"Ich unterscheide mich nicht von allen anderen. Ich habe keine besonderen Fähigkeiten. Ich bin der Junge, der im Büro sitzt, tagein, tagaus."
Edward Snowden ist ein unauffälliger junger Mann mit schmaler Brille und Dreitagebart, 29 Jahre alt. Er sitzt in einem Hotelzimmer in Hongkong und offenbart sich der britischen Tageszeitung "Guardian". Doch Snowden ist eben nicht wie jeder andere. Er ist der Whistleblower, der einen Überwachungsskandal publik gemacht hat, der in den USA ein Beben ausgelöst hat.
In Hawaii hatte er als Administrator für eine private Sicherheitsfirma gearbeitet, die wiederum für die NSA tätig war, die nationale Sicherheitsbehörde, deren Arbeit als noch geheimer gilt als die der CIA. "Prism" nennt sich das Datensammelprogramm der NSA. Die NSA hat Zugriff auf Milliarden von Daten. Wer hat mit wem wie lange telefoniert? Wer ist mit wem auf Facebook befreundet? Wer sucht was bei Google? Und das ist in den USA ganz legal.
"Ich hätte sicher an meinem Schreibtisch sitzend die Befugnis gehabt jeden, wirklich jeden auszuspähen, Dich, Deinen Steuerberater bis hin zu einem Richter, ja den Präsidenten, jeden, dessen private E-Mail-Adresse ich gehabt hätte."
Irgendwann fragte sich Edward Snowden, was er da eigentlich tat. Mit seinen Vorstellungen von Demokratie ging das nicht zusammen.
Edward Snowden gab zuerst dem "Guardian", dann der "Washington Post" umfangreiche Daten aus den geheimen Unterlagen der NSA. Und fast täglich gibt er Neues preis, zuletzt die Nachricht, dass die USA auch in China gelauscht haben. Das bewegt die Amerikaner eher wenig, was sie erregt, ist, dass der amerikanische Geheimdienst seine eigenen Bürger abhört, ihre Daten sammelt und hortet. Amerikaner bespitzeln Amerikaner.
Da werden Schwerverbrecher abgehört, Terroristen und: völlig Unschuldige. Präsident Obama findet nichts dabei. Schließlich sammele die Regierung nur die Telefonnummern und archiviere die Länge der Telefonate. Seiner Meinung nach diene das alles nur dazu, terroristische Attacken zu verhindern:
Und im übrigen, so Barack Obama, seien ja in erster Linie Ausländer abgehört worden. Das wäre doch ein interessantes Gesprächsthema für die deutsche Kanzlerin und den amerikanischen Präsidenten, hieß es sofort im politischen Berlin. Denn die NSA soll die meisten Daten außerhalb der USA in Deutschland gesammelt haben.
In den USA ist es also alltäglich, dass Nummern von Anrufen gespeichert werden, dass Mails vom Geheimdienst mitgelesen werden. Ohne dass die davon wissen, die telefonieren, die Mails schreiben oder empfangen. Jetzt gibt es einen Aufschrei der Empörung von all jenen in Amerika, die liberal denken.
Doch es gibt auch Gegenstimmen. Seit dem 11. September habe sich die Welt verändert, man könne gar nicht aufmerksam genug sein. Und wer nichts zu verbergen habe, dem könne man auch nichts anhaben.
"Du musst gar nichts falsch gemacht haben, Du wirst einfach verdächtigt, weil jemand die falsche Nummer gewählt hat. Und die NSA untersucht Deine Vergangenheit, findet jeden Freund heraus, mit dem Du einmal diskutiert hast und attackiert Dich auf dieser Basis. Eine Art abgeleitete Verdächtigung.”"
Jeden könnte es treffen, sagt Edward Snowden.
Dabei ist das Problem der Überwachung in den USA nicht erst seit ein paar Tagen bekannt. Während man sich in Deutschland über die Kameraüberwachung in Supermärkten erregt, Geschäfte boykottiert werden und Datenschützer Alarm schreien, hat man sich im freien Amerika längst damit abgefunden, vom Arbeitgeber am Arbeitsplatz überwacht zu werden.
