Ein hoher, fast schon klinisch heller Raum, eine Glaswand an der Stirnseite, zwei kleinere verspiegelte Glasflächen an den Seiten, auch der Fußboden ist aus Glas. Darunter ist noch ein Raum, niedrig zwar, aber es scheinen Menschen dort zu hausen. Tiere vielleicht auch. Blechschälchen mit Trockenfutter stehen da herum. Es gibt Matratzen. Weiße Handtücher wie auf Hotelbetten. Feuerzeuge. Watte. Eine Flasche mit durchsichtiger Flüssigkeit.
Aber noch ist da unten niemand. Die Performer – junge, dünne, blasse Männer und Frauen haben sich im hohen Raum über dem Glasboden positioniert. Stehen auf dem Glasboden oder – wie schwebend – auf großen Glasplatten, gläsernen Podesten, die an die Wände montiert sind. Und singen.
Publikum als "Zoobesucher" vor einem Käfig
Irgendwann hebt sich ein Rollladen – dort, wo der eigentliche Haupteingang des Deutschen Pavillons ist – und gibt eine weitere Glaswand frei. Dahinter schaut das Biennalepublikum auch von draußen in den hellen hohen Raum – so wie Zoobesucher in einen Käfig mit wilden Tieren schauen. Die Tiere haben allerdings ihr eigenes Terrain, draußen, vor dem Pavillon, ist ein Zwinger mit Hunden.
Die Menschen drinnen, im von Glas definierten Raum, bewegen sich. Körper nähern sich in langsamen Bewegungen, ohne einander anzusehen. Ein Mann und eine Frau vollziehen eine seltsam erotische und gleichzeitig kalte Choreografie, bei der erst die Frau, dann der Mann am Boden liegt und der oder die andere auf dem liegenden Körper kniet.
An der Stirnseite, hinter der Glaswand, steht eine Frau mit nacktem Oberkörper, leicht schwankend am Rand des Glasbodens. Ihr Blick ist starr. Alle schauen sie an, fotografieren, machen Videos; die Frau bleibt davon unberührt. Auf Distanz. Hinter Glas eben. Wie die Faust einer anderen Performerin, die sich, von unten gegen den Glasboden gepresst, durch den Druck verfärbt.
Die geballte Faust erinnert an den Titel dieser skulpturalen Rauminstallation und Performance von Anne Imhof – aber auch Goethes "Faust" kommt einem in den Sinn. "Haben diese unterkühlten unzugänglichen Performer womöglich ihre Seele verkauft?", fragt man sich. Oder wir, die wir sie anschauen, filmen, knipsen wie Tiere im Zoo?
Am Premierentag in Venedig
"Faust" von Anne Imhof ist eine Arbeit, die von Machtverhältnissen und Brutalität erzählt, und die an diesem Premierentag in Venedig umso brutaler wirkt. Wo sich unter dem Glasboden die Performer zu schrecklich schönen Gruppenbildern formieren, oder Lieder singen – und darüber das Biennalepublikum Small-Talk- und Smartphone-Kult zelebriert.