Sport in der Ukraine
Biathlon-Leistungszentrum in Tschernihiw zerstört

Der russische Angriffskrieg macht in der Ukraine vieles kaputt, auch die Sport-Infrastruktur. In Tschernihiw wurde ein Biathlon-Nachwuchsleistungszentrum zerstört. Der Verein Athletes for Ukraine setzt sich für den Sport in der Ukraine ein.

Von Martin Gerner | 12.05.2024
Ein ukrainisches Mädchen trainiert nahe des ehemaligen Biathlon-Nachwuchsleistungszentrums in Tschernihiw.
Das ehemalige Biathlon-Nachwuchsleistungszentrum der Ukraine in Tschernihiw ist eine Ruine. Russische Angriffe haben die Sportstätte 2022 zerstört. (imago / ZUMA Wire / Byron Smith)
Barschukow Vitaly Serafinowitsch trägt Baseballcap, darunter leicht angegrautes Haar. Er hat einen blauen Anorak an, steht in der Tür einer Container-Unterkunft, wie sie typisch ist für vom Krieg entwurzelte Menschen. Ein Dutzend Container-Unterkünfte stehen hier am Stadtrand von Tschernihiw. Auf der anderen Straßenseite: die ausgebrannte Ruine des ukrainischen Biathlon-Nachswuchszentrums.
"Im Februar, März 2022 wurde die ganze Anlage zerstört. Das ukrainische Militär hatte den Biathlon-Stützpunkt übernommen, um Tschernihiw zu verteidigten. Die Stadt war eingekesselt. Das russische Militär bombardierte auch aus der Luft. Und traf dabei das Biathlonzentrum mit voller Wucht", rekapituliert Barschukow die Ereignisse.
Einen Monat dauert die Einkesselung von Tschernihiw. Die Stadt entgeht am Ende knapp der Besatzung. Die Erinnerung an den Alarm ist noch frisch. Alle liefen sie damals in Schutzkeller: junge Sportler, Trainer, Anwohner.

Tschernihiw: Biathlon-Nachwuchs hatte "ideale Bedingungen"

Barschukow denkt zurück: "Das Leistungszentrum hatte ideale Bedingungen für den Biathlon-Nachwuchs. Mit Nachtbeleuchtung, um auf alle Wetter- und Wettbewerbsbedingungen hin zu trainieren." Er öffnet einen Wandschrank. Darin sind Stöcke und Ski-Roller für das Sommer-Training. Nur wenige Sportgewehre sind intakt geblieben nach den Angriffen. Mehr als zwei Jahre nachdem der fast hundert Meter lange zweistöckige Hauptbau bombardiert wurde, liegt die ausgebrannte Ruine verkohlt und trostlos brach. Die neuen Wohncontainer sind spartanisch. Jeweils ein Etagenbett, ein Wandschrank, Kleiderbügel. Alles funktional. Kaum persönliche Bilder oder Gegenstände.
Die ukrainische Biathletin Julia Dzhyma zielt im Stehendschießen.
Viele ukrainische Nachwuchs-Biathletinnen und -Biathleten wollen mal so werden wie sie: Top-Biathletin Julia Dzhyma. Doch der ukrainische Sport leidet unter der Zerstörung von Sportstätten durch russische Angriffe. (picture alliance / firo Sportphoto / Jürgen Fromme)
"In den Container-Zimmern leben zur Zeit Nachwuchssportler und Trainer. Man kann hier duschen, sich umkleiden. Ein Teil der Trainingsanlagen stellen wir gerade langsam wieder her. Ich habe eben mit meinem Auto Zement rangeschafft, um bei den Reparaturen zu helfen", erklärt Barschukow.

Nach wie vor Raketenangriffe auf Tschernihiw

Ein älteres Paar kommt durch die Tür. Binnenflüchtlinge, die ihr Haus verloren haben und jetzt neben den Sportlern den Container teilen. Auf einmal wird Barschukow persönlich: "Mein eigenes Haus haben sie getroffen im Februar 2022. Die Rakete landete direkt im Innenhof und zerstörte einen Teil des Hauses. Meine Frau, die Kinder waren direkt in der Nähe der Explosion. Sie haben im Keller überlebt. Das waren schwere Tage. Man war sich nicht sicher, ob man am nächsten Morgen lebendig aufwacht."
Raketenalarm gibt es auch heute noch unverändert in Tschernihiw. Zuletzt tötete ein russischer Raketenangriff am 17. April 13 Menschen. Wohnhäuser wurden zerstört, ein Teil der Uni getroffen, Menschen verletzt.