Lewis Maltby hat wache blaue Augen unter dichten Brauen. In seinem Arbeitszimmer hängen Teppiche und Wandbehänge. Er sitzt in einem gemütlichen dunklen Ohrensessel aus Leder. Und da hört es schon auf mit der Gemütlichkeit. Lewis Maltby leitet das National Workrights Institute in Princeton, dem Institut für Arbeitsrecht. Er weiß, wie einfach es heutzutage ist, in Computer einzudringen und Informationen abzuzapfen.
Alexander Konanykhin bietet die Software dazu an. Der durchtrainierte Mann mit den stahlblauen Augen ist eine schillernde Figur. 1991, da war er 23 Jahre alt, gründete er die Russian Exchange Bank. Er besaß ein Finanz - und Bauimperium und galt bald als einer der wohlhabendsten Männer Russlands. Heute lebt er in New York.
""Das System verfolgt die geleistete Arbeit: Screenshot für Screenshot. Jeder Tastenanschlag, jeder Mausklick eines jeden Mitarbeiters wird aufgezeichnet. Wenn jemand, weil er sich unbeobachtet fühlt, seinen Arbeitstag auf seiner Facebookseite verbringt, dann wird der Produktivitätsexperte entscheiden, ob er weiter in dieser Firma arbeiten wird oder nicht."
Nennen wir sie Gabriela Miller - sie möchte nicht, dass ihr Name genannt wird, und auch nicht, dass man ihre Stimme erkennt. Sie ist Mitte 30, sie hat die blonden Haare hochgesteckt, ist dezent geschminkt. Ihr Schmuck ist silbern, schlicht. Sie trägt das klassische Businessoutfit: dunkles Kostüm, helle Bluse. Als Treffpunkt hat sie ein eher unauffälliges kleines Lokal in Down Town New York ausgesucht. Sie will sicher gehen, dass niemand hier ist, der sie kennt. Nervös zerknüllt sie mit ihren schmalen Händen die Serviette.
Sie wird überwacht - und sie weiß, dass sie überwacht wird. Denn sie hat der Überwachung selbst zugestimmt, der Überwachung ihres Handys, PCs, ihrer E-Mails. Dreimal im Jahr muss sie einen Drogentest machen lassen. Ohne dass das vorher angekündigt wird. Hätte sie nicht zugestimmt, hätte man sie gar nicht erst eingestellt. Sie arbeitet an der Wallstreet. Täglich bewegt sie Millionenbeträge hin und her:
"Natürlich fühle ich mich total ausgeliefert. Ich führe im Büro niemals private Gespräche und rede auch niemals offen mit Kollegen. Man kann ja alles mithören. Ich weiß das und ich kann nichts dagegen tun. Das ist auf Dauer zermürbend."
Ihr dienstliches Telefon benutzt Gabriela Miller nicht für private Gespräche. Aber sie muss es immer dabei haben, muss jederzeit angerufen werden können. Das allein, so Lewis Maltby, reiche aus, um rund um die Uhr abgehört werden zu können:
"Wenn man ein Firmenhandy hat, kann der Chef für fünf Dollar im Monat jederzeit herausfinden, wo man sich gerade aufhält. Und er wird nicht nur wissen, dass man in der Mabelstreet 23 ist, sondern ob man im Wohnzimmer ist, im Bad oder im Schlafzimmer. Und wenn man in einem Bürohaus ist, weiß er, ob man im Anwaltsbüro ist oder in der Praxis des Psychiaters oder der eines Abtreibungsarztes. Und genau das passiert, es passiert immer öfter und es gibt kein Gesetz dagegen."
Und so könnte Gabriela Millers Arbeitgeber auch herausfinden, wo sie sich jetzt gerade aufhält, kann erfahren, in welchem Restaurant sie zu Mittag isst. Immerhin weiß er nicht, mit wem.
James Ryder von der Firma IP Video stellt das Equipment zur Verfügung, mit dem die Arbeitnehmer überwacht werden. Seinen grauen Bart hat er gestutzt, seine Stoppelhaare Millimeter kurz geschnitten. Er war bei den Marines, dann bei der New Yorker Polizei. Mit 40 ging er in Rente. Er kann nur Gutes daran finden, Handys abzuhören oder Überwachungskameras zu installieren:
"Es ist von Vorteil für Dich und den Arbeitgeber und es macht Deine Umgebung sicherer."
