Thekla Jahn: Zu wenig Bewegung im Alltag: Das ist nicht nur ein Problem in vielen Schulen, sondern auch auf und neben dem Campus. Fast drei von vier Studierenden haben bei der letzten Studie zur "Gesundheit Studierender in Deutschland" angegeben, dass sie sich nicht ausreichend bewegen - und nicht einmal die Hälfte treibt regelmäßig Sport.
Max Sprenger ist Sport- und Sozialwissenschaftler, er war an der Studie, die zusammen mit der FU Berlin erstellt wurde, beteiligt und er ist stellvertretender Leiter des Unisports an der TU Kaiserslautern – die ganz vorbildliche innovative Projekte entwickelt, um Studierende an den Sport zu bringen. Max Sprenger, nicht einmal die Hälfte der Studierenden tut das bislang. Gilt das für alle jungen Menschen zwischen 18 bis 29 oder sind die Studierenden besonders häufig Bewegungsverweigerer?
Max Sprenger: Ich glaube, insgesamt gilt das schon für den überwiegenden Teil der Gesellschaft in dem Alter, aber die Studierenden scheinen da schon gewisse Spezifika aufzuzeigen, weil gerade die körperliche Aktivität, was ja noch mal ein bisschen was anderes als die sportliche Aktivität ist, dramatisch gering ist.
WHO empfiehlt mehr als 2,5 Stunden Bewegung pro Woche
Jahn: Was heißt dramatisch gering? Also die fast drei von vier Studierenden?
Sprenger: Genau. Weil bei sportlicher Aktivität sind ja teilweise auch Dinge wie Schach oder Motorcross dabei, wo man gar nicht sicher ist, ob das jetzt gesundheitsförderlich ist oder nicht. Bei körperlicher Aktivität jedoch kann man sehr klar sagen, dass das gesundheitsförderlich oder protektiv ist, und dort hat die WHO eine Empfehlung rausgegeben, dass Menschen mehr als 2,5 Stunden pro Woche aktiv sein sollen. Und wenn man diese Definition zugrunde legt, sind es in der bundesweiten Befragung eben 26 Prozent der Studierenden, die wir erfüllen. Also wie Sie sagten, das ist etwa ein Viertel und damit sehr gering.
Jahn: Gibt es da Fachbereiche, wo die Studierenden besonders sportlich beziehungsweise andersherum besondere Sportmuffel sind?
Sprenger: Da sind die Vergleiche aus meiner Perspektive relativ marginal. Also wenn man sogenannte Cluster bildet, sind die Mathematiker, Naturwissenschaftler noch am geringsten aktiv, Mediziner und Gesundheitswissenschaftler insgesamt etwas aktiver, so sagt das zumindest die Studie, die Sie gerade angesprochen haben.
Bologna-Reform könnte Grund für Bewegungsmangel sein
Jahn: Wie kommt es dazu, dass so viele Studierende keine Lust haben, sich zu bewegen und auch keinen Sport zu machen? Weil zweieinhalb Stunden in der Woche – Sie haben die WHO-Empfehlung angesprochen – ist ja eigentlich nicht besonders viel.
Sprenger: Nein, zumal dort werden ja auch Alltagsdinge mit aufgenommen, also mit dem Fahrrad zur Uni fahren oder laufen, also Dinge, wo man außer Atem kommt, werden da schon mit reingenommen. Also es muss nicht direkt sportliche Aktivität sein. Ehrlich gesagt, ich kann es mir selber nicht ganz erklären, woran das liegt. Man könnte in der Tendenz davon sprechen, dass das Thema Bologna-Reform, dadurch Verschulung des Unialltags, dadurch höherer Druck, mehr Belastung, mehr Priorisierung auf den Unialltag, weniger nebenher, es so sein könnte, aber wissenschaftlich belegen – zumindest ist mir keine Studie bekannt – lässt sich das nicht.
