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Bewerbungsgespräch
Künstliche Intelligenz nimmt Kandidaten unter die Lupe

Sechs Prozent der größten Unternehmen Deutschlands nutzt Algorithmen, um Bewerber für eine Stelle auszuwählen. Deren Unterlagen werden auf Fachwissen gescannt. Ein Münchner Unternehmen hat nun eine Software entwickelt, die Aussagen über die weichen Eigenschaften der Bewerber trifft.

Von Bernd Schlupeck |
Szene aus einem Bewerbungsgespräch
Künstliche Intelligenz soll zukünftig im Bewerbungsgespräch bei der Einschätzung der Kandidaten helfen (imago stock&people)
Südliches Bahnhofsviertel in München: Zwischen türkischen Supermärkten, Hotels, Wettbüros und Elektroshops in einem grauen Wohnhaus im ersten Stock liegt das Büro des Startup-Unternehmens "Retorio". In hellen Räumen mit Ziegelwänden und einem Billardtisch empfängt mich ein junger Mann – kurze, dunkelblonde Haare, Fünf-Tage-Bart, freundliches Lächeln.
"Mein Name ist Christoph Hohenberger. Ich bin einer der drei Gründer von Retorio. Und wir haben ein Produkt entwickelt, das Menschen analysiert hinsichtlich des Kommunikationsverhaltens und ihrer Persönlichkeit - um Firmen Einschätzung zu geben, zum Beispiel Recruiting; aber auch Mitarbeitern Feedback zu geben, wie sie auf andere wirken, wenn sie zum Beispiel in Kundengesprächen kommunizieren."
Künstliche Intelligenz bewertet das Auftreten des Bewerbers
Das Produkt, von dem der Wirtschaftspsychologe spricht, ist eine Software, die Videos auswertet. Dazu braucht es lediglich Kamera und Mikro im Laptop. Im ersten Schritt nimmt sich die Person auf, zum Beispiel antwortet sie auf eine Frage, die den Personaler interessiert. Und lädt das Video hoch.
"Wir teilen das auf in Bild und Ton. Und analysieren dann sowohl Sprache, Stimme, Gestik, Gesichtsausdrücke mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz, um verschiedene Parameter abzuleiten, wie zum Beispiel emotionaler Zustand, welche Emotionen habe ich übertragen. Wie emotional war auch mein Text? Welche Wörter habe ich benutzt? Bin ich eher eine Person, die neutral und nüchtern spricht, oder bin ich eine Person, die lebhafte Adjektive verwendet. Wie deutlich ist meine Aussprache?"
Das Modell der "Big Five" liegt der Bewertung zugrunde
Die Künstliche Intelligenz haben der Münchner und sein Team mit 10.000 Videos trainiert. Dabei wurden Personen unterschiedlichen Geschlechts, aus unterschiedlichen Kulturkreisen in verschiedenen Situationen befragt. Versuchspersonen haben diese Videos angeschaut und die gezeigten Menschen eingeschätzt. Daraus leitet die KI dann Muster ab, lernt quasi, was andere als authentisch empfinden, und kann so Verhaltensmerkmale aus Sprache, Stimme, Mimik und Gestik gewichten. Christoph Hohenberger öffnet eine Art Videoanruf-Fenster. Die Testfrage lautet: "Welchen Stellenwert hat Arbeit für Sie?"
"Für mich ist Arbeit ein wichtiger Teil des Alltags, der Menschen einen Sinn in ihrem Leben gibt. Ich denke, wenn Menschen nichts Sinnvolles zu tun haben, werden sie sehr wahrscheinlich faul oder wissen nicht, was sie mit ihrer freien Zeit anfangen sollen."
Er drückt auf Stopp und verschickt das Video. Nach wenigen Sekunden ploppen mehrere Grafiken, Zahlen und Textblöcke auf dem Bildschirm auf. Den Werten oder Scores liegt das Modell der Big Five zugrunde. Damit wird in der Psychologie die Persönlichkeit eines Menschen eingeordnet – und zwar anhand der fünf Dimensionen: offen, gewissenhaft, gesellig, rücksichtsvoll und emotional stabil.
Keine Chance für Tricksereien
"Bei den Ergebnissen scheint er mir zu sagen, dass ich sehr freundlich bin, habe eine angenehme Ausstrahlung. Mein emotionaler Ausdruck war allerdings nicht ganz so stark. Es scheint, dass ich entweder sehr reserviert bin oder Probleme habe, meine emotionalen Nachrichten rüberzubringen. War doch zu fast 70 Prozent authentisch. Wirke einigermaßen organisiert, in dem wie ich mich gebe."
Im Textteil schlägt die Software dem potenziellen Arbeitgeber vor, dass Christoph Hohenberger sich am besten für Kundengespräche oder in der Kommunikation eignet. Außerdem bekommt er, wäre er der Bewerber, gesagt, wo er sich noch verbessern kann. Austricksen lasse sich die KI übrigens kaum, sagt der Wirtschaftspsychologe. Gleichzeitig Inhalt, Stimme, Mimik und Gestik zu verstellen, sei schwierig. Das Programm soll in Kürze erscheinen.