Auch Präsident Obama hatte mit der Sicherheit argumentiert. Der Sicherheit vor Terroristen.
IP Video bietet noch einen weiteren Service an: Wenn vom Kunden gewünscht, können alle Daten aufbewahrt werden, jahrelang. Im übrigen, so James Ryder, empfehle er seinen Kunden stets, die Arbeitnehmer darüber zu informieren, wenn Kameras installiert werden. Nicht alle Arbeitgeber halten sich an diese Empfehlung. Ryder lächelt:
"Es gibt immer eine Nachfrage nach versteckten Kameras. Wenn der Kunde sagt, er brauche eine versteckte Kamera, nun, dann geben wir ihm diese Technologie."
So ist es in großen amerikanischen Hotelketten möglich, dass Hotelangestellte abends in ihren Umkleidekabinen dabei gefilmt werden, wie sie sich umziehen. Eine Angestellte einer solchen Hotelkette klagte und ließ sich dann auf einen Vergleich ein. Sie darf weder über das, was darin ausgemacht wurde, sprechen, noch den Namen des Hotels nennen. Der gute Ruf soll nicht Schaden nehmen.
Doch es hat auch einen Prozess gegeben, in dem gegen das unerwünschte Filmen geklagt wurde. Lewis Maltby, der Arbeitsrechtler aus Princeton, hat eine junge Frau beraten, die an der Universität arbeitet. Sie wollte sich nicht in Unterwäsche filmen lassen:
"Eine Universitätsangehörige zog sich abends in ihrem Büro um, bevor sie ins Fitnessstudio ging. Sorgfältig schloss sie ihre Tür ab. Dann fand sie heraus, dass sie immer wieder beim Umziehen gefilmt worden war. Für sie war das ein Eingriff in ihre Privatsphäre. Für den Arbeitgeber eine Routineangelegenheit. Sie klagte. Und verlor!”"
Die Arbeitgeber dürfen nicht nur filmen, sie dürfen auch den Ton mitschneiden. Es gibt genau einen einzigen Raum, auf dem nicht gefilmt werden darf: die Toilette.
Aber wie ist es möglich, dass sich eine ganze Nation, die doch sonst die Freiheit so groß auf ihre Fahnen geschrieben hat, abhören lässt? Wie ist es möglich, dass die Arbeitgeber so wenig Vertrauen zu ihren Angestellten haben, dass sie glauben, sie ausspähen zu müssen?
""Arbeitgeber in den Vereinigten Staaten mögen keine Regeln, sie mögen keine Gewerkschaften und sie kämpfen gegen alles, was ihre Macht, ihre Autorität einschränken könnte. Sie kämpfen bis zum bitteren Ende."
Und wie ist es möglich, dass die Angestellten sich nicht gegen diese Überwachung wehren?
"Arbeiter und Angestellte arbeiten so hart, haben Angst, entlassen zu werden, rausgeschmissen, machen sich Gedanken, wie sie ihre Rechnungen zahlen sollen, wie sie für ihre Kinder sorgen können. Sie haben nicht die Kraft und nicht die Zeit, viel Aufhebens um so etwas zu machen."
Nicht alles kann die Kamera herausfinden, auch wenn sie den lieben langen Tag eingeschaltet ist. Nicht alles, was so manch ein Arbeitgeber wissen will, wird am Handy besprochen. Wer noch mehr wissen will, wer jemanden neu einstellen will, hat die Möglichkeit, windige Firmen zu beauftragen, etwas über die Kreditwürdigkeit der observierten Person herauszufinden.
"Heutzutage haben viele Firmen Informationen über Deine Kreditunterlagen. Und sie verkaufen diese Information an jeden, der bereit ist, zehn Dollar dafür zu zahlen und der sagt, er möchte jemanden anstellen."
Emmed Pingsten sitzt in seiner Einzimmerwohnung in Brooklyn an seinem Schreibtisch. Er ist sehr groß und kräftig und sieht aus, als könne ihn nichts so leicht aus der Bahn werfen. Er schaut auf einen Stapel Papiere. Es sind Antworten, die er auf Bewerbungen hin erhalten hat. Alles Ablehnungen. Dabei ist der Mittvierziger gut ausgebildet und in den USA ist das Alter noch nie ein Grund gewesen, jemanden nicht einzustellen.
