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BGH-Urteil zum Diesel-Abgasskandal
"Ein historischer Sieg - David gegen Goliath"

Grundsätzlich freue er sich über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum VW-Abgasskandal, sagte Verbraucheranwalt Marco Rogert im Dlf. Das BGH habe bei seinem Urteil jedoch eine große Chance zur Modernisierung des Schadensersatzrechts vertan. Dennoch müssten sich andere Autobauer jetzt warm anziehen.

Marco Rogert im Gespräch mit Christiane Kaess |
Golf Variant stehen auf Güterwagen der Bahn vor einem Fahrzeugwerk von Volkswagen
Laut dem Urteil des BGH waren die illegalen Abgas-Abschalteinrichtungen von Volkswagen sittenwidrig (dpa/Hendrik Schmidt)
Käufern eines manipulierten Dieselfahrzeugs stehen Schadensersatzansprüche zu. Das hat das Bundesgerichtshof fast fünf Jahre nach Bekanntwerden des sogenannten VW-Dieselskandals in einem Grundsatzurteil entschieden. Die Richter stellten am Montag fest, dass der Einsatz illegaler Abgastechnik in Millionen Fahrzeugen sittenwidrig war und den Käufern dadurch ein Schaden entstanden ist. VW hatte Millionen Diesel-Autos mit einer illegalen Abgastechnik ausgestattet, mit der die Stickoxid-Grenzwerte zwar bei Tests auf dem Prüfstand, nicht aber auf der Straße eingehalten wurden.
Die juristische Aufarbeitung des VW-Dieselskandals
2015 wurde bekannt, dass Volkswagen in Diesel-Modellen illegale Abschalteinrichtungen installiert hatte. Der Wolfsburger Konzern musste daraufhin weltweit mehr als elf Millionen Autos zurückrufen.
Die Entscheidung ist wegweisend für viele Tausend noch laufende Gerichtsverfahren. Autobesitzer, die noch mit VW vor Gericht streiten, können ihren Wagen zurückgeben und das Geld dafür einfordern. Auf den Kaufpreis müssen sie sich aber die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen.
Nutzungsentschädigung bleibt strittig
Diese Nutzungsentschädigung hätte das BGH nach Ansicht von Verbraucheranwalt Marco Rogert Volkswagen nicht zusprechen sollen. Rogert kritisierte, dass sich der BGH mit seiner Entscheidung im Diesel-Abgasskandal von einer anderen Grundsatzentscheidung zum Schadensersatz ohne überzeugende Argumentation verabschiedet habe. Damit habe sei eine große Chance zur Modernisierung des Schadensersatzrechts vertan worden.
Fahnen mit dem VW-Logo wehen im Fahrzeugwerk von Volkswagen in Zwickau. 
Kommentar: Verbraucher sind nicht machtlos
Dass VW höchstrichterlich attestiert wurde, bewusst arglistig getäuscht zu haben, sei ein trauriger Tiefpunkt in der deutschen Unternehmensgeschichte, kommentiert Klemens Kindermann. Für Verbraucher sei das Urteil des Bundesgerichtshofes eine gute Botschaft.
Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit würden die jetzt noch ausstehenden Gerichtsverfahren ähnlich ausgehen, wie jetzt vom obersten deutschen Zivilgericht entschieden und sich diese Rchtssprechungslinie auch an unteren Gerichten durchsetzen. Strittig bleibe im Einzelfall allerdings weiterhin die Höhe der Nutzungsentschädigung. Diese hänge von der prognostizierten Laufleistung bei der Berechnung ab. Für Vielfahrer könne daher auch die nun von VW angebotene Einmalzahlung interessant sein. Nach Ansicht von Rogert könnte das BGH-Urteil auch Folgen für andere Automobilhersteller haben, die ähnliche Abschalteinrichtungen wie VW in ihre Fahrzeuge eingebaut haben.

Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Sie sind auch einer der Anwälte des klagenden Verbraucherzentralenverbands durch eine Musterfeststellungsklage, und da sind ja schon mehr als 200.000 VW-Kunden im Rahmen eines Vergleichs mit VW entschädigt worden. Die haben zwischen 1.500 und 7.000 Euro bekommen. Müssen die denn jetzt feststellen, die haben deutlich schlechter abgeschnitten als der Kläger des BGH-Urteils gestern mit seinen 25.000 Euro Schadensersatz?
Rogert: Das ist ein bisschen Äpfel und Birnen vergleichen, weil ja der Kläger, der gestern obsiegt hat, erfreulicherweise am Bundesgerichtshof, der muss ja sein Fahrzeug zurückgeben. Das heißt, das hat ja auch noch einen Restwert. Da muss man gucken: Der bekommt jetzt 25.000 Euro, sein Fahrzeug gibt er zurück. Wieviel das Fahrzeug jetzt noch wert ist, weiß ich nicht. Der Differenzbetrag dürfte jedenfalls ungefähr im Rahmen dessen liegen, was Sie gerade beschrieben haben, was auch der Verbraucherzentrale Bundesverband mit uns von der RUSS Litigation erstritten hat.
