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Bewegung der Sterne vor 300 Jahren entdeckt
Als Edmond Halley in den Himmel schaute

Bis ins 18. Jahrhundert glaubte man, dass die Sterne an einer Kristallsphäre befestigt seien, die die Erde umgibt. Erst 1718 entdeckte der Astronom Edmond Halley deren Eigenbewegung - und bereitete damit einer Vielzahl wissenschaftlicher Erkenntnisse den Weg. Eine davon: die Entdeckung der Dunklen Materie.

Von Dirk Lorenzen |
    Edmond Halley, 1656 bis 1742, englischee Astronom, Geophysiker, Mathematiker und Meteorologe
    Und sie bewegen sich doch: 1718 entdeckte Edmond Halley die Bewegung der Sterne (imageBROKER)
    Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wähnten sich die Astronomen noch in einer Art kosmischem Idyll: Das Universum war klein und überschaubar. Am Himmel bewegten sich zwar die Planeten wie Mars und Jupiter, als Folge ihres Laufes um die Sonne herum. Doch die Sterne schienen am Firmament fixiert zu sein, sie bildeten Nacht für Nacht dieselben Muster – jene Sternbilder, die schon seit der Antike bekannt waren.
    "Ich habe mir die Mühe gemacht, die heutigen Positionen der Sterne mit den Daten der antiken Beobachter wie Ptolemäus und Hipparch zu vergleichen. Zu meiner Überraschung habe ich bemerkt, dass die drei hellen Sterne Aldebaran, Sirius und Arcturus heute etwas anders am Himmel stehen als vor fast 2000 Jahren."
    Sterne stehen nicht still
    Im Jahr 1718 hatte Edmond Halley, Professor in Oxford und dann Königlicher Astronom in London, aktuelle Positionsmessungen mit denen aus der Antike verglichen. Bei drei Sternen waren die Abweichungen schon mit bloßem Auge offensichtlich – sie hatten sich seit der Antike deutlich am Himmel bewegt. Die Sterne stehen also nicht still, sie ziehen durch die kosmischen Weiten.
    Der Sternenhimmel zu Monatsbeginn gegen 23 Uhr, zur Mitte des Monats gegen 22 Uhr und am Monatsletzten gegen 21 Uhr
    1783 fand der Londoner Astronom Edmond Halley heraus, dass sich die Sterne bewegen (Stellarium)
    "Diese drei Sterne gehören zu den hellsten am Firmament, und sie sind uns vermutlich recht nah. Wenn sie sich auf eigenen Bahnen durch den Weltraum bewegen, so ist die Veränderung ihrer Position im Laufe von nur 100 Jahren nicht zu bemerken. Nach einigen Jahrtausenden fällt jedoch auf, dass diese Sterne am Himmel etwas gewandert sind."
    Noch gut ein Jahrhundert zuvor hatten viele Gelehrte geglaubt, die Sterne seien an eine Kristallsphäre geheftet, die die Erde umgibt. Dies passte zur unveränderlichen Position – doch Edmond Halley hatte nun entdeckt, dass Sterne sich bewegen und damit ein ganz neues Teilgebiet der Astronomie begründet, erklärt der Physiker David Walker vom Förderverein der Hamburger Sternwarte:

    "Das bedeutete, dass man dann erforschen konnte, welche Dynamik sich im Milchstraßensystem abspielt. Die einzelnen Sterne bewegen sich ja deswegen, weil sie in einem gemeinsamen Schwerefeld das Zentrum der Milchstraße umlaufen, und das mit Geschwindigkeiten von mehreren hundert Kilometern pro Sekunde."
    Sterne schwirren durch unsere Milchstraßen-Galaxie wie tanzende Mücken in der Abendsonne. Doch auf den ersten Blick ist davon nichts bemerken, weil die Sterne so weit entfernt sind, wie Edmond Halley ganz richtig vermutet hatte. Einen möglichen Irrtum aufgrund von Messfehlern konnte der renommierte Astronom ausschließen:
    "Ein ganz klarer Beleg für die Eigenbewegung der Sterne ist die Bedeckung Aldebarans durch den Mond im Jahr 509. Sie ist von Athen aus beobachtet worden. Hätte der Stern aber damals schon an seiner heutigen Position gestanden, so wäre der Mond deutlich an ihm vorbei gelaufen. Doch der Mond zog vor Aldebaran entlang – also muss der Stern seit damals ein ganzes Stück am Himmel gewandert sein."
    Präzise Beobachtung der Sterne
    Mit Halleys Entdeckung hatte der Kosmos die Fesseln verloren. Im All dominierte die erst wenige Jahre zuvor von Isaac Newton entdeckte Schwerkraft oder Gravitation. Dieselbe Kraft, die einen Apfel vom Baum fallen lässt, schickt Sterne quer durch die Milchstraße. Heutzutage beobachten die Astronomen mit Teleskopen äußerst präzise den Lauf der Sterne, erklärt David Walker:
    "Die Eigenbewegung der Sterne ist geradezu ein Messinstrument, um zu bestimmen, wie viel Masse sich innerhalb der Sternbahn befindet. Und man misst zum Beispiel die Rotationskurven der großen Galaxien draußen im Weltall und hat auf diese Weise die Dunkle Materie entdeckt. Man hat also herausgefunden, dass man, um die Rotationsgeschwindigkeiten, also die Eigenbewegung der dortigen Sterne zu erklären, man die Existenz von viel mehr Masse voraussetzen muss, als man tatsächlich sieht."
    An vielen Stellen im Kosmos, auch in unserer Milchstraße, gibt es offenbar Materie, die nicht leuchtet und mit keinem Teleskop zu sehen ist. Doch sie verrät sich durch ihre Anziehungskraft – denn sie lässt die Sterne schneller durch das All laufen als allein durch die Kraft der leuchtenden Materie zu erklären wäre. 300 Jahre nach Halleys Entdeckung hat der ESA-Satellit Gaia nun die Bewegung von sage und schreibe zwei Millionen Sternen präzise vermessen. Diese Daten verraten, wie die Milchstraße aufgebaut ist und wie sie sich entwickelt hat. Von so etwas konnte Edmond Halley 1718 noch nicht einmal träumen.