Stefan Koldehoff: 30 Jahre ist es her, dass die sozialliberale Koalition – damals noch in Bonn – zerbrach und Helmut Kohl Bundeskanzler wurde. Als man auch ihn abwählte – im Oktober 1998 –, war Berlin zwar schon Bundeshauptstadt, aber noch nicht Regierungssitz. Das neue Bundeskanzleramt hat Kohl zwar noch planen lassen, als Kanzler aber nicht mehr nutzen können. Möglich war auch dieser Neubau in Berlin nur, weil es seit 1990 keine zwei deutschen Staaten mehr gab. Helmut Kohl war der Kanzler der Deutschen Einheit – und als solcher wird er in diesen Tagen auch ausführlich gefeiert. Ich habe vor dieser Sendung mit dem Sänger und Dichter Wolf Biermann gesprochen, der bis 1976 in Deutschland-Ost und danach in Deutschland-West gelebt hat und die deutsch-deutsche Vereinigung deshalb aus zwei Perspektiven sehen konnte. Er müsse schnell zum Zug nach Berlin, hat er mir im Vorgespräch gesagt – aber nicht, um dort Helmut Kohl zu feiern…
Wolf Biermann: Nein! Ich feiere im Berliner Ensemble die Lieder, die ich aus verschiedenen Sprachen in mein Deutsch gebracht habe im Laufe meines Lebens, und singe dort mit meiner Frau Pamela zum ersten Mal zusammen ein Konzert mit dem Titel "Ach die erste Liebe". Und für Kohl passe ich nicht so gut, die brauchen mich da nicht und ich brauche die nicht.
Koldehoff: Wie nehmen Sie es denn wahr, dass der Altkanzler, wie es immer so schön heißt, im Moment so eine Art Renaissance erlebt?
Biermann: Das kann ich nicht so richtig würdigen, weil für mich kann er nicht wiedergeboren werden, weil er für mich nie so richtig gelebt hat. Er war für mich nie so wichtig in meinem kleinen Menschenleben. Natürlich wusste ich, er ist einer der wichtigen Politiker in der Bundesrepublik, im Westen, als ich noch in der DDR lebte, und auch später war er für mich eine Figur der Weltgeschichte, die ich nicht bemerkte. Ich denke dabei erst mal natürlich an das blöde Wort von Karl Kraus, der Witzbold da, der am Anfang der Nazi-Zeit ein Buch schrieb, "Die Dritte Walpurgisnacht", mit dem provokanten Satz, "Mir fällt zu Hitler nichts ein". Und mir fällt zu Kohl natürlich auch nichts ein. Aber der Kohl – das fällt mir dann doch ein – ist das ideale extreme demokratische Gegenstück zu diesem Hitler als Figur der Weltgeschichte. So dramatisch, so interessant, so mörderisch wie dieser Hitler war und so schrecklich für unser Land, so gut und so unauffällig und so im allerbesten Sinne langweilig ist aus meiner Sicht dieser Kohl. Ich glaube, dem verdanken wir fast so viel: wie wir dem Hitler das Schlechte verdanken, verdanken wir ihm das Gute, weil er die Wiedervereinigung durchgezogen hat. Das ist seine große Heldentat in der Welt.
Koldehoff: Wie viel aus Ihrer Sicht, aus der Sicht eines Mannes, der viele Jahre in der DDR gelebt hat und auch, als er dann in den Westen umgezogen ist, noch gute Kontakte behalten hat, wie viel war denn davon tatsächlich Kohls Werk von dieser Wiedervereinigung?
Biermann: Das kann ich noch schlechter ermessen als die Historiker, die mehr wissen als ich und deswegen noch weniger verstehen. Ich sehe es ganz kindlich. Er hat die ideale kurze Chance genutzt, als Gorbatschow noch nicht abgesägt war in der Sowjetunion, und hat diese Wiedervereinigung angepackt. Er war vor der Wiedervereinigung genauso dumm wie die SPD-Leute und genauso dumm wie Wolf Biermann. Ich war auch der Meinung, dass die DDR auf jeden Fall länger hält als ich. Also ich glaubte nicht, dass wir jemals wiedervereinigt werden könnten. So blöd waren eigentlich fast alle.
