Stephanie Rohde: Der amerikanische Präsident begrüßte die Festnahmen in Saudi-Arabien, verweist allerdings im gleichen Atemzug auf die guten Geschäfte mit dem guten Partner Saudi-Arabien. Der Fall belastet auch die deutsch-saudischen Beziehungen stark. Darf man einem Regime, das offenbar Journalisten im Konsulat tötet, weiterhin Waffen verkaufen und das weiterhin unterstützen. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit dem ehemaligen deutschen Außenminister Sigmar Gabriel von der SPD, der in seiner Amtszeit eine sehr kritische Haltung gegenüber Saudi-Arabien eingenommen hat. Guten Morgen!
Sigmar Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie!
"Saudi-Arabien ist in einen finsteren Krieg im Jemen verwickelt"
Rohde: Muss die Bundesregierung jetzt alle Beziehungen mit Saudi-Arabien auf Eis legen?
Gabriel: Ich weiß nicht, ob wir alle Beziehungen auf Eis legen müssen, aber in jedem Fall, glaube ich, muss es weiterhin so sein, dass wir bei Rüstungsexporten zu Saudi-Arabien außerordentlich kritisch sind. Es gab mal eine Bundesregierung, ist gar nicht so lange her, aus CDU, CSU und FDP, die hatte vor, 250.000 deutsche Sturmgewehre in Saudi-Arabien produzieren zu lassen. Das haben wir in der letzten Regierung als Sozialdemokraten gestoppt. Solche Geschäfte darf es nicht geben, übrigens nicht wegen eines einzelnen Mordes – der ist schlimm genug –, sondern weil Saudi-Arabien in einen ziemlich finsteren Krieg im Jemen verwickelt ist. Dort ist die größte humanitäre Katastrophe. Da sterben täglich Menschen, verhungern, verdursten Kinder. Das ist der Grund, warum man dem Land derzeit solche Waffen nicht schicken darf.
Keine Kriegswaffen nach Saudi Arabien liefern
Rohde: Aber Herr Gabriel, das klingt jetzt schön, die SPD hat auch schon durchgesetzt, dass es einen Exportstopp geben soll für alle Länder, die am Jemenkrieg direkt beteiligt sind. Trotzdem ist ja jetzt wieder bestätigt worden, Deutschland wird weiterhin Waffen an Saudi-Arabien liefern, und die Saudis sind in diesem Jahr der zweitbeste Kunde der deutschen Rüstungsindustrie. Muss die Bundesregierung da nicht anerkennen, wir werden einfach weiter Waffen liefern, egal was passiert?
Gabriel: Ich kann Ihnen nur sagen, was in meiner Amtszeit gemacht wurde, und da haben wir das nicht getan. Wir haben dort auch zum Beispiel zum Schutz der Königsfamilie Waffen geliefert, aber eben nicht in großem Umfang Waffen, die in solchen Kriegen eingesetzt werden können. Ich finde, das muss auch die Linie bleiben. Ich habe auch nichts dagegen, dass Deutschland Patrouillenboote zum Grenzschutz nach Saudi-Arabien schickt. Dort hat das Königshaus mal auch durchaus international nachvollziehbar nachgewiesen, dass es wirklich nur um Grenzschutz Saudi-Arabiens geht, aber Waffen, die dazu dienen können, andere Völker anzugreifen oder Krieg zu unterstützen, dürfen wir auf keinen Fall liefern. Das wäre ein Fehler, wenn die Bundesregierung das machen würde. Das haben wir in unserer Regierungszeit nicht getan.
"Das Gefährlichste in all diesen Kriegen sind Kleinwaffen"
Rohde: Das haben Sie zumindest versucht, Herr Gabriel, allerdings muss man sagen, 2016 hatten Sie die höchste Kriegswaffenausfuhr überhaupt bis dahin. Ich habe mir die Zahlen hier angeguckt: 2015 haben Sie 270 Millionen Waffen, also im Wert, Waffen an Saudi-Arabien verkauft, 2016 waren es dann schon 530 Millionen. Wie kommt das?