"Ich bin Pilot geworden, lernte, wie man Flugzeuge und Helikopter steuert, einfach alles. Ich ging zum Militär und wurde Terrorismusexperte. Ich bin ein landesweit anerkannter Antiterror-Experte."
Emmed hat im Irak gekämpft. Stolz zeigt er seine Orden.
"Wie auch immer, ich kann das nicht in eine Arbeitsstelle ummünzen, solange es ein Dokument gibt, das zeigt, dass ich vielleicht eine unseriöse Person bin. Denn Schulden gehabt zu haben, bedeutet für manchen, dass man ein potenzielles Risiko ist, bestechlich zu sein."
Der Arbeitsrechtler Lewis Maltby fragt sich, was Job und persönliche Kreditwürdigkeit miteinander zu tun haben:
"Wenn jemand Lastwagenfahrer ist oder in einer Fabrik oder im Büro arbeitet, was zum Teufel geht mich dann seine Kreditwürdigkeit an?"
Wenn ein amerikanischer Bürger einmal einen Kredit nicht zurückzahlen konnte, so spielt es überhaupt keine Rolle, warum er in die Schuldenfalle gelaufen ist. Nachdem Emmed Pingsten die Armee verlassen hatte, wollte er sich selbstständig machen und eine Sicherheitsfirma gründen. Er nahm einen Kredit auf. Das Geschäft ging schief und Emmed blieb auf den Schulden sitzen. Schulden, die er inzwischen längst abbezahlt hat:
"Die Bank darf über diesen Kredit informieren, dass man sein Darlehen nicht rechtzeitig zurückgezahlt hat oder eine Rechnung nicht beglichen hat. Und wenn das auch nur ein einziges Mal passiert ist, ist es im Computer und der Chef kann es herausfinden."
Wer nur einmal vergessen hat, seine Telefonrechnung zu bezahlen, wer einmal einen Scheck abgegeben hat, der nicht gedeckt war, der gerät ins Visier der Datensammler. Jeder kann diese Erkundigungen einholen und derjenige, der einmal Schulden hatte, kann nichts dagegen tun.
"Wenn wir eine Gesetzgebung hätten, die verböte, dass man die Geschichte eines Kredites prüfte, dann könnten sehr viel mehr Menschen eine Arbeit finden. Denn viele Menschen wollen arbeiten und sind davon ausgeschlossen."
Emmed Pingsten hat inzwischen eine Arbeit gefunden. Er trägt Pakete aus. Niemand ahnt, was er eigentlich hätte arbeiten können. Lewis Maltby hingegen ist froh, dass er da arbeitet, wo er arbeitet, in Princeton beim National Workrights Institute:
"Wenn ich irgendwo anders arbeiten würde, dann wäre ich in Panik."
Whistleblower Edward Snowden ist untergetaucht. Er weiß sehr genau, dass er jetzt vom Geheimdienst gejagt wird. Und dass ihm, wenn er gefasst wird, eine lange Gefängnisstrafe droht.
"”Man muss eine Entscheidung treffen. Was ist wichtig für einen selbst? Wenn man akzeptiert, unfrei, aber bequem zu leben, dann kann man jeden Tag aufstehen, zur Arbeit gehen, sein großes Gehalt für relativ wenig Arbeit abholen, eine Arbeit, die gegen das öffentliche Interesse gerichtet ist - und man kann beruhigt zu Bett gehen. Aber wenn man realisiert, was das für eine Welt geworden ist, die man mitgestaltet hat, dann ist man bereit, jedes Risiko auf sich zu nehmen, um das bekannt zu machen.""
Christian Ströbele würde Edward Snowden am liebsten politisches Asyl in Deutschland gewähren. Denn was ist verwerflicher, Daten im Geheimen zu sammeln und zu horten oder die Öffentlichkeit darüber zu informieren?
Gleichwohl: Der Datenhunger der amerikanischen Geheimdienste und der amerikanischen Unternehmer wird auch nach dem Gespräch zwischen Barack Obama und Angela Merkel nicht gestillt sein.
