Obama suche "offensichtlich ganz klar den Schulterschluss mit Deutschland", sagte Hardt im Deutschlandfunk mit Blick auf die heutigen Gespräche in Hannover: Gemeinsam mit Gastgeberin Angela Merkel wird Obama mit Großbritanniens Premier David Cameron, Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Regierungschef Matteo Renzi zusammentreffen.
Es müsse nun vor allem um eine Bekämpfung der Fluchtursachen in Libyen und Syrien gehen, sagte Hardt. Dazu sei Aufbauhilfe nach dem Vorbild des Marshallplans erforderlich. Nach Informationen des "Wall Street Journal" will Obama bis zu 250 zusätzliche Soldaten nach Syrien schicken.
TTIP auch unter anderem US-Präsidenten?
Zum Freihandelsabkommen TTIP sagte Hardt, er erwarte, dass dieses auch unter dem Nachfolger von US-Präsident Obama zustande kommt. Bei der Ablehnung aktueller Präsidentschaftsbewerber handle es sich um "Wahlkampfrhetorik, die man nicht ernst nehmen kann". "Ich glaube, dass jeder Präsident, der im Januar nächsten Jahres ins Amt kommt, ein hohes Interesse an der Fortentwickelung der Handelsbeziehungen gerade nach Europa hat", sagte der Koordinator der Bundesregierung für Transatlantische Zusammenarbeit im Deutschlandfunk.
Bei dem Vertrag zwischen der EU und den USA gehe es darum, die Standards anzuheben und nicht zu senken. Die Ziele der USA entsprächen denen Europas. Freier Handel sei zudem ein Wachstumsmotor für die Wirtschaft. Gestern hatten Obama und Bundeskanzlerin Merkel in Hannover für das umstrittene Abkommen geworben. Beide sprachen sich für einen schnellen Abschluss aus.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich den CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt. Er ist Koordinator der Bundesregierung für die transatlantische Zusammenarbeit. Guten Morgen, Herr Hardt!
Jürgen Hardt: Guten Morgen!
Dobovisek: Dicke Wolken und Graupelschauer gestern bei der Ankunft Obamas in Hannover, Sinnbild für die getrübten Beziehungen nach der NSA-Abhöraffäre. Inzwischen wirken Merkel und Obama wie beste Freunde, Herr Hardt. Scheint inzwischen wieder die Sonne?
Hardt: Es gibt ganz viele Dinge, die Amerika und Deutschland gemeinsam anpacken müssen. Das ist einmal bilateral und zwischen Europa und Amerika natürlich die Frage zum Beispiel des Handelsabkommens. Das sind aber natürlich die Fragen, die heute im Mittelpunkt stehen beim Gespräch, wo auch der französische Staatspräsident, der britische Premierminister und der italienische Ministerpräsident dazukommen, wenn es um unsere Sicherheit geht. Libyen, Syrien, Ukraine, und da sucht Obama offensichtlich ganz klar den Schulterschluss mit Deutschland.
"Wechselseitiges Vertrauen ist wichtig"
Dobovisek: Um den Wandel in den Beziehungen und die Veränderungen, die Verbesserung, die Verschlechterung aber besser verstehen zu können, müssen wir trotzdem noch einen Moment bei der NSA-Affäre bleiben. Die USA hatten und haben nicht das leiseste Interesse an einem No-Spy-Abkommen mit Deutschland. Die Bundesregierung akzeptiert das in einem fast schon unterwürfigen Ton. Die Sonne scheint also wieder, um im Bild zu bleiben, weil die Kanzlerin nachgegeben hat?
Hardt: Das sehe ich anders. Wichtig ist, dass man sich wechselseitig vertraut. Ich glaube, da ist eine neue Basis gelegt. Da gibt es ja auch Gespräche zwischen den beiden Stabschefs, wo das geregelt ist. Was ich zum Thema NSA vermisse und auch bei den Amerikanern immer wieder einklage, wenn ich drüben bin: Sie haben die Rechtslage des amerikanischen Staatsbürgers gegenüber der NSA deutlich gestärkt, die Rechte der Bürger zu erfahren, wann Daten über sie gesammelt worden sind, und so fort. Ich würde mir wünschen und erwarte das auch von den Amerikanern, dass sie diese Rechte, die für amerikanische Staatsbürger gelten, auch entsprechend für die Bürger der Staaten einführen, mit denen sie befreundet sind, also zum Beispiel für NATO-Partnerländer. Soweit sind wir leider noch nicht. Dafür ist im Augenblick die Stimmung im Kongress auch nicht da. Aber ich spüre bei meinen Gesprächen, dass wir in diese Richtung gehen werden, und wenn wir sagen, wir haben die gleichen Rechte der Bürgerinnen und Bürger dies- und jenseits des Atlantiks gegenüber den Behörden, die ja nach Recht und Gesetz in Amerika arbeiten, dann, glaube ich, sind wir ein gutes Stück weitergekommen.