Gabriel: Weil Sie zum Beispiel jetzt gerade etwas unter Waffen zählen, was häufig, jedenfalls in meinem Verständnis, keine Waffe ist. Gepanzerte Fahrzeuge zum Schutz von der Königsfamilie zum Beispiel zählt zu einem Rüstungsexport. Wenn Sie Patrouillenboote zum Grenzschutz liefern, zählt das zum Rüstungsexport. Die Zahlen, die Summen, sagen überhaupt nichts über die Qualität der Waffen aus. Das Gefährlichste in all diesen Kriegen sind Kleinwaffen. Die Zahl der Kleinwaffen haben wir drastisch reduziert, und zumindest die jetzige Koalition hat beschlossen – ich hoffe, sie hält sich auch dran –, dass Kleinwaffen überhaupt nicht mehr in solche Länder exportiert werden dürfen. Wenn Sie das Volumen der Summe nehmen, das Jahr, das Sie zitiert haben, das ist entstanden unter anderem durch vier Tankflugzeuge an Großbritannien und eine Schiffslieferung. Die sind für Menschen ungefährlich, aber es ist natürlich ein riesiges Volumen. Da sieht es so aus, als ob Deutschland ein gigantischer Rüstungsexporteur sei. In Wahrheit liefern wir Tankflugzeuge nach Großbritannien und, ich glaube, ein Schiff nach Ägypten oder Israel. Das weiß ich nicht mehr, aber jedenfalls, es geht um die Frage, beteiligen wir uns an Rüstungsexporten, die dazu dienen, in anderen Ländern zumindest die Gefahr eines Krieges zu erhöhen oder sogar an einem Krieg beteiligt zu sein. Panzer nach Saudi-Arabien, was Saudi-Arabien immer wieder gefordert hat, haben wir dann nicht geliefert. Wir haben die Kleinwaffenproduktion in deutscher Lizenz in Saudi-Arabien gestoppt. Das alles sind Gründe gewesen, warum ich im Konflikt mit Saudi-Arabien war. Wir haben Saudi-Arabien dafür kritisiert, dass es Menschenrechtsverletzungen begangen hat gegenüber Menschenrechtsaktivisten und damals den libanesischen Ministerpräsidenten in Riad zum Rücktritt gezwungen hat. Das alles passiert aus einem bestimmten Grund.
Deutschland hat ein Interesse am Erfolg der saudischen Reformpolitik
Rohde: Aber Herr Gabriel, ich muss noch mal sagen, also trotzdem sind die Saudis weiterhin in diesem Jahr der zweitbeste Kunde der deutschen Rüstungsindustrie. Ist das nicht Augenwischerei am Ende, muss man nicht sich einfach ehrlich machen und sagen, auch wenn wir jetzt ein bisschen runtergefahren haben am Ende, die deutsche Rüstungsindustrie hat ein Interesse zu exportieren, und wir werden weiter exportieren, egal was die Saudis politisch machen?
Gabriel: Ich kann Ihnen nicht sagen, was die Bundesregierung derzeit beschließt. Ich gehöre der Bundesregierung nicht an. Ich kann Ihnen nur sagen, was wir gemacht haben, und nach dem Buchstaben des Gesetzes in Deutschland, nach den Regeln, dürfen die Interessen der deutschen Rüstungsindustrie dabei keine Rolle spielen. Dass sie das trotzdem spielen, weiß ich, aber sie dürfen sozusagen die Exportentscheidung nicht von der Frage, noch nicht mal von der Frage von Arbeitsplätzen abhängig machen, sondern es muss ein sicherheitspolitisches Interesse in Zusammenarbeit mit dem Land geben. Natürlich stimmt es, dass wir an Saudi-Arabien ein Interesse haben.
Rohde: Und Ihr Nachfolger, Heiko Maas, der hat bis jetzt noch keine Waffenexporte gestoppt. Es wird weiter exportiert.
Gabriel: Müssen Sie mit dem ein Interview machen. Sie machen es aber mit mir.
Rohde: Genau, aber ich wollte gerade wissen, ist das dann ein Fehler? Macht Heiko Maas gerade einen großen Fehler?
Gabriel: Wenn der Bundessicherheitsrat – dazu gehört Herr Maas, aber auch viele andere, unter anderem die Kanzlerin – zurückkehrt zu einem Export von auch im Krieg einsetzbaren Waffen zu Saudi-Arabien, hielte ich das für einen großen Fehler. Ich gehöre diesem Gremium aber nicht mehr an, deswegen kann ich nicht sagen, was dort beschlossen wird. Ich will Ihnen nur sagen, auf der anderen Seite, zur Fairness gehört, warum wir ein Interesse an Saudi-Arabien haben. Dieses Land war über viele, viele Jahre einer der großen Financiers von Terrororganisationen. Die Menschen, die aus Deutschland sich dem Islamischen Staat angeschlossen haben, kamen fast alle aus salafistischen Moscheen, die von Saudi-Arabien finanziert wurden. Der jetzige Kronprinz, der zu recht für seine Außenpolitik und auch für diesen offensichtlichen Auftragsmord in der Türkei zur Verantwortung gezogen werden soll, ist allerdings auch jemand, der genau diese Terrorfinanzierung gestoppt hat, der salafistische Moscheengemeinschaften nicht mehr finanziert hat, der sich gegen Radikalisierung im Islam wendet und der etwas tut, was kaum jemand in Saudi-Arabien für möglich gehalten hätte, er bricht mit den religiösen Fundamentalisten seines Landes. Das Sicherheitsinteresse Deutschlands lautet, wir haben ein Interesse daran, dass er bei dieser Politik Erfolg hat, weil das unser Land sicherer macht, die Region sowieso.
