenen, ist das äußerst schmerzhaft.
"Erst starben die Menschen, jetzt stirbt unsere Wirtschaft", klagt eine Unternehmerin, die auf Facebook ihrer Wut auf die Regierung Conte Luft macht: "Die meisten Menschen in Venetien wollen arbeiten, für uns ist die Arbeit nämlich eine Religion. Auf Kurzarbeit setzen wir euch Politiker, Herr Conte. Sie erlassen Dekrete, die widersinnig und unverständlich sind. Vor zwei Monaten wurde uns Unterstützung wie das Kurzarbeitergeld versprochen, bis jetzt ist hier nichts davon angekommen. Aber wir kommen alleine klar, wir schaffen das irgendwie, nur euch, euch wollen wir nicht mehr."
Forderung nach europäischer Solidarität
Von Regierungsseite heißt es immer wieder, ein so dramatisches Ereignis wie die Coronavirus-Pandemie sei nicht vorhersehbar gewesen. Fakt ist: Italien war schon vor Corona hoch verschuldet. Doch nun erwarten Italiens Entscheidungsträger mehr Unterstützung aus Brüssel, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie in den Griff zu bekommen.
Regierungschef Giuseppe Conte: "Der finanzielle und sozio-ökonomische Schock, den wir aufgrund der Pandemie erleben, muss von der Euro-Zone abgefedert werden, wir verlangen einen qualitativen Sprung."
Gretchenfrage der Rechtspopulisten
In die Forderung nach mehr europäischer Solidarität und Unterstützung mischt sich das Gefühl vieler Italiener, Europa habe ihr Land in dieser Notsituation einmal mehr im Stich gelassen. Eine Stimmung, von der die Rechtspopulisten profitieren könnten.
Matteo Salvini von der Lega, aktuell in der Opposition, sieht sich jedenfalls bestätigt: "Haben Sie den Eindruck, dass sich Europa in den vergangenen drei Monaten effizient, schnell, konkret und solidarisch gezeigt hat? Nein."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Und damit ist Salvini wieder bei der Gretchenfrage, die er bereits während der Finanzkrise 2009 stellte. Was nützt uns Italienern die EU überhaupt? "Italien ist ein Geberland unter den 27 Mitgliedsländern. In der EU gibt es die Länder, die zahlen und die, die kassieren und wir gehören zu denen, die zahlen. Sechs Milliarden Euro im Jahr."
Das ist wohl eine stark verkürzte Darstellung, doch Salvini geht in diesen Tagen noch weiter. Er stellt die Maastricht-Kriterien in Frage – also die innerhalb der EU vereinbarten Grenzen für Schuldenstand, Haushaltsdefizit und Inflationsrate.
Als Argument zieht er ausgerechnet das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts von Anfang Mai heran. Die Karlsruher Richter hatten den massiven Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank EZB für teilweise verfassungswidrig befunden. Im Urteil ist von der "Verhältnismäßigkeit der Geldpolitik" die Rede - es geht also um wirtschaftspolitische Wirkungen, die über das Ziel der Preisstabilität im Euroraum hinausgehen.
"Das Recht, Geld zu drucken"
Und nun provoziert der italienische Rechtspopulist Salvini, indem er fragt, ob das nicht auch für die Maastricht-Kriterien gelte, ob diese Regeln nicht auch wirtschaftspolitische Folgen hätten. Salvini wittert hier, so wie auch Rechtspopulisten in anderen EU-Staaten, eine Möglichkeit, die Währungsunion zu Fall zu bringen: "Wir müssen Europa auf ganz neuen Prinzipien aufbauen und zur Währungshoheit der einzelnen Staaten zurückkehren. Das ganze europäische System muss überdacht werden, auch das Recht, Geld zu drucken."
Salvinis Ideen fallen durchaus auf fruchtbaren Boden in der Bevölkerung. Viele Italiener sind nicht nur von Europa enttäuscht, sondern besonders von Deutschland. Hier werden alte Feindbilder wieder wach. Schon in der Finanzkrise empfanden die Italiener Deutschlands Umgang mit den hoch verschuldeten Ländern des Südens als herzlos.