Marco Rogert (l.) und Ralph Sauer, beide Rechtsanwälte der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV)
Verbraucheranwalt Marco Rogert (l.) (dpa/Hauke-Christian Dittrich)
Musterfeststellungsklage war kein Fehler
Kaess: Und das ist wie gesagt viel mehr Geld. Müssen Sie jetzt im Nachhinein feststellen, die Musterfeststellungsklage war ein Fehler?
Rogert: Das finde ich überhaupt nicht! Die Musterfeststellungsklage war die einzige Möglichkeit für die Menschen, die nicht auf eigenes Risiko klagen wollten, hier relativ schnell zu einer Kompensation zu kommen, und ich finde auch, dass diese Kompensation mit rund 15 Prozent im Durchschnitt des Bruttokaufpreises sehr ordentlich ausgefallen ist.
Kaess: Eigenes Risiko, sagen Sie. Aber das hat sich ja, wie sich gestern gezeigt hat, für den Kläger vor dem Bundesgerichtshof durchaus gelohnt.
Rogert: Das schon, das ist richtig. Aber es sind aus meiner Sicht deswegen Äpfel und Birnen, weil ja der Kläger dort sein Fahrzeug tatsächlich zurückgibt. Das heißt, er macht wirklich die Rückabwicklung geltend und zieht sie auch durch, während die anderen ja ihr Fahrzeug behalten und lediglich eine Kompensation in Geld bekommen. Insofern sehe ich da schon einen erheblichen Unterschied.
Jeder hatte Chance auf eigene Klage
Kaess: Und wissen Sie von den Klägern der Musterfeststellungsklage, ob die alle so einverstanden sind und da nicht der eine oder andere dabei ist, der jetzt sagen würde, ich hätte mein Auto durchaus auch zurückgegeben für dieses Geld?
Rogert: Die Chance hatte ja jeder. Es ist ja so, dass wir von Rogert und Ulbrich – das ist ja unsere Kanzlei hier in Köln, die vom ersten Tag des Abgasskandals aktiv ist – in diesem Bereich bereits am 17. Januar 2017 beim Landgericht Hildesheim bundesweit das erste Urteil dieser Art erstritten haben, und das ist jetzt in weiten Teilen vom Bundesgerichtshof entschieden worden. Wir haben dafür auch getrommelt über alle möglichen Kanäle und wenn die Leute gesagt haben, ich mache das auf eigenes Risiko, dann haben die bereits zu einem frühen Zeitpunkt geklagt und wahrscheinlich mittlerweile auch ihr Geld bekommen.
Wir haben ja auch in den Einzelverfahren tausende Rückabwicklungsvergleiche geschlossen, wo beispielsweise tatsächlich dann die Kunden nach demselben Schema, was der Bundesgerichtshof gestern angewendet hat, die Autos zurückgegeben haben und entsprechend dann das Geld zurückbekommen haben.
Juristische Hintertür für Kläger der Musterfeststellungsklage
Kaess: Wenn jetzt ein Kläger der Musterfeststellungsklage sagt, ich möchte das doch noch mal anders haben, wäre der Vergleich mit VW nach dem BGH-Urteil gestern anfechtbar?
Rogert: Aus meiner Sicht nicht. Es hat sich an den maßgeblichen Grundsätzen nichts geändert. Die einzige Frage, die man vielleicht prüfen könnte, wäre, ob es noch widerruflich ist, weil möglicherweise die Widerrufsbelehrung, die erfolgt ist, nicht ganz hundertprozentig auf den Fall passt. Aber da würde ich mich jetzt nicht so weit aus dem Fenster lehnen und sagen, das ist der Fall.
Kaess: Das müssen Sie noch mal erklären. Das war jetzt sehr juristisch. Das heißt: Jemand, der da noch mal was ändern möchte in der Musterfeststellungsklage, der da mit drin war, kann der das oder kann der das nicht?
Rogert: Wer einen solchen Vergleich geschlossen hat, der hat ja zunächst mal eine Widerrufsmöglichkeit eingeräumt bekommen. Die ist befristet und es stellt sich dann die Frage, ob in einem solchen Fall diese Frist möglicherweise dadurch verlängert wird, dass die Belehrung über diese Widerrufsmöglichkeit nicht ordnungsgemäß erteilt ist. Das wird unterschiedlich beurteilt. Da gibt es einige Kollegen, die der Auffassung sind, dass es nicht der Fall ist. Dann würde das bedeuten, dass die Widerruflichkeit nach wie vor gegeben wäre. Dann könnte man sich tatsächlich von dem Vergleich lösen, müsste natürlich auch bereits gezahltes Geld dann wieder zurückzahlen und müsste dann den Klageweg noch mal erneut beschreiten.
Bundesgerichtshof hat historische Chance vertan
Kaess: Dann gehen wir weg von der Musterfeststellungsklage und gucken auf die Fälle, die jetzt noch vor Gericht sind. Ist für die das BGH-Urteil von gestern ein Meilenstein?