Nur er unterschied sich in einem wichtigen Punkt: Als die Chance da war, hat er sie schneller als andere erkannt und tapferer, mutiger, frecher genutzt als andere. Das mutet man so einem Koloss, so einem Langweiler eigentlich gar nicht, aber er ist wahrscheinlich gar nicht so langweilig, wie ich ihn immer sah.
Koldehoff: Es hätte ja damals auch durchaus auch die Möglichkeit gegeben, aus diesen beiden Grund verschiedenen und vielleicht doch so gleichen, nicht im politischen System gleichen Staaten was ganz Neues zu machen. Stattdessen war Kohl derjenige, der maßgeblich mit entschieden hat, wir hängen die ehemalige DDR an die ehemalige BRD dran und machen eigentlich das Alte nur ein bisschen größer. War das die richtige Entscheidung?
Biermann: Meiner Meinung nach die einzig mögliche Entscheidung. Was Sie da kolportieren ist die Meinung von Günter Grass und anderen Lichtgestalten.
Koldehoff: Nicht ausschließlich.
Biermann: Ja, ja! – Nein, natürlich! – Aber ich bin ganz und gar nicht dieser Meinung. Ich habe ja schon gesagt: ich gehöre nicht zu den Propheten der Wiedervereinigung. Meine politische Fantasie reichte nicht aus, mir vorzustellen, dass ich die Wiedervereinigung noch erlebe. Aber da ich nun so auf wunderbare Weise Unrecht behalten habe, will ich wenigstens im Nachhinein auch erstens begreifen und zweitens den Mut haben zu sagen, dass ich mich geirrt habe und dass ich froh bin, dass dieser Kohl klüger war als wir alle zusammen damals, und das muss man ihm gönnen, diesen Ruhm, egal wie man ihn sonst findet. Ich glaube nicht, dass man die Vorzüge einer unvollkommenen Demokratie und die Vorzüge einer vollkommenen Diktatur miteinander vermischen kann. So denken nach meiner Meinung nur Dummköpfe.
Koldehoff: Gut, da werde ich dann also auch noch mal drüber nachdenken. – Die Verstrickung in die Parteispendenaffäre, die Entscheidung, ein angebliches Ehrenwort höher zu setzen als Gesetze, schmälert das die Verdienste, die Sie gerade beschrieben haben, in Ihren Augen?
Biermann: Das zeigt, dass Kohl zu den Menschen gehört. Das heißt auch im schäbigen Sinn, im traurigen Sinne, das war natürlich schwach und das war falsch, und ich finde es gut, dass die Frau, die er dann nach vorne gebracht hat damals, die Angela Merkel, sich in dieser Frage richtig und tapfer und klug verhalten hat. Überhaupt habe ich das Gefühl, dieser Kohl hat zwei große Dinge vollbracht in seinem Leben. Erstens – darüber sprachen wir schon: er hat die Wiedervereinigung gemanagt. Natürlich macht ein einzelnes Menschenexemplar niemals so einen geschichtlichen Umbruch, das ist klar. Er steht nur als Figur da auf der Weltbühnengeschichte. Aber das Zweite, was er gemacht hat: Er hat die gute Nase gehabt für dieses politische Genie Angela Merkel, und der verdanken wir nach meiner Meinung mindestens so viel wie dem Kohl und die ist sozusagen das Beste, was die DDR hervorgebracht hatte.
Koldehoff: Zum Schluss doch noch mal zurück zu Helmut Kohl. Sind Sie ihm mal persönlich begegnet, hat er mal Ihre Nähe gesucht, nach Ihren Erfahrungen gefragt?
Biermann: Nein, nein, nein, nein, nein. – Nein, dazu waren wir zu weit auseinander, nicht mal im Sinne von Gegnern, von Feinden oder sogar so was. Nein! Einfach: wir gingen einander nichts an.