Erinnerung an alte Feindbilder
Die Sparauflagen aus Brüssel führten zu schmerzhaften Einschnitten im Sozialstaat und auch im Gesundheitswesen, während Europäische Zentralbank und die EU-Kommission aus Sicht vieler nur damit beschäftigt waren, Banken und Finanzakteure zu retten. Viele Italiener fühlten sich damals vor allem von Deutschland als faule Schuldenmacher abgestempelt.

Giorgia Meloni, Vorsitzende der Partei Fratelli d'Italia, Lega-Chef Matteo Salvini und Silvio Berlusconi von der Forza Italia bei einer Pressekonferenz in Rom
Giorgia Meloni (l.), Vorsitzende der Partei Fratelli d'Italia, Lega-Chef Matteo Salvini und Silvio Berlusconi von der Forza Italia bei einer Pressekonferenz in Rom (AFP/ Tiziana Fabi)
Und in diese Kerbe schlägt die italienische Rechte nun, zehn Jahre später, wieder. Giorgia Meloni, die Vorsitzende der rechtsnationalen "Fratelli d`Italia": "Die Deutschen wollen die italienische Staatsverschuldung mit Hilfe der privaten Ersparnisse der Italiener abbauen."
So kursiert in Italien das Gerücht, Deutschland rate der Regierung Conte zu einer Vermögenssteuer von 14 bis 20 Prozent. Dass Deutschland andere Ziele verfolge als es nach außen zeige, ist eine weit verbreitete Sorge in Italien. Sie gründet auf alten Glaubenssätzen, die im kollektiven Bewusstsein verankert sind und immer dann hochkommen, wenn es kriselt.
Der bekannte Theaterschauspieler und Komiker Tullio Solenghi hat sich zum Sprachrohr dieser Stimmen gemacht, indem er per Videoselfie eine Hasstirade auf Deutschland ins Netz stellte: "Das Coronovirus bringt Egoismen, Vorurteile und widerliche Versuche, sich über die anderen zu stellen, ans Licht, die wieder einmal zeigen, wie überlegen sich Deutschland fühlt. Verantwortlich für zwei Weltkriege, die es verloren hat und von denen es sich nur dank der Solidarität der anderen Europäer erholen konnte, strebt Deutschland weiterhin die Vorherrschaft auf diesem Kontinent an und nutzt dafür heute seine Wirtschaftskraft genauso gnadenlos wie früher seine Waffen."
Italienische Schuldenquote
Stimmen wie diese zeigen, wie stark die öffentliche Debatte von Emotionen geprägt ist. Obwohl es grundsätzlich auch in Brüssel und Berlin große Einigkeit darüber gibt, dass die Coronakrise gravierender und gefährlicher ist als die Finanzkrise von 2009.
Die Finanzkrise war eine Staatsschuldenkrise. Damals zweifelten einige Investoren daran, ob die südeuropäischen Staaten ihre hohe Schuldenlast würden tragen können. Italien ist nach wie vor hoch verschuldet und liegt weit über den Vorgaben des Maastrichter Vertrages, demzufolge eine Gesamtverschuldung von höchstens 60 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt erlaubt ist.
Obere Hälfte einer italienischen Ein-Euro-Münze vor schwarzem Hintergrund.
Staatsausgaben - Italien droht an seinen Schulden zu ersticken
Fast 2.300 Milliarden Euro Schulden hat Italien angehäuft. Das hat gravierende Folgen für sehr viele Bereiche der Gesellschaft des Landes, insbesondere die Wirtschaft, die Bildung und die Gemeinden.