TTIP: Es geht nicht um die Absenkung von Standards
Dobovisek: Experten sprechen von einer Angst der Deutschen, von den Amerikanern über den Tisch gezogen zu werden. Mit Blick auf die NSA-Affäre ist das vielleicht gar nicht so falsch. Aber blicken wir dann auf TTIP. Ist das etwas, das auf TTIP und die große Angst vor dem Freihandelsabkommen in Deutschland abfärbt?
Hardt: Es ist sicherlich ein Thema gewesen, das die Gespräche über TTIP und die öffentliche Meinung zu TTIP ein Stück weit vergiftet hat, und ich glaube, dass der amerikanische Präsident das gestern deshalb auch klar gemacht hat. Es geht nicht um die Absenkung von Standards, es geht um das Festhalten an hohen Standards, bei Verbraucherschutz, bei Gesundheitsschutz und so weiter, und es geht darum, dass wir diese Dinge gemeinsam nach vorne entwickeln. Ich fand das, was der Präsident gesagt hat, eine klare Botschaft an die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, dass das, was die Kommission verfolgt bei diesen Verhandlungen, auch die Grundlage der Verhandlungen auf amerikanischer Seite ist. Von daher, glaube ich, ist gestern ein Stück weit Vertrauen geschaffen worden gerade auch für die TTIP-Verhandlungen.
Dobovisek: Ist das Gift sozusagen raus aus Ihrer Sicht?
Hardt: Es geht immer darum, dass Vertrauen mühsam aufgebaut werden muss, dass es auch vielleicht an der einen oder anderen Stelle schneller zerstört ist, als man sich das vorstellen kann. Ich glaube, dass wir in den letzten Jahren wieder ein gutes Stück aufeinander zu uns bewegt haben. Und vor allem sehe ich, dass wir uns auf die Amerikaner verlassen können, wenn es um unsere Außen- und Sicherheitspolitik geht, und das ist, glaube ich, das, was die Bürgerinnen und Bürger schon sehr schätzen, dass Amerika ganz klar auf der Seite Europas und Deutschlands steht, wenn es um diese außen- und sicherheitspolitischen Dinge geht, und dass wir uns auf die Amerikaner verlassen können wie auf sonst niemanden.
Dobovisek: Ist ein wichtiges Thema, kommen wir auch gleich noch drauf, Herr Hardt. Auch in den USA wächst aber die Kritik an TTIP. Donald Trump und Bernie Sanders sind dagegen. Hillary Clinton geht eher auf Distanz. Obama selbst hat gestern gesagt, während seiner Amtszeit wird es wohl nichts mehr werden mit TTIP. Wird das Abkommen mit dem Ende von Obamas Amtszeit ohnehin sterben?
Hardt: Diese Interpretation der Aussage des Präsidenten halte ich schlicht für falsch. Wir haben immer gesagt, es geht nicht darum, dass das Abkommen ratifiziert wird und in Kraft tritt unter einem Präsidenten Barack Obama. Das ist ja ein Prozess, der über mehrere Jahre läuft. 28 europäische Parlamente müssen zustimmen, plus das EU-Parlament, plus der Kongress. Nein, er hat klar gesagt: Er ist bereit dafür, in seiner Amtszeit das Abkommen fertig zu verhandeln, auszuverhandeln. Das ist das, was wir seit zwei Jahren auch als Ziel haben, bis Ende der Obama-Administration das hinzukriegen. Und das Ziel ist eigentlich gestern bekräftigt worden.
Dobovisek: Bringt aber nichts, wenn hinterher ein Präsident dasteht in den USA, der es nicht mehr ratifizieren möchte.
Hardt: Ich glaube, dass jeder Präsident, der im Januar nächsten Jahres ins Amt kommt, ein hohes Interesse an der Fortentwickelung der Handelsbeziehungen gerade nach Europa hat. Ich höre auf dem Hill auch, dass es überwiegend natürlich Fragezeichen hinter dem Handelsabkommen mit Asien gibt, weil man dort schon die unterschiedlichen Einkommens- und Arbeitssicherheitsniveaus dies- und jenseits des Pazifik sieht, dass diese Sorgen aber im Blick auf Europa weitgehend unbegründet sind, und ich gehe auch davon aus, dass jeder amerikanische Präsident weiß, dass freier Handel und Wandel mit Europa ein Wachstumsmotor für Amerika ist. Nahezu eine Million Arbeitsplätze in Amerika hängen direkt von freiem Handel mit Europa ab und umgekehrt. Das sind europäische Unternehmen, die in Amerika investiert haben, und amerikanische Unternehmen, die in Europa investiert haben. Ich glaube, dass das ein ganz starker Motor auch für jeden anderen Präsidenten sein wird. Und die Wahlkampfrhetorik jetzt im Vorwahlkampf, die kann man an dem Punkt, glaube ich, nicht so sehr ernst nehmen.