"Spannungsverhältnis zwischen Virtual- und Real-Life"
Jahn: Eigentlich ist das auch aus einem anderen Grund noch recht erstaunlich, denn es gibt ja nun immer mehr Apps, es gibt Schrittzähler, Sportyoga-Apps et cetera. Da wäre es ja eigentlich gar nicht so schwierig, sich motivieren zu lassen.
Sprenger: Da sind wir im klassischen Spannungsverhältnis zwischen Virtual- und Real-Life. Also in den virtuellen Welten, klar gibt es da viele Apps et cetera, aber es muss ja in tatsächliches Handeln dann später überführt werden und da ist eine gewisse Schwelle zu übertreten, das heißt, sich eine App oder ein Video anzuschauen und da reinzugucken, was man machen könnte, aber es dann tatsächlich auch umzusetzen, das sind schon zweierlei Schuhe.
"Psychische Probleme, physisches Unwohlsein und weniger soziale Kontakte"
Jahn: Was für Folgen hat das nun, wenn sich Studierende auf Dauer gar nicht oder nur wenig bewegen?
Sprenger: Also es gibt Studien, beispielsweise von Herrn Möllenbeck aus Göttingen, der hat darüber promoviert, der dann nachgewiesen hat, dass es eigentlich in allen physischen, psychischen und sozialen Bereichen das Wohlbefinden steigert, wenn man körperlich aktiv ist. Also das Wohlbefinden sowohl auf der Gefühlsseite, also frische Aktivität, Motiviertheit, aber auch Leistungssteigerung und Leistungsmotivation werden gesteigert, wenn man körperlich aktiv ist. Logischerweise ist dann der Umkehrschluss, wenn das runtergeht, diese körperliche Aktivität und der Sport, steigen dann dort auch psychische Probleme, physisches Unwohlsein, und auch soziale Kontakte sinken.
"Kurze aktive Pausen steigern die Konzentrationsleistung"
Jahn: Wir haben es eben bei Schulkindern gehört im Zusammenhang mit der dänischen Studie. Die profitieren vor allem, wenn sie sich nicht so gut konzentrieren können davon, dass sie sich mehr bewegen im Schulalltag. Gilt das auch bei den Studierenden oder sind da eher andere Effekte bei ausreichender sportlicher Betätigung zu sehen?
Sprenger: Nein, das geht eindeutig in die gleiche Richtung. Also wenn man sich vorstellt, man hat eine anspruchsvolle Vorlesung, die über anderthalb Stunden geht, dort gibt es mittlerweile auch von Hochschulsportseiten Initiativen, dass dort sogenannte Pausenexpresseinheiten durchgeführt werden, in der Mitte der beiden Vorlesungsblöcke quasi eine kurze aktive Pause, und dadurch steigt die Konzentrationsleistung und auch die Aufnahmefähigkeit. Das heißt, das muss sich gar nicht entgegenstehen, sondern das befördert tatsächlich auch die Leistungsmotivation beziehungsweise die Aufnahmefähigkeit.
Jahn: Das heißt, das ist ein falscher Schluss eigentlich, den manche Studierende ziehen, dass sie sagen, ich habe ja gar keine Zeit, ich muss noch ganz viel lernen für eine Klausur, für ein Referat, für eine Hausarbeit. Das ist eigentlich falsch. Sie müssten eigentlich mehr Sport machen, dann könnten sie bessere Leistungen erbringen.
Sprenger: Ja, das ist ein Sekundäreffekt, in den man investiert, der nicht sofort augenscheinlich ist, aber tatsächlich auch nachgewiesenermaßen Leistung steigert, wenn man dort Zeit investiert. Sind im Übrigen auch nicht die Studierenden, auch die Rahmenbedingungen – also wir sprechen da in der Regel von Verhältnisprävention –, auch die Dozenten können ja ein paar Minuten von ihrer Vorlesung abgeben, um das zu tun, also sprich: körperlich aktiv zu sein und dann wiederum aber im Anschluss wieder einen Invest zurückzubekommen und sich dann die Leistungen der Studierenden auch verbessern oder die Aufnahmefähigkeit verbessert. Also da wäre es schön, wenn es da ein Umdenken gibt in der Richtung.
