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Bewegung und Gefühl

Mel Gibson verblüfft die Kinowelt mit einem brillanten Abenteuerfilm, angesiedelt im 8. Jahrhundert. Auch wenn man an den historischen Details herumkritteln kann, so ist nicht zu bestreiten, dass Gibson mit "Apocalypto" ein packendes - mitunter sogar grandioses - filmisches Erlebnis geschaffen hat.

Von Josef Schnelle |
    Als harter Kerl, der nach dem Untergang der Welt im nuklearen Inferno, in Lederkluft und auf seinem Motorrad die neuen Regeln des Chaos am besten beherrscht, als Mad Max ist der Australier Mel Gibson Ende der 70er Jahre zum Star geworden und eroberte mit seinen stahlblauen Augen so manches Frauenherz. Als verletzlicher Action-Held, brutaler Rächer oder auch einmal als Frauenversteher stieß er in die oberste Riege der Leinwandgötter Hollywoods auf. Und so beschloss er, seine Filme gleich selbst zu drehen, landete 1995 mit "Braveheart" einen Kassenhit und konnte obendrein auch fünf Oscars mit nach Hause nehmen.

    Mit seiner zweiten Regiearbeit "Die Passion Christi", die den letzten Tag Jesu als brutales Spektakel mit untertitelten aramäischen Dialogen schildert, löste er eine kontroverse Diskussion aus. Doch die Kasse klingelte auch außerhalb der Hollywood-Verleihstrukturen. 600 Millionen Dollar spielte der Film ein, und Mel Gibson festigte seinen Ruf als verstockter konservativer Altkatholik und Liebhaber von Filmbrutalität. Als man ihn vor ein paar Monaten mit Alkohol am Steuer und wüsten antisemitischen Schmähungen erwischte, galt er als erledigt. Jetzt ist er wieder da und verblüfft die gesamte Kinowelt mit einem brillanten Abenteuerfilm angesiedelt im 8. Jahrhundert, als die Maya-Hochkultur unterzugehen begann. Mel Gibson erklärt, warum:

    "Es war eine interessante Periode am Ende einer Zivilisation. Da sind wilde Sachen passiert. Auf eine seltsame Weise gibt es da Parallelen zu unserer Zeit. Wer genau hinsieht der sieht auch heute Hinweise auf das Zerbröckeln der Zivilisation."

    Tatsächlich gibt es in der historischen Forschung Hinweise auf Raubbau an der Umwelt, maßloses Wachstum und eine gewissenlose Führungselite bei den Maya. Ein stinkendes Abwässerrinnsal fließt im Film aus der Hauptstadt in den Fluss, und Krankheiten breiten sich aus, die nach Meinung der Priester nur mit Menschenopfern zu besiegen sind. In der Mitte des Films wird eine solche Opferorgie mit aller Drastik ausgespielt. Herausgerissene Herzen zucken, Köpfe rollen die Stufen der Mayapyramide hinunter und plumpsen auf mit der Opferfarbe Blau bemalte Leichenberge.

    Da ist er wieder, der sadistische Grundton in Gibsons Filmen. Verglichen mit den inzwischen im Hollywood-Mainstream angelangten Splatter-Filmen und Hannibal Lectors Menschenfressereien ist das allerdings weit weniger brutal als erwartet. Auch wirkt diese kurze Filmpassage in der Mayametropole wie ein Comic-Strip. Erklärt wird nämlich rein gar nichts, nur angedeutet, wie das Elend der Sklaven, die in den Vorstädten Gips herstellen und die Putzsucht des Adels, der die ankommenden Gefangenen begutachtet. Auch das sardonische Grinsen des Priesters, der eine Sonnenfinsternis als Höhepunkt des Opferrituals einkalkuliert, und die fette dekadente Königsfamilie auf dem Gipfel der Pyramide scheint geradewegs aus einer Hergé-Zeichengeschichte von Tim und Struppi zu stammen. Der Trick mit der Sonnenfinsternis verschont den Urwaldbewohner "Pranke des Jaguars" bevor er in einer wilden, verwegenen Jagd sein Leben und das seiner Familie retten muss.

    Diese Passage des Films ist sein eigentliches Herzstück. Der letzte der Dschungelmayas setzt nichts weniger als den gesamten Busch in Bewegung, um seine kriegerischen Verfolger besiegen zu können. Durch eine virtuose Kameraarbeit schafft es Mel Gibson, die Zuschauer hinzuziehen in einen Bewegungsrausch, den man so im Kino noch nicht gesehen hat.

    "Der ganze Film ist kinetisch. Es gibt gar nichts, dass sich nicht bewegt, keine einzige Einstellung, die sich nicht bewegt. Es gibt keine Figur in jeder bewegten Einstellung, die stillsteht. Selbst bei höchster Geschwindigkeit müssen die Figuren noch agieren."

    Die neuartige Wunderdigitalkamera, mit der dies möglich war heißt passender weise Genesis und stammt von der Traditionsfirma Panavision. Sie ist höchst beweglich, und man kann mit ihr bei natürlichem Licht bis zur fast völligen Dunkelheit ohne Hilfsmittel drehen. Auch wenn man an den historischen Details herumkritteln kann, bei denen Gibson an manchen Stellen recht unbekümmert Jahrhunderte in einen Augenblick zusammenfasst, so ist doch nicht zu bestreiten, dass er ein packendes - mitunter sogar grandioses - genuin filmisches Erlebnis geschaffen hat. Reines Kino eben - eins greift ins Andere: Motion and Emotion. Bewegung und Gefühl.