Als Natsuki Ganaha mit dem Fußballspielen begann, war das gar nicht der Rede wert. Ende der 90er-Jahre wächst die heute 27-Jährige in Okinawa auf, einer Insel in Südwestjapan. Und die Idee, dass Mädchen gegen Bälle treten, ist schon damals so unspektakulär, dass sie selbst sich kaum an mehr erinnert als das: Es habe ihr Spaß gemacht. Und deshalb spielt die Universitätsangestellte auch heute noch jede Woche.
"Als ich zum ersten Mal Fußball gespielt habe, war ich in der Grundschule. Es war normal, dass man Fußball lernt, ob man jetzt ein Mädchen oder ein Junge war. Das ist auch keine Besonderheit von Okinawa. In ganz Japan ist das so. Fußball spielt hier jeder. Der Sport hat kein Geschlecht."
Japan gilt als Mitfavorit für die Frauenfußball-WM 2023
Das ist ein wichtiger Grund, warum Japan als Mitfavorit gilt, wenn die FIFA am kommenden Donnerstag entscheidet, wo die nächste Frauenfußball-WM im Jahr 2023 stattfinden wird. Auch Kolumbien und die gemeinsame Bewerbung von Australien und Neuseeland stehen zur Wahl. Die FIFA hat auf einer Skala von eins bis fünf die Bewerbung von Kolumbien allerdings nur mit 2,8 bewertet – und damit deutlich schlechter als Japan mit 3,9 und der oizeanischen Bewerbung mit 4,1. Für Australien und Neuseeland spricht, dass viele asiatische und ozeanische Länder die Bewerbung unterstützen wollen.
Frauensport gilt in Japan generell als wichtig
Ein Argument für Japan ist die hohe Beliebtheit des Spiels. Frauensport generell gilt im Land als wichtig. Und der Frauenfußball konnte schon vor Jahrzehnten florieren, als Männer noch eher Baseball oder Sumo betrieben. Heute begegnet man dem Frauenfußball abends in der Kneipe, wenn auf Bildschirmen ein Länderspiel live übertragen wird. Oder an Plakaten in Supermärkten, die mit der Frauennationalmannschaft werben. "Nadeshiko Japan" nennt sich die Truppe – wobei das Wort Nadeshiko auf das traditionelle Ideal der Frau anspielt: anmutig, gut gekleidet, dezent.
Und man ist sich einig, dass die Erfolge der Fußballerinnen dem Begriff "Nadeshiko" einen moderneren Klang verpasst haben. Denn als Japan bei der WM 2011 in Deutschland überraschend den Weltmeistertitel gewinnt, staunt das Publikum nicht nur über einen ruhigen und technischen versierten Stil, sondern auch über kämpferische Härte.
"Ich bin damals völlig ausgerastet. Daran erinnere ich mich noch genau. Ich war gerade nach Hiroshima zum Studieren gegangen und habe da auch an der Uni Fußball gespielt, oft zusammen mit Jungs. Und danach habe ich auch gemerkt, wie immer mehr Mädchen mit dem Fußball anfingen. Dass Japans erste und bis heute einzigen Fußballweltmeister weiblich sind, hat dem Ansehen auf jeden Fall noch mal geholfen. Im Fernsehen läuft trotzdem noch häufiger Männerfußball. Aber immerhin."
Fußball ist in Japan erheblich "weiblicher"
Natsuki Ganaha hat insofern recht: Was Medienaufmerksamkeit und Sponsoringeinnahmen angeht, dominieren weiterhin die Männer. Aber das sieht anders aus, wenn man auf die Geschlechter der Zuschauer achtet. Das weiß Christian Tagsold, Japanologe und Insider des japanischen Fußballs:
"Fußball ist ja in Japan schon von der Fanbasis her erheblich weiblicher als bei uns. Also die alten Herren und Salarymen, also die Angestellten, die sitzen ja eher beim Baseball, hängen da irgendwie drei Stunden ab, was auch ganz gut passt, weil da kann man Alkohol trinken und weil das Tempo vom Spiel nicht ganz so hoch ist und sich nebenher auch noch Geschäftsbeziehungen anbahnen. Und die jungen Frauen wurden gezielt geködert von der Profiliga, der J-League. Weil sie auch als konsumfreudig galten. Und man dadurch hoffte, auch sehr viel Merchandise absetzen zu können. Und deswegen ist das Fanpublikum von Fußball auch bei den Männern sehr weiblich. Und deswegen ist es aber auch normal, sich als Frau für Fußball zu begeistern."
Fußballerinnen galten schon vor dem WM-Titel als Vorbild
Christian Tagsold ist heute Japanologieprofessor an der Universität Düsseldorf. Vorher aber hat er als Mitarbeiter die japanische Nationalmannschaft bei internationalen Turnieren betreut.
Dabei erinnert er sich, dass Japan schon vor dem Weltmeistertitel als internationales Vorbild für den Sport galt. Während der WM 2011 in Deutschland ist ihm dies besonders aufgefallen:
"Da kam zum Beispiel die FIFA gezielt auf Japan zu, mit dem Ansinnen, die Japanerinnen oder die JFA möge als Beispiel fungieren, wie man den Frauenfußball organisiert. Die haben Workshops veranstalten wollen, um Verbände mehr auf Frauenfußball zu bringen, und da war Japan ganz klar best practice. Den ganzen Trainingsbetrieb fanden sie gut, aber die FIFA interessiert immer der Marktdruck. Und die FIFA hatte den Eindruck, dass Japan ganz gut vermarktet ist. Also mit anderen Worten hat Japan schon einen sehr, sehr guten Ruf bei der FIFA, was Frauenfußball angeht. Und das könnte schon auch helfen bei so einer Bewerbung."
Verschiebung der Olympischen Spiele steht derzeit im Fokus
Von dieser guten Vermarktung sieht man aktuell aber weniger. Die Sportberichterstattung dreht sich eher um die Verschiebung der Olympischen Spiele und den anstehenden Restart des Vereinssports, insbesondere im Baseball und im Fußball der Männer. Aber auch über die Einführung der ersten vollprofessionellen Frauenfußballliga ab nächstem Jahr wird gesprochen. Die japanische Bewerbung um das Austragungsrecht der Frauen-WM ist zuletzt eher eine Randnotiz gewesen.
Die Aufmerksamkeit für eine Fußball-WM in Japan würde aber wohl deutlich zunehmen, sobald die Olympischen Spiele vorbei sind. Oder aber, und dann wohl umso mehr, wenn Olympia doch ganz abgesagt werden würde. Dann nämlich könnte die Fußball-WM der Frauen gebrochene Sportherzen zum Lachen bringen. So wäre es jedenfalls für Natsuki Ganaha:
"Wenn die WM nach Japan kommt und alle Spielerinnen aus den verschiedenen Teams sich zusammentun, um im Land für das Land zu kämpfen… für den Sport wäre das krass. Das würde alles noch beliebter machen. Vielleicht so beliebt wie der Männerfußball."