Benedikt Schulz: Zum Welttag des Buches wagen wir einen Blick in die Zukunft des Buches, und in "Campus & Karriere" sprechen wir natürlich von der Zukunft des wissenschaftlichen Werks. Und da ist eine ganze Weile schon einiges in Bewegung, Stichwort Digitalisierung. Und da ist in diesen Tagen eine Entscheidung am Bundesgerichtshof gefallen, die die Zukunft maßgeblich beeinflussen könnte. Die Richter in Karlsruhe, die haben klar gemacht: Hochschulbibliotheken dürfen ihren Bestand digitalisieren, und nicht nur das: Sie dürfen ihn auch digital zur Verfügung stellen, und jeder Bib-Besucher, der darf sich, wenn er denn will, ganze Regalmeter auf seinem USB-Stick mit nach Hause nehmen. Bibliotheken in Deutschland haben diese Entscheidung begrüßt, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der spricht dagegen von einem schwarzen Tag für Forschung und Lehre. Welche Auswirkungen hat das Urteil denn nun wirklich auf die Zukunft der wissenschaftlichen Publikation? Darüber spreche ich mit Niels Taubert von der Arbeitsgruppe Zukunft des wissenschaftlichen Kommunikationssystems an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Ich grüße Sie!
Niels Taubert: Schönen guten Tag, Herr Schulz!
"Im Grundsatz wird sich in der Beschaffung der Bibliotheken nichts ändern"
Schulz: Also, der Börsenverein sagt, mit dem neuen Urteil gibt es keine wirtschaftliche Basis mehr für wissenschaftliche Publikationen. Jammert da jemand, weil er die Felle davonschwimmen sieht, oder gibt es tatsächlich eine reale Gefahr?
Taubert: Ich würde sagen, dass sich nicht viel ändern wird an der Funktionsweise der Bibliothek, und dass es ein Detail ist, aber letztendlich sich im Grundsatz in der Beschaffung der Bibliotheken nichts ändern wird. Was passieren kann, und da sind natürlich die Verwertungsinteressen des Börsenvereins betroffen, ist, dass vielleicht das eine oder andere Buch weniger verkauft wird beziehungsweise das eine oder andere elektronische Buchdokument weniger verkauft wird.
Schulz: Dann sprechen wir mal allgemeiner. Wir wird sich denn die Digitalisierung auswirken auf Geschäftsmodelle von Wissenschaftsverlagen und auch auf das Urheberrecht von wissenschaftlichen Werken?
Taubert: Man kann da schon eine Tendenz beobachten in der Vergangenheit, das Thema Open Access ist ein großes wissenschaftspolitisches Thema. Da gibt es Fördermaßnahmen, die haben dazu geführt und haben Verlage dazu motiviert, gerade die großen Wissenschaftsverlage, ihre Finanzierungsmodelle umzustellen von eben einer subskriptionsbasierten Finanzierung, also den Erwerb von Zugriffslizenzen hin zu einer autorenbasierten Finanzierung.
Schulz: Also das Internet bietet alle Möglichkeiten. Aber es ist doch mindestens verwunderlich, dass es dann wirklich gerade die großen Verlage sind, die von dieser neuen Entwicklung profitieren. Warum eigentlich?
Taubert: Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist sicherlich ein technischer Grund. Die elektronischen Vertriebswege, die Plattformen, die von den Verlagen gebaut wurden, die sind natürlich sehr, sehr teuer. Der zweite Punkt ist, was die Wissenschaftsverlage, die großen Wissenschaftsverlage sehr geschickt gemacht haben, sie haben wissenschaftliche Journale akquiriert, und da sind natürlich auch die wesentlichen Journale, also die Top-Journale, die eben für Wissenschaftler hoch attraktiv sind, die gelesen werden müssen und in denen publiziert werden muss, die sind natürlich dabei.
Schulz: Das ist ein System - die öffentliche Hand bezahlt in Form von Hochschulförderung, und ein privater Verlag verdient. Ist denn ein solches Prinzip grundsätzlich noch haltbar oder gerecht?
Taubert: Verlage erbringen natürlich wesentliche Leistungen im Zusammenhang mit der Publikation. Was man sagen muss, ist aber, es gibt Großverlage, die eine Rendite haben, die wirklich ihresgleichen sucht, die liegt zwischen 30 und 40 Prozent in einzelnen Fällen. Und das sind öffentliche Mittel und das sind Mittel, die eben für Forschungsprozesse nicht zur Verfügung stehen, weil sie eben in die Tasche von den großen Wissenschaftsverlagen gehen. Und da, denke ich, muss man herangehen, und da muss eine Veränderung her, dass man von solchen Renditen ein wenig wegkommt, zu realistischen, zu einer realistischen Bezahlung der Leistungen, wie man sie eigentlich auch in anderen Bereichen der öffentlichen Hand hat.
Einfluss der Digitalisierung auf wissenschaftliche Kommunikation und Publikation
Schulz: Wie wird denn die Digitalisierung die Zukunft der wissenschaftlichen Kommunikation, der wissenschaftlichen Publikationen inhaltlich beeinflussen?
Taubert: Das wird ganz unterschiedlich sein, auf ganz unterschiedlichem Wege und hat sicherlich ganz unterschiedliche Dimensionen. Wenn man über Digitalisierung spricht, dann sollte man nicht nur gewissermaßen das Endprodukt im Auge haben, also die Publikation an sich. Das ist so eine Dimension, aber die ganzen Arbeitsprozesse, die auch dahinter stehen, sprich der wissenschaftliche Begutachtungsprozess, zum Beispiel die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Verlagen, die unterliegen alle einer sehr grundsätzlichen Transformation.
Also, die Dimensionen sind ganz unterschiedlich. Natürlich ändert sich auch die Rezeption. Die Rezeption schließt nicht mehr nur das Lesen von Texten ein, sondern letztendlich auch die Auswertung von Texten, Datamining-Tools, Textmining-Tools. Es gibt Entwicklungen der Verknüpfung zwischen Publikationen mit Forschungsdaten, um auf der einen Seite eine stärkere Nachvollziehbarkeit der Forschungsergebnisse herzustellen, auf der anderen Seite, um auch Nachnutzbarkeit der Daten herzustellen, die auch mit vielen öffentlichen Mitteln finanziert wurden. Das sind alles Entwicklungen, die hoch spannend sind und die ganz eng mit der Digitalisierung verzahnt sind. Das sind alles Experimente, die derzeit stattfinden, aber die Digitalität, der digitale Wandel schafft da also einen enormen Möglichkeitshorizont, den es heutzutage erst mal zu erkunden gilt.
Schulz: Sagt Nils Taubert von der Arbeitsgruppe Zukunft des wissenschaftlichen Kommunikationssystems. Ich danke Ihnen ganz herzlich!
Taubert: Ich danke Ihnen auch ganz herzlich, Herr Schulz!
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