Koldehoff: Das lassen wir so stehen. – Ich danke sehr herzlich und wünsche ein wunderschönes Liebeslieder-Konzert. Was für einen schöneren Anlass für ein Konzert kann es geben?
Biermann: Ja, zumal, wenn man weiß, dass in der Regel immer von Liebenden in großer politischer Landschaft gesungen wird. Also nicht bloß der Kuss – das machen wir lieber alleine im Bett oder im Gras -, sondern interessant wird's, wenn die Liebenden sich küssen in großer politischer Landschaft, also Romeo und Julia.
Koldehoff: Wolf Biermann, der große Romantiker, über Helmut Kohl.
Wolf Biermann: Nein! Ich feiere im Berliner Ensemble die Lieder, die ich aus verschiedenen Sprachen in mein Deutsch gebracht habe im Laufe meines Lebens, und singe dort mit meiner Frau Pamela zum ersten Mal zusammen ein Konzert mit dem Titel "Ach die erste Liebe". Und für Kohl passe ich nicht so gut, die brauchen mich da nicht und ich brauche die nicht.
Koldehoff: Wie nehmen Sie es denn wahr, dass der Altkanzler, wie es immer so schön heißt, im Moment so eine Art Renaissance erlebt?
Biermann: Das kann ich nicht so richtig würdigen, weil für mich kann er nicht wiedergeboren werden, weil er für mich nie so richtig gelebt hat. Er war für mich nie so wichtig in meinem kleinen Menschenleben. Natürlich wusste ich, er ist einer der wichtigen Politiker in der Bundesrepublik, im Westen, als ich noch in der DDR lebte, und auch später war er für mich eine Figur der Weltgeschichte, die ich nicht bemerkte. Ich denke dabei erst mal natürlich an das blöde Wort von Karl Kraus, der Witzbold da, der am Anfang der Nazi-Zeit ein Buch schrieb, "Die Dritte Walpurgisnacht", mit dem provokanten Satz, "Mir fällt zu Hitler nichts ein". Und mir fällt zu Kohl natürlich auch nichts ein. Aber der Kohl – das fällt mir dann doch ein – ist das ideale extreme demokratische Gegenstück zu diesem Hitler als Figur der Weltgeschichte. So dramatisch, so interessant, so mörderisch wie dieser Hitler war und so schrecklich für unser Land, so gut und so unauffällig und so im allerbesten Sinne langweilig ist aus meiner Sicht dieser Kohl. Ich glaube, dem verdanken wir fast so viel: wie wir dem Hitler das Schlechte verdanken, verdanken wir ihm das Gute, weil er die Wiedervereinigung durchgezogen hat. Das ist seine große Heldentat in der Welt.
Koldehoff: Wie viel aus Ihrer Sicht, aus der Sicht eines Mannes, der viele Jahre in der DDR gelebt hat und auch, als er dann in den Westen umgezogen ist, noch gute Kontakte behalten hat, wie viel war denn davon tatsächlich Kohls Werk von dieser Wiedervereinigung?
Biermann: Das kann ich noch schlechter ermessen als die Historiker, die mehr wissen als ich und deswegen noch weniger verstehen. Ich sehe es ganz kindlich. Er hat die ideale kurze Chance genutzt, als Gorbatschow noch nicht abgesägt war in der Sowjetunion, und hat diese Wiedervereinigung angepackt. Er war vor der Wiedervereinigung genauso dumm wie die SPD-Leute und genauso dumm wie Wolf Biermann. Ich war auch der Meinung, dass die DDR auf jeden Fall länger hält als ich. Also ich glaubte nicht, dass wir jemals wiedervereinigt werden könnten. So blöd waren eigentlich fast alle.
Nur er unterschied sich in einem wichtigen Punkt: Als die Chance da war, hat er sie schneller als andere erkannt und tapferer, mutiger, frecher genutzt als andere. Das mutet man so einem Koloss, so einem Langweiler eigentlich gar nicht, aber er ist wahrscheinlich gar nicht so langweilig, wie ich ihn immer sah.
