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Bibbern vor der kältesten Zeit des Jahres

Wer ist schuld, falls im kommenden Winter wieder Züge ausfallen, weil sie in Schnee und Eis stecken bleiben? Die Verantwortlichen der Bahn bekommen jetzt schon kalte Füße, wenn sie daran denken.

Von Andreas Baum |
    Auch nach dem Bahn–Gipfel bei Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer macht der Chef des Konzerns, Rüdiger Grube, gar nicht erst den Versuch, die Lage zu beschönigen. Die Industrie kann nicht liefern, zwar hat sie sich bereit erklärt, 60 Regionalzüge bis zum Winteranfang bereitzustellen, die waren aber ohnehin überfällig.

    Was bleibt, ist, die Schuld den Herstellern zuzuschieben, Rüdiger Grube weiß schon jetzt, dass Verspätungen im Winter zur Regel werden können, denn um die Sicherheit der Züge zu gewährleisten, müssen die Radachsen und Räder per Ultraschall auf Risse untersucht werden – was im Winter viel länger dauert, und wenn Ersatzzüge fehlen, geht das zulasten der Pünktlichkeit.

    "Das wird eine extreme Herausforderung für uns. Es wird auch davon abhängen, wie streng der Winter sein wird. Eine Ultraschalluntersuchung unter normalen Bedingungen wird vier bis fünf Stunden dauern, wenn die Fahrzeuge vereist sind, wie im Winter ja nicht selten anzutreffen, brauchen wir fünf bis 13 Stunden für die Enteisung. Und dann wird es in den Werkstätten eng, aber wir sind in Simulation darauf eingestellt, dass wir dieses Thema stemmen müssen."

    Bahnchef Grube will, dass die Politik mehr Druck auf die Industrie ausübt. Wir werden keinen Zug mehr von der Industrie abnehmen, sagt er, wenn er nicht die Qualität bringt, die wir auch bestellt haben. Gleichzeitig droht er mit Klagen gegen die Hersteller, falls diese ihre Technikprobleme nicht in den Griff bekommen sollten. Die Vertreter von Bombardier und Siemens zeigen sich zwar kooperativ, können aber auch nach dem Gipfel nicht versprechen, dass Absprachen künftig eingehalten werden. Deshalb empfehlen Verbraucherschützer schon jetzt, sich über den Winterverlauf keine Illusionen zu machen.

    Mathias Oomen, Sprecher des Fahrgastverband Pro Bahn, hält Wartezeiten trotz allem für das kleinere Übel. Gerade im Winter sei die Schiene um ein Vielfaches sicherer als etwa das Auto.

    "Der Kunde sollte sich ein ordentliches Zeitfenster im Vorfeld einplanen. Ganz wichtig ist auch: Wenn der Fahrgast bis ein Uhr nachts nicht mehr ans Ziel kommt, hat er gesetzlich im Fernverkehr Anspruch auf eine Hotelübernachtung. Niemand muss auf dem Bahnsteig schlafen."

    Wenn es Streit darüber geben sollte, wer die Hotelübernachtung bezahlt, wäre das Sache der Schlichtungsstelle Öffentlicher Personenverkehr. Jeder Fahrgast hat das Recht, die Stelle anzurufen, in den allermeisten Fällen werde eine einvernehmliche Lösung gefunden. Vor allem, sagt Michael Oomen, wird sich die Bahn nicht auf die Argumentation zurückziehen können, man habe ja schon im September die Verspätungen angekündigt und vor den Folgen gewarnt. Das Gegenteil sei der Fall, gerade deshalb sei die Bahn haftbar zu machen.

    "Die Entschädigungen sind gesetzlich festgelegt. Das heißt, auch Kommunikation im Vorfeld hebt dieses Gesetz nicht auf. Auch das Argument der höheren Gewalt zieht nicht, weil oftmals beruhen die Verspätungen auf gestörten Weichen oder gestörten Signalen, und das ist dann sehr strittig, ob das höhere Gewalt ist, oder ob das nicht absehbar ist. Und gerade wenn die Bahn jetzt schon kommuniziert, dann ist es eben keine höhere Gewalt, sondern die Gefahr ist absehbar."

    Der Fahrgastverband Pro Bahn nennt vor allem drei Gründe für das derzeitige Desaster: Es gibt auf dem Markt der Eisenbahnhersteller keinen echten Wettbewerb. Zudem haben sie wegen einer Gesetzeslücke das Recht, Züge ohne Gewährleistung herzustellen. Und die Bundesregierung schröpfe die Bahn noch immer, denn pro Jahr muss der Konzern eine halbe Milliarde Euro an den Bundeshaushalt abführen. Anstatt dessen, so die Forderung, solle die faktische Subventionierung des Flugverkehrs beendet werden.