"Even when we are apart, may we feel our spirits close..."
Ein Gottesdienst in der "Judson Memorial Church", einer Baptisten-Kirche in Manhattan – wegen der Corona-Pandemie momentan nur online zu sehen. Reverend Donna Schaper wird aus ihrem Wohnzimmer zugeschaltet. Die Pastorin liest eine Passage aus dem Zweiten Buch Mose und deutet den Bibeltext politisch. Für sie ist Religion per se politisch.
"Wir haben drei Probleme: eines ist das Virus. Das zweite ist die Wirtschaft. Und das dritte ist der Präsident. Wir bräuchten jetzt Führung. Jemanden, der sich um uns kümmert und über uns wacht. Jemand, der das Gemeinwesen lenken kann."
Und das tue der aktuelle Präsident nicht. Die Allianz mancher Christen mit Donald Trump sei nicht im Sinne Jesu, sagt Donna Schaper im Gespräch.
"Es gibt nichts Höheres als Gott. Der Staat steht nicht über Gott. Der Präsident ist nicht Gott, auch wenn er vielleicht denkt, er sei es. Und deswegen unterstellt diese Maxime, dass Christen sich einfach aus der Politik heraushalten sollten, dass Politik größer sei als Gott. Und das stimmt nicht. Damit Gott Gott sein kann, muss er uns leiten und über allem stehen, tatsächlich über allem."
"Sie kämpfen oft für bestimmte Themen"
Der Autor Jack Jenkins zählt Donna Schapers Gemeinde in seinem neuen Buch "American Prophets" zur sogenannten "Religiösen Linken" in den USA. Weil ihre Mitglieder sich für Minderheiten engagieren, für Klimaschutz und gegen Polizeigewalt. Jenkins schreibt, einen solchen religiös motivierten Einsatz für politisch linke Themen habe es im Verlauf der amerikanischen Geschichte immer wieder und in verschiedenen Formen gegeben.
"Ein klassisches Beispiel ist die Abschaffung der Sklaverei, bei der Kirchenvertreter eine wichtige Rolle gespielt haben. Ein anderes ist die Bürgerrechtsbewegung der 60er, in der Geistliche wie Martin Luther King Jr. für die Gleichberechtigung der Afroamerikaner gekämpft haben. Und überhaupt: Politisch linke christliche Strömungen haben während des gesamten 20. Jahrhunderts, vor allem in der ersten Hälfte, die Politik entscheidend beeinflusst."
Erst als Reaktion auf dieses politisch liberale Christentum habe sich die "Religiöse Rechte" entwickelt, deren Vertreter sich traditionell im republikanischen Lager verorten und die sich zum Beispiel gegen eine liberale Sexualmoral oder Abtreibung wenden. Die "Religiöse Rechte" sei eine relativ homogene Gruppe, bestehend vor allem aus weißen Christen, analysiert Jenkins - im Gegensatz zur "Religiösen Linken":
"Die aktuelle 'Religiöse Linke' ist sehr vielfältig – auch konfessionell. Sie ist nicht nur christlich, sie umfasst Christen und Juden und Muslime und Sikhs und Hindus. Das ist eine große Bandbreite von Gruppen, die sich in den letzten Jahrzehnten oft unter dem Dach einer links-liberalen Agenda zusammengefunden haben, oder sogar in der Partei der Demokraten. Was sie verbindet: Sie kämpfen oft für bestimmte Themen."
Es gibt keine einheitliche linke Theologie
Vertreter des "Sanctuary Movement" etwa öffnen ihre Kirchen für illegale Einwanderer, um sie vor Abschiebung zu schützen. Ureinwohner der USA berufen sich immer wieder auf ihre Spiritualität, etwa wenn sie ihnen heiliges Land vor Bebauung schützen wollen. Und die Kapitalismus-Kritik eines wieder aufkommenden christlichen Sozialismus verweist auf die Verantwortung der Gesellschaft für die Armen und Schwachen. Jack Jenkins, der für den Religion News Service arbeitet, analysiert als Fachjournalist das Phänomen so:
"Wenn linke Christen sich etwa für Flüchtlinge einsetzen, dann berufen sie sich auf Bibelstellen, die davon handeln, Fremde willkommen zu heißen. Das Gleiche tun zum Beispiel religiöse Juden. Für sie ist ihr Engagement in ihrem Glauben und ihrer jüdischen Identität begründet. Es wäre vereinfacht zu sagen, dass es eine zentrale linke Theologie gäbe – es sind eher sich überlappende theologische Ansätze, die in die gleiche politische Richtung führen, und die sich auch mit säkularen Anliegen überschneiden."
"Sie können uns schlagen, aber die Gerechtigkeit gewinnt"
Eine der größten kirchlich-progressiven Bewegungen in den USA ist die "Poor People's Campaign", die das Erbe von Martin Luther King fortführen will und sich mit landesweiten Demonstrationen gegen Armut, Ungleichheit und Rassismus wendet. Geleitet wird sie heute von einer Theologin und einem Theologen: Der protestantische Pastor William Barber aus North Carolina ist eine Art Superstar der Protest-Bewegung. Sein zentrales Thema: Die Rolle der Unterdrückten, der Abgelehnten.
"Wenn wir gemeinsam kämpfen, sind wir stark. Als Moses und sein abgelehntes Volk sich zusammenschlossen, konnten sie den Pharao besiegen; und das Rote Meer öffnete sich. Immer wenn wir, die Abgelehnten, uns zusammenschließen, siegen wir. Sie können uns schlagen und verletzen, aber die Gerechtigkeit gewinnt."
Die "Religiöse Linke" wächst unter Trump
Was der "Religiösen Linken" paradoxerweise geholfen habe, das sei die Präsidentschaft von Donald Trump, sagt Autor Jack Jenkins.
"Die 'Religiöse Linke' hat erst durch den Protest gegen Trump so richtig nationale Aufmerksamkeit bekommen – und plötzlich sogar mehr als die 'Religiöse Rechte'. Weil die nämlich an der Macht sind. Und was die 'Religiöse Linke' richtig gut kann, das ist Protest gegen die Mächtigen."
Auch für Pastorin Donna Schaper aus New York ist dieser Protest wichtig. Allerdings findet sie politische Kategorien wie "links" und "rechts" am Ende nicht so entscheidend.
"Man kann zur 'Religiösen Linken' gehören und auch sehr engstirnig sein. Und man kann sicher zur Rechten gehören und auch sehr engstirnig sein. Mich interessiert vor allem, ob Menschen aufgeschlossen sind und bleiben – und nicht, wie weit links sie stehen."