Edward Snowden ist ein unauffälliger junger Mann mit schmaler Brille und Dreitagebart, 29 Jahre alt. Er sitzt in einem Hotelzimmer in Hongkong und offenbart sich der britischen Tageszeitung "Guardian". Doch Snowden ist eben nicht wie jeder andere. Er ist der Whistleblower, der einen Überwachungsskandal publik gemacht hat, der in den USA ein Beben ausgelöst hat.
In Hawaii hatte er als Administrator für eine private Sicherheitsfirma gearbeitet, die wiederum für die NSA tätig war, die nationale Sicherheitsbehörde, deren Arbeit als noch geheimer gilt als die der CIA. "Prism" nennt sich das Datensammelprogramm der NSA. Die NSA hat Zugriff auf Milliarden von Daten. Wer hat mit wem wie lange telefoniert? Wer ist mit wem auf Facebook befreundet? Wer sucht was bei Google? Und das ist in den USA ganz legal.
"Ich hätte sicher an meinem Schreibtisch sitzend die Befugnis gehabt jeden, wirklich jeden auszuspähen, Dich, Deinen Steuerberater bis hin zu einem Richter, ja den Präsidenten, jeden, dessen private E-Mail-Adresse ich gehabt hätte."
Irgendwann fragte sich Edward Snowden, was er da eigentlich tat. Mit seinen Vorstellungen von Demokratie ging das nicht zusammen.
Edward Snowden gab zuerst dem "Guardian", dann der "Washington Post" umfangreiche Daten aus den geheimen Unterlagen der NSA. Und fast täglich gibt er Neues preis, zuletzt die Nachricht, dass die USA auch in China gelauscht haben. Das bewegt die Amerikaner eher wenig, was sie erregt, ist, dass der amerikanische Geheimdienst seine eigenen Bürger abhört, ihre Daten sammelt und hortet. Amerikaner bespitzeln Amerikaner.
Da werden Schwerverbrecher abgehört, Terroristen und: völlig Unschuldige. Präsident Obama findet nichts dabei. Schließlich sammele die Regierung nur die Telefonnummern und archiviere die Länge der Telefonate. Seiner Meinung nach diene das alles nur dazu, terroristische Attacken zu verhindern:
Und im übrigen, so Barack Obama, seien ja in erster Linie Ausländer abgehört worden. Das wäre doch ein interessantes Gesprächsthema für die deutsche Kanzlerin und den amerikanischen Präsidenten, hieß es sofort im politischen Berlin. Denn die NSA soll die meisten Daten außerhalb der USA in Deutschland gesammelt haben.
In den USA ist es also alltäglich, dass Nummern von Anrufen gespeichert werden, dass Mails vom Geheimdienst mitgelesen werden. Ohne dass die davon wissen, die telefonieren, die Mails schreiben oder empfangen. Jetzt gibt es einen Aufschrei der Empörung von all jenen in Amerika, die liberal denken.
Doch es gibt auch Gegenstimmen. Seit dem 11. September habe sich die Welt verändert, man könne gar nicht aufmerksam genug sein. Und wer nichts zu verbergen habe, dem könne man auch nichts anhaben.
"Du musst gar nichts falsch gemacht haben, Du wirst einfach verdächtigt, weil jemand die falsche Nummer gewählt hat. Und die NSA untersucht Deine Vergangenheit, findet jeden Freund heraus, mit dem Du einmal diskutiert hast und attackiert Dich auf dieser Basis. Eine Art abgeleitete Verdächtigung.”"
Jeden könnte es treffen, sagt Edward Snowden.
Dabei ist das Problem der Überwachung in den USA nicht erst seit ein paar Tagen bekannt. Während man sich in Deutschland über die Kameraüberwachung in Supermärkten erregt, Geschäfte boykottiert werden und Datenschützer Alarm schreien, hat man sich im freien Amerika längst damit abgefunden, vom Arbeitgeber am Arbeitsplatz überwacht zu werden.