Dass die Italiener ihre Schulden nicht stärker abgebaut haben, erschwere die Lage jetzt, sagt Lars Feld. Er ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik: "Das, was jetzt oben drauf kommt an Neuverschuldung durch Corona, das wäre ja völlig unproblematisch, wenn Italien einen viel niedrigeren Schuldenstand in Prozent des Bruttoinlandsprodukts hätte. Wenn man mit 135 Prozent Schuldenstand in die Krise hinein rauscht und dann 20 Prozentpunkte zusätzliche Schulden drauftun möchte, dann hat man eben Probleme. Wenn man wie Deutschland mit 60 Prozent Schuldenquote in die Krise kommt und 20 oder 30 Prozentpunkte Schulden noch mal in Prozent des BIP drauf tut, dann hat man geringere Probleme."
Unter welchen Bedingungen soll Geld fließen?
Immerhin: Die Neuverschuldung habe Italien zuletzt weitgehend im Griff gehabt, meint Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München. Auch er sieht einen fundamentalen Unterschied zur Finanzkrise:
"In der Corona-Krise geht es nicht nur um Geld, sondern wir haben echte realwirtschaftliche Beschränkungen. Wenn wir die Wirtschaft schließen, so wie wir es bei dem Shutdown machen, wenn einfach nicht mehr produziert wird, dann kann das kein Geld der Welt ausgleichen. Deshalb ist das ein Grund dafür, dass die Corona-Krise deutlich gravierender ist als die Finanzkrise, so schlimm die Finanzkrise war."
Der Ökonom Clemens Fuest, Präsident des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München ifo 
Der Ökonom Clemens Fuest (imago images / Metodi Popow)
Die Gesamtverschuldung Italiens könnte nach der Krise auf fast 160 Prozent – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – steigen, fürchten Ökonomen.
Man könne die beiden Krisen ohnehin nicht miteinander vergleichen, sagt Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK, des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung: "Es ist unbestritten, dass Italien wirtschaftliche Strukturprobleme hat. Nur die Frage ist: was sagt uns das in der jetzigen Krise? Stellen Sie sich mal vor, im Jahr 2003/2004, als wir in Deutschland hohe Arbeitslosigkeit hatten, zu der Zeit als die Hartz IV-Reformen umgesetzt wurden, in der Zeit hätte Deutschland eine Coronakrise erlebt und Deutschland wäre jetzt besonders hart getroffen gewesen. Da hätten wir es auch reichlich absurd gefunden, wenn dann die Spanier oder Franzosen gesagt hätten: Warum sollen wir jetzt Deutschland helfen? Das sind ja hausgemachte Probleme. Die haben ja ihren Arbeitsmarkt nicht richtig reformiert."
Der Streit innerhalb der Europäischen Union geht vereinfacht erklärt darum, ob es neue Kredite gibt, die die Schulden eines Landes weiter in die Höhe treiben, oder ob alle Mitgliedsländer der Währungsunion sich bereit erklären, die wirtschaftlichen Schäden, die durch die Coronakrise entstanden sind, gemeinschaftlich zu beheben.
Coronabonds keine Option mehr
Gegen die Idee gemeinschaftlich begebener Anleihen, sogenannter Coronabonds, gibt es vor allem in den nordeuropäischen Ländern heftige Widerstände. Das liege an der sogenannten gesamtschuldnerischen Haftung, erklärt Lars Feld von der Uni Freiburg. Denn dann könnte der Gläubiger seine Ansprüche bei einem der Gesamtschuldner befriedigen. Der wiederum müsse diese dann bei den anderen Partnern eintreiben. Das sei schon in kleinerem Umfang schwierig.
Lars Feld: "Wenn sie sich das vorstellen: als Ehepartner hat man bei Immobilienkäufen gesamtschuldnerische Haftung. Wir kennen das bei Anwaltskanzleien und Gemeinschaftspraxen, dass es da gesamtschuldnerische Haftung gibt mit all den Problemen, die dann auch zwischen den Partnern existieren können. Und zwischen Staaten ist es natürlich besonders problematisch, und deswegen muss man das vermeiden."