Top-Sportler zeigen sich solidarisch und sammeln Spenden

Eine unerträgliche Situation, die Hilfe von außen erfordert. Barschukow sagt: "Wir sind Athletes for Ukraine dankbar – und Jens Steinigen." Dieser Name fällt mehrfach im Gespräch. Der erfolgreiche deutsche Ex-Biathlet, Staffel-Olympiasieger von Albertville 1992, hat mehrfach Hilfe nach Tschernihiw geschickt – mit dem Verein Athletes for Ukraine, der sich im Frühjahr vor zwei Jahren gründete.
Als der Deutschlandfunk Steinigen in seiner Rechtsanwalts-Kanzlei in Traunstein erreicht, erzählt er von einer spontanen Welle der Solidarität im März 2022, der sich viele frühere Top-Athleten und Trainer anschlossen, darunter Frank Luck oder Wolfgang Pichler, aber auch Rodler Felix Loch, Boxer Sven Ottke und internationale Stars wie der ukrainische Stabhochsprung-Olympiasieger von 1988, Serhij Bubka. 37.000 Euro Spenden sammelt der Verein im ersten Anlauf für das Biathlonzentrum in Tschernihiw.
"Wir haben dann ein neues Spur-Gerät angeschafft. Dass die Kinder neue Langlaufschuhe und Skier bekommen, Stöcke. Wir haben Ferngläser für das Schießen besorgt. Momentan haben wir noch Radhelme bei uns im Lager, für das Ski-Roller-Training, das wir noch im Mai liefern werden. Die Kinder hatten glaube ich große Freude, sie konnte wieder trainieren. Wichtig ist, dass wir die Menschen in Tschernihiw nicht vergessen werden und sie weiter unterstützen", betont Jens Steinigen.

Schneller Wiederaufbau des Biathlon-Zentrums unrealistisch

Ein schneller Wiederaufbau des Leistungszentrums in Tschernihiw ist laut des ehemaligen Biathleten ein Wunschtraum. Wichtiger sei, dass ukrainische Nachwuchssportler im dritten Kriegsjahr den Anschluss an Europa nicht verpassten. Er glaubt, dass es in ein paar Jahren ein großes Problem für den Sport gibt.
Steinigen sagt: "Es gibt inzwischen schon 450 tote Sportler und Trainer. Mit dem jüngsten ukrainischen Gewichtheber 456 genau. Da geht natürlich so viel Know-how verloren. Dazu 516 zerstörte Sportstätten. Das ist eben auch ein Ziel von uns. Dass man den ukrainischen Nachwuchs unterstützt, damit sie überhaupt noch in ein paar Jahren eine Rolle spielen."
Russische Sportler, so Steinigen, hätten es in dem Krieg materiell bislang viel leichter. Dort können Sportler weiter trainieren und auch das IOC überlegt, "neutrale Athleten" zuzulassen. Der ehemalige Top-Biathlet sieht das kritisch: "Da lacht man ja: 'neutrale' Athleten in Russland? Das gibt es im Grunde nicht. Sie sind alle beim Staat angestellt. Wer sich ein bisschen auskennt, wird das bestätigen. Neutral ist vielleicht ein Tennisspieler oder ein Fußballprofi, aber alle anderen Sportarten sind mehr oder minder vom Staat finanziert."

Ex-Biathlet war mit heutigen Kriegsbefürwortern befreundet

Steinigen selbst hat nie ein Blatt vor den Mund genommen. Seine Biathlon-Karriere erlitt in der DDR deshalb frühzeitig einen Knick, bevor er Teil der gesamtdeutschen Biathlon-Erfolgsstory nach der deutschen Einheit wurde. Er war über Jahre eng befreundet mit den russischen Biathleten Alexander Popow und Sergei Tschepikow, die heute den russischen Angriffskrieg unterstützen.
"Etwa Sergei Tschepikow, der Schlussläufer war in der russischen Staffel gegen Fritz Fischer, damals hieß es GUS 1992 [Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, d. Red.]. Mit dem hatte ich im Februar 2022 noch Kontakt. Er ist Abgeordneter in der Duma [Unterhaus der Föderationsversammlung Russlands, d. Red.]. Ich habe ihm ganz deutlich meine Meinung gesagt und dann hat er mich blockiert. Unter anderem, dass die Ukraine voller Nazis ist. Man jetzt die Ukraine befreien und sie ganz vernichten müsse. Solche Geschichten halt."

Verein Athletes for Ukraine auf Spenden angewiesen

Der Verein Athletes for Ukraine hat jedenfalls ukrainische Nachwuchs-Biathleten für den Juli nach Ruhpolding eingeladen, zu einem einwöchigen Trainingslager, die Hilfe läuft unterdessen unvermindert weiter.
Jens Steinigen unterstreicht: "Wir haben mit dem Verein nicht die großen finanziellen Möglichkeiten. Wir sind auf Spenden angewiesen. Wir geben diese ja auch für humanitäre Hilfe aus, nicht nur für Sportler. Letztes Jahr haben wir ca. 120 Tonnen Hilfsgüter geliefert. Wir haben zwei Fahrzeuge laufen, mit denen hinter der Front Hilfsgüter an Bedürftige verteilt werden. Da ist sicherlich ein Funke Hoffnung. Dass sie sehen: Sie werden nicht allein gelassen, wir denken an sie."