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Big Dablju

Rossmann in Amerika .... da fängt die Bescherung schon an. Der Kerl heißt Feldmann, Karl Feldmann, sieht aus wie Kafka, wird aber in New York mit Dustin Hoffman verwechselt, in dessen genealogischer Tafel ein deutscher Dichter mit den Initialen E.T.A stehen könnte. Feldmann ist offensichtlich ein Chamäloen, das je nach Vorbildung des Betrachters in die eine oder andere Larve der Mediengesellschaft schlüpft. Da er zugleich zu den mächtigsten Männern im Imperium Ted Turners zählt .... schon wieder falsch, der Mann heißt Warner, was neben der amerikanischen Anspielung eine hübsche deutsche Doppeldeutigkeit enthält, denn als Warner versteht er sich durchaus mit seinem 24-Stunden-Nachrichtensender CNN .... erneut vertan, die Rede ist von BMM, Broadcasting Main Media .... das führt wohl zu nichts, beginnen wir noch mal von vorn.

Florian Felix Weyh |
    Vor vielen, vielen Jahren, als das Wünschen noch keine Fernbedienung kannte, sammelte sich in Deutschland ein Häufchen Literaten und rief die Romantik aus. Vielmehr entdeckten sie im Bühnenboden der Belletristik eine Falltür, durch die man aufregende Vexierlabyrinthe betreten konnte. Wenn nämlich derjenige, der vorgeblich real agiert, seinerseits einen vorgeblich real agierenden Erzähler in die Welt setzt, läßt sich binnen kurzem herrliche Verwirrung stiften, die mit den überkommenen Erzählstrukturen gründlich aufräumt. Daß damals, vor vielen, vielen Jahren zugleich erste Simulationsprobleme auftauchten, weil man in Schach- und Spielautomaten menschliche Maschinen zu erkennen glaubte, macht die Sache zu einem überzeitlichen Phänomen, denn die Romantik, Urururgroßmutter der Postmoderne, hält alles bereit, was uns die Facettierung der Medienwelt heute aufbürdet. Achtung also, wer Neo-Romantikern sein Ohr leiht: Er wird kräftig geleimt.

    So ein Leimrutengänger ist Klaus Middendorf, im Brotberuf Literaturagent; also schreibt er einen Agentenroman, geheimdienstkryptisch "Big Dablju” genannt. Der beginnt mit dem Begräbnis eines würdigen alten Meisterspions und endet mit dessen lebenslanger Verbannung. Richtig: Das Begräbnis war nur inszeniert, denn der Meisterspion und Drahtzieher der Handlung ist unser Erzähler Harry van der Meeden. Mal CIA-Mann, mal Ted Warners Sicherheitsbeauftragter, wahrscheinlich aber ein Multiagent in aller, also nur noch in seinen eigenen Diensten, bringt er uns die unglaubliche Geschichte vom Superfilm zu Gehör. So lange virtuelle Realität nämlich sperriger Vorrichtungen bedarf, verdient sie ihren Namen nicht; deshalb greift die Medientechnologie der Zukunft direkt in die Hirnströme ein und programmiert dort Wirklichkeit. Wessen Wahrnehmung ich manipuliere, dessen Wille steht mir zur Verfügung - ein alter Wunschtraum der Geheimdienste. So heftet sich eine ganze Schar zwielichtiger Gestalten an Feldmanns Fersen, als er von Deutschland aus in Warners Hauptquartier beordert wird, um dort die Leitung des Superfilm-Projekts zu übernehmen. Leitung heißt vorangehen, also ist Feldmann auch der erste Testkandidat. Hier nun widerfährt dem Leser des Middendorfschen Thrillers gar Seltsames: Er gerät, so er den Film kennt, in ein Kino-Dejavu. Satte vierzig Seiten lang schildert der Autor die Politsatire "Primary Colours” (deutsch: "Mit aller Macht”), die ihrerseits einen Romanstoff ausbeutet, nämlich die Enthüllungen eines mittlerweile enttarnten Clinton-Mitarbeiters über Kampagnen und Affären des kleinen Gouverneurs, der ein großer Präsident werden will. Karl Feldmann spielt in der Super- und Hirnfilm-Variante den Präsidentenberater und erhält darin die Nachricht zugespielt, wie er die Verwirklichung des Simulationsinfernos noch verhindern könne. Weil aber ausnehmend alle Figuren des Romans irgendwie in die Verschwörung verwickelt sind, steigt Feldmann in ein falsches Taxi (der Fahrer natürlich ein Agent) und unterliegt seinen Gegnern im Wettlauf der Zeit. Wir müssen, so der Schlußstand, der Tatsache gewahr bleiben, uns in jenem Superfilm zu befinden, in dem ein Leser zum Roman "Big Dablju” greift ... und so weiter.

    "Mit aller Macht” wäre eine passende Überschrift für diese Rezension. Klaus Middendorf ist nicht nur ein Neo-Romantiker, sondern ein Beziehungswahnsinniger. Nicht das kleinste Detail darf solo stehen, immer ist es irgendwo in der Gutenberggalaxie oder am Hollywoodimperium angedockt. Schon die Grundidee entstammt einem Film, dem Schwarzenegger-Reißer "Total Recall” und sehr weit von der aktuellen Truman-Story ist sie auch nicht entfernt. Aber das genügt Middendorf nicht, von Orson Welles bis Kafka, von Shakespeare bis Robert de Niro, von LeCarré bis Karl Maria Brandauer reicht das Film-Literatur- Gemenge, dem schließlich auch saftige Eigenzitate entquellen. Bei einem Autor, der gerade mal seinen zweiten Roman vorlegt, eher ein peinlicher Witz, wie seine Attitüde insgesamt etwas Bemühtes hat - trotz aller Spannung im ersten Teil. Er will nämlich, daß jeder die aufmarschierenden Vorbilder unbedingt erkennt; ein Verfahren mit Brechstange und Zaunpfahl. Daß so kurzlebiges Collage-Material wie das über Clinton dem Verfallsdatum des Romans eher abträglich ist, wird auch nicht durch prognostische Zugaben ausgeglichen; in "Big Dablju” regiert zwar ein Kanzler Schröder, aber welcher Leser honoriert diese punktuelle Aktualität über den Wahltag hinaus? Literarisch sind solche Gegenwarts-Referenzen nicht von Belang, aber wäre das Buch kein Buch, sondern ein interaktives literarisches Abenteuer, müßte es zu solchen Tricks greifen. Der Literaturagent Middendorf zäumt als Autor ein trojanisches Pferd auf : Er schreibt eine Belletristik, die des Trägermaterials Buch entbehren kann. Insgeheim wäre er wohl lieber Superfilm-Programmierer.