Erwartungen an den Gipfel
Dobovisek: Kommen wir zu den anderen großen Themen, die Sie schon zum Teil angesprochen haben, Herr Hardt: Krieg in Syrien, Flüchtlingskrise, internationaler Terrorismus. Das ist gesetzt auf dem Fünfergipfel, auf dem Minigipfel am Nachmittag auf Schloss Herrenhausen. Inhaltlich - was können wir erwarten von diesem Gipfel?
Hardt: Ich glaube, dass es aus europäischer Sicht - und da haben wir die Amerikaner an unserer Seite - ganz klar darum geht, dass wir die Fluchtursachen bekämpfen, und das sind nun mal im Augenblick die Staaten Syrien und Libyen, die das größte Fluchtpotenzial darstellen aufgrund der ungesicherten Verhältnisse dort, und dass wir neben der Flüchtlingspolitik, der europäischen, die vom amerikanischen Präsidenten ja ausdrücklich unterstützt wird, dass wir da ganz konkret dafür sorgen müssen, dass die Menschen in ihren Heimatländern bleiben können. Die neue libysche Regierung braucht jetzt ihre Chance. Wir können jetzt nicht warten, bis in einem halben Jahr der Ruf dieser Regierung ruiniert ist, weil sie nichts vorzuweisen hat. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass diese Regierung gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern klar zeigt, dass sie stark und handlungsfähig ist, dass sie den Staat zurückführen kann in Verhältnisse, wo er sich auch dem IS-Terror aus eigener Kraft erwehren kann. Deswegen ist ein Paket für Libyen zur Unterstützung dieser Regierung in jeder Hinsicht das, was in den nächsten Tagen und Wochen geschnürt werden muss, und ich glaube, das wird auch heute Nachmittag ein wesentlicher Punkt des Gipfels sein.
"USA sollten mehr Flüchtlinge aufnehmen"
Dobovisek: Für ihre Flüchtlingspolitik hat Barack Obama die Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern ausdrücklich gelobt. Er hat gesagt, sie stünde damit auf der richtigen Seite der Geschichte. Das sind nette, warme, bekräftigende Worte. Was erwartet die Bundesregierung darüber hinaus?
Hardt: Ich würde mir wünschen, dass die Vereinigten Staaten von Amerika selbst auch mehr Flüchtlinge aufnehmen. Kanada tut das ja immerhin in der Größenordnung von 25.000. Die werden vermutlich dieses Jahr verdoppeln. Das wäre umgerechnet auf die USA eine Zahl von 500.000. Ich war im Oktober auf dem Hill und habe gesagt, ich finde es toll, dass Amerika 10.000 Flüchtlinge nimmt, aber ich habe allein 7000 in meinem Wahlkreis. Ich glaube, dass Amerika mehr kann, und ich setze darauf, dass auch in diesem Jahr ein Stück weit Bewegung in diese Frage kommt. Aber vordringlich ist natürlich die Bekämpfung der Fluchtursachen, die Verhinderung, dass Menschen überhaupt von Zuhause fliehen müssen, und ich glaube, da werden die Amerikaner auch hier bei uns in Europa konkret einen Beitrag leisten.
Dobovisek: Wie?
Hardt: Wir werden sowohl in Syrien als auch in Libyen weiter Ausbildungsaktivitäten machen müssen. Wir müssen auch der libyschen Regierung helfen, ihre Polizisten und Soldaten auszubilden. Das werden die Amerikaner massiv mit unterstützen. Wir müssen den wirtschaftlichen Aufbau dieser Länder hinkriegen. Libyen ist ja zum Beispiel ein Land, das sich hohe eigene Einnahmen durch Ölexporte verschaffen könnte, wenn denn die Ölförder- und Ölexportiermöglichkeiten wieder da wären, wenn die Hafenanlagen wieder instandgesetzt sind. Ich glaube, dass wir Europäer und Amerikaner hier ganz konkret kurzfristig ran müssen im Sinne eines, wie wir es nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa erlebt haben, Marshall-Plans des Wiederaufbaus der Länder Libyen und Syrien in gesicherten freien Verhältnissen, und das ist die Aufgabe, die wir in den nächsten Monaten lösen müssen.
Dobovisek: Jürgen Hardt von der CDU ist Beauftragter der Bundesregierung für die transatlantische Zusammenarbeit. Vielen Dank für das Gespräch, das wir aus Termingründen vor knapp einer Stunde aufgezeichnet haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.