"Patrouillenboote für den Grenzschutz" zu liefern sei richtig
Rohde: Aber das heißt doch …
Gabriel: Entschuldigung. Deswegen ist der Versuch, in der internationalen Politik schwarz-weiß zu malen, führt meistens dazu, dass man sich selbst moralisch in einer supersicheren Position glaubt, in Wahrheit ist es aber so, dass hier sehr viele Interessen miteinander zu verbinden sind. Das führt dazu, dass man gelegentlich sagt, okay, wenn es Rüstungsgüter sind, die nicht im Krieg eingesetzt werden können, zum Beispiel Patrouillenboote für den Grenzschutz, dann stimmen wir zu. Wenn er Gewehre haben will oder Raketen oder Panzer, die er einsetzen kann, um Nachbarländer zu bedrohen, dann lehnen wir ab. So kommen solche Entscheidungen zustande.
Rohde: Das heißt aber, was Ihr Nachfolger jetzt macht, Heiko Maas, nämlich nicht nach Saudi-Arabien fahren und trotzdem die Gesprächskanäle offenhalten, ist eigentlich im Endeffekt richtig, und das, was Sie gemacht haben, war ein bisschen zu kritisch.
Gabriel: Ich weiß nicht, wie Sie auf die Idee kommen. Ich bin nach Saudi-Arabien gefahren, ich habe mit denen geredet.
Blankoscheck der USA im Gegenzug zu Milliardenrüstungsgeschäften
Rohde: Genau, und dann dort aber vor Ort sie kritisiert, sehr viel schärfer als Heiko Maas, der im Endeffekt gesagt hat, ihr Vorgehen sei ein Missverständnis gewesen.
Gabriel: Also ich weiß nicht, ob es ein Missverständnis war. Ich glaube jedenfalls, dass es ein Missverständnis ist zu glauben, Partner in der Wirtschaft dürften sich gegenseitig nicht kritisieren. Ich fand es angemessen, den Saudis auch klar zu sagen, und das erwarte ich, ehrlich gesagt, von westlichen Regierungen, wenn sie etwas tun, was mit unseren Vorstellungen von Frieden, von Demokratie, von Menschenrechten nicht vereinbar ist … Ich habe Saudi-Arabien natürlich, genau wie die kanadische Außenministerin, für die Inhaftierung und die drohende Auspeitschung eines Menschenrechtsaktivisten kritisiert. Wir haben sie kritisiert dafür, dass sie im Libanon für ziemlichen Ärger gesorgt haben, dass ein Land, das ohnehin instabil ist, und wir haben gemeinsam übrigens mit dem amerikanischen Außenminister kritisiert die sehr aggressive Haltung gegenüber Katar. Das muss man in der internationalen Politik sagen dürfen. Es kann nicht sein, dass das Land Saudi-Arabien dann zum Beispiel in Kanada, aber auch damals bei mir in Deutschland, damit reagiert, dass es die Botschafter abzieht und wirtschaftlichen Druck entfaltet. Das tut das Land nur aus einem Grund, weil es sich inzwischen zu 100 Prozent gedeckt fühlt durch den amerikanischen Präsidenten. Die Saudis haben uns klar gesagt, ja, ja, wir wissen, dass der amerikanische Außenminister anderer Meinung ist, nur wir machen, was wir wollen, denn wir sind vom Weißen Haus gedeckt. Das heißt, dieser Blankoscheck, den Donald Trump den Saudis ausgestellt hat, und zwar im Gegenzug zu Milliardenrüstungsgeschäften, die keinerlei Skrupel hatten wie wir, das ist etwas, was sozusagen zum Abenteurertum verleitet hat, und genau das hat stattgefunden.