Erfolgreiche Aktivitätsförderung an der TU Kaiserslautern
Jahn: Jetzt sind die Studierenden an der TU Kaiserslautern diejenigen, die weitaus aktiver sportlich sind als andere. Sie haben das geschafft mit welcher Strategie?
Sprenger: Also wir haben tatsächlich in Kaiserslautern vor vier Jahren ein studentisches Gesundheitsmanagement aufzubauen und dort auch ganz klart zu analysieren, wie ist denn die Bewegungsaktivität, wie viel Zeit verwenden unsere Studierende auch im Vergleich zu anderen Studierenden auf und können mittlerweile, weil wir schon eine zweite Studie dazu geführt haben, auch in Richtung längsschnittlich orientierte Daten da Effekte sehen. Und wenn man zum Beispiel sich die körperliche Aktivität, von der wir vorhin gesprochen haben, als Grundlage nimmt: Dort ist es in der bundesweiten Befragung so, dass 26,7 Prozent der Studierenden diese WHO-Empfehlung erfüllen. Bei uns sind 43 Prozent, also schon ein sehr erheblicher Unterschied, und ich würde das durchaus auch auf unsere Aktivitäten zurückführen, weil wir einen ganz bunten Blumenstrauß an Aktivitätsförderung bei uns an der Uni machen.
"Games of TUK"
Jahn: Eins davon würde ich gerne erwähnen, das ist "Games of TUK", also TUK ist dann die Technische Universität Kaiserslautern, das ist eine App. Wie haben Sie da es geschafft, die Studierenden zu motivieren?
Sprenger: Das Ganze ist entstanden tatsächlich aus einer Idee unseres Dachverband, also dem Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband und der Techniker Krankenkasse, die gesagt haben, macht doch mal, überlegt mal, wie man innovative Bewegungsförderung machen kann. Wir hatten dann unsere Studis gefragt, also einen sehr partizipativen Ansatz gefahren und gesagt, was wäre denn cool, was könnten wir denn machen. Dort kam die Idee, na ja, Apps sind cool, und wir sind sowieso die ganz Zeit am Smartphone, wie schaffen wir es, da eine Verbindung herzustellen, also zwischen wieder Virtual- und Real-Life.
Gelöst haben wir das Ganze dadurch, dass wir ein Spiel entwickelt haben. Wir haben uns überlegt, sowas wie "Tribute von Panem", "Game of Thrones", "Harry Potter", davon so Elemente rausnehmen und so einen mystischen Charakter aufbauen, und so haben wir dann die 12 Fachbereiche unserer Uni aufgeteilt in vier Häuser, die mit einem eigenen Logo und Wappen, was wir für die entwickelt haben, gegeneinander um den sportlichen Thron der TUK kämpfen. Im Konkreten sieht das so aus, dass die zum Beispiel Wochenaufgaben lösen müssen. Wir haben eine Schnitzeljagd bei uns am Campus, wo man unterschiedliche Rätsel bekommt und – wir sind sehr nah am Pfälzer Wald – auch mal eine Runde durch den Wald tritt. Dann sind wir, wenn man das absolviert hat, 12 Kilometer durch den Wald gelaufen, weil man eben diese Rätsel gelöst hat.
Wir haben aber auch ganz andere Elemente, wie beispielsweise wie einen Coin-Collector: Also man läuft dann eine Woche über den Campus und kann jeden Tag Coins einsammeln, die quer über den Campus verteilt sind, kriegt dann aktuell noch einen Supercoin, wenn man alle 20 eingesammelt hat und wird zu einer Skulptur geleitet, sodass man auch dort wieder mehr Strecke, aber auf eine spielerische Art und Weise zurücklegt. Die Idee dabei ist ganz klar, in den Alltag Bewegung mit reinbringen und das gar nicht zu so einer zwingend bewussten "Ich muss mir jetzt noch extra Zeit nehmen, damit ich das tun kann", in so eine Schiene reinzubringen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.