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Bewegend, lebensnah und politisch

Noch bis zum 2. Juni findet das "Theatertreffen der Jugend" statt. Aus 123 Bewerbungen hat die Jury unter Martin Frank acht Gruppen ausgewählt und nach Berlin eingeladen. Ihre Produktionen präsentieren sich in diesem Jahr eminent politisch.

Von Ina Beyer |
    Ist es auf einer Theaterbühne je zu Verbrüderungsszenen zwischen Publikum und Darstellern gekommen? Exstatischen Umarmungen, ausgelassenem Tanz und Begeisterungsstürmen auf offener Szene? Und waren es dann auch noch Schauspieler und Zuschauer aus unterschiedlichen Kulturen? Gestern Abend war es soweit.

    Dreizehn Jungs geboren in Ghana, Somalia, Kenia oder Nigeria fanden sich am Ende ihrer Aufführung umringt von tobenden Fans. Malik, Raphael, Williams und die anderen hatten zuvor gerapt und getanzt – und sie hatten Geschichten erzählt. Von einer langen Reise. Von Abschieden und Ankunft. Vor allem aber von sich selbst – dreizehn Münsteraner zwischen 16 und 21.

    "Von meinem Geburtsort in Kenia bis nach Münster sind es 5184 Kilometer"

    "Unser Stück heißt ja '2+x Welten' - zwei Welten - Afrika und Deutschland - und wie wir mit der Situation hier umgehen und das x: Paar Leute sagen ja immer, dass wir alle gleich aussehen, gleiche Sache machen, immer witzig sind, aber sind wir ja gar nicht. Deswegen halt dieses x, wir sind alle sehr verschieden.""

    Williams Guemadji und seine Freunde vom "Cactus Jungen Theater" in Münster haben ihre ganz persönlichen Sehnsüchte, Ängste, aber auch ihren ungeheuren Zusammenhalt ahnen lassen und mit so viel Humor, Eleganz und eigenen Songs auf die Bretter gebracht, dass diese am Ende zu recht bebten. Und das unter einem Publikum, das kritischer kaum sein kann – es sind alles Kollegen. Von den anderen zum Theatertreffen der Jugend eingeladenen Gruppen, die an Stadt- oder Staatstheatern, in Schulen oder Klubs agieren. Oder alles selbst organisieren – Licht, Ton, Bühnenbild. Und ein eigenes Stück schreiben – wie Asma, Aylin, Yasemin und die anderen Mädchen vom "JugendtheaterBüro" aus Berlin Moabit. Juror Martin Frank:

    ""'Mich hat keiner gefragt' ist eine Inszenierung, in der nur junge muslimische Frauen auf die Bühne gehen, die einen ethisch besseren Umgang mit ihrer Religion oder mit dem Leben ihrer Religion von ihren Eltern einfordern, aber auch der Gesellschaft. Das ist total beeindruckend, weil die riskieren viel. Das ist kämpferisch, meines Erachtens nach, und wenn man das vor Ort erlebt muss man wirklich sagen das ist mutiges Theater."

    "Wir sind die, über die ihr immer redet. Wir sind die Ausländer. Wir sind die Migranten. Wir sind die Harzt IV-Empfänger. Und wir sind die Jugendlichen ohne Ausbildungsplätze. Wir sind die kopftuchtragenden Muslima. Wir sind die Problemfälle, die Euch das Leben erschweren."

    "Man sagt, Liebe ist ein Wasser..."

    In kleinen szenischen Tableaus wird von Sima erzählt, die von ihrem Vater zwangsverheiratet werden soll. Aus Tradition. Im Koran aber steht: "Wenn einer von Euch seine Tochter verheiraten möchte, so muss er sie im ihre Erlaubnis bitten."

    "Tradition, ich weiß, aber sie entspringt aber nicht dem Islam, wie du es sagst. Du betest fünf Mal am Tag und lügst in Allahs Namen deine Tochter an – ich habe jeden Respekt vor Dir verloren."

    Auf der Bühne mutige muslimische Mädchen, die sich auflehnen gegen Autoritäten. In der Realität ist das noch ein weiter Weg. An diesem Abend aber wird deutlich, wie relevant Theater sein kann, wie lebensnah, wie unter Umständen überlebenswichtig. Wie politisch, indem es persönliche Geschichten erzählt. Das ist auffallend in diesem Jahr beim Theatertreffen der Jugend: Es ist eminent politisch.

    "Die Frage ist doch – ob Gaza nicht das größte KZ der Welt ist, die Frage ist doch, ob man Israel noch kritisieren darf, ohne ein Antisemit zu sein. Die ganze Welt ist doch antisemitisch – die ganze Welt ist antimuslimisch."

    Die Schauspieler vom Jugendklub des Theaters Hannover stellen pikante Fragen – an sich, an die Gesellschaft. Sie beschreiben in ihrem Projekt "Salam, Shalom" das eigene Scheitern beim Versuch, ein deutsch-israelisch-palästinensisches Friedensprojekt ins Leben zu rufen. Ob diskursives Theater wie dieses oder konventionelleres, eine stringente Geschichte erzählendes wie das der Muslima – es bewegt, das spürt man beim Theatertreffen der Jugend deutlich, mehr als so manch realpolitischer Akt und Wille.

    "Die Jugendlichen kommen ins Gespräch. Auf, vor und hinter der Bühne."

    "Dafür steht das Festival – es steht dafür, dass sich die nächste Generation das Theater nimmt."

    "HeHeHehuaaaHe!"

    "No black face, no white face, but human face!"