"Ein transparentes und international beobachtbares Verfahren"
Rohde: Und das war jetzt auch wieder Abenteurertum von den Saudis oder ging das weiter?
Gabriel: Das hier, finde ich, geht wesentlich zu weit. Das ist kein Abenteurertum mehr. Wenn es stimmt, dass das ein politischer Auftragsmord war – das ist ja bislang unklar … Gott sei Dank ist wenigstens mal zugegeben worden, dass er ums Leben gekommen ist. Ich finde, jetzt muss die Möglichkeit bestehen, auch unter internationaler Beobachtung zu untersuchen, ist es wirklich während eines Verhörs passiert oder war es sozusagen von Anfang an geplant, ihn umzubringen – dafür gibt es ja auch Indizien –, das muss man jetzt in einem transparenten und international beobachtbaren Verfahren klären. Aber jedenfalls wäre das der Rückfall ins finsterste Zeiten, wie wir sie übrigens in Deutschland ja noch kennen, jedenfalls die, die ein bisschen älter sind. Sowas gab es im Kalten Krieg auch.
Rohde: Herr Gabriel, Entschuldigung, ich muss Sie noch kurz eine Frage stellen. Als Außenminister, als Sie sich damals mit Saudi-Arabien befasst haben, da war die SPD ja noch eine 20-Plus-Partei. Jetzt sieht es eher nach einer 10-Plus-Partei aus. Was macht das mit Ihnen, so komische Ergebnisse?
Gabriel: Na ja, ich meine, das ist doch klar, ich bin über 40 Jahre Mitglied der SPD. Dass das auch bei mir ein großes Maß an Traurigkeit und Nachdenklichkeit auslöst, ist doch selbstverständlich. Die Sozialdemokraten sind eine Partei, die seit über 150 Jahren die demokratische Konstante in Deutschland waren. Dass jetzt ausgerechnet die Partei, die Demokratie und Freiheit Jahrzehnte verteidigt hat, als das noch als undeutsch galt und andere Parteien diese Ideen verraten haben, das ist eine bittere Entwicklung, aber es ist ja nichts, was man nicht aufhalten und verändern kann. Also ich würde sagen, anpacken, Politik verändern, wesentlich mehr mit Menschen sprechen. Das, glaube ich, ist das, was alle Parteien machen müssen: mehr zuhören und dann natürlich daran arbeiten, dass sich das Image der Sozialdemokratie wieder ändert. Das ist nicht unmöglich, und wir werden sehen, dass die hessische Sozialdemokratie besser abschneidet.
"Die Große Koalition muss Stabilität zeigen"
Rohde: Also sagt Ihr Bauchgefühl, die GroKo wird überleben, auch die Hessenwahl.
Gabriel: Ob die GroKo über… Die Hessenwahl, na, die Hessenwahl ist, glaube ich, nicht entscheidend für die Frage, ob die Große Koalition weiter regiert. Die Große Koalition …
Rohde: Das sagen ja einige.
Gabriel: Ja, ich bin der Überzeugung, die Große Koalition hat zwei Möglichkeiten: Entweder sie schafft einen Neustart und zeigt, dass sie wirklich regiert und sich nicht nur mit sich selbst beschäftigt – das war das Ergebnis der letzten Monate, vor allen Dingen durch den Streit von Seehofer und Merkel, das muss ein Ende haben –, und die Menschen müssen den Eindruck haben, die kümmern sich um Deutschland. Ich meine, Große Koalitionen sind nie beliebt, aber eines erwartet man von ihnen normalerweise, das ist Stabilität in schwierigen Zeiten. Das muss die Große Koalition zeigen, in Europa, in der Welt, in solchen Auseinandersetzungen wie mit Saudi-Arabien.
Rohde: Und das trauen Sie der SPD auch noch zu?
Gabriel: Wenn das nicht gelingt … Also ich darf mal sagen, die Verantwortung dafür tragen nicht nur Sozialdemokraten. Der Streit, den wir hier seit dem Sommer hatten, daran hat sich kein SPD-Mitglied beteiligt. Das ist eine Veranstaltung zwischen zwei Schwesterparteien gewesen. Das Zweite ist, wenn das nicht gelingt, dann muss man offen sagen, dann kann man nicht weiter regieren, aber erst mal würde ich verlangen, dass die Regierung versucht, erstens zuzugeben, das war nicht gut, was wir bisher gemacht haben, zweitens, wir werden jetzt einen Neustart machen mit folgenden Themen, und die muss man dann der Öffentlichkeit vorstellen.
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