Rogert: Ja. Ich halte das für einen historischen Sieg zunächst mal, David gegen Goliath, natürlich auch für die Gilde der Verbraucheranwälte wie uns, und wir freuen uns erst mal grundsätzlich darüber. Was ich allerdings schade finde ist, dass der Bundesgerichtshof eine große Chance zur Modernisierung des Schadensersatzrechts vertan hat.
Kaess: Das heißt?
Rogert: Ich sehe das so: Er hätte die Nutzungsentschädigung in dem Fall nicht zusprechen sollen. Er hat selber 1976 in einem viel beachteten Urteil gesagt, ein Vorteil sei nur dann anzurechnen, wenn seine Anrechnung dem Geschädigten zumutbar ist und sie den Schädiger nicht unbillig entlastet. Ich finde, dass sich der Bundesgerichtshof gestern von diesem selbst aufgestellten Grundsatz ohne überzeugende Argumentation verabschiedet hat.
Nutzungsentschädigung bleibt Streitpunkt
Kaess: Das müssen Sie uns auch noch ein bisschen besser erklären für den Laien. Bedeutet das jetzt für die anderen – es sind ja noch rund 60.000 Fälle -, dass die ähnlich ausgehen können wie der Fall gestern?
Rogert: Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist das so. Es gibt zwar zwei verschiedene Senate beim Bundesgerichtshof, die solche Fälle bekommen. Insofern mag es sein, was aber relativ unwahrscheinlich ist, dass der andere Senat das anders beurteilt. Aber das halte ich wie gesagt für relativ unwahrscheinlich. Deshalb ist sehr wahrscheinlich, dass tatsächlich das jetzt gesetzt ist, dass die Rechtsprechungslinie sich durchsetzt auch dann bei den unteren Gerichten, so dass die Nutzungsentschädigung berechnet wird. Die Frage ist nur, in welcher Höhe.
Denn das hängt im Wesentlichen davon ab, wie hoch die sogenannte prognostizierte Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs ist - das heißt, wieviel Kilometer macht mein Auto -, wie das tatsächlich beurteilt wird. Da sagt Volkswagen immer (erstaunlich eigentlich für einen Hersteller), dass er plötzlich sagt, dass seine Fahrzeuge wenig Kilometer schaffen. Wir müssen dementsprechend dann immer argumentieren, warum sie denn viel mehr Laufleistung schaffen. Da schwankt die Rechtsprechung zwischen 200.000 und 500.000 Kilometer, eine enorme Spannbreite zwischen dem, was da angenommen wird. Der Durchschnitt ist bei 250.000/300.000 Kilometern aktuell, denn je höher die prognostizierte Gesamtlaufleistung ist, desto weniger fallen natürlich die eigenen Kilometer ins Gewicht, so dass man dann relativ niedrige Nutzungsentschädigungen zu zahlen hat, wenn die Gesamtlaufleistung hoch angesetzt wird.
Kaess: Das wird für die Summe entscheidend sein.
Rogert: Richtig!
Andere Autobauer müssen sich warm anziehen
Kaess: Jetzt hat Volkswagen sich gestern natürlich auch zu Wort gemeldet und gesagt, nach diesem Urteil will es andere klagende Kunden entschädigen, und da bietet Volkswagen eine Einmalzahlung an. Das wird von Seiten des Konzerns als pragmatische und einfache Lösung bezeichnet. Sollten Kläger sich darauf einlassen?
Rogert: Das kommt natürlich erst mal sehr stark darauf an, wie denn diese Einmalzahlung aussehen soll. Wahrscheinlich wird es dann auf die Matrix, die man verwendet hat im Rahmen der Musterfeststellungsklage und der dortigen Vergleiche, noch ein Schippchen drauf geben, könnte ich mir vorstellen, denn es betrifft ja Leute, die häufig mit eigenem Geld durch mehrere Instanzen geklagt haben. Die werden sich wahrscheinlich dann schon vorstellen, dass sie einen höheren Betrag bekommen. Ob das dann so kommt, weiß ich nicht, wird man sehen müssen. Es hängt schon relativ stark vom Einzelfall ab, denn nach dieser Formel, die gestern angewendet worden ist, kann ein Einmalzahlungsvergleich durchaus für Vielfahrer auch interessant sein.
Kaess: Sagen Sie uns noch kurz zum Schluss, denn wir haben nicht mehr so viel Zeit: Was bedeutet dieses Urteil von gestern für andere Autobauer, die ja auch im Abgasskandal zum Teil betrogen haben?
Rogert: Na ja. Ich denke, dass sich Mercedes, BMW, Opel, Ford, Volvo, Mitsubishi und andere, die im Verdacht stehen, entsprechende Abschalteinrichtungen eingesetzt zu haben, da relativ warm anziehen dürfen.
Kaess: Werden Sie entsprechende Fälle vor Gericht vertreten?
Rogert: Auf jeden Fall!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.