Lewis Maltby hat wache blaue Augen unter dichten Brauen. In seinem Arbeitszimmer hängen Teppiche und Wandbehänge. Er sitzt in einem gemütlichen dunklen Ohrensessel aus Leder. Und da hört es schon auf mit der Gemütlichkeit. Lewis Maltby leitet das National Workrights Institute in Princeton, dem Institut für Arbeitsrecht. Er weiß, wie einfach es heutzutage ist, in Computer einzudringen und Informationen abzuzapfen.
Alexander Konanykhin bietet die Software dazu an. Der durchtrainierte Mann mit den stahlblauen Augen ist eine schillernde Figur. 1991, da war er 23 Jahre alt, gründete er die Russian Exchange Bank. Er besaß ein Finanz - und Bauimperium und galt bald als einer der wohlhabendsten Männer Russlands. Heute lebt er in New York.
""Das System verfolgt die geleistete Arbeit: Screenshot für Screenshot. Jeder Tastenanschlag, jeder Mausklick eines jeden Mitarbeiters wird aufgezeichnet. Wenn jemand, weil er sich unbeobachtet fühlt, seinen Arbeitstag auf seiner Facebookseite verbringt, dann wird der Produktivitätsexperte entscheiden, ob er weiter in dieser Firma arbeiten wird oder nicht."
Nennen wir sie Gabriela Miller - sie möchte nicht, dass ihr Name genannt wird, und auch nicht, dass man ihre Stimme erkennt. Sie ist Mitte 30, sie hat die blonden Haare hochgesteckt, ist dezent geschminkt. Ihr Schmuck ist silbern, schlicht. Sie trägt das klassische Businessoutfit: dunkles Kostüm, helle Bluse. Als Treffpunkt hat sie ein eher unauffälliges kleines Lokal in Down Town New York ausgesucht. Sie will sicher gehen, dass niemand hier ist, der sie kennt. Nervös zerknüllt sie mit ihren schmalen Händen die Serviette.
Sie wird überwacht - und sie weiß, dass sie überwacht wird. Denn sie hat der Überwachung selbst zugestimmt, der Überwachung ihres Handys, PCs, ihrer E-Mails. Dreimal im Jahr muss sie einen Drogentest machen lassen. Ohne dass das vorher angekündigt wird. Hätte sie nicht zugestimmt, hätte man sie gar nicht erst eingestellt. Sie arbeitet an der Wallstreet. Täglich bewegt sie Millionenbeträge hin und her:
"Natürlich fühle ich mich total ausgeliefert. Ich führe im Büro niemals private Gespräche und rede auch niemals offen mit Kollegen. Man kann ja alles mithören. Ich weiß das und ich kann nichts dagegen tun. Das ist auf Dauer zermürbend."
Ihr dienstliches Telefon benutzt Gabriela Miller nicht für private Gespräche. Aber sie muss es immer dabei haben, muss jederzeit angerufen werden können. Das allein, so Lewis Maltby, reiche aus, um rund um die Uhr abgehört werden zu können:
"Wenn man ein Firmenhandy hat, kann der Chef für fünf Dollar im Monat jederzeit herausfinden, wo man sich gerade aufhält. Und er wird nicht nur wissen, dass man in der Mabelstreet 23 ist, sondern ob man im Wohnzimmer ist, im Bad oder im Schlafzimmer. Und wenn man in einem Bürohaus ist, weiß er, ob man im Anwaltsbüro ist oder in der Praxis des Psychiaters oder der eines Abtreibungsarztes. Und genau das passiert, es passiert immer öfter und es gibt kein Gesetz dagegen."
Und so könnte Gabriela Millers Arbeitgeber auch herausfinden, wo sie sich jetzt gerade aufhält, kann erfahren, in welchem Restaurant sie zu Mittag isst. Immerhin weiß er nicht, mit wem.
James Ryder von der Firma IP Video stellt das Equipment zur Verfügung, mit dem die Arbeitnehmer überwacht werden. Seinen grauen Bart hat er gestutzt, seine Stoppelhaare Millimeter kurz geschnitten. Er war bei den Marines, dann bei der New Yorker Polizei. Mit 40 ging er in Rente. Er kann nur Gutes daran finden, Handys abzuhören oder Überwachungskameras zu installieren:
"Es ist von Vorteil für Dich und den Arbeitgeber und es macht Deine Umgebung sicherer."