Ifo-Chef Clemens Fuest hält aus einem weiteren Grund diese Bonds für wenig sinnvoll. Denn das Instrument gebe es ja noch gar nicht, dazu müssten die Europäischen Verträge geändert werden: "Wir haben in Europa gar keine Institution, die Coronabonds ausgeben könnte. Richtig ist, dass man in Europa ein gemeinsames Interesse daran hat, dass ein Land wie Italien jetzt nicht aufgrund der Krise auch noch in Liquiditätsprobleme kommt und dass zur Gesundheitskrise und zur Wirtschaftskrise jetzt auch noch eine Finanzkrise dazu kommt. Das wäre ganz falsch. Aber dafür wird ja gesorgt. Insofern finde ich die Forderung nach Coronabonds jetzt weniger überzeugend."
Auf dem EU-Gipfel vor drei Wochen waren Coronabonds dann auch keine Option mehr. Stattdessen verständigten sich die Regierungschefs auf einen Wiederaufbaufonds und den Einsatz des ESM, des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Der war in der Schuldenkrise geschaffen worden, um Staaten Kredite zu geben – wenn auch unter hohen Sparauflagen, die von den möglichen Schuldnern als Gängelung gesehen werden.
Gängelband der Gläubiger
Die Auflagen werden aber weitgehend heruntergeschraubt, nun gilt nur die Vorgabe, das Geld für die Bekämpfung der Pandemiefolgen zu verwenden - sofern die nationalen Parlamente in der EU dem noch zustimmen.
Clemens Fuest: "Es kommt ja auf die Substanz an, und die Substanz lautet: Der ESM kann verhindern, dass Staaten jetzt in Liquiditätsprobleme kommen, dass die Renditen auf einzelne Staatsanleihen auf dem Ruder laufen, weil das Vertrauen der Investoren kollabiert. Und deshalb sollten wir dieses Instrument auch einsetzen. Der größte Vorteil ist ja, dass der ESM schon da ist. Wir müssen ihn also nicht erfinden. Wir brauchen also nicht ein Jahr, um eine Institution zu gründen, die dann helfen kann."
05.03.2020, Italien, Rom: Giuseppe Conte, Ministerpräsident von Italien, spricht bei einer Pressekonferenz im Palazzo Chigi nach einer Sitzung mit dem Ministerrat. Wegen der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus bleiben in Italien bis zum 15. März alle Schulen und Hochschulen geschlossen. Foto: Roberto Monaldo.Lapress/LaPresse via ZUMA Press/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Giuseppe Conte, Ministerpräsident von Italien, (LaPresse via ZUMA Press)
Als weiteres Instrument brachte die EU-Kommission den Wiederaufbaufonds in die Diskussion ein – die Details sind aber noch nicht klar. Nimmt die EU dann einen zusätzlichen Kredit auf, der dadurch bedient wird, dass alle EU-Partner mehr in den Haushalt einzahlen? Außerdem könnte die EU auch Anleihen mit langer Laufzeit begeben.
Aus diesen zusätzlichen Mitteln könnten dann Fördermittel in die Mitgliedsstaaten fließen. Dann wäre die Wirkung ähnlich wie bei Coronabonds, meint Dullien: "Es gibt eine ganze Reihe von Äußerungen, auch von deutschen Regierungsmitgliedern, die sich was anderes vorstellen, dass da ein Fonds gemacht wird, aus dem werden zumindest zum Teil nur Kredite vergeben. Wenn man jetzt irgendeine kompliziertere technische Lösung findet, dann hat man die Chance vergeben, den Italienern auch symbolisch die Solidarität zu zeigen."
Solidarität ist genau das, was Italien nicht müde wird, von seinen europäischen Partnern zu verlangen. Regierungschef Giuseppe Conte: "Das Europäische Projekt braucht dringend einen neuen Ansatz für die Zukunft. Die Corona-Krise ist eine heftige Herausforderung für die Europäische Union. Unser Kontinent wird damit nur fertig werden, wenn wir fähig sind, zusammenzuhalten und eine koordinierte Antwort auf diese Krise zu geben, eine Antwort, die auf dem Grundprinzip der Solidarität basiert."
