Gleich nachdem ihn die großen US-Medien zum Wahlsieger ausgerufen hatten, gab sich Joe Biden präsidial und rief die Lager der beider Parteien zur Versöhnung auf. "Nach Abschluss des Wahlkampfes ist es an der Zeit, die Wut und die harte Rhetorik hinter uns zu lassen und als Nation zusammenzukommen", sagte der 77-jährige Demokrat.
Der amtierende US-Präsident Donald Trump weigert sich jedoch weiter, seine Niederlage anzuerkennen. Er teilte kurz nach den Medienberichten zum Sieg Joe Bidens mit: "Fakt ist: Die Wahl ist noch lange nicht vorbei". Trump kündigte neue rechtliche Schritte gegen den Wahlausgang an. Was könnten mögliche Szenarien sein?
Aktueller Stand: Wahlen in den USA
Trump muss zuerst zu Bundesgerichten
Bereits als sich die Niederlage abzeichnete, drohte Trump damit, das Wahlergebnis gerichtlich anzufechten und kündigte einen Gang vor das höchste US-Gericht an, den Supreme Court. Das Wahlverfahren liegt aber zunächst einmal in der Zuständigkeit der einzelnen Bundesstaaten. Um die Wahl anzufechten, muss Trump deshalb zunächst vor die jeweiligen Bundesgerichte ziehen. Scheitert er dort, wie dies bereits in einigen Staaten der Fall, bliebe ihm noch der Gang vor das höchste Gericht.
Für eine Klage vor dem Supreme Court gibt es allerdings nach Ansicht von Alexander Thiele, Staatsrechtler und US-Verfassungsexperte, "keinerlei rechtlichen Anknüpfungspunkt". Dies sei auch der Unterschied zur Hängepartie bei der Wahl im Jahr 2000: Damals ging es um veraltete, fehlerhafte Wahlmaschinen in Florida und die Frage der Gültigkeit von nicht eindeutig ausgestanzten Wahlkarten, die auch der Supreme Court nicht abschließend klären konnte und daraufhin die Nachzählung stoppte. "Für ein Gericht braucht man schon irgendeinen Anknüpfungspunkt, um eine Entscheidung für Trump zu treffen, und den sehe ich jetzt einfach nicht", sagte Verfassungsrechtler Thiele.
Wichtiger Stichtag für Trump: 8. Dezember
USA-Experten wie Thiele vermuten, dass Trump mit seiner Klageandrohung vor allem auf eine Verzögerungstaktik setzt. Am Ende könnte tatsächlich ein Szenario eintreten, bei dem der Präsident doch mit Hilfe des Supreme Court im Weißen Haus bleiben kann, trotz eines Wahlsiegs von Biden.
Ein wichtige Rolle spielt dabei der 8. Dezember: Bis zu diesem Tag müssen die Bundesstaaten ihre Wahlleute fürs Electoral College nominieren, auf der Basis des Stimmergebnisses. Trump könnte mit weiteren Klagen gegen die Auszählung vor dem Bundesgericht eines Staates erreichen, dass bis zum 8. Dezember kein endgültiges, als rechtmäßig geltendes Ergebnis vorliegt. In diesem Fall können die Bundesstaaten-Parlamente laut US-Verfassung selbst die Wahlleute bestimmen, wie Verfassungsrechtler Thiele erklärt:
"Die Gesetzgeber der Bundesstaaten könnten auf die Idee kommen zu sagen, das Ergebnis der Wahl ist in unserem Staat unklar - wir müssen aber langsam ein Ergebnis liefern. Dann könnte der Bundesstaat die Wahlmänner einfach selber entsenden. Das sind konservative Gesetzgeber und die schicken dann die Trump-Leute. Das ist vielleicht die Strategie, die Trump gerade fährt."
Wann der Supreme Court ins Spiel kommen könnte
Dass sich ein Staat bei der Berufung der Wahlleute über den Wählerwillen hinwegsetzt, ist allerdings zuletzt im 19. Jahrhundert vorgekommen. Doch sollte bis Ende November kein endgültiges Wahlergebnis feststehen, könnte dieses Szenario tatsächlich eintreten, glaubt Staatsrechtler Thiele, seiner Ansicht nach wäre dies eine "fundamentale Verfassungskrise".
Spätestens hier käme dann der Supreme Court ins Spiel. Mit der Berufung von Richterin Amy Coney Barrett kurz vor der Wahl hat Trump die konservative Mehrheit am höchsten US-Gericht zementiert, wohl auch im Hinblick auf die erwartete juristische Schlacht ums Weiße Haus.
Ein Hebel, um die Auszählung zu stoppen und die Wahl für beendet zu erklären, könnten dabei die in der Verfassung verankerten Fristen sein: Bis zum 8. Dezember, dem sogenannten "Safe Harbour Day" müssen die Wahlleute fürs Electoral College nominiert sein, das diesmal am 14. Dezember abstimmt. Am 6. Januar 2021 werden die Stimmen im Kongress gezählt, am 20. Januar der neue Präsident vereidigt. Über die Einhaltung der Fristen wacht das höchste US-Gericht, das auch schon bei der umstrittenen Wahl im Jahr 2000 die Auszählung am 12. Dezember beendete, mit Blick auf die vorgeschriebenen Fristen.
Eine erneute Hängepartie könnte diesmal Trump in die Karten spielen, je länger sich der Prozess hinzieht. In diesem Fall könnte der Supreme Court bei einem unklaren Ergebnis in einem Bundesstaat tatsächlich die Auszählung für beendet erklären, mit dem Verweis auf die tickende Uhr, und letztinstanzlich anordnen, dass die bundesstaatliche Legislative nach Artikel II der Verfassung die Wahlleute bestimmt - je nach Regierung könnten dies dann republikanische Stimmen sein.
"Wir haben da eine klare konservative Mehrheit mit einer Richterin, die dem sogenannten Originalism anhängt, die Verfassung so verstehen will, wie die Gründungsväter das verstanden haben", erläutert Staatsrechtler Thiele im Dlf. "Vor dem Hintergrund wäre das vielleicht auch tatsächlich ein Weg, wie Trump am Ende die Präsidentschaft halten könnte – rechtlich."
Dieses Szenario hatte Yale-Professor Timothy Snyder schon vor der Wahl in der "Süddeutschen Zeitung" prophezeiht: "Die Richter des Obersten Gerichtshof wissen, dass sie benutzt werden sollen für eine autoritäre Übernahme. Von einem Mann, der die Wahl wohl verloren haben wird."
Der renommierte US-Verfassungsjurist Gerhard Casper hält es jedoch für sehr unwahrscheinlich, dass der Streit überhaupt vom Supreme Court entschieden wird. Schon Trumps Chancen, sich vor den Bundesgerichten durchzusetzen, schätzte der ehemalige Präsident der Stanford University im Dlf als "außerordentlich gering" ein. Selbst wenn es doch zu einer Entscheidung durch das höchste US-Gericht kommen sollte, sei es sehr unwahrscheinlich, dass die Richter - auch wenn sie in der Mehrheit konservativ sind - Trump begünstigen, sagte Casper.