Auch Präsident Obama hatte mit der Sicherheit argumentiert. Der Sicherheit vor Terroristen.
IP Video bietet noch einen weiteren Service an: Wenn vom Kunden gewünscht, können alle Daten aufbewahrt werden, jahrelang. Im übrigen, so James Ryder, empfehle er seinen Kunden stets, die Arbeitnehmer darüber zu informieren, wenn Kameras installiert werden. Nicht alle Arbeitgeber halten sich an diese Empfehlung. Ryder lächelt:
"Es gibt immer eine Nachfrage nach versteckten Kameras. Wenn der Kunde sagt, er brauche eine versteckte Kamera, nun, dann geben wir ihm diese Technologie."
So ist es in großen amerikanischen Hotelketten möglich, dass Hotelangestellte abends in ihren Umkleidekabinen dabei gefilmt werden, wie sie sich umziehen. Eine Angestellte einer solchen Hotelkette klagte und ließ sich dann auf einen Vergleich ein. Sie darf weder über das, was darin ausgemacht wurde, sprechen, noch den Namen des Hotels nennen. Der gute Ruf soll nicht Schaden nehmen.
Doch es hat auch einen Prozess gegeben, in dem gegen das unerwünschte Filmen geklagt wurde. Lewis Maltby, der Arbeitsrechtler aus Princeton, hat eine junge Frau beraten, die an der Universität arbeitet. Sie wollte sich nicht in Unterwäsche filmen lassen:
"Eine Universitätsangehörige zog sich abends in ihrem Büro um, bevor sie ins Fitnessstudio ging. Sorgfältig schloss sie ihre Tür ab. Dann fand sie heraus, dass sie immer wieder beim Umziehen gefilmt worden war. Für sie war das ein Eingriff in ihre Privatsphäre. Für den Arbeitgeber eine Routineangelegenheit. Sie klagte. Und verlor!”"
Die Arbeitgeber dürfen nicht nur filmen, sie dürfen auch den Ton mitschneiden. Es gibt genau einen einzigen Raum, auf dem nicht gefilmt werden darf: die Toilette.
Aber wie ist es möglich, dass sich eine ganze Nation, die doch sonst die Freiheit so groß auf ihre Fahnen geschrieben hat, abhören lässt? Wie ist es möglich, dass die Arbeitgeber so wenig Vertrauen zu ihren Angestellten haben, dass sie glauben, sie ausspähen zu müssen?
""Arbeitgeber in den Vereinigten Staaten mögen keine Regeln, sie mögen keine Gewerkschaften und sie kämpfen gegen alles, was ihre Macht, ihre Autorität einschränken könnte. Sie kämpfen bis zum bitteren Ende."
Und wie ist es möglich, dass die Angestellten sich nicht gegen diese Überwachung wehren?
"Arbeiter und Angestellte arbeiten so hart, haben Angst, entlassen zu werden, rausgeschmissen, machen sich Gedanken, wie sie ihre Rechnungen zahlen sollen, wie sie für ihre Kinder sorgen können. Sie haben nicht die Kraft und nicht die Zeit, viel Aufhebens um so etwas zu machen."
Nicht alles kann die Kamera herausfinden, auch wenn sie den lieben langen Tag eingeschaltet ist. Nicht alles, was so manch ein Arbeitgeber wissen will, wird am Handy besprochen. Wer noch mehr wissen will, wer jemanden neu einstellen will, hat die Möglichkeit, windige Firmen zu beauftragen, etwas über die Kreditwürdigkeit der observierten Person herauszufinden.
"Heutzutage haben viele Firmen Informationen über Deine Kreditunterlagen. Und sie verkaufen diese Information an jeden, der bereit ist, zehn Dollar dafür zu zahlen und der sagt, er möchte jemanden anstellen."
Emmed Pingsten sitzt in seiner Einzimmerwohnung in Brooklyn an seinem Schreibtisch. Er ist sehr groß und kräftig und sieht aus, als könne ihn nichts so leicht aus der Bahn werfen. Er schaut auf einen Stapel Papiere. Es sind Antworten, die er auf Bewerbungen hin erhalten hat. Alles Ablehnungen. Dabei ist der Mittvierziger gut ausgebildet und in den USA ist das Alter noch nie ein Grund gewesen, jemanden nicht einzustellen.