Was Italien will
Wie diese Solidarität genau aussehen soll – darüber gehen aber auch in Italien die Meinungen auseinander. Die Oppositionsparteien sind kritisch, was Hilfen durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM betrifft, die Regierungsparteien uneins.
Die Partei Fünf Sterne hat den ESM als nicht geeignet definiert. Nicola Zingaretti von der Demokratischen Partei nennt ihn dagegen eine Gelegenheit, die Italien am Schopfe packen sollte. Regierungschef Conte setzt auf zusätzliches Geld aus dem Wiederaufbaufonds.
Eine Stufe über Ramschniveau
Fakt ist, dass Italien ab dem 1. Juni, so wie jedes andere Land im Euro-Raum, aus dem Topf des ESM einen Zehn-Jahres-Kredit aufnehmen kann - zu einem Zinssatz, der an Null grenzt. Konkret sind das circa 36 Milliarden Euro, die in die Staatskasse fließen würden. Einzige Bedingung ist nun also, dass dieses Geld für die Kosten des Gesundheitsnotstands aufgewendet wird.
Lars Feld, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung "Wirtschaftsweisen" steht vor dem Walter-Euken-Institut.
Der Ökonom Lars Feld (dpa / picture alliance / Patrick Seeger)
Doch auch über diesen Punkt wird gestritten. Die EU-Gegner in Italien sehen ihr Land bereits wieder am Brüsseler Gängelband und sprechen von einer Wiederauflage der ungeliebten Troika von 2009. Moderate Stimmen wie die des ehemaligen Regierungschefs und heutigen EU-Kommissars für Wirtschaft und Währung, Paolo Gentiloni, widersprechen dem. Die EU prüfe nur die Kohärenz des Geldeinsatzes mit dem vorgegebenen Ziel, die Folgen der Pandemie auszugleichen.
Die meisten Politiker und Ökonomen sind sich allerdings einig, dass ein solcher Kredit nicht ausreichen wird, um eine tiefgreifende Wirtschaftskrise zu verhindern. Die Ratingagentur Standard and Poors rechnet damit, dass das italienische Bruttoinlandsprodukt um 9,9 Prozent einbrechen wird, und die Agentur Fitch hat Italiens Kreditwürdigkeit bereits abgesenkt auf gerade mal eine Stufe über Ramschniveau – wegen der Schwierigkeiten, die der italienischen Wirtschaft und den italienischen Staatsfinanzen drohen. Dann stellt sich womöglich auch die Frage, wie lange die Europäische Zentralbank ihre Anleihekäufe fortsetzen kann.
"Wirtschaftliche Katastrophe"
Denn sogenannte "Schrottanleihen" darf sie nach ihren Regeln nicht kaufen. Eigentlich nicht, sagt Sebastian Dullien: "Dann könnte natürlich die Europäische Zentralbank ihr Regelwerk ändern, was sie auch im Fall von Griechenland getan hat, aber all das sind dann immer so Punkte, wo einerseits wieder die Möglichkeit besteht, dagegen zu klagen vor dem Bundesverfassungsgericht, und andererseits die Möglichkeit besteht, dass man einen Herdentrieb von Investoren anregt, die dann eben die Anleihen abstoßen."
Beobachter fürchten: Wenn Italien jetzt nicht geholfen wird, dann werden die Populisten eine neue EU-Austrittsdebatte lostreten. Der Wirtschaftsweise Lars Feld, Chef des deutschen Sachverständigenrates, hofft auf Vernunft: "So eng, wie wir mittlerweile in der Währungsunion untereinander verbunden sind, alle Mitgliedstaaten der Währungsunion, ist das für jedes Land, dass es erwägt auszutreten, eine wirtschaftliche Katastrophe."
Eine wirtschaftliche Katastrophe – nicht allein für Italien, vermutet auch ein Unternehmer aus Alzate Brianza östlich von Mailand: "Wenn alle Mechanismen versagen, wenn wir aus der EU, aus der Währungsunion austreten, wenn Italien zusammenbricht, dann ziehen wir auch Deutschland mit nach unten, das ist wohl klar."