Koldehoff: Es hätte ja damals auch durchaus auch die Möglichkeit gegeben, aus diesen beiden Grund verschiedenen und vielleicht doch so gleichen, nicht im politischen System gleichen Staaten was ganz Neues zu machen. Stattdessen war Kohl derjenige, der maßgeblich mit entschieden hat, wir hängen die ehemalige DDR an die ehemalige BRD dran und machen eigentlich das Alte nur ein bisschen größer. War das die richtige Entscheidung?
Biermann: Meiner Meinung nach die einzig mögliche Entscheidung. Was Sie da kolportieren ist die Meinung von Günter Grass und anderen Lichtgestalten.
Koldehoff: Nicht ausschließlich.
Biermann: Ja, ja! – Nein, natürlich! – Aber ich bin ganz und gar nicht dieser Meinung. Ich habe ja schon gesagt: ich gehöre nicht zu den Propheten der Wiedervereinigung. Meine politische Fantasie reichte nicht aus, mir vorzustellen, dass ich die Wiedervereinigung noch erlebe. Aber da ich nun so auf wunderbare Weise Unrecht behalten habe, will ich wenigstens im Nachhinein auch erstens begreifen und zweitens den Mut haben zu sagen, dass ich mich geirrt habe und dass ich froh bin, dass dieser Kohl klüger war als wir alle zusammen damals, und das muss man ihm gönnen, diesen Ruhm, egal wie man ihn sonst findet. Ich glaube nicht, dass man die Vorzüge einer unvollkommenen Demokratie und die Vorzüge einer vollkommenen Diktatur miteinander vermischen kann. So denken nach meiner Meinung nur Dummköpfe.
Koldehoff: Gut, da werde ich dann also auch noch mal drüber nachdenken. – Die Verstrickung in die Parteispendenaffäre, die Entscheidung, ein angebliches Ehrenwort höher zu setzen als Gesetze, schmälert das die Verdienste, die Sie gerade beschrieben haben, in Ihren Augen?
Biermann: Das zeigt, dass Kohl zu den Menschen gehört. Das heißt auch im schäbigen Sinn, im traurigen Sinne, das war natürlich schwach und das war falsch, und ich finde es gut, dass die Frau, die er dann nach vorne gebracht hat damals, die Angela Merkel, sich in dieser Frage richtig und tapfer und klug verhalten hat. Überhaupt habe ich das Gefühl, dieser Kohl hat zwei große Dinge vollbracht in seinem Leben. Erstens – darüber sprachen wir schon: er hat die Wiedervereinigung gemanagt. Natürlich macht ein einzelnes Menschenexemplar niemals so einen geschichtlichen Umbruch, das ist klar. Er steht nur als Figur da auf der Weltbühnengeschichte. Aber das Zweite, was er gemacht hat: Er hat die gute Nase gehabt für dieses politische Genie Angela Merkel, und der verdanken wir nach meiner Meinung mindestens so viel wie dem Kohl und die ist sozusagen das Beste, was die DDR hervorgebracht hatte.
Koldehoff: Zum Schluss doch noch mal zurück zu Helmut Kohl. Sind Sie ihm mal persönlich begegnet, hat er mal Ihre Nähe gesucht, nach Ihren Erfahrungen gefragt?
Biermann: Nein, nein, nein, nein, nein. – Nein, dazu waren wir zu weit auseinander, nicht mal im Sinne von Gegnern, von Feinden oder sogar so was. Nein! Einfach: wir gingen einander nichts an.
Koldehoff: Das lassen wir so stehen. – Ich danke sehr herzlich und wünsche ein wunderschönes Liebeslieder-Konzert. Was für einen schöneren Anlass für ein Konzert kann es geben?
Biermann: Ja, zumal, wenn man weiß, dass in der Regel immer von Liebenden in großer politischer Landschaft gesungen wird. Also nicht bloß der Kuss – das machen wir lieber alleine im Bett oder im Gras -, sondern interessant wird's, wenn die Liebenden sich küssen in großer politischer Landschaft, also Romeo und Julia.
Koldehoff: Wolf Biermann, der große Romantiker, über Helmut Kohl.