"Ich bin Pilot geworden, lernte, wie man Flugzeuge und Helikopter steuert, einfach alles. Ich ging zum Militär und wurde Terrorismusexperte. Ich bin ein landesweit anerkannter Antiterror-Experte."
Emmed hat im Irak gekämpft. Stolz zeigt er seine Orden.
"Wie auch immer, ich kann das nicht in eine Arbeitsstelle ummünzen, solange es ein Dokument gibt, das zeigt, dass ich vielleicht eine unseriöse Person bin. Denn Schulden gehabt zu haben, bedeutet für manchen, dass man ein potenzielles Risiko ist, bestechlich zu sein."
Der Arbeitsrechtler Lewis Maltby fragt sich, was Job und persönliche Kreditwürdigkeit miteinander zu tun haben:
"Wenn jemand Lastwagenfahrer ist oder in einer Fabrik oder im Büro arbeitet, was zum Teufel geht mich dann seine Kreditwürdigkeit an?"
Wenn ein amerikanischer Bürger einmal einen Kredit nicht zurückzahlen konnte, so spielt es überhaupt keine Rolle, warum er in die Schuldenfalle gelaufen ist. Nachdem Emmed Pingsten die Armee verlassen hatte, wollte er sich selbstständig machen und eine Sicherheitsfirma gründen. Er nahm einen Kredit auf. Das Geschäft ging schief und Emmed blieb auf den Schulden sitzen. Schulden, die er inzwischen längst abbezahlt hat:
"Die Bank darf über diesen Kredit informieren, dass man sein Darlehen nicht rechtzeitig zurückgezahlt hat oder eine Rechnung nicht beglichen hat. Und wenn das auch nur ein einziges Mal passiert ist, ist es im Computer und der Chef kann es herausfinden."
Wer nur einmal vergessen hat, seine Telefonrechnung zu bezahlen, wer einmal einen Scheck abgegeben hat, der nicht gedeckt war, der gerät ins Visier der Datensammler. Jeder kann diese Erkundigungen einholen und derjenige, der einmal Schulden hatte, kann nichts dagegen tun.
"Wenn wir eine Gesetzgebung hätten, die verböte, dass man die Geschichte eines Kredites prüfte, dann könnten sehr viel mehr Menschen eine Arbeit finden. Denn viele Menschen wollen arbeiten und sind davon ausgeschlossen."
Emmed Pingsten hat inzwischen eine Arbeit gefunden. Er trägt Pakete aus. Niemand ahnt, was er eigentlich hätte arbeiten können. Lewis Maltby hingegen ist froh, dass er da arbeitet, wo er arbeitet, in Princeton beim National Workrights Institute:
"Wenn ich irgendwo anders arbeiten würde, dann wäre ich in Panik."
Whistleblower Edward Snowden ist untergetaucht. Er weiß sehr genau, dass er jetzt vom Geheimdienst gejagt wird. Und dass ihm, wenn er gefasst wird, eine lange Gefängnisstrafe droht.
"”Man muss eine Entscheidung treffen. Was ist wichtig für einen selbst? Wenn man akzeptiert, unfrei, aber bequem zu leben, dann kann man jeden Tag aufstehen, zur Arbeit gehen, sein großes Gehalt für relativ wenig Arbeit abholen, eine Arbeit, die gegen das öffentliche Interesse gerichtet ist - und man kann beruhigt zu Bett gehen. Aber wenn man realisiert, was das für eine Welt geworden ist, die man mitgestaltet hat, dann ist man bereit, jedes Risiko auf sich zu nehmen, um das bekannt zu machen.""
Christian Ströbele würde Edward Snowden am liebsten politisches Asyl in Deutschland gewähren. Denn was ist verwerflicher, Daten im Geheimen zu sammeln und zu horten oder die Öffentlichkeit darüber zu informieren?
Gleichwohl: Der Datenhunger der amerikanischen Geheimdienste und der amerikanischen Unternehmer wird auch nach dem Gespräch zwischen Barack Obama und Angela Merkel nicht gestillt sein.